Transkript
BERICHT
Serie: Herzklappenersatz
Jahreskongress der European Society of Cardiology
Aktuelle Daten rund um die minimalinvasive Aortenklappen-Implantation
Das Stichwort TAVI, kurz für die
Implantation von Aortenklappen via
Katheter anstelle einer Operation,
ergibt bei der Suche auf der Home-
page des diesjährigen Jahreskon-
gresses der European Society of
Cardiology 89 Treffer. Hier eine
kleine Auswahl aktueller Aspekte
rund um Aortenstenose, Interven-
tion und Entscheidungsfindung.
CHRISTINE MÜCKE
Seit der Kommerzialisierung der Klappen im Jahr 2007 ist die Zahl der Patienten, die eine Transkatheter-Aortenklappe erhalten haben, exponentiell gestiegen. Allein von Januar 2007 bis Dezember 2011 waren das in 11 europäischen Ländern insgesamt 34 317 Patienten (1). Alles in allem stieg die Zahl der operierenden Zentren von 37 im Jahr 2007 auf 342 im Jahr 2011 auf das 9-Fache. 2011 lag die Zahl der Eingriffe im Mittel bei 41 ± 28. Im diesem Jahr lebten in den 11 untersuchten Ländern schätzungsweise 28 400 TAVI-Empfänger und 158 371 potenzielle Kandidaten, so die Experten um Dr. Darren Mylotte, Montreal, zu denen auch Prof. Dr. Stephan Windecker, Universitätsspital Bern, zählt. Ihre Aussagen beruhen auf Daten nationaler Register und dem European Cardiovascular Monitor System. Die Entwicklung ist von Land zu Land unterschiedlich: Fast die Hälfte der Klappen wurde in Deutschland implantiert (45,9%), hier und in Frankreich stiegen die Zahlen im Jahr 2011 vergleichsweise am stärksten, während sie in Irland und Portugal rückläufig waren. Daraus ergibt sich ein durchschnittlicher Anteil von 17,9 Prozent. Die Unterschiede in der Verteilung
seien nicht zuletzt auf die national unterschiedlichen Erstattungsverfahren zurückzuführen, konstatieren die Autoren in einer weiteren Untersuchung (2). Nationale DRG-basierte Rückerstattungen gibt es in Deutschland, Frankreich, der Schweiz und in Dänemark. In diesen Ländern lag die TAVI-Rate 3,3-fach über der von Ländern mit eingeschränkter Kostenrückerstattung.
Aortenstenose: positive Familienanamnese erhöht das Risiko Einer dänischen Untersuchung zufolge scheint es eine familiäre Prädisposition für eine Aortenstenose zu geben, unabhängig von einer ischämischen Herzerkrankung. Die Autoren der Beobachtungsstudie, die von Dr. Mattis F. Ranthe, Kopenhagen, präsentiert wurde, beziehen sich auf dänische Registerdaten und damit auf eine Gesamtheit von 4 228167 Personen, die von 1977 bis 2012 verfolgt wurden – insgesamt 73 Millionen Patientenjahre (3). Für die Untersuchung interessant waren die Fälle einer Aortenstenose, die nach dem 35. Lebensjahr auftraten. Patienten mit kongenitalen Herzfehlern oder Herzerkrankung in jüngeren Jahren blieben aussen vor. In dieser Gesamtheit gab es 29 983 Personen mit einer Aortenstenose; 193 hatten einen ebenfalls mit Aortenstenose registrierten Verwandten ersten Grades. Die Auswertung der Daten ergab für Patienten mit positiver Familienanamnese unabhängig von Komorbiditäten ein mehr als 2-fach erhöhtes Risiko für eine Aortenstenose. Patienten mit ischämischer Herzerkrankung ohne familiäre Belastung hatten ein 4-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Aortenstenose. Die Kombination beider Umstände erhöhte das Risiko auf das 8-Fache. Überdies trete die Erkrankung bei den Patienten
mit positiver Familienanamnese 15 bis 20 Jahre früher in Erscheinung, so Ranthe. Die Autoren untersuchten als Gegenprobe eine Gruppe mit Aortenklappenersatz. Von 12 690 Patienten, die eine neue Klappe erhalten hatten, identifizierten sie bei 130 Patienten eine positive Familienanamnese. Das dadurch gegebene relative Risiko bezifferten sie mit 2,18. «Auch wenn die epidemiologischen Untersuchungen nicht direkt kausale Zusammenhänge erschliessen, fanden wir signifikante Hinweis für eine familiäre Komponente.»
Profitieren Frauen mehr als Männer? Frauen haben eine um 25 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit, ein Jahr nach TAVI zu sterben als Männer, wie Dr. Mohammad Sherif, Coburg, anlässlich der ESC-Jahrestagung berichtete. Da es in früheren Untersuchungen über den möglichen Einfluss des Geschlechts auf das Ergebnis einer minimalinvasiven Aortenklappen-Implantation zu widersprüchlichen Resultaten
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kam, haben die Coburger Experten diesen Aspekt nun noch einmal genauer untersucht. Sie beleuchteten 1432 Patienten aus 27 Zentren, die zwischen Januar 2009 und Juni 2010 in das deutsche TAVI-Register aufgenommen wurden. Knapp 58 Prozent waren Frauen im mittleren Alter von 82,8 Jahren. Das mittlere Alter der Männer lag bei 80,3 Jahren. Die kardiale Situation der Männer war schlechter als die der Frauen, ihre Auswurffraktion geringer (49 vs. 56%), ≤ 30 Prozent war sie bei 16,4 Prozent der Männer sowie bei 8,5 Prozent der Frauen. Darüber hinaus lag bei den Männern signifikant häufiger eine periphere vaskuläre Erkrankung sowie eine COPD vor. Während der Prozedur traten bei 25,2 Prozent der Frauen Gefässkomplikationen auf im Vergleich zu 17,2 Prozent der Männer. Die 30-Tages-Mortalität war bei Frauen und Männer vergleichbar (7,6 vs. 8,6%), nach einem Jahr jedoch war die Mortalität der Frauen mit 17,3 versus 23,6 Prozent signifikant geringer. Diesen Unterschied erklärte Sherif zum einen durch deren höhere Lebenserwartung sowie eine geringere Rate an Komorbiditäten. Darüber hinaus könnte das geringere Ausmass der Fibrose bei Frauen die schnellere Rückbildung der myokardialen Hypertrophie nach Korrektur der Aortenstenose erklären. Dieser Prozess dauere jedoch länger als 30 Tage, so der Experte. Auch unabhängig vom schlechteren Risikoprofil der Männer blieb das weibliche Geschlecht ein Prädiktor für
das Ein-Jahres-Überleben. «Diese Zahlen lassen vermuten, dass TAVI das bevorzugte Verfahren für ältere Frauen mit symptomatischer Aortenstenose sein könnte», so das Fazit der Autoren. «Dieser Aspekt sollte zukünftig noch genauer betrachtet werden, zum einen bei Patienten mit intermediärem Risiko, zum anderen durch eine längere Verfolgung der Hochrisikopatienten.»
Spezielle Eignung für Patienten mit Diabetes? Für Patienten mit einer Aortenstenose, die an einem Diabetes mellitus leiden, erwies sich die Implantation von Transkatheter-Aortenklappen im Vergleich zum operativen Klappenersatz als vorteilhaft. Zu diesem Fazit kommt eine Post-hoc-Substudie der PARTNER-Studie, die im Rahmen des Jahreskongresses der European Society of Cardiology von Dr. Brian R. Lindman, Washington University School of Medicine, St. Louis, USA, vorgestellt wurde (5). Unter der Hypothese, dass TAVI im Vergleich zum operativen Klappenersatz als ein weniger invasives Verfahren auch der Subgruppe der Diabetiker mit schwerer Aortenstenose zugutekommen könnte, analysierten die Forscher die Studiendaten hinsichtlich des Diabetesstatus. Von den 699 Patienten aus 25 Zentren mit schwerer Aortenstenose und hohem Operationsrisiko waren 275 Diabetiker. Während die Ein-Jahres-Mortalität der Gesamtheit unter TAVI und Operation vergleichbar war, konnte für die Diabetiker ein Vorteil zugunsten TAVI gezeigt werden (18,0 vs. 27,4%; Hazard Ratio [HR]: 0,60). Die Gesamtmortalität der 191 Diabetiker, bei denen ein transfemoraler Zugang gewählt wurde, lag bei 16,7 vs. 24,4 Prozent (HR 0,61). Bei den anderen 84 Patienten mit Diabetes wurde die Klappe transapikal implantiert. Bei diesen lag die Gesamtmortalität nach einem Jahr bei 21,4 versus 33,6 Prozent (HR 0,59). Die Gesamtmortalität der 382 Nichtdiabetiker lag nach TAVI bei 27,8 versus 23,7 Prozent (HR 1,15). Alles in allem war die Gesamtmortalität der Patienten mit einer schweren Aortenstenose und Diabetes mellitus nach einem Jahr unter TAVI im Vergleich zur Operation um absolut 9, relativ um 35 Prozent geringer. Die Rate der Schlaganfälle war unter bei-
den Verfahren vergleichbar, ein Nieren-
versagen war unter TAVI seltener.
Während der Operation traten mehr
schwere Blutungen auf, bei TAVI waren
mehr vaskuläre Komplikationen zu
verzeichnen.
30 Tage nach dem Eingriff hatten sich
sowohl Symptome als auch Lebensqua-
lität nach TAVI stärker verbessert. Die-
ser Unterschied glich sich im weiteren
Verlauf jedoch wieder aus. «Unsere
Daten stützen die Annahme, dass TAVI
für Patienten mit schwerer Aorten-
stenose und Diabetes mellitus, die ein
hohes Risiko für die Operation aufwei-
sen, das bevorzugte Verfahren ist», so
der Experte. «Diese Analyse ist als
Hypothesen-generierend zu verstehen»,
so Lindman weiter, «und sollte in wei-
teren Untersuchungen erhärtet werden.
Leider lagen uns keine genaueren
Daten zu Dauer und Schwere des Dia-
betes, der Medikation, der Blutzucker-
kontrolle und allfälligen mikrovaskulä-
ren Komplikationen vor. Der Einfluss
dieser Parameter sowie gegebenenfalls
einer Insulintherapie sollte in einem
eigens darauf ausgerichteten Setting
näher evaluiert werden.»
O
Christine Mücke
Literatur: 1. Mylotte D et al.: «Implant dynamics of transcatheter
aortic valve implantation in Europe.» Abstract P5421, präsentiert im Rahmen der ESC-Jahrestagung vom 31.8. bis zum 4.9.2013 in Amsterdam. 2. Mylotte D et al.: «National economic indices and reimbursement systems determine transcatheter aortic valve implantation use in Western Europe.» Abstract 2579, präsentiert im Rahmen der ESC-Jahrestagung vom 31.8. bis zum 4.9.2013 in Amsterdam. 3. Ranthe MF et al.: «Familial aggregation of aortic stenosis.» Abstract 1813, präsentiert im Rahmen der ESC-Jahrestagung vom 31.8. bis zum 4.9.2013 in Amsterdam. 4. Sherif M et al.: «Effect of sex differences on one-year mortality after transcatheter aortic valve implantation for severe aortic stenosis: results from a multicentre real-world registry.» Abstract P5413, präsentiert im Rahmen der ESC-Jahrestagung vom 31.8. bis zum 4.9.2013 in Amsterdam. 5. Lindman B: «PARTNER: Transcatheter versus Surgical Aortic Valve Replacement in Patients with Diabetes and Severe Aortic Stenosis at High Risk for Surgery.» Clinical Trial Update Hot Line II: Updates on intervention and devices, präsentiert im Rahmen der ESC-Jahrestagung,vom 31.8. bis zum 4.9.2013 in Amsterdam.
Die Serie «Herzklappenersatz» wird durch ein Unrestricted Educational Grant der Firma Edwards Lifesciences unterstützt.
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