Transkript
FORTBILDUNG
Schulterschmerz: Ist es ein Rotatorenmanschettensyndrom?
Die fünf zuverlässigsten klinischen Untersuchungen
Das Rotatorenmanschettensyndrom ist die häufigste Ursache für Schulterschmerzen. Fünf klinische Untersuchungen haben sich als besonders zuverlässig erwiesen, wenn es um die Abklärung geht, ob diese Ursache bei einem Patienten mit Schulterschmerzen tatsächlich vorliegt oder nicht.
JAMA
Schulterschmerzen sind häufig, man schätzt, dass zwischen 7 und 26 Prozent aller Erwachsenen darunter leiden. In der ärztlichen Praxis ist das Rotatorenmanschettensyndrom die häufigste Ursache für Schulterschmerzen, mit einer Prävalenz von zirka 3 Prozent bei den über 30-Jährigen und von 15 Prozent bei den über 70-Jährigen. In den meisten Fällen verschwinden die Beschwerden nach einiger Zeit unter konventioneller Therapie. Auch bei Patienten mit Rotatorenmanschettenruptur ist das möglich, obgleich diese ohne chirurgischen Eingriff nicht heilt. Kleine Risse vergrössern sich wahrscheinlich nicht, während grosse unter Umständen nach einiger Zeit chirurgisch nicht mehr behandelt werden können, sei es wegen Sehnenverkürzung, Muskelatrophie oder schlechter Qualität des Sehnengewebes.
Anatomie der Rotatorenmanschette Das Schultergelenk, das von Schulterblatt (Scapula mit Acromion und Processus coracoideus), Schlüsselbein (Clavicula) und Oberarmknochen (Humerus) gebildet wird, ist von allen Gelenken das beweglichste. Die Schulterbewegungen werden von vier Muskeln bestimmt, deren Sehnen zusammen die Rotatorenmanschette bilden: M. supraspinatus, M. infraspinatus, M. teres minor und M. subscapularis (Abbildung 1). Zwischen Schulterdach (Acromion) und Rotatorenmanschette liegt ein Schleimbeutel, die Bursa. Die Rotatorenmanschette ist nicht nur für die Beweglichkeit des Schultergelenks wichtig, sondern sie stabilisiert gleichzeitig
Merksatz
O Der Verdacht auf Rotatorenmanschettensyndrom kann klinisch durch fünf Untersuchungen mit guter Treffsicherheit abgeklärt werden.
Abbildung 1: Schultergelenk und Rotatorenmanschette
das Zusammenspiel von Humeruskopf und Schulterpfanne (Glenoid).
Kommt der Schmerz von der Rotatorenmanschette? Mithilfe der klinischen Untersuchung kann man das Rotatorenmanschettensyndrom von anderen Ursachen für Schulterschmerzen unterscheiden. Zu diesen anderen Ursachen gehören ausstrahlende Schmerzen von der Nackenwirbelsäule sowie Fehlfunktionen bedingt durch Instabilität, Arthrose oder «frozen shoulder». Es ist jeweils die Funktion beider Schultergelenke, auf der betroffenen und der nicht betroffenen Seite, zu vergleichen. Bei Patienten mit rezidivierenden Schulterschmerzen sollte man nach allen vorhergehenden konservativen Therapien und chirurgischen Eingriffen fragen. Das häufigste Symptom des Rotatorenmanschettensyndroms ist Schulter- und/oder Armschmerz inbesondere bei ÜberKopf-Arbeiten. Der Schmerz wird meist als dumpf beschrieben beziehungsweise als scharf und stechend, sobald der Arm über den Kopf gehoben wird. Der Schmerz ist häufig in der Region des M. deltoideus lokalisiert. Weitere Symptome sind Schulterschmerzen in der Nacht, Schwäche, Steifheit oder Crepitus (Reibegeräusche bei Schulterbewegung). Obwohl Schulterschmerz ein typisches Symptom ist, gibt es auch Patienten mit Rotatorenmanschettensyndrom, die keine Schmerzen verspüren: Eine chronische, vollständige Ruptur der Rotatorenmanschette kann auch zu einem schmerzfreien Verlust der aktiven Bewegungsfähigkeit führen.
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FORTBILDUNG
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120°
180° kein Schmerz
subakromialer Schmerz 90°
subakromialer Schmerz
60° kein Schmerz
Abbildung 2: Schmerzprovokation im Painful-arc-Test: Der Untersucher bewegt den Arm des Patienten. Wenn der Schmerz nur zwischen einer 60- bis 120-Grad-Abduktion auftritt, spricht das für ein subakromiales Impingement- bzw. Rotatorenmanschettensyndrom (Kompression der Rotatorenmanschettenmuskeln und der subakromialen Bursa zwischen Humeruskopf, Acromion oder Processus coracoideus).
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90° Flexion
20° Abduktion
Abbildung 4: Aussenrotation (M. supraspinatus und M. infraspinatus): Der Untersucher bringt den Arm des Patienten in vollständige Aussenrotation (90 Grad Flexion, 20 Grad Abduktion). Der Patient soll die Position halten; falls nicht möglich, spricht das für ein Rotatorenmanschettensyndrom.
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90° Flexion
Abbildung 5: Drop-arm-Test (M. supraspinatus): Der Patient soll den seitlich ausgestreckten Arm langsam (!) nach unten führen. Fällt der Arm schmerzhaft sofort nach unten, spricht das für ein Rotatorenmanschettensyndrom.
Krafttests erfassen Fehlfunktionen der einzelnen Rotatormanschettenmuskeln durch das Auftreten von Schwäche, Schmerz oder beidem, insbesondere wenn der Patient eine partielle Rotatorenmanschettenruptur hat. Bei diesen Tests bewegt der Patient seinen Arm in eine bestimmte Position oder hält ihn in einer solchen. Abbildung 3: Innenrotation (M. subscapularis): Die Hand des betroffenen Arms wird vom Untersucher hinter den Rücken in 90-Grad-Flexion geführt. Der Patient soll die Position halten, ist ihm das nicht möglich, spricht das für ein Rotatorenmanschettensyndrom.
90° Flexion
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Abbildung 6: Aussenrotation gegen Widerstand (M. infraspinatus): Bei diesem kombinierten Test drückt der Untersucher gegen den Unterarm des Patienten (Arm in 90-Grad-Flexion), wobei der Patient dagegenhalten soll; verspürt der Patient Schmerz oder/und Schwäche, spricht das für ein Rotatorenmanschettensyndrom.
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FORTBILDUNG
Die aktive und passive Beweglichkeit liefert Anhaltspunkte, ob es sich um ein Rotatorenmanschettensyndrom oder eine «frozen shoulder» (adhäsive Kapsulitis) handelt. Während bei der adhäsiven Kapsulitis Schmerz und Bewegungseinschränkung sowohl bei aktiver als auch passiver Bewegung vorhanden sind, spricht eine ausschliessliche Beeinträchtigung der aktiven Bewegung für ein Rotatorenmanschettensyndrom.
Die fünf besten klinischen Untersuchungen Es wurde eine ganze Reihe verschiedener Untersuchungsmethoden beschrieben, mit denen man abklären kann, ob ein Patient mit Schulterschmerzen ein Rotatorenmanschettensyndrom hat oder nicht. In ihrer Übersichtsarbeit sichteten die Autoren die medizinische Literatur bis einschliesslich Mai 2013, um herauszufinden, welche davon die zuverlässigsten Resultate liefert. Sie identifizierten einen Schmerzprovokationstest, drei Tests zur Kraft und einen kombinierten Schmerz-Kraft-Test. Diese fünf Untersuchungen werden in den Abbildungen 2 bis 6 vorgestellt. Eine Beeinträchtigung von Innen- und Aussenrotation sowie ein positiver Painful-arc-Test (schmerzhafter Bogen) sprechen am meisten für ein Rotatorenmanschettensyndrom beziehungsweise eine Rotatorenruptur. Ein Rotatorenmanschettensyndrom ist umso wahrscheinlicher, je mehr verschiedene Tests dafür sprechen. Einschränkend geben die Autoren der JAMA-Publikation zu bedenken, dass sämtliche Studien bei Fachärzten durchgeführt wurden und es keine Studien aus der Hausarztpraxis dazu gibt. Da Spezialisten möglicherweise geübter für diese Untersuchungen sind, ist es nicht sicher, ob die beschriebenen Methoden in der Hausarztpraxis genauso gut funktionieren.
Allerdings handelt es sich um recht einfache Untersuchungen, sodass davon ausgegangen werden darf, dass diese auch von nicht spezialisierten Ärzten korrekt durchgeführt und interpretiert werden können. Auch die Tatsache, dass die Patientenkollektive in der Hausarzt- und Facharztpraxis nicht die gleichen sind, spricht keineswegs gegen einen hohen Nutzen der Untersuchungen in der Hausarztpraxis. Die Prävalenz des Rotatorenmanschettensyndroms liegt bei Patienten, die von Spezialisten untersucht werden, zwischen 33 und 81 Prozent, während es in der Bevölkerung, wie eingangs erwähnt, nur 7 bis 15 Prozent sind. Da in der Regel nur Patienten, denen eine konservative Therapie nicht geholfen hat, zum Spezialisten überwiesen werden – die meisten also nicht –, liegt ein statistischer «verification bias» vor, wodurch die Sensitivität der Verfahren in der vorliegenden Analyse eher über-, die Spezifität hingegen eher unterschätzt wird, so die Autoren. Man dürfe darum davon ausgehen, dass die genannten Untersuchungen sowohl in der Hausarzt- als auch in der Facharztpraxis nützlich seien. Auf die Bedeutung weiterer Methoden wie Ultraschall, Röntgen oder MRI wird in der Übersichtsarbeit nicht eingegangen.
O
Renate Bonifer
Hermans J et al.: Does this patient with shoulder pain have rotator cuff disease? The rational clinical examination systematic review. JAMA 2013; 310(8): 837–847.
Interessenlage: Es bestanden keine Interessenkonflikte; einer der Autoren erhielt ein Honorar von JAMAevidence.com.
BUCHREZENSION
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