Transkript
FORTBILDUNG
Psychopharmakologische Behandlung und Substanzmissbrauch in Schwangerschaft und Stillzeit
Das Alter von Erstgebärenden steigt in den Industrienationen stetig. Das hat zur Folge, dass immer mehr Frauen mit Kinderwunsch eine bereits bestehende Medikation mit Psychopharmaka haben, denn 75% der psychischen Erkrankungen beginnen vor dem 25. Lebensjahr. Hier stellt sich dann die Frage, wie mit der Medikation in Schwangerschaft und Stillzeit umzugehen ist. Zudem gibt es eine nicht unerhebliche Anzahl an Schwangeren, die Nikotin, Alkohol und auch illegale Suchtmittel konsumieren, mit zum Teil erheblichen negativen Folgen für die Entwicklung des Kindes.
Foto: zVg
Sarah Kittel-Schneider
von Sarah Kittel-Schneider
I dealerweise erfolgt die Beratung einer Frau mit Kinderwunsch, bei der eine medikamentöse Dauertherapie besteht, sei es aufgrund einer psychischen oder nicht psychischen Erkrankung, schon präkonzeptionell. Hinsichtlich Psychopharmaka und anderer Medikamente gibt es eine Auswahl von Substanzen, die nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit mit geringen oder keinen bekannten Risiken für das Kind eingenommen werden können. Andere Medikamente sollten dagegen unbedingt vermieden werden. Zu unterscheiden sind bei Exposition von Substanzen in der Schwangerschaft prinzipiell die Auswirkungen im 1. Trimenon, bei dem es um das Fehlbildungsrisiko geht. Im 2. und 3. Trimenon sind potenziell fetotoxische Effekte zu beachten. Zudem kann die Einnahme einer Regelmedikation um die Geburt herum zu einer sogenannten neonatalen Anpassungsstörung führen. Im weiteren Verlauf ist der Übergang von Medikamenten in die Muttermilch zu bedenken, hier können manche Substanzen wieder eingesetzt werden, die in der Schwangerschaft wegen Malformationsrisiko und fetotoxischer Effekte kontraindiziert sind. Suchtmittel wie Nikotin, Alkohol und illegale Drogen sollten natürlich in Schwangerschaft und Stillzeit generell vermieden werden. Aber auch hier gibt es grosse Unterschiede in der schädlichen Wirkung auf das ungeborene oder gestillte Kind. Im Weiteren soll zunächst auf Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit eingegangen werden und dann auf legale und illegale Suchtmittel.
Psychopharmakotherapie in Schwangerschaft und Stillzeit Antidepressiva (AD) Sertralin und Citalopram scheinen das beste Sicherheitsprofil sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit unter den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) zu haben (1, 2). Duloxetin und Venlafaxin sind Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnah-
mehemmer (SNRI) und sind in der Schwangerschaft und in der Stillzeit akzeptabel (3). Allerdings kann man bei Venlafaxin relativ hohe Konzentrationen in der Muttermilch messen, aber ohne berichtete negative Folgen für die gestillten Kinder (4). Auch bei Mirtazapin und Bupropion gibt es keine generellen Bedenken gegen den Einsatz in der Schwangerschaft und der Stillzeit (5, 6). Was die trizyklischen AD angeht, ist die Datenlage in der Schwangerschaft gut für Amitriptylin und Nortriptylin, diese scheinen auch in der Stillzeit akzeptabel zu sein (7). Doxepin hat zwar kein erhöhtes Malformationsrisiko, doch es wurden in wenigen publizierten Abeiten zu gestillten Kindern vermehrte Nebenwirkungen wie Hypotonie, Trinkschwäche und Sedierung beschrieben (8). Clomipramin hat ebenfalls kein erhöhtes Fehlbildungsrisiko, scheint aber ein etwas höheres Risiko für neonatale Anpassungsstörungen zu haben, geht dafür aber kaum in die Muttermilch über (2). Unter allen Antidepressiva wurden nur bei Fluoxetin und Paroxetin Hinweise für ein gering erhöhtes kardiales Fehlbildungsrisiko beschrieben. Fluoxetin ist auch in der Stillzeit eher ungünstig zu bewerten, aufgrund der langen Halbwertszeit und der potenziellen Akkumulation im gestillten Kind (2, 7).
Antipsychotika (AP) Nur für Risperidon gab es in einer grösseren Studie Hinweise für eine gering erhöhte kardiale Malformationsrate, wobei die Kausalität hier fraglich ist (9). Stillen unter Risperidontherapie erscheint aber vertretbar. Die anderen AP, für die es ausreichend Daten gibt, scheinen keine teratogenen Effekte zu haben (9). Das beste Sicherheitsprofil sowohl in der Schwangerschaft als auch beim Stillen haben Olanzapin und Quetiapin, es wird lediglich ein leicht erhöhtes Risiko für Gestationsdiabetes diskutiert (10). Quetiapin ist nur bei sehr hohen Dosierungen in der Muttermilch nachweisbar und daher als relativ sicher einzuschätzen. Allerdings kann die nächtliche Sedierung die Versorgung des Säuglings im Wochenbett erschweren. Es wurden aber auch bei weiteren AP wie Risperidon, Paliperidon und Aripiprazol keine negativen
4
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
1/2022
FORTBILDUNG
kurzfristigen Folgen bei den gestillten Kindern festgestellt (11, 12). Amisulprid wird in der Stillzeit aufgrund höherer Konzentrationen in der Muttermilch nicht empfohlen, ebenso wenig wie Clozapin aufgrund des Agranulozytoserisikos beim gestillten Säugling (11).
Stimmungsstabilisatoren Lithium hat ein geringes Risiko für kardiale Fehlbildungen, über das individuell aufgeklärt und beraten werden muss (13). Die postpartale Rückfallgefahr bei bipolar erkrankten Frauen ist aber sehr hoch, mit ebenfalls potenziell sehr negativen Auswirkungen auf Mutter und Kind, sodass im individuellen Fall eine Schwangerschaft unter Lithiummedikation geplant werden kann (14, 15). Stillen unter Lithiumtherapie ist prinzipiell möglich, doch gibt es dazu nur wenige veröffentlichte Daten. Lithium geht in die Muttermilch und damit auch potenziell in den Säugling über. Beim Säugling sollten regelmässig der Lithiumwert im Blut sowie Nieren- und Schilddrüsenwerte überprüft werden (16). Valproat ist aufgrund des hohen Fehlbildungsrisikos und der fetotoxischen Effekte in der Schwangerschaft kontraindiziert, in der Stillzeit aber wiederum vertretbar. Lamotrigin hat ein, wenn überhaupt, nur geringes Malformationsrisiko und ist deshalb auch bei Frauen mit epileptischen Erkankungen und Schwangerschaft das Mittel der Wahl. In der Muttermilch finden sich allerdings relativ hohe Konzentrationen, es gibt aber wenige berichtete schwerwiegende Nebenwirkungen bei den gestillten Säuglingen, sodass Stillen unter guter Beobachtung des Kindes dennoch akzeptabel zu sein scheint. Carbamazepin hat ebenfalls ein hohes embryotoxisches Potenzial, Stillen scheint aber vertretbar zu sein. Oxcarbazepin erscheint auch in der Schwangerschaft vertretbar. In der Stillzeit gibt es dazu bis anhin nur einen publizierten Fallbericht, der aber keine Auffälligkeiten beim gestillten Kind zeigt (5 Jahres Follow-up) (17–20).
Stimulanzien und andere ADHS-Medikamente Bei Koffein ist die Datenlage tatsächlich zu gering, um valide Schlussfolgerungen zu ziehen, obwohl es das in der Allgemeinbevölkerung am meisten konsumierte Stimulans während der Schwangerschaft und der Stillzeit ist. Hoher Kaffeekonsum wird zwar nicht mit erhöhtem Fehlbildungsrisiko, aber mit Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen in Verbindung gebracht, weswegen davon abgeraten wird (21). Exposition mit Methylphenidat (MPH) und medizinischem Amphetamin scheint mit eher keinem erhöhtem Risiko für kongenitale Malformationen in Verbindung zu stehen. Manche Studien fanden zwar ein minimal erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Fehlbildungen nach MPH-Exposition sowie für spezifische Geburtsdefekte (wie Gastroschisis, Omphalozele), diese Risikoerhöhungen sind aber sehr klein, und die Kausalität mit der Medikamentenexposition erscheint fraglich. MPH, nicht aber Amphetamin, scheint allerdings mit einer geringen Risikoerhöhung für plazentare Dysfunktionen, Fehlgeburt und Frühgeburt assoziiert zu sein (22). Stillen wiederum ist wegen der sehr geringen Halbwertszeit von MPH vertretbar, Amphetamine und Lisdexamfetamin sollten hier eher nicht verwendet werden. Für Modafinil als Mittel zur Behandlung einer Narkolepsie wird allerdings ein moderates Fehlbildungsrisiko angegeben, daher ist es
in der Schwangerschaft kontraindiziert. Für die Nichtstimulanzien zur ADHS-Behandlung, Atomoxetin und Guanfacin, fehlen die Daten für Schwangerschaft und Stillzeit (22).
Benzodiazepine Eine einmalige oder kurzfristige Gabe von kurz beziehungsweise mittellang wirksamen Benzodiazepinen erscheint sowohl in der Schwangerschaft als auch in der Stillzeit vertretbar, beispielsweise Lorazepam oder Oxazepam (23, 24).
Substanzkonsum in der Schwangerschaft In einer Umfragestudie aus der Schweiz mit 309 Schwangeren gaben gut 12% der befragten Frauen an, in den letzten 7 Tagen Wein oder Bier getrunken zu haben. Ebenfalls gut 12% der Umfrageteilnehmerinnen rauchten während der Schwangerschaft regelmässig. Nur 1,9% gaben an, Cannabis zu konsumieren, und keine Frau berichtete über einen Konsum anderer Suchtmittel (25). Die Resultate einer US-amerikanischen Studie waren ähnlich: Etwa 6% der Schwangeren in den USA konsumieren illegale Drogen, 8,5% trinken Alkohol, und zirka 16% rauchen Zigaretten (26).
Zigaretten und weitere Nikotinprodukte (E-Zigaretten) Rauchen beziehungsweise Nikotinkonsum in der Schwangerschaft erhöht das Risiko für eine Plazentaablösung, für Wachstumsverzögerungen beim Kind und für eine Frühgeburt. Im weiteren Verlauf haben exponierte Kinder ein erhöhtes Asthmarisiko. Auch der plötzliche Kindstod wird mit Zigarettenkonsum der Eltern in Verbindung gebracht (27, 28). Die sogenannten E-Zigaretten scheinen für das ungeborene Kind ähnlich schädlich wie Tabakkonsum zu sein, auch wenn es hier noch deutlich weniger Daten gibt (29). Bei sehr schwerer Nikotinabhängigkeit kann es sinnvoll sein, im Rahmen der Nutzen-Risiko-Abwägung Bupropion als Raucherentwöhnungsmittel einzusetzen. Für Bupropion gibt es keine Hinweise auf negative Effekte für das ungeborene Kind (30).
Alkohol Selbst kleine Mengen Alkohol können negative Effekte auf das ungeborene Kind haben, und das in allen Phasen der Schwangerschaft. Alkoholexposition kann zu einer fetalen Alkoholspektrumsstörung (fetal alcohol spectrum disorder, FASD) führen, mit zum Teil sehr schlechten Prognosen für die psychische und körperliche Gesundheit, für die kognitive Leistungsfähigkeit und für das psychosoziale Funktionsniveau der exponierten Kinder (31). Ist eine Schwangerschaft geplant, sollte bereits zu diesem Zeitpunkt auf Alkohol verzichtet werden, weil bis zur Feststellung der Schwangerschaft häufig schon die ersten 1 bis 2 Schwangerschaftsmonate vorbei sind, in denen das ungeborene Kind ganz besonders empfindlich ist. Bei einer Alkoholabhängigkeit in der Schwangerschaft sollte auf jeden Fall eine qualifizierte Entzugsbehandlung unter stationären Bedingungen erfolgen. In der Entgiftungsphase können unter Nutzen-Risiko-Abwägung zur Verhinderung eines Deliriums sowie von
1/2022
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
5
FORTBILDUNG
Tabelle:
Übersicht über Psychopharmaka in Schwangerschaft und Stillzeit
Medikamentengruppe Wirkstoff
Vertretbar in der Vertretbar
Schwangerschaft in der Stillzeit
Antidepressiva Amitriptylin ja
ja
Doxepin
(ja)
(ja)
Imipramin/Desipramin (ja)
ja
Maprotilin
(ja)
(ja)
Nortriptyplin
ja
ja
Citalopram ja ja
Escitalopram ja
ja
Sertralin
ja
ja
Fluoxetin
eher nein
ja, aber cave: lange HWZ
Fluvoxamin
(ja)
ja
Paroxetin
eher nein
ja, aber cave: hemmt den
eigenen Abbau
Venlafaxin
ja
ja, aber cave: relativ hohe
Konzentrationen in Muttermilch
Duloxetin
ja
ja
Milnacipran
N/A
(ja)
Bupropion ja ja
Mirtazapin
ja
ja
Antipsychotika Olanzapin ja
ja
Quetiapin
ja
ja
Risperidon
(eher ja)
ja
Aripiprazol ja (ja)
Paliperidon (ja) N/A
Asenapin N/A N/A
Ziprasidon N/A N/A
Loxapin N/A N/A
Cariprazin N/A N/A
Haloperidol ja
(ja)
Perphenazin (ja) (ja)
Chlorpromazin N/A
(ja)
Flupentixol (ja) (ja)
Sulpirid
N/A
(ja)
Amisulprid
(ja)
eher nein
Clozapin
(ja)
eher nein
Stimmungsstabilisatoren Lithium
eher ja
ja, aber regelmässige
Blutentnahmen beim Kind
Valproat
nein
ja, nur geringer Übertritt
in Muttermilch
Lamotrigin
eher ja
ja, aber relativ hohe
Konzentrationen in Muttermilch
Carbamazepin
nein
(ja)
Oxcarbazepin
(eher ja)
(ja)
Stimulanzien/
Methylphenidat
ja
ja
ADHS-Medikamente
Lisdexamfetamin
(ja)
nein
(Dex-)Amphetamin ja
nein
Atomoxetin N/A N/A
Guanfacin N/A N/A
Benzodiazepine und Z-Substanzen
einmalige Anwendung vertretbar, von längerfristiger
Anwendung sollte abgesehen werden
HWZ: Halbwertszeit. Ja: Datenlage schon aureichend, um die Aussage zu treffen, dass die Einnahme in Schwangerschaft und Stillzeit akzeptabel ist. Eher ja: fraglich geringes teratogenes Risiko, aber unter individueller Nutzen-Risiko-Analyse einsetzbar. (Eher ja): fraglich geringes teratogenes Risiko, aber Datenlage noch nicht ausreichend. (Ja): Datenlage noch nicht ausreichend, aber bisher keine Hinweise auf negative Effekte bei in der Schwangerschaft exponierten oder gestillten Kindern. Nein: teratogenes Risiko/Komplikationen häufiger bei gestillten Säuglingen. Eher nein: mittlere teratogene Effekte bzw. Komplikationen bei gestillten Kindern berichtet. N/A: keine publizierten Daten bzw. Datenlage zu gering, um Aussage treffen zu können.
6
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
1/2022
FORTBILDUNG
Krampfanfällen (beides lebensbedrohliche Komplikationen) Benzodiazepine, wie beispielsweise Diazepam oder Lorazepam, eingesetzt werden.
Opiat- beziehungsweise opioidhaltige Schmerzmittel Die Bezeichnung Opioide ist ein Sammelbegriff für die Gruppe natürlicher und synthetischer Substanzen, die morphinartige Eigenschaften aufweisen und an Opioidrezeptoren wirksam sind. Der Begriff Opiat steht hingegen nur für die natürlicherweise im Opium vorkommenden Stoffe mit dieser Wirkung, die aus dem Schlafmohn gewonnen werden. In den USA besteht schon seit Längerem ein grosses Problem hinsichtlich der Entwicklung von Abhängigkeiten von zunächst ärztlich verordneten opioidhaltigen Schmerzmitteln und mit zunehmenden akzidentellen Todesfällen nach Überdosierung (32). Auch wenn in Deutschland das Problem der missbräuchlichen Einnahme von Opioiden nicht im gleichen Ausmass existiert wie in den USA, stellt die missbräuchliche Einnahme von opioidhaltigen Schmerzmitteln wie beispielsweise Tilidin dennoch ein zunehmendes Problem. Nicht selten betrifft es auch junge Frauen mit Kinderwunsch. Bei in der Schwangerschaft eingenommenen Opiaten und Opioiden besteht nach derzeitigen Erkenntnissen zwar kein erhöhtes Risiko für Fehlbildungen bei den Kindern, doch die Neugeborenen haben häufig Entzugserscheinungen. Daher sollte man, wenn immer möglich, vor einer geplanten Schwangerschaft den Entzug beziegungsweise die Umstellung angehen. In der Schwangerschaft sollte der Entzug (siehe auch unter Heroin und Heroinsubstitution) erst ab dem 2. Trimester begonnen werden, um das ungeborene Kind nicht zu sehr unter Stress zu setzen. Sowohl bei Missbrauch als auch bei verordneter Einnahme von opioidhaltigen Schmerzmitteln in der Schwangerschaft ist es unabdingbar, die Entbindung in einem Perinatalzentrum zu planen, sodass das Neugeborene direkt nach der Geburt hinsichtlich Entzugserscheinungen überwacht werden kann.
Cannabis und Cannabinoide Momentan sind Cannabis und Cannabinoide oder die einzelnen Bestandteile als Reinstoffe wie Tetrahydrocannabinol (THC), Cannabidiol (CBD) und synthetisch hergestellte Cannabinoide häufig in der Diskussion und werden zum Teil auch in der Laienpresse als «Allheilmittel» diskutiert. So sollen Cannabinoide und Cannabisprodukte gegen Ängste, Depressionen sowie Schlafstörungen und gegen ADHS, Migräne und Schwangerschaftsübelkeit hilfreich sein. Bis auf die antipsychotische (33) und antiepileptische (34) Wirkung von CBD in Tablettenform, das keine berauschende Wirkung hat, konnte bisher in den nur sehr wenigen klinischen Studien nicht belegt werden, dass CBD tatsächlich auch gut und sicher bei verschiedenen psychischen Erkrankungen hilft (35). Über die Auswirkungen auf das ungeborene Kind bei Konsum in der Schwangerschaft ist ebenfalls wenig bekannt. Allerdings gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Blutarmut, niedriges Geburtsgewicht und die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Überwachung bei Neugeborenen, deren Mütter
während der Schwangerschaft Cannabis konsumiert haben. Zudem wurde eine Beeinträchtigung höherer Gehirnfunktionen, wie Impulskontrolle, visuelles Gedächtnis und Aufmerksamkeit, bei Schulkindern gefunden, deren Mütter in der Schwangerschaft Marihuana konsumiert hatten (36). Daher wird Frauen mit Kinderwunsch und schwangeren Frauen von einem Cannabinoid- und Cannabiskonsum dringend abgeraten.
Illegale Amphetamine Auch wenn es keine Hinweise auf erhöhte Fehlbildungsraten durch einen Amphetaminkonsum in der Schwangerschaft gibt, besteht doch vermutlich ein erhöhtes Risiko für Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen (frühzeitige Plazentaablösung, Frühgeburt, geringes Geburtsgewicht), sodass vom Konsum illegaler Amphetamine im Gegensatz zu ärztlich verordneten Amphetaminen bei der ADHS-Behandlung während der Schwangerschaft dringend abgeraten wird (37).
Methamphetamin (Crystal Meth) Der Gebrauch von Methamphetamin in der Schwangerschaft wird sowohl mit einem erhöhten Fehlbildungsrisiko als auch mit diversen Schwangerschafts- und Geburtskomplikationen in Zusammenhang gebracht. Im Weiteren sind negative Auswirkungen auf die spätere Entwicklung der Kinder beschrieben (37). Methamphetamin hat ein starkes Abhängigkeitspotenzial, sodass die Neugeborenen häufig Entzugserscheinungen beziehungsweise Anpassungsstörungen zeigen. Der Methamphetaminentzug in der Schwangerschaft sollte im stationären Rahmen durchgeführt werden, auch hier können Benzodiazepine (Diazepam, Lorazepam) oder Quetiapin hilfreich sein, wenn die Entzugssymptome sehr stark sind (37).
MDMA (Ecstasy) Die Datenlage für MDMA (N-methyl-3,4-methylenedioxyamphetamine; 3,4-methylene-dioxymethamphetamin, kurz als Ecstasy bezeichnet) ist für eine abschliessende Beurteilung noch nicht ausreichend. Aber es gibt sowohl Hinweise auf ein höheres Risiko für Fehlbildungen bei den exponierten Kindern als auch für negative Auswirkungen auf deren spätere Entwicklung. MDMA hat kein besonders hohes Abhängigkeitspotenzial und führt selten zu Entzugssymptomen, sodass ein Konsum in der Schwangerschaft ohne Ausschleichen oder anderweitige Substitutionsmassnahmen in der Regel einfach beendet werden kann (37).
Kokain und Crack Der Konsum von Kokain und Crack während der Schwangerschaft erhöht das Risiko für diverse Geburtsund Schwangerschaftskomplikationen wie beispielsweise Frühgeburt, vorzeitige Plazentaablösung, Präeklampsie und Wachstumsverzögerung der Kinder. Es wird auch vermutet, dass Kokain mit einem erhöhten Risiko für Fehlbildungen beim Kind in Zusammenhang steht. Unklar ist, ob spätere Verhaltensauffälligkeiten, die bei Kindern von Kokain beziehungsweise Crack konsumierenden Müttern beschrieben wurden, direkt mit dem Kokain in Zusammenhang stehen oder mit weiteren Faktoren wie psychischen Erkrankungen der Mütter, Cannabis- und Alkoholkonsum und weiteren psycho-
1/2022
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
7
FORTBILDUNG
sozialen Risikofaktoren. Insbesondere crackexponierte Neugeborene können starke Entzugserscheinungen zeigen (37). Eine Kokain- oder Crackentzugsbehandlung in der Schwangerschaft sollte unter stationären Bedingungen in hierfür spezialisierten Suchteinrichtungen erfolgen. Wenn der Entzug sehr stark ist, kann zum Beispiel mithilfe von Quetiapin oder vorübergehend auch Lorazepam versucht werden, die Entzugssymptome abzudämpfen.
Heroin und Heroinsubstitution Heroin an sich ist zwar nicht als ursächlich für Fehlbildungen beschrieben, es macht allerdings sehr stark abhängig, und die Neugeborenen haben häufig sehr starke Entzugserscheinungen. Eine Entzugsbehandlung in der Schwangerschaft wird erst ab dem 2. oder 3. Trimester empfohlen, weil die Entzugserscheinungen für das ungeborene Kind sonst zu schädlich sein können. Generell wird in der Schwangerschaft von einem sogenannten kalten Entzug abgeraten. Vielmehr wird eine Substitutionstherapie mit Methadon oder Buprenorphin empfohlen. Insbesondere Letzteres scheint auch mit weniger Entzugserscheinungen beziehungsweise Anpassungsstörungen beim Neugeborenen einherzugehen (38). Auch Frauen,
Für weiterführende Informationen und Beratung siehe auch: www.embryotox.de
http://marce-gesellschaft.de/
https://schatten-und-licht.de/index.php/de/ http://www.klinikum.uni-muenchen.de/Integriertes-SozialpaediatrischesZentrum-im-Dr-von-Haunerschen-Kinderspital/de/projekte/fasd/index.html
Merkpunkte:
● Eine psychopharmakologische Behandlung mit vielen Medikamenten ist nach individueller Nutzen-Risiko-Analyse auch in Schwangerschaft und Stillzeit möglich.
● Valproat und Carbamazepin sind für die Behandlung von Frauen im reproduktionsfähigen Alter kontraindiziert.
● Alkohol ist ein starkes Terato- und fetogen und sollte in der Schwangerschaft unbedingt vermieden werden.
● Bereits bei der Planung des Kinderwunsches sollten Frauen auf Alkohol, Zigaretten und illegale Drogen verzichten.
● Die Aufklärung und die Hilfe zur Suchtmittelabstinenz in Schwangerschaft und Stillzeit müssen noch dringend verstärkt werden.
● Die Entbindung von mit Medikamenten oder Suchtmitteln exponierten Kindern sollte in einer Klinik mit Perinatalzentrum erfolgen.
die bereits substituiert sind, aber davon wegkommen wollen, wird dies frühestens ab dem 2. Trimester empfohlen, und dann in sehr langsamen Schritten, um den Entzugsstress beim ungeborenen Kind möglichst gering zu halten. Gegebenenfalls kann es eine bessere Alternative sein, die Substitution während der Schwangerschaft beizubehalten, weil der Entzug beim Kind nach der Entbindung besser kontrolliert werden kann.
Halluzinogene Substanzen Für Lysergsäurediethylamid (LSD) und Psilocybin existieren betreffend der Risiken für das Kind bei einer Exposition in Schwangerschaft und Stillzeit keine ausreichenden Daten. In der Regel werden diese Substanzen, die kein oder nur ein sehr geringes Abhängigkeitspotenzial haben, auch nur gelegentlich und nicht täglich eingenommen.
Kurzfristige und längerfristige Auswirkungen beim exponierten Kind Sowohl Psychopharmaka als auch Medikamente für nicht psychische Erkrankungen und Suchtmittel erhöhen das Risiko für sogenannte neonatale Anpassungsstörungen (39, 40). Bei Opiodmissbrauch können zudem stark ausgeprägte Entzugssymptome beim Säugling auftreten (41). Die Anpassungsstörungen können sich in Form von Zittrigkeit, Hypotonie, Trinkschwäche, Atemund Kreislaufunregelmässigkeiten zeigen, sie sind in der Regel selbstlimitierend und nicht lebensbedrohlich. Da diese Anpassungsstörungen etwa bei 30% der psychopharmakaexponierten Neugeborenen auftreten, sollte die Entbindung am besten in einer Geburtsklinik mit Perinatalzentrum erfolgen.
Fazit
Die Schwangerschaft bei Regelmedikation, psychischer
Vorerkrankung der Mutter oder bei/nach Substanzkon-
sum sollte immer besonders gut überwacht werden.
Neben einer ausführlichen Pränataldiagnostik am Ende
des 1. Trimenons zum Ausschluss von Fehlbildungen
sind regelmässige Ultraschalluntersuchungen sinnvoll,
um beispielsweise das Wachstum des Kindes und die
Plazentadurchblutung zu überwachen, und zwar über
die übliche Schwangerschaftsfürsorge hinaus. Stillen ist
während einer Psychopharmakotherapie unter guter
Beobachtung des Kindes zumindest bei einer Monothe-
rapie häufig vertretbar. Bei fortgesetztem Suchtmittel-
gebrauch der Mutter sollte vom Stillen wegen
unkontrollierbarer Folgen für das Kind allerdings drin-
gend abgeraten werden.
l
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. Sarah Kittel-Schneider Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Universitätsklinikum Würzburg
Margarete-Höppel-Platz 1 D-97080 Würzburg
E-Mail: Kittel_s@ukw.de
Interessenlage: Die Autorin hat in den letzten 3 Jahren Autoren-, Vortrags- und Beraterhonorare von Medice Arzneimittel Pütter GmbH & Co. KG und von Takeda erhalten.
8
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
1/2022
FORTBILDUNG
Referenzen: 1. Orsolini L et al.: Serotonin reuptake inhibitors and breastfeeding: a
systematic review. Hum Psychopharmacol. 2015;30(1):4-20. doi:10.1002/hup.2451 2. Kronenfeld N et al.: Use of psychotropic medications in breastfeeding women. Birth Defects Res. 2017;109(12):957-997. doi: 10.1002/bdr2.1077 3. Bellantuono C et al.: The safety of serotonin-noradrenaline reuptake inhibitors (SNRIs) in pregnancy and breastfeeding: a comprehensive review. Hum Psychopharmacol. 2015;30(3):143-151. doi: 10.1002/ hup.2473 4. Schoretsanitis G et al.: Antidepressants in breast milk; comparative analysis of excretion ratios. Arch Womens Ment Health. 2019;22(3):383-390. doi: 10.1007/s00737-018-0905-3 5. Smit M et al.: Mirtazapine in pregnancy and lactation – a systematic review. Eur Neuropsychopharmacol. 2016;26(1):126-135. doi: 10.1016/j.euroneuro.2015.06.014 6. Ornoy A: Pharmacological Treatment of Attention Deficit Hyperactivity Disorder During Pregnancy and Lactation. Pharm Res. 2018;35(3):46. doi: 10.1007/s11095-017-2323-z 7. Huybrechts KF et al.: Antidepressant use in pregnancy and the risk of cardiac defects. N Engl J Med. 2014;371(12):1168-1169. doi: 10.1056/NEJMc1409203 8. Davanzo R et al.: Antidepressant drugs and breastfeeding: a review of the literature. Breastfeed Med. 2011;6(2):89-98. doi: 10.1089/ bfm.2010.0019 9. Huybrechts KF et al.: Antipsychotic Use in Pregnancy and the Risk for Congenital Malformations. JAMA Psychiatry. 2016;73(9):938-946. doi: 10.1001/jamapsychiatry.2016.1520 10. Boden R et al.: Antipsychotics during pregnancy: relation to fetal and maternal metabolic effects. Arch Gen Psychiatry. 2012;69(7):715-721. doi: 10.1001/archgenpsychiatry.2011.1870 11. Uguz F: Second-Generation Antipsychotics During the Lactation Period: A Comparative Systematic Review on Infant Safety. J Clin Psychopharmacol. 2016;36(3):244-252. doi: 10.1097/ JCP.0000000000000491 12. Klinger G et al.: Antipsychotic drugs and breastfeeding. Pediatr Endocrinol Rev. 2013;10(3):308-317 13. Patorno E et al.: Lithium Use in Pregnancy and the Risk of Cardiac Malformations. N Engl J Med. 2017;377(9):893-894. doi: 10.1056/ NEJMc1708919 14. Wesseloo R et al.: Risk of Postpartum Relapse in Bipolar Disorder and Postpartum Psychosis: A Systematic Review and Meta-Analysis. Am J Psychiatry. 2016;173(2):117-127. doi: 10.1176/appi. ajp.2015.15010124 15. Wesseloo R et al.: Risk of postpartum episodes in women with bipolar disorder after lamotrigine or lithium use during pregnancy: A population-based cohort study. J Affect Disord. 2017;218:394-397. doi: 10.1016/j.jad.2017.04.070 16. Gehrmann A et al.: Lithium Medication in Pregnancy and Breastfeeding-A Case Series. Medicina (Kaunas). 2021;57(6). doi: 10.3390/medicina57060634 17. Uguz F et al.: Mood stabilizers during breastfeeding: a systematic review of the recent literature. Bipolar Disord. 2016;18(4):325-333. doi: 10.1111/bdi.12398 18. Pacchiarotti I et al.: Mood stabilizers and antipsychotics during breastfeeding: Focus on bipolar disorder. Eur Neuropsychopharmacol. 2016;26(10):1562-1578. doi: 10.1016/j. euroneuro.2016.08.008 19. Poels EMP et al.: Lithium during pregnancy and after delivery: a review. Int J Bipolar Disord. 2018;6(1):26. doi: 10.1186/s40345-0180135-7 20. Poels EMP et al.: Long-term neurodevelopmental consequences of intrauterine exposure to lithium and antipsychotics: a systematic review and meta-analysis. Eur Child Adolesc Psychiatry. 2018;27(9):1209-1230. doi: 10.1007/s00787-018-1177-1
21. Poole R et al.: Coffee consumption and health: umbrella review of meta-analyses of multiple health outcomes. BMJ. 2017;359:j5024. doi: 10.1136/bmj.j5024
22. Kittel-Schneider S et al.: Parental ADHD in pregnancy and the postpartum period – a systematic review. Neurosci Biobehav Rev. 2021;124:63-77. doi: 10.1016/j.neubiorev.2021.01.002
23. Kelly LE et al.: Neonatal benzodiazepines exposure during breastfeeding. J Pediatr. 2012;161(3):448-451. doi: 10.1016/j. jpeds.2012.03.003
24. Veiby G et al.: Epilepsy and recommendations for breastfeeding. Seizure. 2015;28:57-65. doi: 10.1016/j.seizure.2015.02.013
25. Bornhauser C et al.: Diet, medication use and drug intake during pregnancy: data from the consecutive Swiss Health Surveys of 2007 and 2012. Swiss Med Wkly. 2017;147:w14572. doi: 10.4414/ smw.2017.14572
26. New version of national survey on drug use and health available. J Psychosoc Nurs Men. 2012;50(3):6-6. https://www.samhsa.gov/ data/sites/default/files/NSDUHresults2012/NSDUHresults2012.pdf
27. Abraham M et al.: et al. A systematic review of maternal smoking during pregnancy and fetal measurements with meta-analysis. PLoS One. 2017;12(2):e0170946. doi: 10.1371/journal.pone.0170946
28. Harju M et al.: Parental smoking and cessation during pregnancy and the risk of childhood asthma. BMC Public Health. 2016;16:428. doi: 10.1186/s12889-016-3029-6
29. Whittington JR et al.: The use of electronic cigarettes in pregnancy: a review of the literature. Obstet Gynecol Surv. 2018;73(9):544-549. doi: 10.1097/OGX.0000000000000595
30. Nanovskaya TN et al.: Bupropion sustained release for pregnant smokers: a randomized, placebo-controlled trial. Am J Obstet Gynecol. 2017;216(4):420.e421-420.e429. doi: 10.1016/j. ajog.2016.11.1036
31. Moder JE et al.: Fetal alcohol spectrum disorders-diagnosis, prognosis, and prevention. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2021;64(6):747-754. doi: 10.1007/s00103-021-03329-6
32. Hancocks S: The opioid crisis in the USA. Br Dent J. 2019;226(11):815. doi: 10.1038/s41415-019-0420-6
33. Rohleder C et al.: Cannabidiol as a potential new type of an antipsychotic. A critical review of the evidence. Front Pharmacol. 2016;7:422. doi: 10.3389/fphar.2016.00422
34. Reddy DS: The utility of cannabidiol in the treatment of refractory epilepsy. Clin Pharmacol Ther. 2017;101(2):182-184. doi: 10.1002/ cpt.441
35. Sarris J et al.: Medicinal cannabis for psychiatric disorders: a clinicallyfocused systematic review. BMC Psychiatry. 2020;20(1):24. doi: 10.1186/s12888-019-2409-8
36. Gunn JK et al.: Prenatal exposure to cannabis and maternal and child health outcomes: a systematic review and meta-analysis. BMJ Open. 2016;6(4):e009986. doi: 10.1136/bmjopen-2015-009986
37. Smid MC et al.: Stimulant use in pregnancy: an under-recognized epidemic among pregnant women. Clin Obstet Gynecol. 2019;62(1):168-184. doi: 10.1097/GRF.0000000000000418
38. Heberlein A et al.: The treatment of alcohol and opioid dependence in pregnant women. Curr Opin Psychiatry. 2012;25(6):559-564. doi: 10.1097/YCO.0b013e328358ad36
39. Damkier P et al.: The safety of second-generation antipsychotics during pregnancy: a clinically focused review. CNS Drugs. 2018;32(4):351-366. doi: 10.1007/s40263-018-0517-5
40. Convertino I et al.: Neonatal adaptation issues after maternal exposure to prescription drugs: withdrawal syndromes and residual pharmacological effects. Drug Saf. 2016;39(10):903-924. doi: 10.1007/s40264-016-0435-8
41. Huybrechts KF et al.: Risk of neonatal drug withdrawal after intrauterine co-exposure to opioids and psychotropic medications: cohort study. BMJ. 2017;358:j3326. doi: 10.1136/bmj.j3326
1/2022
PSYCHIATRIE + NEUROLOGIE
9