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FORTBILDUNG
Berufsasthma – ein Überblick
Bei jedem Erwachsenen mit neu aufgetretenem Asthma an Berufsasthma denken
Der Kontakt mit bestimmten Substanzen am Arbeitsplatz kann zu einem Berufsasthma führen. Im Hinblick auf die Prognose ist es wichtig, ein arbeitsplatzassoziiertes Asthma möglichst frühzeitig zu erkennen und eine weitere Exposition gegenüber der auslösenden Substanz zu vermeiden.
NEW ENGLAND JOURNAL OF MEDICINE
Die Exposition gegenüber bestimmten Stoffen am Arbeitsplatz kann Asthma hervorrufen oder zu Asthmaexazerbationen führen. Im Folgenden soll die derzeitige Datenlage zum Berufsasthma zusammengefasst werden. Berufsasthma ist dabei definiert als Asthma, das auf Belastungen am Arbeitsplatz und nicht auf Ursachen ausserhalb des Arbeitsplatzes zurückzuführen ist.
Berufsasthma durch Sensibilisierung (SIA) Berufsasthma kann durch Sensibilisierung gegenüber einem spezifischen Arbeitsstoff entstehen. Diese Asthmaform (sensitizer-induced asthma, SIA) ist mit einer spezifischen Immunantwort assoziiert. Häufig handelt es sich bei diesen Arbeitsstoffen um hochmolekulare Substanzen (> 10 kD, meist ein Protein oder Glykopeptid), die zur Bildung spezifischer IgE-Antikörper und zu typischen allergischen Reaktionen führen. Ist eine Person sensibilisiert, kann schon eine Exposition gegenüber sehr geringen Konzentrationen dieses Allergens ein Asthma induzieren, das oft mit einer Rhinokonjunktivitis assoziiert ist. Einige weitverbreitete Beispiele sind in der Tabelle zusammengefasst.
Merksätze
O In den meisten Fällen ist Berufsasthma potenziell vermeidbar.
O Bei erwachsenen Asthmapatienten sollten Ärzte frühzeitig an die Möglichkeit eines Berufsasthmas denken, um das Risiko einer langfristigen Beeinträchtigung durch ein berufsbedingtes Asthma zu minimieren.
O Die medikamentöse Therapie des Berufsasthmas erfolgt entsprechend den aktuellen Asthmaleitlinien.
Niedermolekulare Arbeitsstoffe können ebenfalls eine Sensibilisierung und Asthma hervorrufen. Die meisten niedermolekularen Allergene induzieren Asthma über Mechanismen, die bis heute nur unvollständig verstanden sind, trotz eines Phänotyps, der auf eine Sensibilisierung hinweist. Diisocyanate sind wichtige Allergene, die bei der Herstellung von Polyurethanschaum verwendet werden; zudem werden sie als Härtemittel in Urethansprühfarben und Klebstoffen benutzt. In vielen Industriezweigen stellen Diisocyanate die häufigste Ursache für Berufsasthma dar. Weitere Beispiele für niedermolekulare Allergene sind in der Tabelle aufgelistet. Die meisten chemischen Allergene haben hochreaktive Seitenketten.
Berufsasthma durch Irritanzien (IIA) Eine andere Form des Berufsasthmas entsteht durch die Inhalation von Substanzen, die als Atemwegsirritanzien gelten (irritant-induced asthma, IIA). Eine Sensibilisierung liegt bei dieser Form nicht vor. Ein IIA wird meist durch akzidentelle Exposition bedingt, also beispielsweise durch einen Zwischenfall, bei dem es zur Einatmung irritativer Substanzen kam (oder durch wiederholte Expositionen gegenüber hohen Konzentrationen des irritativen Arbeitsstoffs). Ein erhöhtes Risiko für ein IIA weisen folgende Berufsgruppen auf: O Reinigungspersonal O Krankenschwestern O Textilarbeiter O Personen, die auf Schweine- und Geflügelfarmen oder in
der Aluminiumindustrie arbeiten.
Demnach scheint ein ganzes Spektrum an Arbeitsstoffen Asthma hervorrufen zu können, wobei allerdings Asthma, das durch eine Exposition gegenüber Irritanzien in niedriger Dosierung induziert wurde, derzeit bei einzelnen Berufstätigen nicht sicher diagnostiziert werden kann. Auch wurde ein erhöhtes Asthmarisiko mit einer Exposition gegenüber irritativen Substanzen ohne eindeutige Merkmale einer Sensibilisierung in Verbindung gebracht, beispielsweise bei Landwirten (mit einer Exposition gegenüber Ammoniak, Endotoxinen oder organischen Stäuben aus der Viehhaltung) und Kraftfahrern.
Epidemiologie Berufsasthma wird in Querschnittsstudien bei einer Minderheit (meist 10% oder weniger) der Berufstätigen angegeben, die eine Exposition gegenüber den meisten bekannten Allergenen aufweisen. Die Sensibilisierungsrate hängt häufig nicht
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Tabelle:
Arbeitsstoffe (Auswahl), die häufig zu einem Berufsasthma durch Sensibilisierung führen (SIA, sensitizer-induced asthma)
Substanz
Hochmolekulare Allergene Tierallergene Pflanzen Pflanzliche Produkte (z.B. Latex) Zerealien und Getreide Weitere Lebensmittel (z.B. Milchpulver, Eipulver) Enzyme Insekten Fisch und Krustazeen
Gefährdete Berufsgruppen
Landwirte, Tierärzte, Personen, die mit Labortieren arbeiten Landwirte, Gärtner Personen, die Latexhandschuhe oder andere Latexprodukte herstellen oder verwenden Landwirte, Bäcker, Personal in der Lebensmittelindustrie Personal in der Lebensmittelindustrie, Köche Personal in Laboratorien, Pharmaunternehmen, Bäckereien Landwirte, Gärtner Fischindustrie
Niedermolekulare Allergene Diisocyanate Säureanhydride Acrylmonomere Holzstäube Komplexe Platinsalze Biozide (z.B. Chlorhexidin, Glutaraldehyd) Persulfat, Henna Medikamente (z.B. Antibiotika)
z.B. Maler, Baugewerbe Kunststoffindustrie Dentalpersonal, chemische Industrie, Mitarbeiter in Nailstudios Waldarbeiter, Schreiner Schmuckindustrie, Personal in Raffinerien Medizinisches Personal Coiffeusen, Coiffeure Personal in Pharmaunternehmen, Apotheker
nur vom inhärenten Sensibilisierungspotenzial des jeweiligen Arbeitsstoffs ab, sondern auch vom Ausmass der Exposition. Dies wurde nicht nur für hochmolekulare Allergene wie Tierprotein (z.B. bei Personen, die mit Labortieren arbeiten) oder Mehlprotein (bei Bäckern) nachgewiesen, sondern auch bei niedermolekularen Allergenen wie Diisocyanaten. So führen Arbeitsplätze mit einer geringen Diisocyanatbelastung zu einer geringeren Rate an Berufsasthma.
Diagnostik SIA Bei jedem Erwachsenen mit neu aufgetretenem Asthma sollte an ein mögliches Berufsasthma gedacht werden. Die Symptome eines Berufsasthmas (Giemen, Dyspnoe, thorakales Engegefühl, Husten und Sputumproduktion) sind ähnlich wie beim nicht berufsbedingten Asthma, doch zeigen sie einen Zusammenhang mit der Exposition am Arbeitsplatz. Zwischen der ersten Exposition gegenüber dem Allergen und dem erstmaligen Auftreten der Beschwerden vergeht eine Latenzzeit von mehreren Wochen bis mehreren Jahren. Die durch das Allergen induzierten Beschwerden können zu Beginn oder gegen Ende der Arbeitsschicht oder auch erst nach Feierabend beginnen. Am Wochenende und in den Ferien kommt es typischerweise zu einer Remission oder zu einer Besserung der Symptome. Häufig besteht gleichzeitig eine Rhinitis, insbesondere wenn das Asthma durch hochmolekulare Allergene bedingt ist; in manchen Fällen geht die Rhinitis der Entwicklung eines Asthmas voraus. Zwar muss eine umfassende klinische und berufliche Ana-
mnese erhoben werden, doch reicht eine alleinige «kompatible» Anamnese für die Diagnosestellung nicht aus. Sobald der Verdacht auf Berufsasthma besteht, sollten umfassende Untersuchungen eingeleitet werden – wenn möglich, solange der Patient noch arbeitet. Hierzu gehören die Beurteilung der klinischen Symptomatik, die objektive Bestätigung eines Asthma bronchiale, die Durchführung von allergologischen Hauttests oder die Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper im Serum (wenn möglich) sowie die Dokumentation symptomatischer, funktioneller und inflammatorischer Veränderungen als Reaktion auf die Exposition gegenüber Arbeitsstoffen (diese Untersuchungen werden durchgeführt, wenn der Patient arbeitet, und wiederholt, wenn der Patient nicht am Arbeitsplatz tätig ist, oder es erfolgen spezifische Provokationstests). Alle genannten Untersuchungen weisen Limitationen auf, deshalb sollten verschiedene Tests kombiniert werden. Dem North American Consensus Statement* und den Europäischen Leitlinien** sind detaillierte Empfehlungen zum diagnostischen Vorgehen zu entnehmen.
IIA Die Diagnose des durch irritative Substanzen ausgelösten Asthmas beruht auf einer entsprechenden klinischen Anamnese sowie dem Nachweis einer Limitierung des Atemflusses oder einer bronchialen Hyperreaktivität. Patienten mit IIA berichten typischerweise über einen Beginn der Asthmasymptomatik, nachdem sie (meist akzidentell) einer hohen Konzentration einer irritativen Substanz (Gas, Dampf, Spray, Staub) ausgesetzt gewesen sind.
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Prävention und Management SIA Primär-, sekundär- und tertiärpräventive Massnahmen können Inzidenz und Schweregrad des SIA reduzieren. Die Primärprävention zielt darauf ab, die Sensibilisierung gegenüber einem Arbeitsstoff und damit die Entwicklung von Asthma zu verhindern. Idealerweise ist der Arbeitsplatz so gestaltet, dass Arbeitnehmer keine Substanzen inhalieren, die Asthma verursachen können. So sollten bekannte Allergene möglichst durch unkritische Substanzen ersetzt werden (Beispiel: statt Latexhandschuhen Nitrilhandschuhe verwenden). Leider ist dies nicht immer möglich (Beispiel: In Bäckereien lässt sich Mehl nicht vermeiden.) Doch kann eine Reduktion der Exposition gegenüber einem respiratorischen Allergen die Zahl der sensibilisierten Arbeitnehmer senken. Dies lässt sich durch eine entsprechende Gestaltung der Arbeitsplätze – etwa mit geschlossenen Systemen, verbesserter Belüftung und dem Tragen einer persönlichen Schutzausrüstung – erreichen. Zudem sollten die Beschäftigten an entsprechenden Sicherheitsschulungen teilnehmen. Was Diisocyanate anbelangt, können folgende Massnahmen das Sensibilisierungsrisiko senken: O Formulierung weniger volatiler Verbindungen; O Verwendung von polymeren anstelle von monomeren
Diisocyanaten; O Einsatz von Robotern in bestimmten Industriezweigen; O Überwachung der Expositionskonzentrationen, um
sicherzustellen, dass diese unterhalb der empfohlenen Schwellenwerte bleiben; O Aktionspläne für das Management einer unbeabsichtigten Exposition gegenüber hohen Konzentrationen.
Die Asthmasymptomatik und die bronchiale Hyperreaktivität persistieren bei rund 70 Prozent der Patienten mit Berufsasthma – selbst mehrere Jahre nachdem sie den kritischen Arbeitsplatz verlassen haben. Die Ergebnisse sind am besten, wenn die Diagnose früh gestellt und die Exposition gestoppt wird und wenn das Asthma noch nicht sehr ausgeprägt ist. Zum Management von Patienten mit Berufsasthma gehört ausser der Allergenkarenz (sofern möglich) auch die Tertiärprävention mittels medikamentöser Therapie, die entsprechend den gültigen klinisch-praktischen Leitlinien durchzuführen ist. Bei einigen Patienten mit Berufsasthma, die dem verursachenden Allergen weiterhin ausgesetzt waren, führte die Behandlung mit dem monoklonalen Anti-IgE-Antikörper Omalizumab zu einer Besserung, doch sind hierzu weitere prospektive Studien erforderlich.
IIA
Über die Prävention des durch irritative Substanzen verur-
sachten Berufsasthmas ist weniger bekannt als über die Prä-
vention des SIA, da die meisten IIA-Fälle durch eine akziden-
telle Exposition bedingt sind. Primärpräventive Massnah-
men sollten darauf abzielen, Arbeitsplätze so zu gestalten,
dass die Sicherheit von Arbeitnehmern, die bei einem Unfall
potenziell irritativen Substanzen ausgesetzt sein könnten,
gewährleistet ist. Zu den Allgemeinmassnahmen zählen:
O gute Belüftung bzw. Absaugung;
O Verwendung geschlossener Systeme;
O Sicherheitsschulung der Arbeitnehmer;
O Tragen von Atemschutzgeräten (wenn andere Massnah-
men nicht ausreichen).
O
Laut einem kanadischen Bericht waren die genannten Schritte zusammen mit sekundärpräventiven Massnahmen mit geringeren Raten an Sensibilisierungen und Berufsasthma assoziiert. Zur Sekundärprävention gehört die frühzeitige Identifikation von Arbeitern mit einer beruflichen Exposition gegenüber asthmaauslösenden Substanzen mittels medizinischer Überwachung (wiederholter Einsatz von Fragebögen zu respiratorischen Symptomen mit oder ohne spirometrische und immunologische Tests) und weiterer Untersuchungen zur Bestätigung der Diagnose. Bei betroffenen Arbeitnehmern muss eine weitere Exposition unterbunden werden.
Andrea Wülker
Quelle: Tarlo SM et al.: Occupational asthma. NEJM 2014; 370: 640–649.
Interessenlage: Die beiden Autorinnen haben von verschiedenen Pharmaunternehmen und Institutionen Berater- und Referentenhonorare oder Stipendien erhalten.
*Tarlo SM et al.: Diagnosis and management of work-related asthma: American College of Chest Physicians Statement; Chest 2008; 134 Suppl: 1S–41S. **Baur X et al.: Guidelines for the management of work-related asthma. Eur Respir J 2012; 39: 529–545.
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