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Titel
Arsenicum – Kurzferienverbot
Untertitel
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Lead
Schon Goethe wusste: «Alles in der Welt lässt sich ertragen/nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.» Aus gesundheitlichen Gründen sollten Kurzferien verboten werden. All meine Patienten werden dann nämlich krank. Rückfragen bei Kollegen, in der Balintgruppe und am Ärztestammtisch lassen mich vermuten, dass dies epidemiologisch-statistisch hochsignifikant ist. Bereits Pädiater fürchten Pfingsten: Seit 1907, dem Jahr, in welchem Baden-Powell sein erstes Boy-Scout-Camp organisierte, ist jedes Pfingstlager verregnet und alle Pfadis kommen nicht nur schlammverspritzt, sondern auch heiser, hustend und febril zurück. Dass sie sehr, sehr selten mit Hitzschlag, Sonnenbrand und Zeckenstichen heimkehren, ist nur ein statistischer Ausreisser. Seitdem Kinder schlagen strafbar ist und der Santiglaus entrutet wurde, müssen sich die Kleinen am 6. Dezember weniger fürchten.
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Rubriken — ARSENICUM
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kurzferienverbot

S chon Goethe wusste: «Alles in der Welt lässt sich ertragen/nur nicht eine Reihe von schönen Tagen.» Aus gesundheitlichen Gründen sollten Kurzferien verboten werden. All meine Patienten werden dann nämlich krank. Rückfragen bei Kollegen, in der Balintgruppe und am Ärztestammtisch lassen mich vermuten, dass dies epidemiologisch-statistisch hochsignifikant ist. Bereits Pädiater fürchten Pfingsten: Seit 1907, dem Jahr, in welchem Baden-Powell sein erstes Boy-Scout-Camp organisierte, ist jedes Pfingstlager verregnet und alle Pfadis kommen nicht nur schlammverspritzt, sondern auch heiser, hustend und febril zurück. Dass sie sehr, sehr selten mit Hitzschlag, Sonnenbrand und Zeckenstichen heimkehren, ist nur ein statistischer Ausreisser. Seitdem Kinder schlagen strafbar ist und der Santiglaus entrutet wurde, müssen sich die Kleinen am 6. Dezember weniger fürchten. Aber an Auffahrt fordern die Bannumgänge ihre Opfer. Gewehrsalven der Rotten lassen so manchen mit Lärmtrauma zurück, und der Abend schädigt in den meisten Gemeinden die Leber. Kaum besser ist der Muttertag, der nicht nur den Gefeierten auf die Mägen schlägt. Da drohen Hyperglykämien, Gallenkoliken, Nausea und Erbrechen, weil das Mami ihr Zmorge im Bett serviert bekommt, Rührei mit Speck und Aufback-Croissants, und sie doch sonst immer nur ein halber Magermilchjoghurt zu sich nimmt. Weiter geht der Kalorienmarathon beim Mittagessen. Statt selbst gekochten Gschwellti, Siedfleisch und Gemüse wird auswärts gegessen: fettige Pommes, Burger, schlecht gewaschener Salat mit öligem Dressing. Ähnlich schwer im Magen liegt die österliche Lipidattacke – hart gekochte Eier und Süssigkeiten à discretion. Und Ostern beutelt zudem noch die Frommen, die das Hasenpanier ergreifen und so vor den Schoggihasen fliehen wollen. Egal, ob sie ins Heilige Land oder nach Rom zu Urbi et orbi flüchten – sie holen sich auf kalten Steinbänken oder anderswo urogenitale Infektionen und Bronchitiden in historischen Sakralgebäuden – weil sie die Kraft der Sonne und die Heizwilligkeit der Gastgeber überschätzen. Wenigstens kommen sie aber geläutert und gesegnet zurück. Was ja auch das Ziel des Festes der

Liebe wäre: Weihnachten soll Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen bringen. Aber – trotz aller Ehre für Gott in der Höhe – oft bringt es Suff, Streit und Suizidversuche. Silvester ist kaum besser, wenn die Sektlaune in Katerstimmung umschlägt. Das ist zwar bei den Fasnachtstagen auch nicht anders, aber dort ist jedem klar, dass es eine närrische Zeit ist und wir Menschen alle Narren sind. Es darf gelacht werden. Was man am Karfreitag eigentlich nicht tun sollte. Zumindest nicht öffentlich. Die Sitten sind zwar weniger strikt als früher, inzwischen kann man sogar ins Kino oder in die Disco gehen und in der Beiz jassen, aber noch immer herrscht eine gewisse Ruhe. Dass es gesundheitliche Schäden durch exzessives Hören der Matthäus-Passion oder Kirchgang gibt, ist nicht belegt. In der Literatur findet sich auch wenig über das Sichtotgruseln an Halloween. Vielleicht gibt es doch ungefährliche Feiertage? Zum Beispiel der Buss- und Bettag. Da vielen die etymologische Herkunft unklar ist, verbringen sie ihn im Bus oder im Bett. Der Zibelemärit schädigt allenfalls Touristen, die zu viel der Ware verspeisen. Das Knabenschiessen ist für Meitschi ungefährlich, und am Sächsilüte sind Nicht-Zoifter und Nicht-Böögge recht sicher. Viele meiner Patienten versuchen, sich den Gefahren der Feiertage durch Sport zu entziehen – erfolglos. Denn wenn der schlaffe Büromensch plötzlich sportlich wird, treffen ihn Commotio cerebri, Bänder- und Muskelruptur, Fraktur, Muskelkater und Bandscheibenprobleme. Am Ersten Mai zeigt sich, dass Arbeit keineswegs krank macht, sondern allenfalls das ungewohnte Marschieren bei Demonstrationen. Und die Schlägereien mit Ordnungshütern und/oder autonomem Block. Ein Tripelrisiko bietet der erste August: gefährliches Feuer, fettige Würste und Alkohol. Plus vaterländische Reden. Gewöhnliche Wochenenden gewinnen an Gefahrenpotenzial durch Städtereisen. Christophe wollte all das vermeiden und hat daher richtig lang Ferien gemacht. Er war am Mittelmeer, hat sich vorher der ligurischen und der toskanische Küche ausgesetzt und für uns nach seiner Rückkehr am Abend Risotto alla grappa del Papa zubereitet. Und sehr heiter serviert – die Flasche Grappa hatte er beim Kochen halb geleert. Wir haben seinen selbst geschmuggelten Wein getrunken, bis wir – mitten im Binnenland auf seinem Balkon – das Meer rauschen hörten. Morgen wird wieder gearbeitet – schliesslich will man ja nicht krank werden.

ARSENICUM

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ARS MEDICI 9 I 2014