Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Dass unsere Überzeugungen und unser Wissen auf Sand gebaut sind, zeigt die Sache mit … dem Sand. Dachten wir doch immer, Kriminellen gehe es nur um Geld, Gold oder Diamanten. Den Rohstoffgangstern allenfalls noch um Palladium, Tantal, Lithium, Kupfer, Kobalt, Rhodium, Lanthan, Neodym und andere exotische Substanzen. Falsch. Sand gibt’s zwar … na ja, eben, wie Sand am Meer, will heissen: unendlich viel, jedenfalls genug für alle. Und trotzdem: Wertlos sind die Körnchen nicht. Sand mag zwar der per Kilogramm wertloseste Rohstoff sein, dafür wird er in riesigen Mengen abgebaut. In Dutzenden Ländern (etwa in Nigeria) werden Flüsse, Strände, Meere leergebaggert: jährlich mehr als 50 000 000 000 (Milliarden) Tonnen. Für die Beton-, die Asphaltoder die Glasindustrie. Eigentlich ziemlich clever, die Sand-Mafiosi: Man traut ihnen alles Mögliche zu, aber nicht umweltzerstörende Geschäfte ausgerechnet mit jenem Sand, in welchen wir so gern unseren Kopf stecken.
sss
Der nachbarliche Hundefreund zum wie immer – nur heute ausnahmsweise vergeblich – auf die Reste vom Tisch wartenden «Goldie» (Golden Retriever) namens Luna (2021 war Luna übrigens der beliebteste Name bei weiblichen Hunden, Katzen und sogar Pferden): «So ist das Leben. Manchmal bleibt einfach nichts für einen übrig.» Luna zeigt eine sehr menschliche Reaktion: totales und ziemlich entrüstetes Unverständnis für eine mutwillige Ressourcenverknappung.
sss
Einer der ödesten Sätze dieses Jahres: Wir müssen mit dem Virus leben.
sss
Warum ist eigentlich alles personalisiert Negative männlich? Der Tod, der Teufel, der Henker, der Dämon, der Zombie, der Vampir, der Werwolf, der Alien, der Weisse Hai. Eine aus Gendersicht skandalös einseitige Sicht auf die Welt und ihre Un-Wesen. Der Gegenpol ist angeblich nett und schön: die Fee, die Elfe, die Liebe, die (Mutter) Erde, Fortuna, Justitia, Venus, Victoria. Warum keine Teufelin, Henkerin, Zombine, Vampirin, Werwölfin, Alienin, Haiin? Die Welt ist eben sexistisch: Männer sind böse, Frauen lieb und nett. Meistens jedenfalls. Immerhin, wenige Ausnahmen gibt’s: Der Engel ist männlich, allerdings eher androgyn. Und die Hexe ist eine Frau, wenn auch physiognomisch eher maskulin.
sss
Promotionstext für die Autobiografie eines Prominenten: «Alles, was ich bisher nie gefragt wurde, will ich in meinem Buch beantworten.» Beneidenswert, so viel Selbstvertrauen und Ehrgeiz. Der Prominente hat offensichtlich die Flucht nach vorn angetreten, im Sinne von: Was, kein Schwein interessiert sich für mein Leben? Na, euch werde ich’s aber erzählen! ICH stelle die Fragen, und ICH gebe die Antworten. Und ähm … ICH werd’s auch lesen …
sss
Man muss das Fremdwort Euphemismus nicht kennen. Wissen, was es bedeutet, wäre hingegen schon wichtig. Euphemismen dienen der Beschönigung (manchmal auch der Aufwertung) unangenehmer Umstände, Wahrheiten oder Wörter. Mitarbeiter werden nicht entlassen, sondern freigestellt, alte Häuser nicht abgerissen, sondern zurückgebaut, Konkurrenten werden zu Mitbewerbern, das Gebiss wird zu den «dritten Zähnen», der Hauswart zum
Facility-Manager, die Bilanzfälschung zur kreativen Buchführung. Ein lustiges Beispiel (vermutlich erfunden): Im von fremdländischen Kriminellen geplagten Schweden nennt man «Zugewanderte» neuerdings «Angehörige nicht skifahrender Nationen».
sss
Ein Satz zum Thema Liberalismus: Wer Verantwortung mit dem Hinweis auf Selbstverantwortung auch dort auf den Einzelnen abschiebt, wo der Einzelne Verantwortung allein gar nicht wahrnehmen kann oder nur, indem er der Allgemeinheit schadet, ist kein Liberaler, sondern ein Feigling.
sss
Der Unterschied zwischen Amerikanern, Chinesen, Europäern und Deutsch(sprachig)en? Amerikaner wollen die Wirtschaft der Welt beherrschen. Chinesen wollen der Welt beweisen, dass ihr System erfolgreicher ist. Europäer geben sich damit zufrieden, dass ihnen die Welt einmal gehört hat und sie deshalb immer noch die Reichsten sind. Deutsche und Schweizer hingegen wollen die Welt retten. Nichts weniger. Egal wovor, womit und wie und was das kostet.
sss
Und das meint Walti: Hinter jedem stolzen Veganer steht eine enttäuschte Oma.
Richard Altorfer
58 ARS MEDICI 3 | 2022