Transkript
INTERVIEW
«Wir wollen Tumorzellen daran hindern, sich einzunisten»
Ein Gespräch mit PD Dr. Lubor Borsig, Universität Zürich
In der Schweiz sterben jährlich rund 16 000 Menschen an Krebs. Bei 90 Prozent dieser Todesfälle sind nicht die Primärtumoren verantwortlich, sondern deren Metastasen. Doch wie gelangen Tumorzellen aus den Blutgefässen ins Gewebe? Sie produzieren Botenstoffe, mit denen sie Leukozyten anlocken und die Arterienwände durchlässig machen. Diese Metastasierungsmechanismen zu entschlüsseln und therapeutisch zu nutzen, ist eines der Forschungsziele von PD Dr. Lubor Borsig an der Universität Zürich.
ARS MEDICI: Herr Dr. Borsig, wie gelangen Metastasen an ihren Zielort? PD Dr. Lubor Borsig: Die Tumorzellen werden zuerst aus dem Primärtumor in die Blutbahn entlassen. Dann versuchen sie aus der Blutbahn in geeignete Gewebe einzudringen, um dort zu metastasieren. Damit sich die Zellen an der richtigen Stelle an den Gefässwänden festmachen können, müssen sie in irgendeiner Form mit der Umgebung kommunizieren. Also sezer-
«Das Ausschwärmen von Tumorzellen ist realistischerweise nicht zu verhindern.»
nieren gewisse Karzinome zum Beispiel Chemokine als Botenstoffe, genauer gesagt den CC-Chemokin-Liganden 2 oder kurz CCL2. Diese Chemokine docken an Endothelzellen der inneren Blutgefässwände an und aktivieren dort den entsprechenden Rezeptor. Dadurch ziehen sich die Endothelzellen zusammen – und die Tumorzellen können durch die Gefässwand schlüpfen. Dazu locken sie über einen Gradienten körpereigene Leukozyten an. Das ist ein ganz entscheidender Prozess. Solche Monozyten – die sogenannten «host cells» – erleichtern den Tumorzellen dann das Eindringen ins Gewebe und ermöglichen deren Wachstum. Das ist übrigens bei einem Entzündungsprozess sehr ähnlich. Bei einer Entzündung führt eine lokale Aktivierung des Endothels dazu, dass Leukozyten rekrutiert werden und in das Gewebe hinein migrieren. Sie eliminieren dann beispielsweise Bakterien. Auch für den Metastasierungsprozess ist die Rekrutierung der Leukozyten ausschlaggebend.
ARS MEDICI: Wäre es nicht sinnvoller, bereits das Ausschwärmen der Krebszellen zu verhindern? Borsig: Es gibt Patienten, bei denen schätzungsweise bis zu einer Million Tumorzellen pro Tag in die Blutgefässe ausgeschleust werden, zum Beispiel bei Patientinnen mit stark metastasierendem Brustkreb. Eine Million! Zudem sind viele Tumoren bereits invasiv, wenn ein Krebs klinisch diagnostiziert wird. Dann befinden sich in den meisten Fällen bereits Tumorzellen im Blut. Das Ausschwärmen dieser Zellen ist realistischerweise nicht zu verhindern. Allerdings schafft es nur ein erstaunlich kleiner Teil, sich im entsprechenden Gewebe tatsächlich festzusetzen.
ARS MEDICI: Wie lange flottieren die Tumorzellen im Blut, bevor sie irgendwo andocken? Borsig: Hierzu gibt es keine genauen Angaben, da das sehr schwierig zu verfolgen ist. Man geht davon aus, dass sie einige Stunden und bis zu 24 Stunden zirkulieren.
ARS MEDICI: Wie gross ist denn eigentlich so eine Tumorzelle? Borsig: Eine Tumorzelle ist grob geschätzt 10 bis 30 Mikrometer gross. Je nach Krebsart gibt es auch grössere und kleinere Tumorzellen. Aber sie sind schon gut detektierbar. Man kann beispielsweise bei Brustkrebs aus 10 ml Blut die flottierenden Tumorzellen quantifizieren und damit die Invasionsaktivität bestimmen – eine wichtige Information für weitere Therapien.
ARS MEDICI: Wenn die Tumorzellen nicht aus dem Blutstrom ins Gewebe gelangen, wie lange überleben sie dann? Borsig: Solange man Tumorzellen innerhalb der Gefässe und ausserhalb des Gewebes halten kann, überleben sie nicht lange. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Erstens können sie ohne Kontakt zu anderen Zellen nicht sehr lang existieren, zweitens unterliegen sie mechanistischen Faktoren wie den Scherkräften in den Flüssigkeiten, was sie auch nicht so gut vertragen. Und das Dritte ist unser natürliches Immunsystem, das teilweise die Tumorzellen eliminiert. Je länger Tumorzellen in der Zirkulation bleiben und nicht durch das Endothel der Blutgefässe dringen, desto geringer ist ihre Chance zu überleben und ergo Metastasen zu bilden.
ARS MEDICI: Und hier setzen Sie an … Borsig: Ja, wir wollen die Tumorzellen daran hindern, sich einzunisten und Metastasen zu bilden. Dazu wird versucht, mit pharmakologischen Inhibitoren die essenziellen Botenstoffe zu blockieren. Wenn man den Tumorzellen nicht erlaubt, aus
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INTERVIEW
Das Team um den Biologen PD Dr. Lubor Borsig (Foto) an der Universität Zürich hat gemeinsam mit Kollegen aus München und Freiburg/Brsg. neue Erkenntnisse zur Kommunikation und zum Andockverhalten im Blut flottierender Tumorzellen gewonnen. Sie konnten erstmals nachweisen, dass Tumorzellen bestimmte Botenstoffe, sogenannte CCL2-Chemokine, sezernieren, um Leukozyten anzulocken, die den Tumorzellen beim Durchdringen der Blutgefässe behilflich sind.
dem Endothel macht. Wenn wir verstehen, wie die Gefässwand aktiviert wird, kann man bestimmte hemmende Substanzen an diese Stellen bringen. Diese lokale Wirkung wäre dann sehr wichtig und möglicherweise ein entscheidender Schritt. Es wäre nicht günstig, einen Patienten 6 Wochen mit einem CCL2-Inhibitor zu behandeln. Wenn der sich nämlich mit dem Messer schneidet, haben wir ein Problem. Deshalb versuchen wir den CCL2-Inhibitor systemisch mit Nanopartikeln in das ganz spezielle Milieu, in die ganz spezielle Nische zu bringen. Wenn uns das gelingt, sind wir ein schönes Stück weiter auf dem Weg zur personalisierten Medizin.
ARS MEDICI: Wann wird dieser Ansatz für Tumorpatienten
relevant werden?
Borsig: Ich bin davon überzeugt, dass dies nicht mehr lange
dauern wird. Einige Firmen haben an diesen Forschungen In-
der Blutbahn herauszukommen, kann man das Risiko der teresse. Manche wollen bestimmte Dinge an unserem Maus-
Metastasierung senken. Es ist ja so, dass nur 10 Prozent modell testen. Aber es ist konzeptionell nicht ganz einfach, so
der Patienten aufgrund des Primärtumors sterben, aber etwas in die Klinik zu bringen. Trotzdem glaube ich, dass es
90 Prozent aufgrund von
metastasierenden Tumoren.
«Je länger Tumorzellen in der Zirkulation bleiben, desto geringer ist ihre
ARS MEDICI: Welche Forschun- Chance zu überleben und Metastasen zu bilden.»
gen stehen an, um diesem
Ziel näherzukommen?
Borsig: Wir wollen die molekularen Mechanismen dieser langsam in diese Richtung geht. Es gibt bis heute keine spezi-
Tumorzellaktivität am Endothel verstehen, um dort pharma- fische antimetastatische Therapie. Ich glaube nicht, dass es
kologisch anzusetzen. CCL2 allgemein zu hemmen, würde noch 20 Jahre dauern wird, bis die CCL2-Hemmung ange-
keinen Sinn machen, weil man diese Substanz im Körper wendet wird.
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braucht. Denn CCL2 wird auch von anderen Zellen produ-
ziert, und das macht das Ganze natürlich viel komplexer. Das Interview führte Klaus Duffner.
Deshalb müssen wir auch wissen, was die Tumorzelle mit
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