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KONGRESSBERICHT ZUM SCHWERPUNKT
EADV 2021
Systemische Sklerodermie
Neue Strategien gegen die Erstarrung
Die systemische Sklerodermie ist zwar selten, kann aber lebensbedrohlich werden, wenn sich durch die vermehrte Fibroblastenaktivität ausser Hautveränderungen auch ein Lungenhochdruck oder eine Niereninsuffizienz einstellen. Mit modernen Biologika können diese Prozesse gebremst werden.
Die meisten Dermatologen kennen die eindrucksvollen Bilder von Sklerodermie-Patienten, die quasi von der eigenen Haut gefesselt sind. Pathophysiologisch liegt der systemischen Sklerodermie (SSc) eine erhöhte Kollagensynthese zugrunde – vermutlich durch eine zelluläre Dysfunktion der Fibroblasten oder der T-Lymphozyten mit Folge einer Fibroblastenaktivitätsteigerung. Doch nicht wegen der Hautverhärtung (selbst in dieser Maximalvariante) weist die SSc unter den rheumatologischen Erkrankungen die höchste Mortalität auf. Vielmehr ist es die Beteiligung der kleinen Gefässe, die zu Lungenhochdruck und Nierenschäden führen kann. Die Autoimmunerkrankung ist aber insgesamt selten. Daten aus Europa lassen beispielsweise für Deutschland eine Inzidenz von etwa 19 pro 1 Million und eine Prävalenz von etwa 300 pro 1 Million annehmen, wobei Frauen etwa 4-mal häufiger betroffen sind als Männer, mit einem Erkrankungsgipfel zwischen 50 und 60 Jahren. Eingeteilt werde die SSc in 3 Kategorien, wie Prof. Thomas König aus Köln (D) auf dem diesjährigen Kongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) erläuterte: s Limitiert systemische Sklerose (lSSc): Bei dieser
Form (früher als CREST-Syndrom bezeichnet) beschränkt sich die Hautmanifestation auf Gesicht, Hände und Füsse und geht nicht über die Ellenbogen oder die Knie hinaus. Auf diese Form entfallen etwa 45,5 Prozent der Betroffenen. Das Raynaud-Syndrom tritt über Jahre immer wieder auf, die Organbeteiligung erst später; es besteht ein gesteigertes Risiko für Lungenfibrose mit Lungenhochdruck. Diagnostisch lassen sich häufig Zentromer-Antikörper nachweisen. s Diffus systemische Sklerose (dSSc): Auf die dSSc entfallen etwa 32,7 Prozent, das Raynaud-Phänomen tritt nur für wenige Monate auf. Die Hautmanifestation geht über Ellenbogen und Knie hinaus und befällt neben dem Gesicht auch den Körperstamm. Es kommt schon früh zu Manifestationen an den inneren Organen, hoher Entzündungsgrad, Scl-70-Antikörper sind nachweisbar.
s Systemische Sklerose sine Skleroderma: Bei dieser Variante, die bei etwa 1,5 Prozent der SSc-Patienten gefunden wird, zeigen die Betroffenen typische serologische Parameter und Manifestationen an den Organen, jedoch nicht an der Haut. Besonders Patienten mit Anti-Ro-Antikörpern haben kaum oder keine Hautbeteiligung.
s Overlap-Syndrom: Beim Overlap-Syndrom weisen etwa 11 Prozent der Patienten Zeichen einer SSc in Kombination mit anderen rheumatischen Erkrankungen wie dem systemischen Lupus erythematodes, der Dermatomyositis oder der rheumatoiden Arthritis auf.
Frühsymptome
Wie schon bei der Klassifikation gezeigt, ist das Raynaud-Phänomen das Leitsymptom. Diese Vasospasmen und die Minderdurchblutung an den Fingern (seltener an den Zehen) sind kennzeichnend für den Krankheitsbeginn und treten nahezu bei allen SSc-Patienten auf. Aber es gibt noch weitere Frühsymptome, die den Verdacht auf SSc lenken können: s Schwellungen und Rötungen an den Fingern, die
«puffy fingers» s verkürztes Zungenbändchen s Teleangiektasien. Leider werden diese Veränderungen oft nicht wahrgenommen, zumal sich zu Krankheitsbeginn Fingerschwellungen und die Raynaud-Symptomatik wieder bessern. Meist werden die Frühsymptome erst Jahre, nachdem die Diagnose gestellt worden ist, der Erkrankung zugeordnet. Die Patienten kommen in der Regel erst zum Hautarzt, wenn sich weitere Symptome der Sklerodermie eingestellt haben. Beispielsweise wenn sich eine Sklerodaktylie mit Ödemen, anschliessender Induration und folgender Atrophie manifestiert: Die Finger werden schmal, die Haut straffer, und Hautfalten lassen sich schwerer abheben. In der Folge kommt es oft zu schmerzhaften Bewegungseinschränkungen und Kontrakturen («Madonnenfinger»). Aufgrund der trophischen Störung kann es auch zu schmerzhaften digitalen Ulzera und Nekrosen («Rattenbissnekrose») kommen.
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Charakteristische Symptome im weiteren Verlauf sind das Maskengesicht mit starrer Mimik, Mikrostomie sowie Probleme beim Lidschluss. Ein Mund mit radiär angeordneten Falten wird als Tabaksbeutelmund bezeichnet. Finden sich Zeichen einer SSc, sollten die Patienten zeitnah an einen Rheumatologen überwiesen werden. Hier kann eine umfangreiche Labordiagnostik erfolgen, die nicht nur die Suche nach antinuklearen Antikörpern (ANA) umfasst, sondern auch nach weiteren SSc-spezifischen Autoantikörpern (Anti-Zentromer- und Anti-Topoisomerase-I-Antikörper) fahndet. Auch mittels der Kapillarmikroskopie des Nagelfalzes können Veränderungen (Mikroangiopathien) an den kleinsten Gefässen nachgewiesen werden. Dabei werden normale und vergrösserte Kapillaren (Megakapillaren), Mikroblutungen, gewundene und verzweigte Kapillaren sowie Zeichen von Neoangiogenese beobachtet. Ein pathologisches Kapillarmuster ist ein ANA-unabhängiger Risikofaktor für die Entwicklung einer SSc bei Patienten mit Raynaud-Syndrom. Da es sich bei der SSc vor allem um eine entzündliche Fibrose und eine Vaskulopathie der kleinen Gefässe handelt, können auch alle Organsysteme von Veränderungen betroffen sein. So kann beispielsweise die Fibrose die Darmperistaltik beeinträchtigen und Arthralgien auslösen. Es kommt häufig zu Herzrhythmusstörungen oder zu renalem Bluthochdruck. Die Fibrosierung des Myokards kann zu Rhythmusstörungen führen und, ebenso wie eine Sklerosierung des Herzbeutels, eine Reduktion des Herzminutenvolumens bedingen. Bei knapp der Hälfte aller Betroffenen treten Nierenschäden auf, meist in Form eines renalen Hochdrucks, der durch die fibrotisch verengten Gefässwände der Arteriolen entsteht. Entsprechend sollte ein Screening auf SSc-typische Manifestationen an inneren Organen durchgeführt werden. Besonderes Augenmerk ist hier auf die Lungenfunktion zu richten, denn die pulmonal arterielle Hypertonie (PAH) und die interstitielle Lungenerkrankung (ILD: interstitial lung disease) sind die häufigsten Formen der Lungenbeteiligung bei SSc. Sie ist charakterisiert durch diffuse parenchymale Infiltrationsprozesse, die zur Fibrose führen können. In der Folge wird die Atmung durch Verfestigung des Lungengewebes und durch die Verkleinerung der Gasaustauschfläche gestört. Lungenfibrose ist die häufigste Todesursache bei SSc-Patienten. SSc-Patienten mit PAH haben eine 3-Jahres-Überlebensrate von etwa 56 Prozent.
Immuntherapie noch in der Entwicklung
Die Therapie beschränkt sich derzeit auf symptomatische Massnahmen. Doch der Fortschritt in der Immuntherapie sollte auch SSc-Patienten zugutekommen – schliesslich handelt es sich um eine Auto-
immunerkrankung. Besonders in Bezug auf die ILD lassen sich erste Erfolge verzeichnen, über die Prof. Oliver Distler aus Zürich am EADV-Kongress berichtete: s Mycophenolatmofetil (MMF) wirkt zytostatisch
auf Lymphozyten und wird als Immunsuppressivum nach Organtransplantationen eingesetzt. In der Scleroderma Lung Study II wurde die Wirkung von MMF für 24 Monate mit oralem Cyclophosphamid für 12 Monate verglichen. Beide Gruppen zeigten eine Verbesserung der Lungenfunktion, bei besserer Verträglichkeit von MMF gegenüber Cyclophosphamid (1). s Nintedanib: In der INBUILD-Studie wurde der Tyrosinkinase-Inhibitor Nintedanib bei Patienten mit progressiven fibrosierenden ILD im Vergleich zu Plazebo untersucht. Ergebnis: Unter Nintedanib ging der wichtigste Lungenfunktionsparameter, die forcierte Vitalkapazität (FVC), weniger stark zurück als unter Plazebo (2). Mittlerweile hat die Europäische Kommission Nintedanib zur Behandlung einer ILD bei Erwachsenen mit SSc (SSc-ILD) zugelassen (2). s MMF + Nintedanib: Distler berichtete auch von einer Studie mit Nintedanib, bei der ein Teil der SSc-ILD-Patienten mit MMF vorbehandelt worden war. Im Vergleich zu Plazebo verringerte Nintedanib das Fortschreiten der ILD sowohl bei den Patienten, die zu Studienbeginn MMF einnahmen, als auch bei denen ohne MMF-Vorbehandlung. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Kombination von MMF und Nintedanib eine sichere Behandlungsoption für Patienten mit SSc-ILD darstellt (3). Da sich durch Hemmstoffe proinflammatorischer Zytokine chronisch entzündliche Hauterkrankungen wie Psoriasis und atopische Dermatitis deutlich bessern lassen, werden verschiedene Biologika auch bei SSc untersucht. Hier seien erste Erfolge zu verzeichnen, so Distler: s Tocilizumab: Dieser Anti-Interleukin-6-Rezeptor-Antikörper wurde bei SSc-Patienten auf seine Wirkung auf die Hautsklerose und die fibrosierende ILD untersucht. Im Vergleich zu Plazebo ergab sich im Hinblick auf die Hautsklerose kein signifikanter Unterschied. Allerdings konnte gezeigt werden, dass Tocilizumab bei Patienten mit früher SSc-ILD die Verschlechterung der Lungenfunktion bremst (4). s Rituximab: Ob sich die B-Zell-Depletion durch Rituximab bei SSc-Patienten positiv auf die Haut auswirkt, wollten japanische Dermatologen wissen. Sie verglichen die Veränderung der Hautfibrose unter Rituximab mit derjenigen unter Plazebo. Nach einem halben Jahr war die Fibrose in der Rituximab-Gruppe signifikant geringer fortgeschritten als in der Plazebogruppe (5).
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LITERATUR ZUM SCHWERPUNKT
Wie Distler beklagte, fehlten allerdings nach wie vor
genügend kontrollierte Studien, um weiter reichende
Therapieempfehlungen auszusprechen. Die derzeiti-
gen europäischen Guidelines stammten aus dem
Jahr 2017 und sollten aktualisiert werden.
s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Vortrag «Antifibrotic Therapy for Systemic Sclerosis» beim 30. Jahreskongress der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV) am 30. September 2021, online.
Referenzen: 1. Tashkin DP et al.: Mycophenolate mofetil versus oral cyclophosphamide in sclero-
derma-related interstitial lung disease (SLS II): a randomised controlled, doubleblind, parallel group trial. The Lancet Respir Med. 2016;4(9):708-719. 2. Maher TM et al.: Effects of nintedanib by inclusion criteria for progression of interstitial lung disease. Eur Respir J. 2021. 2004587. 3. Highland KB et al.: Efficacy and safety of nintedanib in patients with systemic sclerosis-associated interstitial lung disease treated with mycophenolate: a subgroup analysis of the SENSCIS trial. The Lancet Respir Med. 2021;9(1):96-106. 4. Khanna D et al.: Tocilizumab in systemic sclerosis: a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. The Lancet Respir Med. 2020;8(10):963-974. 5. Ebata S et al.: Safety and efficacy of rituximab in systemic sclerosis (DESIRES): a double-blind, investigator-initiated, randomised, placebo-controlled trial. The Lancet Rheumatology. 2021;3(7)e489-e497.
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