Transkript
Können topische Substanzen Frauen vor HIV schützen?
FORTBILDUNG
Viele Frauen können sich nicht gegen eine Ansteckung mit HIV schützen, da für den Gebrauch von Kondomen die Zustimmung des Mannes erforderlich ist. Mit topischen, vaginal applizierbaren Mikrobizidgelen kann das Ansteckungsrisiko der Frauen gesenkt werden. Der Erfolg ist allerdings massgeblich von der Compliance abhängig. Mit alternativen Anwendungsformen wie Vaginalringen könnten die Therapietreue und somit die HIV-Prophylaxe verbessert werden.
JOURNAL OF CLINICAL PHARMACOLOGY
Früher galt eine Infektion mit HIV (humanes Immundefizienzvirus) als terminale Erkrankung. Dank wirksamer antiretroviraler Medikamentenkombinationen kann sie mittlerweile jedoch als chronische Erkrankung eingestuft werden. Die Bemühungen zur Prävention werden dennoch fortgesetzt. Zu den gängigen Empfehlungen gehören die konsequente Anwendung von Kondomen, sexuelle Abstinenz und die Beschneidung des männlichen Glieds. Diese Empfehlungen können allerdings überwiegend nur von Männern befolgt werden. Frauen sind oft nicht in der Lage, die Benutzung eines Kondoms durchzusetzen oder sich sexuell zu enthalten. Da Frauen weltweit 50 Prozent und in Subsaharaafrika mehr als 60 Prozent der HIV-Infizierten repräsentieren, ist die Entwicklung von Präventionsstrategien, die Frauen selbst kontrollieren können, von grosser Bedeutung. Seit einiger Zeit werden systemische und topische Wirkstoffe
Merksätze
O Viele Frauen können die Anwendung von Kondomen zum Schutz vor HIV nicht durchsetzen.
O Mit der prophylaktischen Applikation vaginal applizierbarer Mikrobizide kann das Ansteckungsrisiko gesenkt werden.
O Für den Erfolg dieser Prophylaxe ist die Compliance entscheidend.
O Mit wirkstofffreisetzenden Systemen wie Vaginalringen wurde bisher die grösste Akzeptanz erreicht.
zur HIV-Prophylaxe in präklinischen und in klinischen Studien untersucht. Derzeit ist Truvada® als einziges Medikament von der Food und Drug Administration (FDA) zur oralen Chemoprophylaxe von HIV bei nicht infizierten Personen zugelassen. Dabei handelt es sich um eine Fixkombination der beiden nukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) Tenofivirdisoproxilfumarat und Emtricitabin. Die konsequente einmal tägliche Einnahme von Truvada® hat sich bisher als einzige Strategie erwiesen, die Frauen in stabilen serodiskordanten Beziehungen nachweisbar schützt. Bei diesen Frauen lag die Wirksamkeit von Truvada® bei über 60 Prozent im Vergleich zu Plazebo. In Studien mit HIV-gefährdeten Frauen, die nicht in stabilen Beziehungen lebten, konnte jedoch aufgrund mangelnder Therapietreue keine entsprechende Wirksamkeit erreicht werden. Zudem ist eine langfristige systemische Exposition gesunder Personen gegenüber antiretroviralen Substanzen nicht ohne Risiko, da diese Wirkstoffe mit einer Abnahme der Knochendichte und proximaler renaler Tubulopathie verbunden sind. Topische Agenzien könnten daher im Vergleich zu systemischen Medikamenten einige Vorteile aufweisen. So ist bei topischer Applikation eine Maximierung der lokalen mukosalen Gewebekonzentration bei begrenzter systemischer Exposition möglich. Die HIV-Prävention mit lokal applizierbaren Medikamenten wird seit mehr als 20 Jahren erforscht. Bei den topischen Mikrobiziden der ersten Generation handelte es sich um Substanzen mit breitem Wirkspektrum. Dazu gehörten Tenside wie Nonoxynol 9, Polyanionen wie Carrageen und ein Puffergel. Da HIV-Infektionen mit diesen Substanzen nicht verhindert werden konnten, wurde die Entwicklung eingestellt. Zu den topischen Mikrobiziden der zweiten Generation gehören selektive antivirale Einzelsubstanzen und Medikamentenkombinationen. Die meisten Wirkstoffe wurden bereits im Zusammenhang mit der Behandlung von HIV-Infektionen untersucht.
Tenofovir Das am weitesten entwickelte topische Medikament der zweiten Generation ist vaginal applizierbares Tenofovirgel (1%). Das Gel enthält ausserdem eine viskoseverbessernde Substanz, das Befeuchtungsmittel Glyzerin und weitere Inhaltsstoffe, die den physiologischen vaginalen pH-Wert von 4,5 aufrechterhalten. Die erste klinische Studie zu diesem neuen Medikament wurde vom Centre for the AIDS Program of Research in
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FORTBILDUNG
South Africa (CAPRISA) entworfen. In der doppelblinden, kontrollierten, randomisierten Phase-IIa-Studie CAPRISA004 wurde die Wirksamkeit des einprozentigen Tenofovirgels zur HIV-Prävention in einem koitusabhängigen BAT24Dosierungsschema bei südafrikanischen Frauen in städtischen und ländlichen Gebieten untersucht. Eine Geldosis wurde 12 Stunden vor und eine weitere innerhalb von 12 Stunden nach dem Verkehr aufgetragen. Nach 18-monatiger Anwendung wurde eine Reduzierung der HIV-Ansteckung um 39 Prozent beobachtet. Bei konsequenter Therapietreue (> 80%) erhöhte sich die Reduzierungsrate auf 54 Prozent. In dieser und weiteren Studien zur HIV-Chemoprophylaxe wird das Problem der Therapietreue deutlich. Alternative Darreichungsformen wie wirkstofffreisetzende Intravaginalringe könnten die Compliance verbessern. In einer Untersuchung mit Makaken bot ein Tenofivirdisoproxilfumarat enthaltender Vaginalring in einem Zeitraum von vier Monaten einen vollständigen Schutz vor HIV-Infektionen. Zudem konnte mit dieser Darreichungsform eine wesentlich höhere lokale Wirkstoffkonzentration erzielt werden als in der CAPRISA004-Studie. Seit Dezember 2013 werden die Sicherheit und die Pharmakokinetik einer 14-tägigen Anwendung des Tenofivirdisoproxilfumarat-Vaginalrings nun in einer Phase-I-Studie mit gesunden Freiwilligen untersucht.
Dapivirin Der nicht nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI) Dapivirin (nicht im AK der Schweiz) stellt eine antiretrovirale Alternative zu Tenofovir dar. Die Entwicklung von Dapivirin zur HIV-Behandlung wurde aufgrund mangelnder Bioverfügbarkeit eingestellt. Topisches Dapivirin wurde in verschiedenen Darreichungsformen wie einem Diaphragma, einer Tablette zur Einführung in die Vagina, einem Vaginalfilm und einem Vaginalring entwickelt. Die meisten dieser Varianten befinden sich noch in vorklinischen Untersuchungsstadien.
In Phase-I-Studien hat sich mittlerweile ein Vaginalring mit 25 mg oder 200 mg Dapivirin als sicher und akzeptabel für die Anwenderinnen erwiesen. In einer grossen randomisierten, kontrollierten Studie wurde bei einmal monatlicher Insertion eines Dapivirinvaginalrings (25 mg) bei gesunden afrikanischen Frauen ein akzeptables Sicherheitsprofil bei geringer systemischer Absorption beobachtet. Derzeit wird die Wirksamkeit des Dapivirinvaginalrings (25 mg) in der Ring-Studie (IPM027) an fünf Standorten in Afrika untersucht, und für die randomisierte, kontrollierte ASPIRE-Studie werden derzeit Teilnehmer für die Untersuchungen zur Wirksamkeit des Dapivirinvaginalrings (25 mg) zur HIV-Prävention an 15 Standorten in Afrika rekrutiert.
Antivirale Kombinationen
Eine Kombinationstherapie mit mehreren Substanzen unter-
schiedlicher Wirkmechanismen ist Standard bei der Behand-
lung der HIV-Erkrankung. Eine Kombination verschiedener
Mikrobizide in einem Freisetzungssystem könnte auch zur
topischen Prophylaxe eine additive oder synergistische anti-
virale Aktivität aufweisen. Ein Vaginalring mit Dapivirin und
Maravicoc wurde bereits in Sicherheitsuntersuchungen ge-
testet, und Tenofovir wurde mit Aciclovir (Anti-HSV-2-
Agens) in einem Vaginalring kombiniert. Die Kombination
Tenofovir/Aciclovir befindet sich allerdings noch in der vor-
klinischen Entwicklung.
O
Petra Stölting
Cottrell ML, Kashuba AD: Topical microbicides and HIV prevention in the female genital tract. J Clin Pharmacol 2014; 54(6): 603–615.
Interessenkonflikte: Einer der beiden Autoren gehört zum Studienteam von CAPRISA004.
BEKANNTMACHUNG
Viel trinken ist nicht immer gesund
Vorsicht bei Herzinsuffizienz – neues Patientenkit Herzinsuffizienz
Sommer, Hitze, immer viel trinken – diese Regel gilt nicht für alle. Bei einer Herzinsuffizienz staut sich als Folge der Pumpschwäche mehr und mehr Wasser im Körper. Deshalb müssen Herzinsuffizienzpatienten haushälterisch mit der Flüssigkeitsaufnahme und der Salzzufuhr umgehen. Die Schweizerische Herzstiftung hat das Kit für Herzinsuffizienzpatienten vollständig überarbeitet und aktualisiert. Es enthält Informationen zum Krankheitsbild, zur Behandlung und zum Leben mit der Herz-
schwäche sowie einen Medikamentenpass und ein Herztagebuch. Der persönliche Medikamentenpass schafft einen Überblick über die verordneten Arzneimittel, und die Ernährungsempfehlungen helfen bei der Überwachung des Salz- und Flüssigkeitskonsums. Link zum Patientenkit: www.swissheart.ch/publikationen, Rubrik Herzinsuffizienz
RBO/Schweizerische HerzstiftungO
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