Transkript
Metastasiertes Mammakarzinom
Aktuelle und neue Therapien im Visier
BERICHT
36th Annual San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) 10. bis 14. Dezember 2013, San Antonio, USA
Am weltweit bedeutenden San Antonio Breast Cancer Symposium (SABCS) Mitte Dezember standen neue Studien zur Tumorgenetik und zu Metastasen ebenso im Fokus wie solche zu Mutationen der Östrogenrezeptoren, zur Endokrinresistenz und zu PI3K-Inhibitoren. Zwei randomisierte Studien zur Rolle der Chirurgie in der metastasierten Situation konnten leider keine finale Antwort auf brennende Fragen geben.
MONICA CASTIGLIONE-GERTSCH, ALEXANDRE BODMER
Das Mammakarzinom bleibt in der Schweiz die häufigste maligne Erkrankung der Frau, und seine Inzidenz ist weiterhin zunehmend. Glücklicherweise ist die Mortalität dagegen seit 15 bis 20 Jahren abnehmend; die Überlebensrate beträgt in Europa über 80 Prozent nach 5 Jahren Beobachtungszeit (1). Dies beruht wahrscheinlich auf der heutigen Früherkennung der Krankheit mit entsprechend besserer Prognose, aber sicher auch auf den therapeutischen Fortschritten.
Heutige Fragestellungen beim metastasierten Mammakarzinom Obwohl das Mammakarzinom zu den am besten erforschten Krankheiten gehört, wird die metastatische Situation von den betroffenen Patientinnen als «Waisenkind» empfunden, und dieses
Jahr wurde erst zum zweiten Mal eine internationale Konferenz zum metastatischen Mammakarzinom (in Lissabon) abgehalten. Zur Beachtung: Die nächste St.-Gallen-Konferenz (2015 in Wien) zur adjuvanten Therapie des Mammakarzinoms wird bereits zum 14. Mal stattfinden! Trotz Entwicklung von neuen Medikamenten und Medikationskonzepten (gezielte Therapien etc.) bleibt das Mammakarzinom im metastatischen Stadium, mit seltenen Ausnahmen (oligometastatische Situation?), eine unheilbare und in einigen Fällen chronische Krankheit, die früher oder später zum Tod führt. Die Wahl der Behandlung des Mammakarzinoms im metastatischen Stadium hängt von verschiedenen Faktoren wie den Charakteristiken der Patientin, der Biologie des Karzinoms und der Ausdehnung der Metastasierung ab. Immer häufiger diskutiert man die Biopsie der Metastasen (2), da bekannt ist, dass zwischen Primärtumor und Metastasen oft relevante Unterschiede vorliegen (3). Es muss allerdings betont werden, dass wir heute über keine Daten verfügen, welche einen Vorteil für die Behandlung nach biologischen Faktoren in den Metastasen zeigen. Zudem bleibt die Frage offen, ob alle Metastasen in allen Organen homogen die gleichen biologischen Faktoren aufweisen/exprimieren oder ob sie auch sehr heterogen sein können.
Therapiestudien am SABCS, Dezember 2013 Wie jedes Jahr kurz vor Weihnachten trafen sich mehr als 7000 Brustkrebsspezialisten zum Mammakarzinomkongress im «tiefsten» Texas, in San Antonio: für die Amerikaner (aber sicher nur für sie!) das amerikanische Venedig!
Während fünf langer und intensiver Tage wurden die neusten Daten der Grundlagenforschung, der translationellen und klinischen Forschung beim Mammakarzinom präsentiert. Wir hatten 2012 das Glück, für das metastasierte Mammakarzinom sehr viele neue Daten zu erhalten: O Pertuzumab kombiniert mit Trastu-
zumab (Perjeta® mit Herceptin®) O TDM-1 (Kadcycla®) O Everolimus (Afinitor®) O Fulvestrant kombiniert mit Anastro-
zol (Faslodex® mit Arimidex®).
Leider war es dieses Jahr nicht mehr «so aufregend und fortschrittlich». Sehr viele Vorträge waren der Grundlagenforschung gewidmet, diese waren spannend, aber für Kliniker oft nach dem dritten Dia nicht mehr verständlich. In der translationellen Forschung scheinen die Mutationen im Primärtumor und in den Metastasen, die Mutationen der Östrogenrezeptoren, die häufiger bei Metastasen als in Primärtumoren gefunden werden, die Resistenz gegenüber der endokrinen Therapie, die Entwicklung von neuen Anti-HER2-Medikamenten und die PI3K-Inhibitoren die «Zugpferde» zu sein. Folgende Themen standen im Zentrum am SABCS:
Rezidivrisiko nach 5 Jahren Beobachtungszeit Welche Patientinnen haben ein höheres Risiko, nach 5 Jahren Beobachtungszeit noch zu rezidivieren? Sestak (4) antwortete auf diese Frage mit dem «Recurrence Score PAM50» (eine Untersuchung von 50 Genen), welcher an über 2100 Patientinnen mit positiven Hormonrezeptoren angewandt wurde. Patientinnen mit einem höheren Score hatten eindeutig mehr Spätrezidive als Patientinnen mit einem niedrigeren.
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Der Score konnte aber auch zeigen, dass Patientinnen mit Luminal-B-Tumoren etwa viermal häufiger spätrezidivieren als Patientinnen mit LuminalA-Tumoren. Diese Beobachtung ist wichtig, da sie uns helfen könnte, Patientinnen zu bestimmen, die von einer verlängerten endokrinen Therapie profitieren (Abstract S6–04).
Mutationen im Primärtumor und in den Metastasen Blackwell (5) fand 122 Mutationen bei mehr als einer Patientin mit triplenegativen Tumoren. Im Mittel hatte jede Patientin 10 Mutationen in ihrem Primärtumor. Am häufigsten waren Mutationen von TP53 (29%), von TACC2 (23%), von PI3K (12%) und von mTOR (12%). 331 Mutationen wurden an beiden Orten, in Primärtumoren und Metastasen, festgestellt, 31 Mutationen wurden dagegen nur in den Metastasen gefunden. Lediglich 8,6 Prozent der Patientinnen zeigten Veränderungen der Mutationen zwischen dem Primärtumor und den biopsierten Metastasen. Wie sind aber die Daten von verschiedenen Metastasen oder Metastasen in verschiedenen Organen? Zeigen sie alle die gleichen Mutationen?
Merksätze
O Das Mammakarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung der Frau. Die Inzidenz ist allgemein zunehmend, die Mortalität ist erfreulicherweise abnehmend.
O Das Mammakarzinom im metastatischen Stadium gilt heute noch (ausser in seltenen Fällen) als unheilbare und häufig chronische Krankheit.
O Die Behandlung richtet sich nach den Charakteristiken der Patientin, der Metastasierung und der biologischen Marker des Primärtumors oder der Metastasen.
O Verschiedene zelluläre Mechanismen der Malignität oder der Resistenzentwicklung wurden beschrieben und gezielte Medikamente entwickelt, welche zum Teil noch untersucht werden. Trotz theoretischer Grundlage sind die Resultate aber leider nicht immer wie erwartet (z.B. Ramucirumab) oder nicht eindeutig.
Es bleibt noch viel Arbeit zu tun! (Abstract S4–03).
Mutationen des Östrogenrezeptors während der Erkrankung Jeselsohn präsentierte die Daten der Östrogen-Rezeptor-Mutationen im Primärtumor verglichen mit denen in den Metastasen. Sehr verschiedene Mutationen sind sowohl im Primärtumor als auch bei den Metastasen festgestellt worden. Die Mutation von ESR1 wurde dagegen speziell bei Metastasen (14%) festgestellt und bewirkt eine Resistenz auf Tamoxifen und Fulvestrant. Es muss folglich weiter geforscht werden an der Entwicklung einer Strategie, diese Resistenz zu überwinden (6) (Abstract S3–06).
Die Chirurgie des Primärtumors beim metastasierten Mammakarzinom Eine immer noch offene Frage ist die Notwendigkeit einer lokalen Behandlung der Mamma im Falle von primär metastasiertem Mammakarzinom. Eine Metaanalyse von 15 retrospektiven Studien mit mehr als 16 000 Patientinnen zeigt einen kleinen Vorteil für die Chirurgie. In San Antonio sind 2 randomisierte Studien vorgestellt worden, die beide keinen Vorteil für die lokale Behandlung zeigten. Die Studie aus Indien zeigte sogar häufiger eine Progression der Fernmetastasen bei operierten Patientinnen. In der türkischen Studie war die lokale Progression für nicht operierte Patientinnen fünfmal häufiger als bei operierten. Diese randomisierten Studien waren klein und weisen methodologische Schwächen auf, sodass die Kontroverse weiter bestehen bleibt; wir werden weiterhin Fall für Fall entscheiden und die grösseren europäischen und die amerikanischen Studien abwarten müssen. Schade! (Abstract S2–02 und S2–03).
Neue Medikamente Ramucirumab (7), ein monoklonaler Antikörper, welcher den extrazellulären Teil des VEGF-Rezeptors blockiert, also ein antiangiogenetischer Ansatz, wurde in Kombination mit Docetaxel an 1144 Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom untersucht. Leider sind die Resultate negativ: Die Zugabe von Ramucirumab konnte die Wirkung von Docetaxel nicht verbessern.
Die Antiangiogenese scheint uns weiterhin Probleme zu machen: Die Bevacizumabkontroverse ist beendet, auch wenn viele von uns Patientinnen beobachtet haben, welche sehr gut auf Bevacizumab ansprechen. Das neue Molekül scheint – vorläufig – leider auch nicht besser zu sein. Dasatinib (8), ein Inhibitor von c-SRC – einer Thyrosinkinase –, wurde in einer randomisierten Phase-II-Studie zusammen mit Letrozol an Patientinnen mit HER2-negativem, hormonrezeptorpositivem (definiert als > 10%), metastasiertem Mammakarzinom gegeben. Die Resultate zeigten keinen klinischen Vorteil (clinical benefit) für die Zugabe von Dasatinib (71% für die Kombination und 66% für Letrozol allein). In einer explorativen statistischen Analyse betrug aber das progressionsfreie Überleben 20 Monate unter der Kombination (vs. 9,9 Monate unter Letrozol allein). Zudem hatten Patientinnen, die mit dieser Kombination behandelt wurden, weniger häufig Osteoporose oder Osteopenie. Dasatinib scheint die Resistenz gegen Aromatasehemmer konvertieren zu können. Interessantes Medikament. Weiterzuverfolgen! (Abstract S5–04 und S3–07).
Zirkulierende Tumorzellen Die SWOG-Gruppe (9) präsentierte die Daten der Phase-III-Studie SWOG S0500: 123 Patientinnen mit metastasierter Krankheit und zirkulierenden Tumorzellen wurden – bei Persistenz dieser Zellen unter Chemotherapie am Tag 21 – randomisiert und erhielten einen Wechsel der Chemotherapie oder die Weiterführung der gleichen Chemotherapie. Überraschenderweise war das Überleben der Patientinnen unter beiden Therapieansätzen kurz (12 Monate) und wies keinen Unterschied auf. Das Gleiche wurde für das progressionsfreie Überleben festgestellt. Diese Resultate zeigen erneut, dass wir die Bedeutung der zirkulierenden Tumorzellen immer noch nicht verstanden haben. Was bedeuten sie? Welche Rolle spielen sie? (Abstract S5–07).
Lebensqualität Bei der metastasierten Erkrankung, bei welcher wir vorläufig selten eine Heilung erreichen können, müssen wir für
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eine möglichst gute Lebenqualität der Patientinnen sorgen. Haben wir dazu im Verlauf der letzten Jahre und Jahrzehnte Fortschritte gemacht? Auf diese Frage versuchte Prof. Leslie Fallowfield in einer ausgezeichneten und ausgedehnten Präsentation zu antworten. Ihre Ansätze: Verstehen wir etwas besser, was in einer Patientin mit einer unheilbaren Krankheit vor sich geht? Können wir etwas machen, und machen wir etwas, damit die Situation für die Patientin erträglicher wird? Was können wir wissenschaftlich untersuchen, um bessere Mittel zur Verfügung zu haben, die der Patientin wirklich helfen? Die Patientin wurde in diesen kritischen Präsentationen in den Mittelpunkt gestellt. Machen wir das auch immer?
Schlussbemerkungen Verschiedene zelluläre Mechanismen der Malignität oder der Resistenzentwicklung wurden am SABCS präsentiert und diskutiert. Eine gigantische Zahl gezielter Medikamente wurde entwickelt oder befindet sich in Entwicklung und zum Teil bereits in Untersuchung. Leider entsprechen die Resultate trotz theoretisch günstiger Grundlage nicht immer den Erwartungen (z.B. Ramucirumab), oder sie sind nicht eindeutig effektiv.
Unsere jungen Kollegen werden auch in
den nächsten Jahren die vorweihnacht-
liche Reise nach San Antonio und die
Gefahr von Schneestürmen in New
York oder Chicago auf sich nehmen
müssen. Grosse Fortschritte werden
erwartet!
O
Prof. Monica Castiglione-Gertsch Dr. med. Alexandre Bodmer Hôpitaux Universitaires de Genève E-Mail: monica.castiglione@hcuge.ch
Quellen: 1. De Angelis R et al.: Cancer survival in Europe
1999–2007 by country and age: results of EUROCARE5 – a population-based study. Lancet Oncol 2014; 15: 23–34. 2. Cardoso F et al.: Locally recurrent or metastatic breast cancer: ESMO Clinical Practice Guidelines for diagnosis, treatment and follow-up. Ann Oncol 2012; 23 (Suppl 7): 711–719. 3. Heitz F et al.: Differences in the receptor status between primary and recurrent breast cancer – the frequency of and the reasons for discordance. Oncology 2013; 84(6): 319–25. 4. Sestak I et al.: Prediction of late distant recurrence after 5 years of endocrine treatment: A combined analysis of 2485 patients from the ABCSG-8 and transATAC studies using the PAM50 risk of recurrence (ROR) score. SABCS 2013; Abschnitt/Abstracts (S6–04). 5. Blackwell KL et al.: Exome sequencing reveals clinically actionable mutations in the pathogenesis and metastasis of triple negative breast cancer. SABCS 2013; Abschnitt/Abstracts (S4–03). 6. Jeselsohn RM et al.: Emergence of constitutively active estrogen receptor mutations in advanced estrogen receptor positive breast cancer. SABCS 2013; Abstracts (S3–06).
7. Mackey JR et al.: Primary results of ROSE/TRIO-12, a randomized placebo controlled phase III trial evaluating the addition of ramucirumab to first-line docetaxel chemotherapy in metastatic breast cancer. SABCS 2013; Abschnitt/Abstracts (S5–04).
8. Paul D et al.: Letrozole plus dasatinib improves progression-free survival (PFS) in hormone receptor-positive, HER2-negative postmenopausal metastatic breast cancer (MBC) patients receiving first-line aromatase inhibitor (AI) therapy. SABCS 2013; Abschnitt/Abstracts (S3–07).
9. Smerage JB et al.: SWOG S0500 – A randomized phase III trial to test the strategy of changing therapy versus maintaining therapy for metastatic breast cancer patients who have elevated circulating tumor cell (CTC) levels at first follow-up assessment. SABCS 2013; Abschnitt/Abstracts (S5–07).
Erstpublikation in SZO 1/2014.
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