Metainformationen


Titel
Ausgekuschelt
Untertitel
-
Lead
Nicht genug, dass der Schreibende unter der Kontrolle des Layouters (Joooo! Anm. des Layouters) und des Korrektors steht – die folgenden Zeilen musste er zudem noch unter dem strengen Blick von Freddy verfassen. Denn Freddy sass vis-à-vis im Fauteuil, die Augen auf den Computerbildschirm gerichtet. Wahrscheinlich hat es Freddy immer gestört, obwohl er nie etwas gesagt hat, dass für den Schreibenden Christa und Charlotte, genannt Loddy, sehr wichtig waren.
Datum
Autoren
-
Rubrik
Rubriken — ARSENICUM
Schlagworte
-
Artikel-ID
5850
Kurzlink
https://www.rosenfluh.ch/5850
Download

Transkript


MEDIEN, MODEN, MEDIZIN

Ausgekuschelt
N icht genug, dass der Schreibende unter der Kontrolle des Layouters (Joooo! Anm. des Layouters) und des Korrektors steht – die folgenden Zeilen musste er zudem noch unter dem strengen Blick von Freddy verfassen. Denn Freddy sass vis-à-vis im Fauteuil, die Augen auf den Computerbildschirm gerichtet. Wahrscheinlich hat es Freddy immer gestört, obwohl er nie etwas gesagt hat, dass für den Schreibenden Christa und Charlotte, genannt Loddy, sehr wichtig waren. Christa war eine Beauty, wie sie sich jeder Mann wünscht: perfekte Figur mit langen, schlanken Beinen, grosse himmelblaue Augen und lange blonde Haare. Immer gut angezogen. Aus heutiger Perspektive gesehen war sie vielleicht ein wenig langweilig, zwar schön anzusehen, sodass alle einen beneideten, aber nichts für Intellekt oder Gefühl. Abenteuer konnte man nicht mit ihr durchstehen, was man mit Loddy konnte. Die war dick, rothaarig, schielte leicht beim Grinsen (und sie grinste immer) sah man ihre Zahnlücke. Aber Loddy war robust, nichts konnte ihr etwas anhaben, und sie verlieh einem Mut. Doch am nächsten stand dem Schreibenden Freddy. Er, der Teddybär, wurde umklammert, und ohne ihn konnte der Schreibende bis zu seinem neunten Lebensjahr nicht einschlafen, wogegen Christa, die kostbare Porzellanpuppe, abends in ihr Stühlchen in der Ecke des Kinderzimmers gesetzt wurde und die billige Plastikpuppe Loddy ans Fussende des Kinderbettchens. Vom jahrelangen Streicheln und Küssen wurde Freddys Fell kahl. Doch seine Plüschohren waren immer offen für alles, was ihm das Kind hineinflüsterte. Als Therapeuten waren die drei ideal: immer da, absolut verschwiegen, tröstlich und beruhigend. Sie gaben keine unerwünschten Deutungen oder Ratschläge und forderten kein Honorar. Dank ihnen liessen sich die Schrecknisse der Kindheit ertragen – schimpfende Eltern, schwierige Geschwister, treulose Freunde, dunkle Nächte und einsame Tage. Als der Schreibende grösser wurde, verschenkte er die schöne Christa. Er weinte heimlich (denn ein junger Mann wie er weinte doch nicht!), als sich das billige Plastik von Loddy auflöste und ihr Mut machendes Grinsen nur noch in seinem Gedächtnis existierte. Freddy blieb und tat weiter sein gutes Werk. Die Kinder, die in die Praxis des Schreibenden kommen, lieben ihn sofort. Er nimmt ihnen

die Angst. Zusammen mit dem Hund Ralf, einer Handpuppe, die den kleinen Patienten erklärt, was ein Stethoskop oder eine Impfung ist. Oder sich mit dem Kuscheltier des Kindes unterhält. Falls das Kind noch eines haben darf. Denn Kuscheltiere werden heutzutage als unhygienisch, allergieauslösend und gefährlich verunglimpft. Ihr Pelz sei ein Staub- und Schmutzfänger, eine Brutstätte für Erreger und Parasiten, ihre Existenz schädlich für die Seele der Kleinen. Besorgte Mütter vernichten geliebte, schmuddelige Einohrhasen, weil ihnen die Spielzeugindustrie einredet, dass es für die Kindsgesundheit nötig sei, jeden Monat ein neues Kuscheltier zu schenken. Die Kinder besitzen Unmengen von neuen, hygienischen Spielzeugen, zu denen sie aber keine Beziehung mehr haben. Pharmafirmen produzieren plüschige «Sympathieträger» für ihre Produkte, Interessenverbände für ihre Anliegen. Vertreter verkaufen Hausärzten kleine hygienisch verpackte Kuscheltierchen (von Kinderarbeitern in Drittweltländern hergestellt), damit diese sie an ihre kleinen Patienten verschenken, um sie nach Untersuchungen und Spritzen zu trösten. Greifen die Kinder begeistert zu, hindern ihre Mamis sie oft daran und sagen: «Nicht, du bist doch allergisch!» So wird verhindert, dass Tausende von Laxanzien-Elchen, Steroid-Nasenbären und Stop-Disease-Bärlis in liebende Kinderhände kommen. Sie sitzen heute als Dekoration herum. Morgen sind sie altmodisch und werden durch Antitussativa-Bären und Pro-Sanitas-Trolle ersetzt. Aber ab und zu greift eine Kinderhand zu und lässt so ein Kuscheltier nicht mehr los. Selbst wenn das Kind in den Vorraum zum Operationssaal gerollt wird, ist das schmuddelige Vieh im Bett dabei, von einer Kinderfaust gehalten, und spendet Trost, bis die Narkose wirkt. Denn eine starke Lobby von diplomierten Pflegefachleuten und Ärzten, alles ehemalige Kuscheltierkinder, pfeift in dieser Situation auf die Spitalhygiene. Da geht die Kinderseele vor. Gestandene Männer und Frauen erinnern sich dankbar an ihre Floppy-Schäfchen, Dizi-Bären, SteiffKätzli und Plüsch-Dinos, die ihnen Wärme in einer kalten Welt gaben. Ja, Freddy, deine Glasaugen, die noch nicht wegen europäischer Sicherheitsbestimmungen durch angeklebte Filzaugen ersetzt wurden, schauen noch immer auf meinen Bildschirm. Und wenn ich nicht wüsste, dass dein Mund aufgestickt ist, hätte ich geschworen, dass du gerade wie Loddy gelächelt hast, alter Freund.

ARSENICUM

360

ARS MEDICI 7 I 2014