Transkript
STUDIE REFERIERT
Makrolidantibiotikum bei Kalziumkanalblocker?
Azithromycin bevorzugen!
renschädigung verbunden – solange sie nicht gleichzeitig mit interagierenden Medikamenten angewendet werden. Als primären Endpunkt definierten die Wissenschaftler eine Krankenhauseinweisung aufgrund einer akuten Nierenschädigung. Sekundäre Endpunkte waren eine Hospitalisierung wegen Hypotonie und die Gesamtmortalität. Alle Endpunkte wurden innerhalb von 30 Tagen nach Beginn der gleichzeitigen Applikation evaluiert.
Da Kalziumkanalblocker über das Enzym P 450 3A4 (CYP3A4) metabolisiert werden, kann die gleichzeitige Applikation von CYP3A4-Hemmern zu schweren Nebenwirkungen führen. Clarithromycin ist ein klinisch bedeutsamer Inhibitor des CYP3A4, während Azithromycin dieses nur geringfügig blockiert. In einer populationsbasierten Kohortenstudie wurde das Risiko für akute unerwünschte Wirkungen bei älteren Patienten untersucht, die zusätzlich zu einem Kalziumkanalblocker eines der beiden Makrolidantibiotika erhielten.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION
Kalziumkanalblocker werden über das Enzym Cytochrom P 450 3A4 (CYP3A4) verstoffwechselt. Wird dessen Aktivität blockiert, können die Blutkonzentrationen dieser Antihypertensiva toxische Werte erreichen. In pharmakokineti-
Merksätze
O Kalziumkanalblocker werden über CYP3A4 verstoffwechselt.
O Die gleichzeitige Einnahme CYP3A4-hemmender Medikamente sollte deshalb vermieden werden.
O Clarithromycin ist ein klinisch bedeutsamer CYP3A4-Hemmer.
O Durch Azithromycin wird CYP3A4 nur geringfügig blockiert.
schen Untersuchungen war die gleichzeitige Verabreichung verschiedener CYP3A4-Hemmer wie Erythromycin (Erythrocin®), Antimykotika, Proteaseinhibitoren oder Grapefruitsaft mit einer Erhöhung der Kalziumkanalblockerkonzentration von bis zu 500 Prozent verbunden. In Studien wurde bei gleichzeitiger Verabreichung von Kalziumkanalblockern und CYP3A4-Inhibitoren eine verstärkte Absenkung des Blutdrucks beobachtet. Kommt es dabei zur Hypotonie, besteht die Gefahr einer akuten ischämischen Nierenschädigung aufgrund von Durchblutungsstörungen. Die häufig angewendeten Makrolidantibiotika Clarithromycin (Klacid®, Klaciped® und Generika) und Erythromycin sind klinisch bedeutsame Inhibitoren des CYP3A4, und die Food and Drug Administration (FDA) warnt vor schweren unerwünschten Ereignissen bei gleichzeitiger Verabreichung von Clarithromycin und CYP3A4-Substraten. Azithromycin blockiert CYP3A4 in weitaus geringerem Masse und könnte daher mit einem günstigeren Sicherheitsprofil verbunden sein. Britische und kanadische Wissenschaftler verglichen nun in einer bevölkerungsbasierten retrospektiven Kohortenstudie das Risiko für akute unerwünschte Wirkungen bei älteren Patienten, die während der Einnahme eines der Kalziumkanalblocker Amlodipin (Norvasc® und Generika), Felodipin (Plendil® und Generika), Nifedipin (Adalat® und Generika), Diltiazem (Dilzem® und Generika) oder Verapamil (Isoptin® und Generika) zusätzlich mit Clarithromycin oder Azithromycin behandelt wurden. Beide Makrolidantibiotika wurden bei ähnlichen Infektionen verschrieben und sind mit vergleichbaren Risiken für eine Hospitalisierung aufgrund einer akuten Nie-
Ergebnisse Für ihre Untersuchung identifizierten die Wissenschaftler anhand gesundheitsbezogener Datenbanken in Ontario (Kanada) aus dem Zeitraum von 2003 bis 2012 insgesamt 190 309 Patienten mit einem durchschnittlichen Alter von 76 Jahren, die kontinuierlich mit einem Kalziumkanalblocker behandelt wurden. Von dieser Gesamtkohorte erhielten 96 226 Personen zusätzlich Clarithromycin und 94 083 Azithromycin. Die Patientencharakteristika waren in beiden Gruppen nahezu identisch – inklusive Art und Dosierung des Kalziumkanalblockers. Mehr als die Hälfte der Patienten beider Gruppen erhielt Amlodipin. Die durchschnittliche Dosierung lag entsprechend der jeweiligen Fachinformation bei 1000 mg Clarithromycin täglich über 10 Tage sowie bei täglich 300 mg Azithromycin über 5 Tage. Die Co-Verschreibung von Clarithromycin war im Vergleich zur gleichzeitigen Verabreichung von Azithromycin mit einem höheren Risiko für eine Hospitalisierung aufgrund einer akuten Nierenschädigung verbunden. Unter Clarithromycin trat der primäre Endpunkt bei 0,44 Prozent, unter Azithromycin dagegen nur bei 0,22 Prozent der Patienten auf. Somit resultierte die Co-Verschreibung von Clarithromycin im Vergleich zu Azithromycin in einer um 0,22 Prozent höheren Inzidenz an Hospitalisierungen aufgrund einer akuten Nierenschädigung. Die NNH («number needed to harm») betrug 464 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 374–909) und die Odds Ratio (OR) lag bei 1,98 (95%-KI: 1,68–2,34). In einer Subgruppenanalyse bezüglich der einzelnen Kalziumkanalblocker war das Risiko für eine Krankenhauseinweisung aufgrund einer akuten Nierenschädigung bei der Kombination
164
ARS MEDICI 3 I 2014
STUDIE REFERIERT
von Clarithromycin mit Dihydropyridinen – und darunter mit Nifedipin (OR: 5,33 [95%-KI: 3,39–8,38] – am höchsten, vor Felodipin und Amlodipin. Bei Verwendung von Amlodipin als Referenz betrug die absolute Risikozunahme unter Nifedipin 0,63 Prozent (95%-KI: 0,49–0,78), und der p-Wert für die Interaktion lag unter 0,001. Patienten mit und ohne chronische Nierenerkrankungen erhielten in beiden Gruppen eine vergleichbare durchschnittliche Clarithromycindosis von 1000 mg/Tag. Das Risiko für eine Hospitalisierung aufgrund einer akuten Nierenschädigung infolge der Co-Verschreibung von Clarithromycin wurde durch eine bereits vorhandene chronische Nierenerkrankung nicht verändert. Die absolute NNH durch die CoVerschreibung von Clarithromycin war bei Nierenpatienten jedoch erheblich niedriger als bei Patienten ohne chronische Nierenerkrankung (95 [95%-KI: 70–145] vs. 723 [95%-KI: 545–1059]). Die gleichzeitige Einnahme von Clarithromycin und Kalziumkanalblockern war im Vergleich zur zusätzlichen Applikation von Azithromycin auch mit einem höheren Risiko für eine Hospitalisierung aufgrund von Hypotonie
(0,12 vs. 0,0%) verbunden. Die absolute Risikozunahme betrug 0,04 Prozent (95%-KI: 0,02–0,07), und die OR lag bei 1,60 (95%-KI: 1,18–2,16). Das Risiko für die Gesamtsterblichkeit war bei Co-Verschreibung von Clarithromycin (1,02%) ebenfalls höher als bei Azithromycin (0,59%). Hier nahm das absolute Risiko um 0,43 Prozent (95%-KI: 0,35–0,51) zu, und die OR betrug 1,74 (95%-KI: 1,57–1,93). In einer ergänzenden Analyse stellten die Wissenschaftler fest, dass höhere Dosierungen an Clarithromycin (1000 mg/ Tag) mit einem höheren Hospitalisierungsrisiko aufgrund akuter Nierenschädigung verbunden sind als niedrigere Dosierungen (500 mg/Tag).
Diskussion In ihrer populationsbasierten Studie kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Co-Verschreibung von Clarithromycin mit einem Kalziumkanalblocker im Vergleich zur Co-Verschreibung von Azithromycin mit einem höheren Risiko für akute Nierenschädigung, Hypotonie und Gesamtsterblichkeit verbunden ist. Die absolute Zunahme dieses Risikos war zwar gering, umfasst jedoch bedeutende klini-
sche Implikationen. Nach Ansicht der
Autoren weist dieses Ergebnis darauf
hin, dass Hunderte von Klinikeinwei-
sungen und Todesfällen in der unter-
suchten Region mit diesen – weit-
gehend vermeidbaren – Medikamen-
tenwechselwirkungen in Verbindung
gestanden haben könnten.
Für besonders bedenklich halten die
Autoren, dass Clarithromycin trotz
älteren Studienergebnisse und entspre-
chenden Warnhinweisen in Packungs-
beilagen immer noch gleichzeitig mit
Kalziumkanalblockern verschrieben
wird. Zur Vermeidung potenziell ge-
fährlicher Wechselwirkungen könnte
die Behandlung mit dem Kalzium-
kanalblocker für die Dauer der Clari-
thromycintherapie unterbrochen oder
ein Antibiotikum ausgewählt werden,
das CYP3A4 nicht blockiert.
O
Petra Stölting
Quelle: Gandhi S et al: Calcium-channel blocker-clarithromycin drug interactions and acute kidney injury. JAMA 2013; 310(23): 2544–2553.
Interessenkonflikte: Zwei der sieben Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten.