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EASD
Neues Konsensuspapier zum Typ-1-Diabetes-Management
Typ-1-Diabetes geht zu häufig als Typ 2 durch
Die beiden grossen Diabetesgesellschaften European Association for the Study of Diabetes (EASD) und American Diabetes Association (ADA) haben ein gemeinsames Konsensuspapier zum Management des Typ-1-Diabetes vorgelegt. Die Autoren stellten die wichtigsten Eckpunkte am virtuellen EASD-Jahreskongress vor.
Nachdem die beiden grossen Diabetesgesellschaften 2019 eine Handlungsanleitung für das Management des Typ-2Diabetes geschaffen hatten, entschieden sie sich, eine solche auch für die Betreuung von Patienten mit Typ-1-Diabetes zu erstellen. Schliesslich leiden etwa 5 bis 10 Prozent aller Diabetiker, das heisst weltweit über 25 Millionen Personen, an einem Typ-1-Diabetes. Dabei werden von der Diagnose über die Therapie bis zur psychosozialen Unterstützung weite Bereiche abgedeckt. Die Autoren hoben am EASD-Kongress einen Algorithmus hervor, der eine akkurate Diagnose eines Typ-1-Diabetes ermöglicht. Das sei wichtig, denn etwa 40 Prozent der Typ-1-Diabetiker erhielten fälschlicherweise erst eine Typ-2-Diabetes-Diagnose und damit auch eine falsche Behandlung. Das liege mitunter auch daran, dass mit den steigenden Adipositasraten und der körperlichen Inaktivität die Verbreitung des Typ-2-Diabetes auch bei jungen Personen zugenommen habe. Gemäss diesem Algorithmus ist bei Verdacht auf Typ-1-Diabetes bei Erwachsenen eine Bestimmung der Autoantikörper gegen Glutamatdecaboxylase (GAD) ein wichtiger erster Schritt zur Unterscheidung von einem Typ-2-Diabetes. Bei negativem Ergebnis kann bei Verfügbarkeit ein weiterer Test gegen die Autoantikörper der inselzellspezifischen Tyrosinphosphatase IA-2 oder den Zinktransporter (ZNT8) weiteren Aufschluss geben. Die psychosoziale Gesundheit ist ebenfalls Gegenstand dieser Handlungsanleitung. Denn ein Leben mit Typ-1-Diabetes verursacht bei 20 bis 40 Prozent der Betroffenen emotionalen Stress, vor allem zum Zeitpunkt der Diagnose und bei Auftreten von diabetesbedingten Komplikationen, 15 Prozent von ihnen erleiden eine Depression.
Wichtig für die Therapie
In der Therapie des Typ-1-Diabetes ist es besonders wichtig, den Blutzuckerspiegel mit dem Insulinersatz so gut wie möglich auf dem physiologischen Niveau zu halten und dabei aber trotzdem eine Flexibilität hinsichtlich Essenszeiten oder Aktivitäten zu erreichen. Ein typisches Therapieregime besteht deshalb aus verschiedenen Komponenten: • Basalinsulin zur Unterdrückung der Glukoneogenese und
Ketogenese in der präprandialen Phase
• Insulin zu den Mahlzeiten, um die Aufnahme von Kohlehydraten und anderen Makronährstoffen abzudecken
• Insulin zur Korrektur einer Hyperglykämie. Zur Erhaltung des physiologischen Blutzuckerspiegels empfehlen die beiden Diabetesgesellschaften entweder multiple tägliche Injektionen mit Basalinsulin s.c. sowie schnell oder ultraschnell wirkende Insulinanaloga zu den Mahlzeiten. Eine zweite Möglichkeit besteht aus der kontinuierlichen subkutanen Infusion eines schnell wirkenden Insulinanalogons via Insulinpumpe, kombiniert mit Bolusinjektionen zu den Mahlzeiten. Basalinsuline der 1. Generation und NPH-Insuline können zwar häufig einmal täglich verabreicht werden, mit einer zweimal täglichen Verabreichung können jedoch eine grössere Flexibilität und eine bessere Abdeckung erreicht werden. Gemäss Studien verursachen die neuesten Basalanaloga weniger Hypoglykämien als jene der 1. Generation und NPHInsulin. Zudem erreichen schnell wirksame Insulinanaloga eine bessere Abdeckung zur Essenszeit und verhindern eine postprandiale Hypoglykämie effizienter als kurz wirksames herkömmliches Humaninsulin. Insulinanaloga werden in diesem Konsensuspapier als Insuline der Wahl erachtet. Ultraschnelle Insulinanaloga führen zwar zu einem leicht früheren Wirkeintritt und damit zu einem leicht früheren Wirkmaximum als schnelle Insulinanaloga, doch werden damit weder HbA1c-Wert noch Unterzuckerungen in grösserem Ausmass reduziert als mit schnellen Insulinanaloga. Bei beiden Therapiestrategien – der Anwendung von multiplen Injektionen zur Annäherung an den physiologischen Insulinspiegel oder einer Insulinpumpe – können der HbA1cWert sowie die Zeitspanne des Glukosespiegels im Zielbereich mit einem zusätzlichen kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) noch weiter optimiert werden.
Gute Instruktion lebenswichtig
Eine gute Schulung des Patienten im Umgang mit einer Insulintherapie ist essenziell. Denn die hauptsächliche Nebenwirkung einer Insulintherapie ist die Hypoglykämie, die meist als Folge von Dosisanpassungen durch den Patienten oder durch einen Algorithmus verursacht wird. Zur Schulung gehört deshalb auch die Instruktion von Notfallstrate-
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gien bei Hyper- oder Hypoglykämien, wie die Messung von Ketonkörpern im Urin oder Blut, die Einnahme von Kohlenhydraten oder die Verabreichung von Glukagon subkutan, intramuskulär oder intranasal. Subkutan appliziertes Insulin kann zu Hautreaktionen führen, häufig pH-bedingt oder durch Additive. Hautreaktionen wie Lipoatrophien sind aufgrund der immer höheren Reinheit des Insulins selten geworden. Lipohypertrophien sind dagegen häufig, meist aufgrund wiederholter Verwendung der gleichen Injektionsstelle oder der gleichen Stelle für die Insulinpumpe. Das zieht eine Insulindosiserhöhung nach sich, was in der Folge zu einer grösseren Insulinvariabilität führt. Deshalb sollten die Typ-1-Diabetes-Patienten auch hinsichtlich der richtigen Injektionstechnik, des regelmässi-
gen Wechsels der Injektionsstelle und der Hautinspektion
instruiert werden. Die Schulung im Umgang mit Insulin sollte
am Anfang der Therapie erfolgen und später in Form von
regelmässigen Wiederholungen.
s
Valérie Herzog
Quelle: Jahreskongress der European Association for the Study of Diabetes (EASD), 27. September bis 1. Oktober 2021, virtuell.
Referenz: 1. Holt RIG et al.: The management of type 1 diabetes in adults. A
consensus report by the American Diabetes Association (ADA) and the European Association for the Study of Diabetes (EASD). Diabetes Care 2021;44:2589-2625. doi:10.2337/dci21-0043
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