Transkript
STUDIE REFERIERT
Die meisten Hypertoniker benötigen eine Kombinationstherapie
Ergebnisse einer aktuellen Übersichtsarbeit
Obwohl die Vorteile einer guten Blutdruckkontrolle bei Hypertonikern klar nachgewiesen sind, sind über 40 Prozent der Hochdruckpatienten nicht ausreichend eingestellt. Dabei liesse sich der Blutdruck in vielen Fällen normalisieren, allerdings benötigt die Mehrzahl der Hypertoniker hierfür eine Kombinationstherapie.
JOURNAL OF THE AMERICAN SOCIETY OF HYPERTENSION
Die Prävalenz der arteriellen Hypertonie ist weltweit hoch und steigt weiter an. Daten aus dem National Health and Nutritional Examination Survey (NHANES) aus den Jahren 2007 bis 2010 zeigten, dass nahezu 78 Millionen (33%) der erwachsenen US-Amerikaner eine Hypertonie aufwiesen. 81,5 Prozent wussten über ihren Bluthochdruck Bescheid, knapp 75 Prozent wurden aktuell behandelt; bei 52,5 Prozent war der Hochdruck kontrolliert, bei 47,5 Prozent nicht. Eine effektive Blutdrucksenkung geht mit einer Reduktion des kardiovaskulären Risikos einher und ist mit einer
Merksätze
O Bei der Mehrzahl der Hypertoniker ist eine zufriedenstellende Blutdruckkontrolle möglich.
O Jedoch benötigt die Mehrheit der Hochdruckpatienten eine antihypertensive Kombinationstherapie.
O Eine effektive Blutdruckkontrolle führt zu besseren kardiovaskulären Ergebnissen.
Reduktion zerebrovaskulärer Ereignisse und der damit verbundenen Morbidität und Mortalität assoziiert. Nach Expertenschätzungen benötigen die meisten Patienten (ca. 75%) eine Kombinationstherapie, und bei etwa 25 Prozent ist sogar eine Dreifachkombination erforderlich, um die Blutdruckwerte in den Zielbereich zu senken. Frühere Studien, darunter die CASTStudie (Cardiac Arrhythmia Suppression Trial), liessen Zweifel am Konzept der Biomarker als Surrogatparameter in Phase-III-Studien aufkommen. Die CAST-Studie verdeutlicht, dass Surrogatparameter zu falschen Annahmen führen können, wenn keine kardiovaskulären Endpunktdaten vorliegen: In dieser Studie wurde geprüft, ob bestimmte Antiarrhythmika bei Patienten, die vor Kurzem einen Herzinfarkt erlitten hatten, die Mortalität senken können. Es zeigte sich jedoch, dass in der Antiarrhythmikagruppe mehr Todesfälle auftraten als in der Plazebogruppe. Seit der CAST-Studie besteht eine gewisse Skepsis gegenüber Surrogatendpunkten, die in Phase-III-Studien klinische (kardiovaskuläre) Endpunkte ersetzen sollen. Deswegen wurde in vielen grossen randomisierten klinischen Studien und Metaanalysen der letzten Jahre der Zusammenhang zwischen Blutdruckkontrolle und klinischen Ereignissen untersucht.
Review zu Blutdrucksenkung und kardiovaskulären Ereignissen Eine kürzlich publizierte umfangreiche Übersichtsarbeit untersuchte den Zusammenhang zwischen medikamentöser antihypertensiver Therapie, Erreichen der Blutdruckzielwerte und kardiovaskulären (CV) Ereignissen. Hierfür analysierten die Autoren die seit der CAST-Studie (1991) bis Januar 2013 erschienenen Fachartikel. Be-
rücksichtigt wurden auch die durchschnittliche Anzahl der verabreichten Antihypertensiva sowie die Inzidenz unerwünschter Ereignisse, die unter einer antihypertensiven Kombinationstherapie beziehungsweise unter maximal dosierter Monotherapie auftraten. Von 2319 ursprünglich identifizierten Artikeln erfüllten 28 Studien mit insgesamt 226 877 Patienten die Einschlusskriterien und wurden in dem vorliegenden Review berücksichtigt. Davon waren 7 Studien plazebokontrolliert, bei den übrigen 21 Studien handelte es sich um nicht plazebokontrollierte Studien (Therapievergleichsstudien, Kombinationstherapiestudien).
Wie viele Patienten erreichen den Blutdruckzielbereich? In 12 aktiven Vergleichsstudien wurde berichtet, wie viele Patienten die vorab festgelegten Blutdruckzielwerte erreichten (die Blutdruckwerte wurden in der Arztpraxis gemessen). In 10 dieser Studien wurde ein Blutdruckzielbereich unterhalb von 140/90 mmHg definiert (INSIGHT, LIFE, ALLHAT, INVEST, VALUE, ASCOT-BPLA, E-COST, ACCOMPLISH, COPE und OSCAR). Dabei erreichten zwischen 45 Prozent und 75,4 Prozent der Patienten das Blutdruckziel (45% in der LIFE-Studie [mit Atenolol], 75,4% in der ACCOMPLISH-Studie [mit Benazepril/Amlodipin]). In der ALLHAT-Studie (n = 33 357) erreichten nach 5 Jahren 68,2 Prozent, 66,3 Prozent und 61,2 Prozent der Patienten unter Chlorthalidon, Amlodipin beziehungsweise Lisinopril das Blutdruckziel (< 140/90 mmHg). Einige Studien legten einen allgemeinen Blutdruckzielbereich von weniger als 140/90 mmHg sowie spezifische Zielwerte für Diabetiker fest. Dazu zählen die INVEST-Studie (< 130/85 mmHg [Patienten mit Diabetes und Nephropathie]), die ASCOT-BPLA- sowie die ACCOMPLISH-Studie (< 130/80 mm Hg). Der Anteil der Patienten, die dieses Ziel erreichten, lag in diesen Studien bei rund 70 Prozent, 53 Prozent beziehungsweise 74 Prozent.
Durchschnittliche Anzahl der Antihypertensiva am Studienende In vielen Studien mussten mehrere Antihypertensiva eingesetzt werden, um eine adäquate Blutdruckkontrolle
256
ARS MEDICI 5 I 2014
zu erzielen. Die meisten aktiven Vergleichsstudien berichteten, dass die Patienten 2 oder mehr Substanzen erhielten. In der ASCOT-BPLA-Studie (n = 19 257) erreichten 53 Prozent der Patienten das Blutdruckziel (< 140/90 mmHg bzw. < 130/80 mmHg bei Diabetespatienten), 78 Prozent wurden mit 2 oder mehr Antihypertensiva behandelt. In den Studien LIFE, ANBP2, SCOPE, INVEST, VALUE, E-COST, ACCOMPLISH, COPE und OSCAR erhielten zwischen 5 Prozent und 71,5 Prozent 3 oder mehr Medikamente. In der «Landmark»-Studie ALLHAT benötigten 23 Prozent der Patienten 3 oder mehr Antihypertensiva, um das Blutdruckziel von weniger als 140/90 mmHg nach 5 Jahren zu erreichen. In der ACCOMPLISH-Studie mussten 32 Prozent der Patienten mit 3 oder mehr Antihypertensiva behandelt werden.
Kardiovaskuläre Ereignisse In den plazebokontrollierten Studien schnitten die Verumgruppen im Vergleich zu den Plazebogruppen hinsichtlich des primären Endpunkts kardiovaskuläre Ereignisse signifikant besser ab. In diesen Studien wurden folgende kardiovaskuläre Ereignisse berücksichtigt: O letaler und nicht letaler Schlaganfall O Myokardinfarkt O kardiovaskulärer Tod O weitere CV-Ereignisse.
In der SHEP-Studie konnte eine signifikante Reduktion des Risikos für letale und nicht letale Schlaganfälle unter der blutdrucksenkenden Therapie mit Chlorthalidon im Vergleich zu Plazebo nachgewiesen werden (36% relative Reduktion der Schlaganfallinzidenz, p = 0,0003). In 2 Studien ging es um die Schlaganfallprävention. SYST-EUR untersuchte die Schlaganfallprimärprävention, während sich PROGRESS auf die Sekundärprävention konzentrierte. Beide Studien zeigten im Vergleich zu Plazebo eine signifikante Reduktion letaler und nicht letaler Schlaganfälle in den aktiven Behandlungsgruppen (SYST-EUR: Schlaganfälle um 42% reduziert; PROGRESS: Schlaganfälle um 28% reduziert). In den aktiven Vergleichsstudien wurden unterschiedliche Antihypertensiva-
STUDIE REFERIERT
klassen untersucht; sie ergaben ebenfalls einen kardiovaskulären Nutzen. Folgende kardiovaskuläre Endpunkte wurden bewertet: O letaler und nicht letaler Schlaganfall O letaler und nicht letaler Herzinfarkt O Herzinsuffizienz O kardiovaskulärer Tod O koronare Herzkrankheit O Morbidität/Mortalität aufgrund
kardiovaskulärer Erkrankung (CVD).
In der ALLHAT-Studie ergab sich hinsichtlich des primären Endpunkts (kombinierter Endpunkt aus letaler koronarer Herzkrankheit und nicht letalem Herzinfarkt) kein Unterschied zwischen den verschiedenen Behandlungen. In der ACCOMPLISH-Studie zeigten Patienten, die mit einer Kombination aus einem ACE-Hemmer und einem Kalziumkanalblocker behandelt wurden, eine 20-prozentige Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse und kardiovaskulärer Todesfälle. Die LIFEStudie berichtete über einen signifikanten Unterschied hinsichtlich kardiovas-
kulärer Ereignisse (kardiovaskuläre Mortalität, Schlaganfall, Herzinfarkt) zwischen der Behandlung mit einem Angiotensinrezeptorblocker (ARB) und der mit einem Betablocker zugunsten des ARB.
Nebenwirkungen Es wurde keine signifikant höhere Inzidenz an unerwünschten Ereignissen bei der antihypertensiven Mono- beziehungsweise Kombinationstherapie beobachtet. Allerdings wurden in Studien mit niedrigeren Blutdruckzielwerten mehr Medikamente benötigt, um dieses Ziel zu erreichen. In diesen Studien traten mehr Nebenwirkungen auf als in den Studien mit höheren Blutdruckzielbereichen und weniger intensiver Therapie. Jedoch berichtete keine Studie über Nebenwirkungen, die so gravierend waren, dass der Einsatz einer Kombinationstherapie zur Blutdruckkontrolle fraglich erscheint.
Fazit für die Praxis Die Ergebnisse klinischer Studien stützen das Konzept, dass bei den meisten
Hypertonikern eine Blutdruckkontrolle zu erreichen ist. Die Mehrheit der Patienten benötigt für dieses Ziel jedoch 2 oder 3 (oder mehr) Antihypertensiva. In den letzten Jahren wurden die Leitlinien angepasst, sodass die antihypertensive Kombinationstherapie jetzt als Option zur Initialtherapie empfohlen wird. Dieser Ansatz bessert die Chancen für eine rasche Blutdruckeinstellung, ohne die Inzidenz für unerwünschte Ereignisse zu erhöhen. O
Andrea Wülker
Quelle: Bakris G et al.: Review of blood pressure control rates and outcomes. Journal of the American Society of Hypertension 2013; http://dx.doi.org/10.1016/j.jash.2013. 07.009
Interessenlage: Die Autoren geben an, für verschiedene Pharmaunternehmen als Berater und/oder Vortragsreferenten tätig zu sein. Für die Vorbereitung des Manuskripts wurden von Daiichi Sankyo Inc. Forschungsmittel zur Verfügung gestellt. Für die Erstellung des Artikels erhielten die Autoren keine finanzielle Unterstützung.
258
ARS MEDICI 5 I 2014