Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Psychologie
Nozeboeffekt nicht vergessen!
Zum Plazeboeffekt gibt es zahllose Studien, und ein gut gemachtes Scheinmedikament als Vergleich ist für den Wirkungsnachweis neuer Substanzen unerlässlich. Relativ wenig ist hingegen über die dunkle Seite von Scheinmedikamenten bekannt, den Nozeboeffekt. Ein dänisches Team an der Universität Aarhus hat nun die Literatur nach Angaben zum Nozeboeffekt durchforstet (1). Es fand heraus, dass der Nozebo- und der Plazeboeffekt etwa in der gleichen Grössenordnung liegen. Eine übersteigerte Angst vor Nebenwirkungen kann demnach in negativem Sinn genauso wirksam sein wie eine übersteigerte Erfolgserwartung auf der positiven Seite. Vor einer Vernachlässigung des Nozeboeffekts warnt die Neurologin Ulrike Bingel in einem kürzlich publizierten Kommentar (2). Sie befasst sich seit Jahren mit den neu-
robiologischen Grundlagen von Plazebound Nozeboreaktionen und deren Bedeutung für medikamentöse Therapien in der Praxis. «Nozeboeffekte können die Wirksamkeit und die Verträglichkeit einer Behandlung erheblich vermindern, und sie können eine grosse Rolle für den Abbruch notwendiger Therapien spielen», warnt Bingel. Es sei darum sehr wichtig, auf einige Punkte in der Arzt-Patient-Kommunikation besonders zu achten. Bereits subtile Signale könnten beim Patienten Angst oder Misstrauen erregen, ganz abgesehen von fachsprachlichen Schnitzern, die Ärzten im Gespräch mit Patienten unterlaufen. Als Klassiker nennt Bingel hier den «negativen Befund», über den sich der Arzt freut, während der Patient mit dem Wort «negativ» nichts Gutes verbindet.
Nebenwirkungen darf man nicht verschweigen, aber die Vorteile einer Behandlung sollten immer gleichzeitig geschildert und die Wahrscheinlichkeit einer Nebenwirkung anschaulich, möglichst bildhaft vermittelt werden. Dabei sollte man es sich als Arzt zur Regel machen, mit häufigen Rückfragen den Patienten aufzufordern, das eben Gesagte mit eigenen Worten zusammenzufassen, um sicher zu sein, dass die Informationen auch korrekt verstanden wurden. Bei einer negativen Erwartungshaltung des Patienten könne es auch sinnvoll sein, eine Therapie so einzuschleichen, dass dieser nicht genau wisse, wann die tatsächliche Dosis erreicht sei, schreibt Bingel – sicher ein gut gemeinter Rat, der jedoch allenfalls in einem Studiensetting realisierbar scheint.
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1. Petersen GL et al.: The magnitude of nocebo effects in pain: a meta-analysis. Pain 2014; in press.
2. Bingel U: Avoiding nocebo effects to optimize treatment outcome. JAMA 2014; published online July 7, 2014.
Asthma
Vermindern ICS das Wachstum?
Zu inhalierende Kortikosteroide (ICS) sind die First-Line-Therapie für Kinder mit chronischem Asthma. Obwohl ICS als sichere Arzneimittel gelten, sorgen sich Kinderärzte und Eltern, dass diese Therapie das Wachstum bremsen könnte. Wie zwei neue Cochrane-Reviews nun zeigen, ist diese Sorge nicht unberechtigt, der potenzielle Nutzen der ICS sei jedoch weitaus bedeutender, so die Autoren. In der ersten Metaanalyse (1) wurden 25 Studien mit insgesamt 8471 Kindern mit leichtem bis mittelschwerem Asthma berücksichtigt, die entweder mit ICS (n = 5128) oder Plazebo oder nichtsteroidalen Medikamenten behandelt wurden (n = 3343). Es handelte sich um eine niedrige bis mittlere ICSDosis. Die normale Wachstumsrate ohne ICS lag in den Studien bei 6 bis 9 Zentimeter pro Jahr. Die mit ICS behandelten Kinder wuchsen im ersten Jahr der Behandlung rund einen halben Zentimeter weniger als
die Kinder in der Vergleichsgruppe. «Dieser Effekt ist jedoch in den folgenden Jahren
weniger ausgeprägt, er ist nicht kumulativ, und er erscheint weniger bedeutend als der bekannte Nutzen dieser
Medikamente für die Asthmakontrolle, um eine vollständige Lungenreifung zu sichern», wird Erstautor Linjie Zhang, Universität Rio Grande, Brasilien, in einer Pressemeldung der Cochrane-Library zitiert. In einer zweiten Publikation (2) versuchte man herauszufinden, ob eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwi-
schen ICS und Wachstum nachweisbar ist. Hier fanden sich nur 3 geeignete Studien mit insgesamt 728 Kindern mit insgesamt recht heterogenen Daten. Zwar seien einige der Unterschiede durch die Anwendung bestimmter ICS erklärbar, da es sich jedoch nur um indirekte Vergleiche handele, seien zum jetzigen Zeitpunkt keine Aussagen darüber möglich, ob ge-
wisse ICS in dieser Hinsicht empfehlenswerter seien als andere, so Zhang. Generell ist die Datenlage zu ICS im Kindesalter und Wachstum nicht gerade üppig, und die Autoren der beiden CochraneReviews nennen eine ganze Reihe von Faktoren, die die Aussagekraft ihrer Metaanalysen einschränken. So wurde das Wachstum nur in 14 Prozent der berücksichtigten Studien tatsächlich systematisch erfasst, in 11 der 25 Studien wird nicht klargestellt, ob alle Kinder tatsächlich eine gleich grosse Chance hatten, das Medikament (bzw. Plazebo) zu erhalten, und in 19 Studien gab es keinerlei Angaben dazu, wie die Verblindung der Studienärzte gewährleistet wurde. Man empfehle darum eine möglichst niedrigere, aber immer noch wirksame ICS-Dosis sowie das sorgfältige Verfolgen des Wachstums bei allen damit behandelten Kindern, so die Koautorin Francine Ducharme von der Universität Montreal, Kanada. RBOO
1. Zhang L et al.: Inhaled corticosteroids in children with persistent asthma: effects on growth. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014; Issue 7. Art. No.: CD009471.
2. Pruteanu AI et al.: Inhaled corticosteroids in children with persistent asthma: dose-response effects on growth. Cochrane Database of Systematic Reviews 2014; Issue 7. Art. No.: CD009878.
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ARS MEDICI 14/15 I 2014
Onkologie
Schweizer Studie: Behandlung von Krebspatienten am Lebensende regional unterschiedlich
Welche Behandlung Krebspatienten in der Schweiz in ihrem letzten Lebensmonat erhalten, hängt davon ab, wo sie wohnen, wie sie versichert sind, wie alt sie sind und an welcher Krebserkrankung sie leiden. Dies ist die Schlussfolgerung einer Studie der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für Klinische Krebsforschung (SAKK) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Pharmazeutische Medizin (ECPM) der Universität Basel, der Krankenversicherung Helsana und kantonalen Krebsregistern. Für die retrospektive Studie wurden anonymisierte Daten von 3809 Patienten ausgewertet, die in der Schweiz zwischen 2006 und 2008 an Krebs gestorben waren. Dabei wurden Daten der Krankenversicherung Helsana mit denjenigen von vier Schweizer Krebsregistern verglichen. Beteiligt haben sich die Krebsregister der Kantone Basel-Stadt, Tessin, Wallis und Zürich. Spitaleintritte und Behandlung der Patienten – insbesondere Chemotherapie und/oder Radiotherapie – in den letzten 30 Tagen vor ihrem Tod wurden auf regionale Unterschiede wie Kanton, Stadt und Land sowie auf patientenbezogene Unterschiede wie Versicherungsart, Krebsart, Alter und Geschlecht untersucht. Durchschnittlich 68,5 Prozent der Patienten wurden im letzten Lebensmonat in ein Spital eingewiesen, 14,5 Prozent erhielten eine Chemotherapie und 7,7 Prozent eine Radiotherapie. Am meisten wurde die Versorgung am Lebensende vom Wohnkanton und von der Versicherungsart beeinflusst. So zeigte sich beispielsweise, dass die Wahrscheinlichkeit, noch eine Chemotherapie zu erhalten, für Patienten im Kanton Tessin mehr als eineinhalb Mal höher war als im Kanton Zürich. Patienten im Kanton Wallis wurden am wenigsten hospitalisiert. Patienten mit einer halbprivaten oder privaten Zusatzversicherung erhielten fast doppelt so häufig eine Chemotherapie wie Patienten ohne Zusatzversicherung, zudem wurden diese Patienten am häufigsten in ein Spital eingewiesen.
Allgemein erwies sich die Hospitalisierungsrate in dieser Studie im internationalen Vergleich als sehr hoch. Nebst dem Wohnkanton und der Versicherungsart wurde die Behandlung auch von anderen Faktoren beeinflusst.
So sanken die Anwendung von Chemotherapie und Radiotherapie sowie die Hospitalisierungsrate mit zunehmendem Alter der Patienten. Patienten mit Lungenkrebs erhielten am häufigsten Chemotherapie oder Radiotherapie und wurden am häufigsten in ein Spital eingewiesen. Die im internationalen Vergleich hohe Hospitalisierungsrate am Lebensende könnte darauf hinweisen, dass es in der Schweiz eine hohe Spitaldichte und relativ wenig Alternativen zur Pflege im Akutspital gibt. Die vorliegende Studie kann die Frage nicht beantworten, ob die regionalen Unterschiede auf eine Über- oder eine Unterversorgung hinweisen und ob die Behandlungen angebracht und medizinisch sinnvoll waren. Sie sagt auch nichts darüber aus, ob der Wunsch nach mehr Behandlung vonseiten des Arztes oder vonseiten des Patienten kam.
SAKK/RBOO
Matter-Walstra KW et al.: Delivery of health care at the end of life in cancer patients of four swiss cantons: a retrospective database study (SAKK 89/09). BMC Cancer 2014; 14: 306.
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RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Francis Crick ist tot
Im Alter von 88 Jahren stirbt Francis Crick in San Diego, USA. Der Physiker und Biochemiker, der 1962 zusammen mit James Watson und Maurice Wilkins den Nobelpreis für die Entdeckung der DNA-Helixstruktur erhalten hatte, hatte sich im Alter zunehmend der Hirnforschung zugewandt, wobei er die Ansicht vertrat, dass Bewusstsein und freier Wille nur eine Ansammlung biochemischer Reaktionswege seien.
Vor 50 Jahren
Kaltes Gerinnungsmittel
Die Physiologin Judith Graham Pool (1919– 1975) entdeckt an der Stanford Medical School, dass man aus tiefgefrorenem Plasma durch kontrolliertes Auftauen und Zentrifugieren relativ einfach Blutgerinnungsfaktoren gewinnen kann, um Patienten mit Gerinnungsstörungen zu helfen. Das Kryopräzipitat enthält Faktor VIII, Faktor XIII, von-Willebrand-Faktor, Fibrinogen und Fibronektin. Es wird aus gepoolten Plasmaspenden gewonnen, was Anfang der 1980er-Jahre zum «Bluterskandal» führte: Hämophiliepatienten wurden mit HIV infiziert, weil kontaminiertes Plasma für die Gewinnung der Präparate verwendet worden war.
Vor 100 Jahren
Weltkrieg
Am 28. Juli 1914 erklärt Österreich-Ungarn Serbien den Krieg – der Beginn des Ersten Weltkriegs. Vier Tage später, am 1. August 1914, folgt die Kriegserklärung des Deut-
schen Reichs an Russland. Der Krieg endete mit einem Waffenstillstand am 11. November 1918. Die Zahl der Kriegstoten wird auf 17 Millionen geschätzt. Das Foto zeigt den Abmarsch eines deutschen Regiments in den Krieg (Foto: Wikimedia Commons).
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