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FORTBILDUNG ZUM SCHWERPUNKT
Was ist bei Bissverletzungen im Kindes- und Jugendalter zu tun?
Bisswunden sind häufige Verletzungen im Kindes- und Jugendalter. Im Folgenden wird die Versorgung von Patienten mit Bisswunden erläutert – Schritt für Schritt von der Anamnese über die Indikation für eine allfällige Tetanus- oder Tollwutimpfung, die Wundversorgung, die antimikrobielle Prophylaxe und Therapie bis zum Follow-up.
VON MICHAEL BÜTTCHER UND ADRIANA KÖNIG
Amerikanische Statistiken erfassen 4,5 Millionen Hundebissverletzungen pro Jahr, etwa die Hälfte davon erleiden Kinder (1). Laut der 2019 veröffentlichten Statistik zu Verletzungen in Haushalt und Freizeit der schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung wurden zwischen 2012 und 2016 im Durchschnitt 10 020 Verletzungen durch Biss oder Stich von einem Tier bei Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren gemeldet (2). Dementsprechend liegt die Inzidenz von Hundebissen in Industrieländern bei 1 bis 3 auf 1000 Kinder pro Jahr (3). Hundebisse machen knapp 90 Prozent der Tierbissverletzungen aus, danach folgen Katzen- und Menschenbisse. Bisse exotischer Tiere sind deutlich seltener (4). Kinder unter 10 Jahren sind überdurchschnittlich häufig von Hundebissen betroffen. Hier sind es insbesondere Jungen zwischen 5 und 9 Jahren. Die Lokalisation der Verletzungen folgt zudem einem typischen Muster, das vom Alter des Kindes abhängig ist (Abbildung 1). Hierbei erfolgen Bissverletzungen bei jüngeren Kindern vor allem im Gesicht, am Kopf sowie am Hals (Abbildung 2). Je älter die Kinder werden, desto häufiger finden sich die Verletzungen an den Extremitäten (Abbildung 3) (5, 6). Während Hundebisse aufgrund der abgerundeten Zähne und kräftigen Kiefer meistens Riss- und Quetschwunden sind, zeigen sich Katzenbisse in der Regel auf den ersten Blick als kleinere Wunden, typischerweise an der oberen Extremität. Diese von aussen betrachtet harmlos erscheinenden Wunden sind nicht zu unterschätzen, da häufig auch tiefere Strukturen (Muskeln, Sehnen, Gelenke oder Knochen) verletzt sein können (4). Generell stehen bei der Behandlung von Tierbissen zwei Aspekte im Vordergrund: 1. Nach einem Tierbiss besteht ein erhöhtes Risiko
für einen Wundinfekt. 2. Ziel der Wundbehandlung ist es, ein funktionell
wie ästhetisch gutes Ergebnis zu erreichen.
Primärkontakt
Bei ausgeprägter Verletzung, bei infizierten Wunden mit systemischen Infektionssymptomen sowie bei Kindern mit primärer oder sekundärer Immunschwäche sollte umgehend eine Zuweisung an das nächste Kinderspital erfolgen. Welche Daten in einer gründlichen Anamnese zu erheben sind, ist in Tabelle 1 zusammengefasst. Wie lange liegt der Biss zurück? Bei einer Erstvorstellung über 6 Stunden nach der Bissverletzung besteht bereits ein erhöhtes Infektionsrisiko und das Risiko eines komplizierten Verlaufs (Tabellen 2 und 3), was bei der Entscheidung über eine mögliche Wundversorgung und antibiotische Behandlung bedacht werden sollte (7). Erfolgte die Verletzung durch ein eigenes/bekanntes oder durch ein fremdes Tier? Die Hälfte bis zwei Drittel aller Hundebisse werden von dem eigenen Hund oder einem Hund aus dem weiteren Familienkreis zugefügt (1, 3). In der Schweiz besteht eine Meldepflicht aller Hundebissverletzungen (www.blv.admin.ch/blv/de/home/das-blv/organisation/ veterinaerdienst-schweiz.html). Die Meldung muss beim Veterinäramt desjenigen Kantons erfolgen, in dem die Behandlung stattfand.
Kleinkinder: häufiger Hundebisse
Kinder > 10 Jahre: Hunde- und Katzenbisse
Abbildung 1: Typische Lokalisationen von Bissen nach Altersgruppe und verursachende Spezies
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FORTBILDUNG ZUM SCHWERPUNKT
Tetanus: Insbesondere der Tetanusschutz des Kindes sollte überprüft werden, und je nach Umständen und Verletzungsart sollte eine Postexpositonsprophylaxe (PEP) beziehungsweise eine Wiederholungsimpfung durchgeführt werden. Für mindestens 3-mal geimpfte Personen im Alter von < 26 Jahren sowie für Personen mit einer Immundefizienz wird bei Verletzung eine dT-/dTpa-Auffrischdosis (ab 8 Jahre) beziehungsweise eine DTPa-IPV-Auffrischdosis (< 8 Jahre) empfohlen, wenn die letzte Impfung mehr als 5 Jahre zurückliegt (> 10 Jahre im Falle von sauberen oberflächlichen Wunden). Für Personen, die weniger als 3 Dosen eines Tetanusimpfstoffes erhalten haben oder deren Impfstatus unbekannt ist und für Personen mit einer signifikanten humoralen Immundefizienz oder mit medikamentöser Immunsuppression (unabhängig vom Impfstatus), wird die Verabreichung einer Dosis dT-/dTpa (ab 8 Jahre) oder DTPaIPV (< 8 Jahre) und ergänzend die Verabreichung von Tetanusimmunglobulin empfohlen. Bei sauberen und oberflächlichen Wunden sind Immunglobuline nicht notwendig. Ein hohes Tetanusrisiko besteht in folgenden Fällen: bei tiefen und/oder verschmutzten Wunden (mit Staub, Erde, Speichel oder Stuhl), bei Verletzungen mit Gewebezertrümmerung und reduzierter Sauerstoffversorgung oder Eindringen von Fremdkörpern (z. B. Quetsch-, Riss-, Stichverletzungen). Hier sollten Tetanusimmunglobuline (Anti-T-IgG) zusätzlich gegeben werden, falls der Patient < 3 Dosen Tetanusimpfdosen hat oder die Anzahl der Impfdosen unbekannt ist. Unabhängig vom Impfstatus sollte Anti-T-IgG bei Patienten mit einer signifikanten humoralen Immundefizienz oder medikamentöser Immunsuppression gegeben werden. Anmerkung: Der 2+1-Impfplan ist nicht minderwertig! Kinder und Jugendliche, die gemäss Schweizer Impfplan up-to-date sind, brauchen im Verletzungsfall keine Tetanus-PEP. Bei Patienten der Altersgruppen 4 bis 7 Jahre sowie 11 bis 14 Jahre, die noch keine Wiederholungsimpfung erhalten haben, sollte gerade im Notfall eine Auffrischung durchgeführt werden. Bei Verletzungen von jungen Säuglingen vor Beginn der Grundimmunisierung ist der Impfstatus der Mutter in der Schwangerschaft (Wiederholungsimpfung: dTpa) zu erfragen. Falls die Mutter keine Wiederholungsimpfung in der Schwangerschaft bekommen hat, kann beim jungen Säugling Tetanustoxin-IgG bestimmt werden. Beträgt der Titer > 0,1 IU/ml, kann auf eine PEP (Tetanusimmunglobuline) verzichtet werden. Tollwut: Die Schweiz gilt seit 1999 offiziell als frei von terrestrischer Tollwut. Gegenwärtig beschränkt sich das Risiko einer autochthonen Übertragung des Tollwutvirus auf die Exposition mit infizierten Fledermäusen oder illegal aus enzootischen Gebieten einge-
AB
E CD
Abbildung 2: 22-monatiges Kind; Hundebissverletzung im Gesicht mit operativer Versorgung (Spülung, Drainage, Wundverschluss [A-D]), Verlauf nach 4 Wochen (E).
AB
C
D
Abbildung 3: 9-jähriges Kind; Katzenbissverletzung volares Handgelenk (A); im Verlauf zunehmende Schwellung und Entzündungszeichen bis Cellulitis (B); operative Versorgung (Spülung, Drainage [C]); Verlauf nach 5 Wochen (D).
Tabelle 1:
Wichtige Angaben bei der Erstkonsultation bzw. bei Beginn der Behandlung
Anamnese
Zeitpunkt, Ort (Kanton), Ursachen der Bissverletzung
Tier Art, Besitzer, auffällige Symptome beim Tier, Impfstatus (Tollwut)
Kind
Grundkrankheiten, Immunsuppression, Splenektomie/funktionelle
Asplenie, Fremdkörper, Implantate
Impfstatus
Klinische
Fotodokumentation
Untersuchung systemische Symptome (Fieber, Schmerzen, Sepsiszeichen)
Lokalisation, Art/Ausmass der Wunde, Fremdkörper
Entzündungszeichen, Lymphadenopathie, Lymphangitis
Schwellung, Durchblutung (Gefässverletzung, Kompartment-
syndrom)
Beweglichkeit der Gelenke
Ausfälle Muskel, Nerven, Sehnen
Diagnostik
Labor nur bei infizierten Wunden mit systemischen Zeichen und/
oder bei Immunsupprimierten: Blutbild, Entzündungsparameter,
Blutkultur
Mikrobiologie: Abstriche, ggf. erst intraoperativ
(Vermerk: Biss durch welche Spezies)
Radiologie (Röntgen/MRI): interdisziplinärer Entscheid gemäss
Ausmass der Verletzung und klinischem Befund
führten Tieren. Eine PEP ist indiziert bei perkutaner Exposition (Bisse, Kratzer, Lecken über verletzte Hautstellen) sowie bei mukosaler oder inhalativer Ex-
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Ab
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Tabelle 2:
Infektionsrisiko nach Spezies und Lokalisation am Körper
Spezies Infektionsrisiko Katze 30–50% Hund 5–25% Mensch 15–25%
Lokalisation der Bissverletzung Gesicht 4–11% Hand 18–36% Arm 17–20% Bein 7–15%
Tabelle 3:
Risikokonstellationen für komplizierten Verlauf
Biss (Spezies)
Katzenbiss, Menschenbiss
Art der Bisswunde Lokalisation im Gesicht, an Händen,
Füssen oder Genitalien
Tiefe, Stichverletzung (vor allem
Katzenzähne)
ausgeprägte Gewebezerstörung,
Ödem, gestörte Durchblutung
Verdacht auf Gelenk-/Knochen-
beteiligung
Patient
Immunschwäche (primär, sekundär)
Fremdkörper/Implantate
position mit Tollwutviren durch Landsäugetiere in oder aus enzootischen Gebieten oder durch Fledermäuse. Das gilt für alle Bissverletzungen (auch geringfügige) sowie für die Exposition in einem geschlossenen Raum (z. B. wenn Personen aus dem Schlaf erwachen und eine lebende, kranke oder tote Fledermaus im Zimmer vorfinden). Alle Verletzungen, die durch ein tollwutverdächtiges Tier verursacht wurden, müssen möglichst schnell gereinigt und behandelt werden. Verletzungen während 15 Minuten mit Seife und Wasser auswaschen. Wenn möglich mit einem viruziden Desinfektionsmittel desinfizieren. Bei zuvor ungeimpften Personen sind 4 aktive Impfdosen an den Tagen 0, 3, 7 und 14 sowie anschliessend eine serologische Kontrolle am Tag 21 notwendig. Eine zusätzliche passive Immunisierung mit der Gabe von humanem Tollwutimmunglobulin (human rabies immunoglobulin [hRIG]) ist indiziert bei zuvor ungeimpften Personen (< 2 Dosen) mit Verletzungen der WHO-Kategorie II (Knabbern an unbedeckter Hautoberfläche, oberflächliche Kratzer oder Abschürfungen ohne Blutung) oder III (einzelne oder mehrfache Bisse oder Kratzer, welche die Haut durchdringen, Kontamination der Schleimhäute oder von erodierter Haut mit Speichel nach dem Lecken durch ein Tier, Exposition durch direkten Kontakt mit Fledermäusen). Erstversorgung der Wunde Nach der Anamneseerhebung stehen Wundreinigung und -exploration im Vordergrund. Hierbei sollte die Bisswunde zunächst abgewaschen, dann desinfiziert und gründlich mit steriler Natriumchloridlösung gespült werden (8). Gerade um eine gründliche erste Wundreinigung und eine sorgfältige Wundexploration sicherzustellen, ist bei jungen Kindern bis zum Kindergartenalter die Erstversorgung im Operationssaal unter Vollnarkose durchzuführen (Abbildung 2). Besteht der Verdacht auf eine in die Tiefe gehende Verletzung, allenfalls mit Beteiligung von Sehnen, Nerven oder Gefässen oder mit der Affektion eines Gelenks, ist die primäre Versorgung im Operationssaal unerlässlich. Hundebisswunden (Riss- und Quetschwunden) sollten immer ausgiebig gesäubert und exploriert werden. Avitales Gewebe muss débridiert und in Mitleidenschaft gezogene Wundränder müssen gegebenenfalls angefrischt werden (4). Wunden nach Katzenbiss zeigen sich äusserlich wenig dramatisch, sind aber als sogenannte «puncture wounds» gefährlich, da häufig tiefere Strukturen verletzt sind und sich die Haut oberhalb der kontaminierten Wunde nach dem Punktionstrauma durch die spitzen Zähnen wieder schliesst (Abbildung 3) (3). Bei dieser Art Wunden kann eine forcierte Wundspülung kontraproduktiv sein, da die Spülflüssigkeit keine Möglichkeit hat abzufliessen. Eine Verletzung tiefer gelegener Strukturen muss sicher ausgeschlossen werden, wie beispielsweise eine Gelenkseröffnung bei einem Katzenbiss an der Hand oder eine Sehnenverletzung. Bei Bissverletzungen an der Innenseite der Finger, der Handfläche sowie des palmaren Handgelenks muss an die anatomische Besonderheit der gemeinsamen Sehnenfächer der Strecksehnen gedacht werden, innerhalb deren sich eine Infektion schnell ausbreiten kann und ein Risiko für funktionelle Spätfolgen besteht (3, 7). Bei klinischen Hinweisen für eine Handphlegmone sind eine operative Wundrevision und -spülung sowie eine antibiotische Behandlung notwendig. Bei Bisswunden an Risikolokalisationen, wie an den Händen oder im Gesicht, sollte eine stationäre Überwachung erwogen werden. Betroffene Extremitäten sollten ruhig gestellt werden, um die Wundheilung zu unterstützen. Bei ausgedehnten oder tiefen Wunden sowie bei Verdacht auf eine Verbindung zu knöchernen Strukturen empfiehlt sich eine radiologische Beurteilung. Zum einen lassen sich so ossäre Verletzungen finden, zum anderen besteht bei tiefen Bissverletzungen die Gefahr, dass ein abgebrochener Zahn als Fremdkörper in der Wunde verbleibt und andernfalls nicht entdeckt wird (9, 10). Ultraschall und MRI sind bei Ver- 6 SZD 1/2022 FORTBILDUNG ZUM SCHWERPUNKT Tabelle 4: Typische Erreger lokaler Wundinfektionen Aerobe Bakterien Anaerobe Bakterien Hundebiss Katzenbiss Menschenbiss Pasteurella spp. Pasteurella spp. Streptococcus spp. Pasteurella multocida Streptococcus spp. Staphylococcus spp. (inkl. MRSA) Streptococcus spp. Staphylococcus spp. (inkl. MRSA) Eikenella corrodens Staphylococcus spp. (inkl. MRSA) Moraxella spp. Neisseria spp. Bartonella henselae Capnocytophaga canimorsus Fusobacterium spp. Fusobacterium spp. Bacteroides spp. Bacteroides spp. Bacteroides spp. Porphyromonas spp. Porphyromonas spp. Prevotella spp. Prevotella spp. dacht auf Infektionen der tiefer gelegenen Weichteile, der osteoartikulären Strukturen oder bei einem vermuteten Abszess indiziert (9). Wundnaht – ja oder nein? Kontrovers diskutiert wird die Frage, ob Bissverletzungen genäht werden sollten oder nicht. In der Literatur gibt es unterschiedliche Antworten auf die Frage, ob ein primärer Wundverschluss das Infektionsrisiko erhöht oder nicht (12–14). Bisher durchgeführte Studien haben nur kleine Patientenzahlen. Randomisierte, kontrollierte Studien gibt es nicht, sodass eine hochgradig evidenzbasierte Aussage nicht möglich ist. Konsensus besteht, dass Wunden, welche bereits infiziert sind, sowie Wunden bei Patienten, die mit einer Verzögerung von über 12 Stunden vorstellig werden, nicht genäht werden sollten (3, 8). Generell sollten bei der Nahtversorgung einer Bisswunde keine subkutanen Nähte mit resorbierbarem Fadenmaterial eingesetzt werden (3, 12). Ebenso ist die Anwendung von Gewebeklebern nicht indiziert (12). Typische Ausnahmen, bei denen eine Wundnaht indiziert sein kann, sind Bisswunden im Gesicht. Bei primärem Wundverschluss ist eine antibiotische Behandlung unbedingt empfehlenswert (12), ebenso die Einlage von Drainagen. Infektionsrisiko Bei einem grossen Anteil (30 – 60%) der Wundinfektionen handelt es sich um aerob-anaerobe Mischinfek- tionen. Sie werden meist durch die Übertragung oraler Bakterienflora der beissenden Tiere, seltener durch Vertreter der Hautflora des Gebissenen oder durch Umweltbakterien verursacht (Tabelle 4). Durch Bissverletzung können auch Erreger übertragen werden, die systemische Infektionskrankheiten verursachen (Tabelle 5). Alle Bissverletzungen stellen kontaminierte Wunden dar, weswegen eine adäquate Erstversorgung mit gründlicher Wundreinigung von höchster Bedeutung ist. Das Infektionsrisiko ist nach einem Katzenbiss deutlich höher als nach einem Hundebiss (Tabelle 2) (8, 11). Hierbei können Katzenbisse bereits nach 12 bis 24 Stunden Hinweise auf einen Wundinfekt zeigen, während diese bei Hundebissen häufig erst nach 24 bis 48 Stunden auftreten (7). Bei kleineren Wunden erfolgt die Erstvorstellung häufig verzögert. Gründe für das Aufsuchen eines Arztes sind meistens die Symptome eines Wundinfektes: Schwellung, Rötung und Schmerzen. Seröses oder purulentes Wundsekret kann ebenfalls auffallen. Infektionen mit P. multocida manifestieren sich häufig bereits wenige Stunden nach der Bissverletzung mit sehr ausgeprägten Schmerzen, Schwellung und Rötung. Infektionen mit Streptokokken und/ oder Staphylokokken haben eine längere Manifestationszeit (bis zu Tagen) mit weniger Schmerzen und Schwellung, jedoch häufiger mit diffuser Rötung. In der Regel haben Patienten mit einem lokalisierten Wundinfekt kein Fieber, und nur in etwa einem Fünf- Tabelle 5: Erreger systemischer Infektionskrankheiten nach Bissverletzung Hund Katze Leptospira Bartonella henselae Rabies Francisella tularensis Clostridium tetani Francisella tularensis Mensch Affe HBV Herpes simiae HCV (Herpes-B-Virus) HIV Treponema pallidum Ratte, Nager Spirillum minus Streptobacillus moniliformis Leptospira Reptilien Salmonella spp. Yersinia spp. S. marcescens Aeromonas spp. 8 SZD 1/2022 FORTBILDUNG ZUM SCHWERPUNKT Tabelle 6: Empirische Behandlung von Bissen nach Spezies Hund, Katze, Mensch (inkl. Schwein, Pferd, Schaf) oral Amoxicillin-Clavulansäure (2 × 25 mg/kg KG p.o., max. 2 g/Tag) IgE- vermittelte Penicillinallergie: Clindamycin (3 × 10 mg/kg KG p.o., max. 1,8 g/Tag) UND Trimethoprim-Sulfamethoxazol (2 × 5/25 mg/kg KG p.o., max. 2 Tabl. à 800/160 mg/Tag) parenteral Amoxicillin-Clavulansäure IgE-vermittelte Penicillinallergie: Clindamycin und Ciprofloxacin Dauer präventiv: 3 Tage leichte Infektion: 5 Tage komplizierte Infektion: infektiologisches Konsilium Kommentar Zellulitis/Abszess: 7–10 Tage Tenosynovitis: 14–21 Tage Osteomyelitis; 3–4 Wochen Arthritis: 2–3 Wochen Affe Cave: Herpes-B-Virus (asiatische Makaken-Arten) oral antibakteriell: s. oben; antiviral: Valaciclovir parenteral s. oben Dauer s. oben Kommentar antivirale PEP mit Valaciclovir: 14 Tage infektiologisches Konsilium bei klinischen Hinweisen für eine systemische Infektion Ratten, Nager oral prophylaktisch: Penicillin oder Doxycyclin parenteral therapeutisch: Penicillin oder Ceftriaxon oder Doxycyclin Dauer s. oben Kommentar – Reptilien oral Amoxicillin-Clavulansäure (2 × 25 mg/kg KG p.o., max. 2 g/Tag) IgE-vermittelte Penicillinallergie: Metronidazol und Levofloxacin parenteral Ceftriaxon und Metronidazol Dauer s. oben Kommentar – PEP: Postexpositionsprophylaxe Dosierungen auch unter: www.swisspeddose.ch tel der Fälle entsteht eine begleitende lokoregionäre Lymphangitis mit oder ohne Lymphadenitis (3). Insbesondere Wunden an den Händen haben ein deutlich erhöhtes Infektionsrisiko (3). Durch die besondere Anatomie der gemeinsamen Sehnenscheiden der Flexoren können sich Infektionen in der Hohlhand rasch ausbreiten (Hohlhandphlegmone), was verheerende Folgen haben kann. Für Wunden im Gesicht und im Halsbereich finden sich unterschiedliche Daten. Einerseits scheint die sehr gute Durchblutung das Risiko für einen Infekt zu vermindern (3, 12, 13), andererseits werden besonders diese Wunden häufiger primär genäht, um ein besseres kosmetisches Ergebnis zu erreichen (14). Infizierte Wunden müssen, nach mikrobiologischem Abstrich, desinfiziert, gespült und wenn notwendig débridiert werden. Handelt es sich um eine primär genähte Wunde, ist es ratsam, die Fäden zu entfernen, um das Wundsekret abfliessen zu lassen. Neben den lokalen Massnahmen ist eine antibiotische Behandlung hier unerlässlich, wobei diese in der Regel zunächst empirisch entsprechend dem typischen Erregerspektrum (Tabellen 4 und 5) erfolgt. Nach Erhalt der Kulturen sollte nach interdisziplinärer Fallbesprechung mit einem Kinderinfektiologen die weiterführende Therapie festgelegt werden (3, 9, 12). Menschenbisse: Wunden durch Menschenbisse haben ein Infektionsrisiko von bis zu 50 Prozent. Bei Kindern muss an die Möglichkeit einer Misshandlung gedacht werden, wenn sich Spuren eines adulten Gebisses finden. Bissverletzungen am Handrücken, welche im Zuge eines Faustschlags auftreten (fight-bite), sind aufgrund des dünnen Weichteilmantels über Knochen und Sehnen besonders infektionsgefährdet. Radiologisch müssen Frakturen und verbleibende Fremdkörper ausgeschlossen werden (9, 10). Die Übertragung von Viren (HIV, HBV, HCV) sollte bedacht werden. Bei Kindern spielt hier primär eine mögliche Übertragung von HBV eine Rolle. Infektionen mit HCV und/oder HIV sind nur bei ausgeprägter Risikokonstellation (infizierter Verursacher und extreme Bisswunde) relevant. Ein kinderinfektiologisches Konsil ist hier immer empfehlenswert. Eine Testung auf HBsAg beim Verursacher beziehungsweise auf Anti-HBs-Antikörper beim Opfer sollte in solchen Situationen bereits antizipiert werden. Affenbisse: Neben dem polymikrobiellen bakteriellen Erregerspektrum ist bei Makaken (Familie Meerkatzenverwandte; vor allen in Asien vorkommend) die mögliche Übertragung des Herpes-B-Virus (Herpesvirus simiae) wichtig. Kommt es zu einer Krankheitsmanifestation beim Menschen, ähnelt diese dem Bild der Herpes-simplex-Virus-Enzephalitis mit einer hohen Mortalitätsrate. Prophylaktische antimikrobielle Behandlung Eine antimikrobielle Prophylaxe aufgrund einer erhöhten Risikokonstellation für einen komplizierten Verlauf (Tabellen 2 und 3) wird wie folgt empfohlen: s Bissverletzung an Händen, Füssen, Gesicht, Geni- talien, in der Nähe von Knochen und/oder Gelenk s Bissverletzung mit Punktionswunden (z. B. Katzen- biss) s Bissverletzungen bei immunkompromittierten Personen s «crush-injuries» und schwere Verletzung mit pri- märem Wundverschluss. Die Dauer der Prophylaxe beträgt 3 Tage (Antibiotika siehe Tabelle 6). Therapeutische antimikrobielle Behandlung Tabelle 6 fasst die entsprechenden Behandlungsarten nach Bissverletzung zusammen. Dosisangaben sind auch unter www.swisspeddose.ch zu finden. SZD 1/2022 9 FORTBILDUNG ZUM SCHWERPUNKT Eine parenterale Therapie sollte in folgenden Situationen erfolgen: s bei Patienten mit primärer oder sekundärer Im- munsuppression, mit Fremdkörper in situ, mit anatomischer/funktioneller Asplenie s orale Aufnahme nicht gewährleistet s Anzeichen einer systemischen Infektion, Sepsis s Verdacht auf Arthritis, Osteomyelitis, Sehnenscheidenentzündung, Myositis, nekrotisierende Weilteilinfektion s rasche Ausbreitung eines Erythems, Ödem s Progredienz der Symptome nach 48 Stunden trotz initial begonnener oraler antimikrobieller Therapie. Die Umstellung auf eine orale Therapie sollte erfolgen, sobald eine klinische Verbesserung des Allgemeinzustands zu verzeichnen und eine orale Aufnahme von Medikamenten möglich ist. Follow-up In jedem Fall sind bei allen Tierbissen kurzfristige Verlaufskontrollen nach 24, spätestens 48 Stunden notwendig (3). Anzeichen für einen Wundinfekt soll- ten rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Je nach Lokalisation und Ausmass der Wunde kann im weiteren Verlauf eine intensive Narbenbehandlung mit Kompressionsverbänden und allenfalls korrigie- rendem Zweiteingriff notwendig sein. Serologische Verlaufskontrollen (HIV/HBV/HCV) sind bei Risiko- konstellationen nach Menschenbissverletzung sinn- voll. s Literatur: 1. Garvey EM et al.: Morbidity of pediatric dog bites: a case series at a level one pe- diatric trauma center. J Pediatr Surg. 2015;50(2):343-346. 2 https://www.bfu.ch/de/die-bfu/medien/statistik-der-nichtberufsunfaelle-1, Seite 52 TViHuFnUuA, Durchschnitt 2021–2016. BFU, 2021. 3. Bula-Rudas FJ, Olcott JL: Human and Animal Bites. Pediatr Rev. 2018;39(10):490- 500. 4. Aziz H et al.: The current concepts in management of animal (dog, cat, snake, scor- pion) and human bite wounds. J Trauma Acute Care Surg. 2015;78(3):641-648. 5. McLoughlin RJ et al.: Hospitalizations for pediatric dog bite injuries in the United States. J Pediatr Surg. 2020;55(7):1228-1233. 6. 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Tabaka ME et al.: Predictors of infection from dog bite wounds: which patients may benefit from prophylactic antibiotics? Emerg Med J. 2015;32(11):860-863. Korrespondenzadresse: KD Dr. med. Michael Büttcher Leitender Arzt Pädiatrische Infektiologie & Pädiatrie Leiter Pädiatrische Infektiologie Spitalstrasse 6000 Luzern 16 E-Mail: michael.buettcher@luks.ch Die Co-Autorin, Dr. med.Adriana König, ist Oberärztin Kinderchirurgie am Kinderspital Luzern. Interessenlage: Die Autoren erklären, dass keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit diesem Beitrag bestehen. 10 SZD 1/2022