Transkript
BERICHT
Test vor Pille
Lohnt sich das Screening auf Thrombophilie?
Euromedlab-Kongress
Mailand, 19. bis 23. Mai 2013
Orale Kontrazeptiva erhöhen das Risiko für venöse Thromboembolien. Statistiker haben nun ausgerechnet, dass sich ein gezieltes Screening vor dem Ausstellen des Pillenrezepts lohnen könnte.
RENATE BONIFER
Die Inzidenz venöser Thromboembolien (VTE) beträgt im Durchschnitt etwa 1:1000 Personen pro Jahr. Das Spektrum der VTE-Risikofaktoren ist breit: Es umfasst unter anderem Adipositas, Immobilität, chirurgische Eingriffe und Rauchen – auch Schwangerschaft und orale Kontrazeptiva gehören dazu. Ebenfalls bekannt sind genetische Faktoren wie Mutationen im Gen für Faktor-V-Leiden (F5 G1691A) oder des Prothrombinfaktors 2 (F2 G20210A). Die Pille sei eines der häufigsten VTERisiken, sagte Dr. François Rousseau vom Centre hospitalier de l’Université (CHU) Quebec am Euromedlab-Kongress in Mailand. Man schätzt, dass 80 Prozent der Frauen zwischen 18 und 24 Jahren irgendwann einmal die Pille nehmen. Metaanalysen ergaben, dass das VTE-Risiko mit Pille dreimal höher ist als ohne. Die oben genannte Mutation im Gen für Prothrombinfaktor 2 scheint das VTE-Risiko nicht zusätzlich zu erhöhen. Deutlich erhöht ist das VTE-Risiko mit Pille jedoch bei Frauen mit Faktor-V-Leiden-Mutation (OR 15; 95%-Konfidenzintervall: 8,6–28). Sollte man Frauen, die die Pille nehmen wollen, bezüglich dieser Faktor-V-Lei-
Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APCr)
Der häufigste genetische Risikofaktor für Thrombophilie und VTE ist eine Resistenz gegen das aktivierte Protein C (in der Analysenliste: Protein C, funktionell). Dieses Protein hemmt die Gerinnungsfaktoren Va und VIIIa und vermindert dadurch normalerweise die Entstehung von Thrombin. Meist liegt der APCr eine Mutation im FaktorV-Leiden-Gen zugrunde; nur bei 5 Prozent der APCr-positiven Personen sind andere Mechanismen dafür verantwortlich.
den-Mutation screenen? Das absolute Risiko sei relativ gering, und man müsste 3330 Frauen screenen, um 1 VTE zu verhindern sagte Rousseau. Ob ein und gegebenenfalls welches Screening sinnvoll sein könnte, haben Rousseau und seine Kollegen am CHU Quebec mithilfe einer Computersimulation untersucht.
Virtuelles Frauenkollektiv Die kanadischen Forscher kreierten in einem «Super-Computer» ein Kollektiv von 300 000 jungen Frauen im Alter von 14 bis 28 Jahren, deren Eigenschaften der kanadischen Bevölkerung entsprachen. Dann wurde dieses virtuelle Kollektiv mit verschiedenen Screeningverfahren «untersucht» und sechs Jahre lang «beobachtet». Die Optionen waren: O kein Screening O alle Frauen werden auf Genmutatio-
nen gescreent O gezieltes Screening bei Risikofakto-
ren (Rauchen, BMI, Familienanamnese), und zwar mittels biochemischen APCr-Tests (Resistenz gegen aktiviertes Protein C; siehe Kasten) oder APCr plus Genetik, falls APCr positiv, oder nur Genetik.
Gezieltes Screening mit APCr am besten Als Methode mit dem besten KostenNutzen-Verhältnis erwies sich das gezielte Screening mittels APCr mit oder ohne zusätzlichen genetischen Test. Mit einem genetischen Massenscreening hätte man theoretisch zwar die meisten VTE verhindert, aber das käme viel zu teuer, sagte Rousseau. Allenfalls wenn der genetische Test weniger als 47 Dollar kosten würde, könnte man darüber nachdenken. Nicht in die Berechnung einbezogen wurden indirekte Kosten (z.B. Arbeitsausfall infolge einer VTE o.Ä.). Die Studie ist zwar nur eine Simulation am Computer, doch könnte man durchaus dazu raten, mittels APCr das VTE-Risiko abzuklären, bevor man die Pille verordne, so Rousseau. O
Renate Bonifer
Quelle: Vortrag von Dr. François Rousseau: Simulation of the cost-effectiveness of genetic screening for the susceptibility to oral contraceptive adverse reactions. Symposium: Novel Aspects of Coagulation Testing. Euromedlab-Kongress in Mailand, 19.–23. Mai 2013.
Die Endpunkte waren VTE, ungewünschte Schwangerschaften (da keine Pille, falls Screening positiv) und QALY (quality adjusted life years).
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