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PARTNER INDUSTRIE
Von Abbott zu AbbVie
«Das Wichtigste ist unser spezieller Fokus auf den Patienten»
Interview mit dem Geschäftsführer Dr. med. Patrick Horber
Im Gegensatz zu etlichen anderen neuen Firmen ist AbbVie nicht das Resultat einer Fusion, sondern das einer Unternehmensseparation. Im 125. Jahr des Bestehens von Abbott löste sich AbbVie vom ursprünglich diversifizierten Konzern ab. Mehr zu Hintergründen, Herausforderungen, den Zielen und der Aufstellung des jungen Unternehmens berichtet im Interview Geschäftsführer Dr. med. Patrick Horber.
ARS MEDICI: Früher kannte man Abbott, seit einiger Zeit gibt es nun daneben AbbVie – wie kam es dazu und was steckt dahinter? Patrick Horber: Der ehemals pharmazeutisch forschende Teil von Abbott hat sich seit 1.1.2013 offiziell als eigenständiges Unternehmen AbbVie etabliert – mit dem Ziel, zukünftig stärker im Bereich Forschung und Entwicklung zu fokussieren und einen grösseren Anteil der Erträge in diesen Bereich reinvestieren zu können. In Zahlen: Bei Abbott sind 10 Prozent des Pharmaumsatzes in Forschung und Entwicklung geflossen, 2013 waren es bei AbbVie bereits 15 Prozent und letztlich
Stabilität aufgebaut und diese um Biotechspirit, Innovationskraft und Dynamik bereichert. Heute definieren wir uns als biopharmazeutisches Unternehmen. Zum einen machen wir den grössten Teil unseres Umsatzes mit einem Biologikum, zum anderen sind, auf die nächsten fünf Jahre gerechnet, auch 30 bis 40 Prozent der Produkte in der Pipeline Biologika. So sind wir als freies Unternehmen in einem dynamischen Markt gut aufgestellt.
ARS MEDICI: Was zeichnet AbbVie aus? Horber: Das Wichtigste ist unser spezieller Fokus auf den Patienten. Wir leben das, indem wir insbesondere in Bereichen forschen, in denen die bisherigen Therapieoptionen unzureichend sind. Dazu zählt auch das Engagement im Bereich der Orphan Diseases sowie die Prüfung unserer Produkte für Kinder, für die es oft wenig geprüfte Optionen gibt. Es geht immer um ein Gesamtangebot: Wir wollen zum einen, dass neue Therapieoptionen möglichst schnell verfügbar wer-
«Unser Service soll den Ärzten die Behandlung erleichtern, um diese letztlich für die Betroffenen so effizient und angenehm wie möglich zu gestalten. »
streben wir Bereiche bis 21 Prozent an – wie in den Top-Biotech-Unternehmen.
ARS MEDICI: Wie definiert sich AbbVie heute? Horber: Wenn man nicht mehr Teil von etwas, sondern eine eigenständige Einheit ist, kann man auch die Unternehmenskultur anders aufstellen. Wir haben auf die 125-jährige Erfahrung Abbotts als grösserem Pharmaunternehmen mit finanzieller
den. Zum anderen initiieren wir ergänzend Patientsupport-Programme. Unser Service soll den Ärzten die Behandlung erleichtern, um diese letztlich für die Betroffenen so effizient und angenehm wie möglich zu gestalten. Dafür bemühen wir uns in engem Kontakt mit Ärzten und Patientenvereinigungen herauszufinden, was wirklich benötigt wird. Wir versuchen beispielsweise – besonders in für uns neuen Indikationen –
Patrick Horber
mit sogenannten Patient journeys die Bedürfnisse bestmöglich zu verstehen und Lösungen zu suchen: Was bedeutet es für einen i.v. Drogenabhängigen unter Substitution eine Hepatitis-C-Behandlung zu beginnen und durchzustehen? Die daraus resultierenden Angebote sind vielfältig, beispielsweise Informationen, Unterstützung im praktischen Handling durch geschulte Nurses, ein gezieltes Training ...
ARS MEDICI: In welchen Bereichen engagiert sich das Unternehmen? Horber: Wir sind in vier grossen Gebieten aktiv – das sind die Virologie, die Immunologie, die Onkologie und der Bereich der Neurosciences – und dabei unterschiedlich aufgestellt. In der Virologieforschung blicken wir auf einen langjährigen Erfahrungsschatz zurück. Als eines der ersten Unternehmen haben wir im Bereich HIV geforscht und einen der ersten Proteasehemmer auf den Markt gebracht. Für uns noch neu, aber sehr wichtig, ist die Hepatitis C; deshalb
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waren wir auch am Europäischen Hepatologenkongress präsent. Schon seit einiger Zeit sind wir im Bereich der Immunologie aktiv, spezifisch in der Rheumatologie, der Gastroenterologie mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sowie in der Dermatologie mit der Psoriasis. Auch tätig sind wir im Bereich der Neurosciences, aktuell beim Morbus Parkinson, forschend bei der Schizophrenie und Multipler Sklerose – bei letzterem könnte 2016 etwas auf den Markt kommen. Dazu kommen Forschungen im Bereich der Onkologie, zunächst bei CLL, Multiplem Myelom, Brustkrebs und Lungenkarzinom. Auch in der Nephrologie, in der wir schon jetzt vertreten sind, werden aktuell weitere Moleküle erforscht.
ARS MEDICI: Welche Rolle spielt der Standort Schweiz für Ihre Forschung und Entwicklung? Horber: Wir haben weltweit fünf eigene Forschungszentren: in den USA, in Deutschland und in China. Daneben gibt es Kooperationen mit anderen Unternehmen, mit Universitäten sowie grösseren Forschungszentren. Wir versuchen, zu vielversprechenden Molekülen im Anfangsstadium der Entwicklung beizutragen oder diese sogar in unser Unternehmen zu holen. In der Schweiz sind wir als Vertriebsgesellschaft präsent und zusätzlich mit Phase-IIund III-Studien stark vertreten, denn die Schweiz bietet im Bereich der Studien eine hohe Qualität. Im Studienprogramm zur Hepatitis C waren vier Schweizer Studienzentren involviert.
ARS MEDICI: Stichwort Hepatitis C. AbbVie war am EASL, dem europäischen Kongress der Hepatologen, mit vielen positiven Resultaten zu HCV präsent – wie wichtig ist das Therapiegebiet für AbbVie? Horber: Hepatitis C ist ein wichtiges neues Forschungsgebiet für uns, denn die bisherigen Therapieoptionen sind unbefriedigend. Unser HCV-Programm ist mit 2700 eingeschlossenen Patienten in 25 Ländern das bislang umfangreichste durchgeführte Studienprogramm. In London wurden jetzt viel versprechende Ergebnisse unserer Phase-III-Studien mit der ersten Generation der Moleküle vorgestellt. Schon jetzt forschen wir mit einer zweiten Generation von Molekülen ...
ARS MEDICI: Wie geht es jetzt weiter? Wie lange wird es dauern, bis die neuen Therapieoptionen in der Schweiz zur Verfügung stehen werden?
Partner Industrie
Wir sind ihre Kunden, sind täglich auf ihre Produkte angewiesen. Angewiesen darauf, dass sie uns und unseren Patienten qualitativ gute Produkte zu fairen Konditionen liefern. Insofern sind sie eher unsere Partner: die vielen grossen und kleinen Firmen, mit denen wir geschäftlich verbunden sind – vom Datenlieferanten bis zur Pharmafirma. Nur, eigentlich wissen wir sehr wenig über sie. Dabei kann es sicher nicht schaden, seine Partner besser kennenzulernen. In unserer neuen, in unregelmässigen Abständen erscheinenden Serie «Partner Industrie» stellen wir – in der Regel in Form eines Interviews – grössere und kleinere Betriebe vor.
Horber: Wir werden diese Daten jetzt bei Swissmedic, der schweizerischen Zulassungsbehörde, einreichen. Natürlich hoffen wir, dass die Therapien sobald als möglich den Patienten zugänglich gemacht werden können – werden sie doch schon von vielen Betroffenen erwartet. Aber die Entscheidung darüber liegt bei Swissmedic im Rahmen der offiziellen Timelines.
ARS MEDICI: Wie werden diese neuen Therapieansätze die Therapie der HCV und die Entwicklung der Erkrankung beeinflussen? Horber: Aktuell sind etwa 160 Millionen Menschen weltweit mit Hepatitis C angesteckt, in der Schweiz reden wir von 70 000 bis 100 000 Patienten. Weltweit kommen jedes Jahr zwischen 3 und 4 Millionen Infizierte dazu; fast eine halbe Million Menschen sterben jährlich daran – hier ist also wirklich ein Bedarf. Bei den neuen Therapien, die von den verschiedensten Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, gibt es zwei wichtige Aspekte: Zum einen erreichen sie deutlich höhere Ansprechraten, zum anderen kann die Behandlung zukünftig ohne Interferon auskommen. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Virus eliminiert werden kann, bei gleichzeitig besserer Verträglichkeit für die Patienten. Hier gibt es eine grosse Chance, in den nächsten zehn bis zwanzig Jahre die Anzahl Infizierter deutlich zu reduzieren – längerfristig wäre eine Eradikation/ Elimination ein visionäres Ziel.
ARS MEDICI: Zu guter Letzt, was hat Sie daran gereizt, mit AbbVie ein neues Unternehmen aufzubauen? Horber: Ein neues Unternehmen aufzubauen und eine neue Kultur mit einem besonderen Fokus auf Patientenanliegen zu entwickeln, hat mich sehr gereizt. Man redet immer davon, wie schwierig der Zusammenschluss zweier Unternehmen ist – aber ich war sehr überrascht, wie schwierig es ist, ein Unternehmen zu teilen und daraus eines mit einer neuen Kultur zu entwickeln. Die Trennung war eine interessante Erfahrung – wir waren das erste Unternehmen, das so etwas gemacht hat. Heute macht auch Baxter diesen Schritt und ich denke, das wird die Entwicklung der Zukunft sein, um stärker fokussieren zu können und weniger zu diversifizieren. Es war eine grosse Herausforderung, das neue Unternehmen mit dem neuen Spirit aufzubauen. Nach der Separation waren wir 95, jetzt sind wir circa 120 Mitarbeiter und sind insbesondere durch die neue Indikation Hepatitis C gewachsen. Für die Grösse unseres Unternehmens haben wir eine sehr solide Pipeline besonders in Gebieten, in denen zur Zeit gute Behandlungsoptionen fehlen.
ARS MEDICI: Danke für das Gespräch. O
Das Gespräch führte Christine Mücke.
ARS MEDICI: Speziell sind mir die hohen Heilungsraten bei Zirrhotikern aufgefallen. Das waren bislang sehr schwierig zu therapierende Patienten ... Horber: Patienten mit Zirrhose waren tatsächlich bisher sehr schwierig zu therapieren. Mit den neuen Therapien könnte es nun möglich sein, in nur 12 bis 24 Wochen ähnliche Erfolgsraten zu erreichen wie bei Nicht-Zirrhotikern. Dies ist eine wunderbare Nachricht für Patienten mit Leberzirrhose.
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