Transkript
STUDIE REFERIERT
Placebo forte zur Migräneprophylaxe
Unterschiedliche Plazebos haben eine unterschiedliche Wirksamkeit
Plazebo ist nicht gleich Plazebo. Dies gilt es zu berücksichtigen, wenn verschiedene plazebokontrollierte Massnahmen verglichen werden.
JAMA INTERNAL MEDICINE
Plazeboeffekt bekanntermassen sehr hoch ist und Migräne eine gut definierte und sicher zu diagnostizierende Erkrankung ist. Als Ansprechen wurde ein Rückgang der Attackenfrequenz um mindestens 50 Prozent gewertet. In die Analyse gingen die Daten aus 79 Studien mit insgesamt 9278 Patienten ein.
doxon ist von praktischer Relevanz: Wer nur auf die «Wirksamkeit» schaut, ohne den entsprechenden Plazeboeffekt davon abzuziehen, überschätzt die spezifische Effizienz der jeweiligen Methode. Plazebos in pharmakologischen Studien (wirkstofffreie Tabletten) wirken schlechter, das heisst, der Plazeboanteil für das Ansprechen auf echte Tabletten ist kleiner, die spezifische Wirkung also höher (Tabelle). Plazeboinjektionen erwiesen sich in der vorliegenden Studie erstaunlicherweise ebenfalls als relativ schwache Plazebos. Dies führen die Autoren jedoch darauf zurück, dass es sich dabei um Studien mit Botulinumtoxin gehandelt hatte. Eine Botulinumtoxininjektion führt immer zu einer spürbaren Relaxation von Muskelfasern, sodass die Patienten
Wenn es um unterschiedliche Therapien gegen ein und diesselbe Krankheit geht, stellt sich die Frage, welche Behandlung nun die beste ist. Die Antwort würde eine randomisierte, plazebokontrollierte Studie mit direktem Vergleich verschiedener Methoden beziehungsweise Medikamente liefern – so die Theorie. In der Realität sind «Head-to-head»-Studien jedoch sehr selten, weil die Hersteller von Medikamenten in der Regel wenig Neigung haben, Geld für eine Vergleichsstudie mit dem Konkurrenzpräparat auszugeben. Wer trotzdem wissen will, was denn nun das vergleichsweise Bessere ist, kann darum nur auf Metaanalysen zurückgreifen: Man vergleicht das Ausmass der Wirksamkeit der einzelnen Methoden und Präparate gegen Plazebo, wobei man man davon ausgeht, dass ein Plazebo bei der entsprechenden Erkrankung immer gleich gut oder schlecht wirkt. Doch dem ist nicht so, wie ein Forscherteam aus München kürzlich bestätigt hat. Sie wählten die Migräneprophylaxe als Beispiel, weil hier der
Merksatz
O Der Plazeboeffekt ist bei allen Massnahmen zur Migräneprophylaxe hoch.
Tabelle:
Plazeboeffekt verschiedener Interventionen zur Migräneprophylaxe
Intervention
Ansprechrate Verum Plazebo netto
Anzahl Anzahl Patienten Studien Verum/Plazebo
orale Pharmazeutika Injektionen von Pharmazeutika Akupunktur orale Phytotherapeutika Vitamine, Homöopathika kognitive Verhaltenstherapie Chirurgie
41% 22% 19% 26
37% 23% 14%
6
51% 38% 13% 11
33% 26% 7%
8
35% 27% 8% 84% 58% 26%
3 1
2546/1418 369/367 629/575 546/379
107/91 49/26
Je invasiver, umso besser Eine scheinbare Akupunktur* oder gar ein scheinbarer chirurgischer Eingriff erwiesen sich als «Placebo forte» für die Migräneprophylaxe: Das Ansprechen darauf kann in der gleichen Grössenordnung liegen wie die mittlere Ansprechrate bei aktiven pharmakologischen Substanzen, so die Autoren der Studie. Sie bestätigen damit frühere Erkenntnisse, dass physische, spürbare Plazebos meist eine höhere Wirkung entfalten als pharmakologische. Der Plazeboeffekt ist hier also höher, was die spezifische Wirksamkeit der entsprechenden tatsächlichen Intervention (echte Akupunktur, echte Chirurgie) schmälert. Dieses Wirksamkeitspara-
leicht erraten konnten, ob sie das Verum oder eine wirkstofffreie Injektion erhielten. Insofern war die Plazebokontrolle hier fraglich. Auch drei Studien zur Wirksamkeit einer kognitiven Verhaltenstherapie zur Migräneprophylaxe werden präsentiert, wobei sich noch stärker die Frage stellt, ob hier eine echte Plazebokontrollgruppe überhaupt möglich ist. O
Renate Bonifer
Meissner K et al.: Differential effectiveness of placebo treatments. A systematic review of migraine prophylaxis. JAMA Intern Med, published online Oct 14, 2013.
Interessenlage: Die Studie wurde vom Bundesgesundheitsministerium Deutschland finanziert. Die Autoren geben an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.
*Die scheinbare Akupunktur erfolgte durch oberflächliches Stechen der Haut in Nicht-Akupunkturpunkte.
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ARS MEDICI 3 I 2014