Transkript
FORTBILDUNG
Serie: Adipositas
Mediterrane Küche statt ungezielter Nahrungsergänzungsmittel
Serie Adipositas, Teil 2: Beeinflussung der kardiovaskulären Risikofaktoren durch die Ernährung
Nachdem sich der erste Teil unseres Übersichtsartikels mit der Begriffsdefinition von Übergewicht und Adipositas, mit der Epidemiologie sowie mit Ursachen und Konsequenzen von übermässigem Körpergewicht beschäftigte, zeigt der vorliegende zweite Teil auf, inwieweit sich die mit der Fettleibigkeit einhergehenden kardiovaskulären Risiken durch eine Ernährungsumstellung reduzieren lassen. Teil 3, den Sie in der nächsten Ausgabe von ARS MEDICI lesen können, wird sich dann abschliessend mit der multimodalen Behandlungsstrategie befassen.
OTTO KNES UND SIGRUN CHRUBASIK-HAUSMANN
Mit der Nahrung werden dem Körper Kohlenhydrate, Proteine und Fette zugeführt und im Darm in ihre Bestandteile zersetzt. Die Kohlenhydrate werden in Monosaccharide metabolisiert, die Proteine in Aminosäuren und die Fette in Fettsäuren und Glycerin. Die Kalorienzufuhr verteilt sich im Allgemeinen auf mehr als 50 Prozent Kohlenhydrate, etwa 10 Prozent Proteine und weniger als 30 Prozent Fett (www.dge.de/modules.php?name=News&file=print&sid=920). Die Gesamtkalorienzufuhr muss individuell dem Übergewicht angepasst werden.
Merksätze
O Die Gesamtkalorienzufuhr muss individuell dem Übergewicht angepasst werden.
O Eine mediterrane Ernährung senkt das kardiovaskuläre Risiko.
O Anstelle der ungezielten exogenen Zufuhr grosser Dosen von Antioxidanzien über Nahrungsergänzungsmittel sollten besser die endogenen antioxidativen Mechanismen im Körper stimuliert werden. Die Zufuhr von Mikronährstoffen in höheren Dosierungen empfiehlt sich ausschliesslich nach entsprechender Laboranalytik.
O Die Zufuhr pflanzlicher Farbstoffe (Polyphenole) senkt das kardiovaskuläre Risiko.
Es besteht kein Zweifel daran, dass eine mediterrane Ernährung das kardiovaskuläre Risiko senkt. Bei mässigem Alkoholkonsum ist die mediterrane Ernährung reich an Obst und Gemüse, Nüssen, Olivenöl und Fisch und arm an rotem Fleisch, Fleischgerichten, Zucker und Vollfett-Milchprodukten. Bestandteile der mediterranen Ernährung korrelieren invers mit dem Body-Mass-Index (BMI), modulieren die Insulinresistenz, senken den Blutdruck und die Entzündungsmarker und bessern die atherogene Dyslipidämie beim metabolischen Syndrom (76). Durch tägliche Zufuhr von Nüssen (etwa 28–57 g/Tag) kann das LDL-Cholesterin um 2 bis 19 Prozent gesenkt werden (77, 78), nicht jedoch bei Adipösen mit metabolischem Syndrom (79). Nur durch Abnahme des Fettgewebes kann die Stoffwechselsituation bei Adipösen gebessert werden, weshalb die Gewichtsabnahme bei Adipösen an erster Stelle stehen muss und nicht etwa der Versuch der Modulierung von Risikofaktoren durch die alleinige und pauschale Zufuhr von Nahrungsergänzungsmitteln (siehe unten). Bei Umstellung auf eine fettarme Ernährung, die wenig gesättigte Fettsäuren enthalten sollte, kann der Körper maximal profitieren (80). Erst wenn es misslungen ist, durch Reduktion der Kalorienzufuhr und vermehrte körperliche Aktivität das Gewicht zu reduzieren, sollten zur Prävention kardiovaskulärer Ereignisse Statine beziehungsweise Acetylsalicylsäure (Aspirin®) zur Blutverdünnung verabreicht werden (81). Gute Erfahrungen liegen auch zur kohlenhydratarmen, eiweissreichen Diät vor, die über das vermehrte Sättigungsgefühl und eine negative Energiebalance zu bleibender Gewichtsabnahme führt (82).
Nahrungsergänzungsmittel Verschiedene Vitamine besitzen eine antioxidative Wirkung, so zum Beispiel Vitamin C, -Carotin und andere Carotinoide sowie Vitamin E, hauptsächlich ␣-Tocopherol (83, 84). Doch neuere Ergebnisse sind weniger euphorisch, was den tatsächlichen Nutzen der Gabe isolierter Vitamine anbelangt (siehe unten). Es wird vermutet, dass anstelle der ungezielten exogenen Zufuhr grosser Dosen von Antioxidanzien besser die endogenen antioxidativen Mechanismen im Körper stimuliert werden sollten (85).
Vitamin-A-Vorstufen und -Derivate Während erste epidemiologische Studien eine kardioprotektive Wirkung der täglichen Zufuhr von Vitamin A und
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Tabelle 2:
Empfohlene tägliche Zufuhr an B-Vitaminen bei Erwachsenen im Alter von 50 bis 65 Jahren
(altersabhängige Details siehe DGE-Webpages)
Vitamine und ihre Synonyme
B1 Thiamin
B2 Riboflavin
B3 Vitamin P
Nicotinsäure Niacin
B5 Pantothensäure
B6 Pyridoxin
B7 Vitamin H
Biotin
B9 Vitamin B11
Vitamin M Folsäure
B12 Cobalamin
Taqgesdosis (mg)
Frauen
Männer
1,0 1,1
1,2 1,3
13 15
66
1,2 1,5
0,003–0,006 0,003–0,006
0,4 0,4
0,003
0,003
-Carotin vermuteten liessen (86), wurde nach Bekanntwerden der prooxidativen Wirkung des -Carotins (87) beschrieben, dass die tägliche Zufuhr von Vitamin A und seiner Vorstufe -Carotin bei Gesunden wie bei an verschiedenen Erkrankungen Leidenden die Lebenserwartung eher verkürzt als verlängert (88). Allerdings wurde auch bei diesem Cochrane-Review der tatsächliche Vitaminstatus der eingeschlossenen Patienten (ausreichende Vitaminzufuhr, Vitaminmangel) nicht berücksichtigt. Eine Analyse der Daten unter dem Aspekt Vitaminmangel zeigte nämlich, dass 7 der 8 Studien mit einem positiven Ergebnis bei primärer Prävention (Herabsetzung des Mortalitätsrisikos bei Gesunden) Bevölkerungsgruppen mit schlechter Ernährung einschlossen (89). Andere Vitamin A-Vorstufen sind ␣- und ␥-Carotin sowie -Cryptoxanthin. Reich an Provitamin A sind alle gelben bis orangen Früchte und Gemüse (z.B. Kakis, Aprikosen, Papayas, Mangos, Nektarinen, Pfirsiche, Sanddorn, Süsskartoffeln, Kürbis) sowie dunkelgrünes Gemüse wie Spinat, Broccoli, Kresse und Sauerampfer. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt für gesunde Erwachsene eine tägliche Zufuhr von 0,8 (Frauen) bis 1 mg (Männer) Vitamin A. Das Provitamin -Carotin dient als Vorstufe für das Vitamin A, die Umwandlungsrate ist quantitativ 6:1, das heisst, der Tagesbedarf an -Carotin als Ersatz für Vitamin A wäre 6-fach höher. Sie ist jedoch besser als bei anderen Vitamin-A-Vorstufen äquivalente Mengen 12:1, (www.dge.de/modules.php? name= Content&pa=showpage&pid=3&page=2). Dosen von 20 bis 30 mg -Carotin pro Tag erhöhen bei Rauchern das Risiko für Lungen- und Magenkrebs (90). Auch Lutein (Lebensmittelfarbstoff E161b) ist ein Carotinoid, dem eine gewisse Kanzerogenität angelastet wurde (91), doch ist der Zusammenhang noch nicht endgültig belegt (92, 93). Zeaxanthin (Lebensmittelfarbstoff E161h) ist ein sauerstoffhaltiges Carotinoid, das in der Medizin noch ungenügend erforscht ist. Lycopin, der rote Farbstoff der Tomate, gehört ebenfalls zur Carotinoidfamilie. Er wirkt antioxidativ und hemmt verschiedene Botenstoffe, die das kardiovaskuläre Risiko erhöhen. Die Ergebnisse klinischer Studien sind aber wider-
sprüchlich und weitere Studien müssen klären, ob Lycopin wirklich zur Senkung des kardiovaskulären Risikos beiträgt. So konnte zwar bei gesunden Männern nach 8-wöchiger Einnahme von 6 beziehungsweise 15 mg Lycopin eine dosisabhängige Zunahme der Superoxiddismutaseaktivität und im Einklang damit eine Abnahme des Entzündungsparameters hs-CRP sowie der Adhäsionsmoleküle ICAM-1 und VCAM1 im Blut nachgewiesen werden, aber die Partikelgrössen von LDL hatten bei den Männern, die 15 mg Lycopin eingenommen hatten, signifikant zugenommen (94). Ob das von Voroder Nachteil ist, bleibt in weiteren Untersuchungen zu klären. Kein Zweifel besteht daran, dass Produkte aus Tomaten (z.B. Saft, Paste, Püree, Ketchup und Extrakte) eine klinisch relevante antioxidative Wirkung besitzen, wobei das in Tomaten enthaltene Lycopin nicht erforderlich ist (95).
Vitamine der B-Gruppe Als Vitamin-B-Komplex wird eine Gruppe verschiedener wasserlöslicher Substanzen zusammengefasst, die mit Fisch, Leber, Milchprodukten, Broccoli, Spinat und so weiter zugeführt werden. Sie fungieren als Coenzyme im Stoffwechsel. Die von der DGE empfohlene tägliche Zufuhr an B-Vitaminen ist in Tabelle 2 zusammengefasst. Vitamin B12 (extrinsischer Faktor) kann im Dünndarm nur resorbiert werden, wenn es an ein von der Magenschleimhaut gebildetes Glycoprotein (intrinsischer Faktor) gebunden ist. Etwa 0,1 Prozent der Bevölkerung beziehungsweise fast 2 Prozent der Senioren über 60 Jahre leiden an einer autoimmunen atrophischen Gastritis mit ungenügender Produktion des intrinsischen Faktors. Aufgrund des VitaminB12-Mangels entsteht in letzter Konsequenz eine perniziöse Anämie (96). Da die Homocysteinkonzentration im Blut durch B-Vitamine reguliert wird (siehe oben), wurde versucht, durch hohe Vitamin-B-Dosen (Folsäure, Vitamin B12 und B6) erhöhte Homocysteinkonzentrationen im Blut zu senken. Das kardiovaskuläre Risiko wurde im Rahmen der Sekundärprävention dadurch jedoch nicht beeinflusst; der Regulationsmechanismus ist offenbar komplizierter (97, 98, 99).
Vitamin C Ascorbinsäure, auch Vitamin C genannt, findet sich vor allem in Broccoli, Zitronen, Limonen, Orangen, Erdbeeren und so weiter. Die Toxizität von Vitamin C ist sehr gering. Allerdings wurde bei Zufuhr von mehr als 2 g Vitamin C pro Tag ein erhöhtes Risiko für die Entstehung von Oxalatsteinen in der Niere beobachtet (100). Es besteht kein Zweifel an der antioxidativen Wirkung von Vitamin C, jedoch daran, dass durch Vitamin-C-Zusatz ausreichende Vitamin-C-Konzentrationen am Wirkort erreicht werden können. Denn klinische Korrelate konnten bislang noch nicht verifiziert werden (101). Die Einnahme von Vitamin C beeinflusste weder die primäre oder die sekundäre Prävention noch die Mortalität (88). Die DGE empfiehlt die tägliche Zufuhr von 100 mg Vitamin C pro Tag (www.dge.de/modules.php?name=Content&pa=showpage&pid=4&page=11)
Vitamin D Das Steroid Cholecalciferol wird in der Haut durch ultraviolettes Licht aus 7-Dehydrocholesterol gebildet. Mit der
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Tabelle 3:
Empfohlene tägliche Zufuhr von Spurenelementen bei Erwachsenen im Alter von 50 bis 65 Jahren
(altersabhängige Details siehe DGE-Webpages)
Spurenelemente
Selen Magnesium Kupfer Mangan Chrom Molybdän Zink Jod
Taqgesdosis (mg)
Frauen
Männer
0,03–0,07
0,03–0,07
300 350
1–1,5
1–1,5
2–5 2–5
0,02–0,01
0,02–0,01
0,05–1
0,05–1
7 10
0,18 0,18
Nahrung wird es hauptsächlich durch fette Fische oder durch Nahrungsergänzungsmittel zugeführt. Cholecalciferol wird in der Niere bei erhöhten Parathormon-, niedrigen Kalziumund Phosphatkonzentrationen im Blut in Calcitriol umgewandelt, das den Kalziumspiegel im Blut erhöht und den Knochenaufbau fördert. Obwohl der Körper in der Lage wäre, ausreichend Cholecalciferol zu produzieren, reicht die Sonnenexposition oft nicht aus. Die DGE hat deshalb Richtwerte für die tägliche Zufuhr von Vitamin D angegeben (http://www.dge.de/modules.php?name=Content&pa=show page&pid=4&page=12). Danach sollen Säuglinge im ersten Lebensjahr täglich 10 µg (im Allgemeinen werden 12,5 µg [= 500 IE] verabreicht) und Kinder wie Erwachsene 20 µg Cholecalciferol mit der Nahrung aufnehmen. Es wird vermutet, dass ein niedriger Vitamin-D-Spiegel im Blut ein weiterer kardiovaskulärer Risikofaktor ist (102). Die tägliche Zufuhr von Vitamin D3 (Cholecalciferol) hatte einen präventiven Effekt auf die Mortalität bei Erwachsenen. Pro 161 Behandelte konnte ein Todesfall verhindert werden (103). Bei Zufuhr von Vitamin D2 (Ergocalciferol) oder der aktiven Vitamin-D-Analoga Alfacalcidol und Calcitriol war kein präventiver Effekt nachweisbar. Wurde Cholecalciferol zusammen mit Kalzium eingenommen, war das Risiko für die Entstehung von Nierensteinen erhöht. Die Alfacalcidolund Calcitrioleinnahme ging mit einer erhöhten Kalziumkonzentration im Blut einher (103).
Vitamin E Unter dem Begriff «Vitamin E» werden 8 verschiedene Tocopherole und Tocotrienole zusammengefasst, wovon ␣-Tocopherol am besten untersucht ist. Wie neuere Untersuchungen jedoch gezeigt haben, trägt auch ␥-Tocopherol wesentlich zur antioxidativen und antientzündlichen Vitamin-E-Wirkung bei (104, 105). Viel Vitamin E enthalten Avocados, Spargel, pflanzliche Öle und grünes Gemüse. Vitamin E hemmt die Oxidation von LDL und Membranphospholipiden (106). Aber je nach zellulärem Milieu besitzt Vitamin E auch eine stimulierende Wirkung auf die Sauerstoffradikalbildung (107). Erste Studien liessen vermuten, dass die tägliche Zufuhr hoher Dosen
an Vitamin E das kardiovaskuläre Risiko senkt (86, 101), doch aus einem Cochrane-Review, das Daten von Tausenden von Patienten analysiert hat, geht hervor, dass die tägliche Vitamin-E-Einnahme bei Gesunden wie bei an verschiedenen Erkrankungen Leidenden mit einer gesteigerten Mortalität einherging (88). Es wird vermutet, dass dieses Ergebnis mit der selektiven Zufuhr von ␣-Tocopherol in Zusammenhang stehen könnte (104, 108). Die DGE empfiehlt für gesunde Erwachsene eine tägliche Zufuhr von 12 mg (Frauen) beziehungsweise 13 mg Vitamin E (Männer) mit folgenden Umrechnungsäquivalenzen: 1 mg ␣-Tocopherol = 1,1 mg ␣-Tocopherylacetat = 2 mg -Tocopherol = 4 mg ␥-Tocopherol = 100 mg ␦-Tocopherol = 3,3 mg ␣-Tocotrienol = 1,49 mg all-rac-␣-Tocopherylacetat (www.dge.de/modules.php?name=Content&pa=show page&pid=4&page=13).
Spurenelemente Zur optimalen Funktion des Stoffwechsels benötigt der Körper auch geringe Mengen an Spurenelementen (Tabelle 3). Werden zu hohe Mengen davon zugeführt, hat das nachteilige Folgen auf das Herz-Kreislauf-System und die Krebsentstehung (109). Für manche Indikationen konnte der Beleg der Wirksamkeit nicht erbracht werden, zum Beispiel für die Behandlung von Muskelkrämpfen mit Magnesium (110). Beim Selen erhöht ein Mangel die Mortalität und verschlechtert die Immunlage und die kognitiven Funktionen. Ein ausreichender Selenstatus wirkt antiviral und reduziert das Risiko für das Auftreten einer autoimmunen Schilddrüsenerkrankung. Zur krebspräventiven Wirkung ist die Datenlage widersprüchlich. Vermutlich stehen positive Berichte mit einem Selenmangel in Zusammenhang. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die tägliche Zufuhr von Selen zur primären und sekundären Prävention von kardiovaskulären Ereignissen beiträgt (88), doch sind weitere Untersuchungen hierzu notwendig. Denn wird Selen trotz eines gesättigten Selenstatus eingenommen, könnte dies das Risiko für Typ-2-Diabetes erhöhen (111). Grundsätzlich lässt sich hier feststellen, dass die Supplementation von Vitaminen, Spurenelementen und Antioxidanzien einer entsprechenden vorgängigen Laboranalytik bedarf und bei adäquater Versorgung von einer Supplementation Abstand genommen werden sollte.
Coenzym Q10 Ubichinon 10 (Coenzym Q10) ist strukturell mit Vitamin K und Vitamin E verwandt, kann aber vom Körper selbst produziert werden. Q10 ist ein Elektronen- und Protonenüberträger zwischen Komplex I beziehungsweise II und dem Komplex III der Atmungskette (siehe Teil 1). Q10 wirkt pround antioxidativ. Über die Nahrung nehmen wir täglich etwa 3 bis 5 mg Q10 auf. Bei erhöhtem Q10-Bedarf, etwa unter Statintherapie, kann eine Nahrungsergänzung das Defizit ausgleichen. Allerdings ist noch nicht endgültig bewiesen, dass die statinbedingte Myopathie wirklich durch einen Mangel an Q10 ausgelöst wird (112, 113). Die empfohlene Dosierung von Q10 beträgt 12 mg/kg/Tag. Diese Dosis wurde aus einem Tierexperiment bei Ratten ermittelt. Der «no observed adverse effect level» bei Ratten nach Verabreichung von 1200 mg/kg/Tag über 52 Wochen entspricht einer Dosis von 720 mg/Tag bei Menschen mit einem Gewicht von
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60 kg. In klinischen Studien wurden sogar höhere Dosen bis 1200 mg/Tag ohne Auftreten unerwünschter Ereignisse vertragen (114). Allerdings konnte kein reproduzierbarer Effekt auf das Körpergewicht, die Fettmasse oder die diabetogene Stoffwechsellage erzielt werden (115). Weitere Studien sind erforderlich, um das mögliche Ausmass der blutdrucksenkenden Wirkung von Q10 zu ermitteln (116).
Mehrfach ungesättigte Fettsäuren Obwohl lange vermutet wurde, dass die Zufuhr der mehrfach unsättigten Omega-6-Fettsäuren einschliesslich Linolsäure (LA = n-6 PUFA) das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen senkt, wurde diese Vermutung infrage gestellt, nachdem bekannt wurde, dass die bei der Verstoffwechslung der LA entstehenden Eicosanoide eine proinflammatorische Wirkung besitzen und dass LA die Synthese antiinflammatorischer Eicosanoide aus Eicosapentaensäure (EPA) und/oder Docosahexaensäure (DHA, beides Omega-3-Fettsäuren = n-3 PUFA) hemmt. Doch hat sich in klinischen Studien ein Anstieg der Entzündungsparameter im Blut durch Zufuhr von LA nicht bestätigt (117). Sowohl EPA und/oder DHA beziehungsweise n-3 PUFA senkten den Entzündungsparameter CRP wie auch LA (n-6 PUFA) (118). Viel ␣-Linolensäure (n-3 PUFA) ist unter anderem in Leinöl, Rapsöl und Sojaöl enthalten, EPA und DHA in fetten Fischen (z.B. Makrele, Lachs, Thunfisch). Obwohl die Zufuhr von EPA und DHA in Dosen von mehr als 1 g pro Tag über mindestens 3 Monate bei Patienten mit metabolischem Syndrom die Triglyzeridspiegel im Serum um 7 bis 25 Prozent senkte, lässt sich noch keine klare Aussage machen, wie viel, wie lange und bei welchen klinischen Gegebenheiten n-3 PUFA zugeführt werden sollte (119, 120) und wie sich die selektive Zufuhr von EPA und DHA klinisch manifestiert (121). Vielversprechende therapeutische Interaktionen ergeben sich aus experimentellen Untersuchungen (122). Makrophagen werden durch nekrotische Adipozyten angelockt und hüllen diese ein. Zusammen mit den hypertrophen Adipozyten sezernieren die Makrophagen eine Anzahl proinflammatorischer Adipokine (z.B. TNF-␣, IL-6, IL-1) und das monozytenchemotaktische Protein 1 (MCP-1), die die Entstehung der Insulinresistenz einleiten. Die ungesteuerte Bildung von proinflammatorischen Leukotrienen (LT) B4 und von Leptin zusammen mit dem Mangel an antiinflammatorischen Mediatoren wie Resolvin (Rv) D1, Protectin (PD) 1 und Adiponectin trägt zum schwelenden Entzündungsprozess bei. Im Fettgewebe aktivieren die schützenden Mediatoren in den Adipozyten die Prozesse, die die Insulinempfindlichkeit erhöhen, zum Beispiel durch vermehrte Sekretion von Adiponektin, AMP-aktivierter Proteinkinase und InsulinrezeptorSignalprotein 1 sowie Glukosetransporterprotein 4. Die M2Polarisation wird über die Produktion von Arginase 1, IL-10, «chitinase3-like3» und resistinähnliche Moleküle (RELM-␣ und CD206) gefördert, während die M1-Marker TNF-␣, IL6 und MCP-1 in den Makrophagen gehemmt werden (123). In der Leber schützen diese Metabolite die Hepatozyten vor der durch oxidativen Stress verursachten DNA-Schädigung und dämpfen den Entzündungsprozess durch Hemmung von TNF-␣, LTB-4 und Zyklooxygenase 2 in den Kupffer-Zellen (123).
Polyphenolhaltige Nahrungsmittel Pflanzliche Farbstoffe (insbesondere blaue, rote, violette und schwarze) besitzen eine starke antioxidative Wirkung und wirken antiatherogen (124). Es besteht kein Zweifel daran, dass die Zufuhr dieser Pflanzenstoffe (Polyphenole) invers mit dem kardiovaskulären Risiko korreliert (125, 126). Es wird vermutet, dass die paradoxe Situation der geringen kardiovaskulären Mortalität trotz Zufuhr grosser Mengen gesättigter Fettsäuren in Frankreich auf den täglichen Genuss von Rotwein zurückgeführt werden kann (127). Polyphenolhaltige Nahrungsmittel besitzen eine mehr oder weniger ausgeprägte cholesterinsenkende, blutdrucksenkende, die endotheliale Funktion bessernde und die Thrombozytenaggregation hemmende Wirkung (128). Granatapfelsaft enthält bis zu 1 Prozent Polyphenole sowie Anthocyane und Anthoxanthine, die beide zur Wirksamkeit beitragen. Der Granatapfelwirkstoff verhindert, dass sich die Makrophagen durch den oxidativen Stress in Schaumzellen umwandeln, die die arteriosklerotische Gefässumbildung einleiten. Der Wirkstoff hemmt nicht nur die Oxidation von LDL, sondern stimuliert Prozesse, die bereits gebildetes oxLDL wieder zu LDL reduzieren und die die Cholesterinkonzentration in den Makrophagen durch Hemmung der Cholesterinaufnahme, der oxLDL-Aufnahme und Hemmung der Cholesterinsynthese reduzieren, u.a. auch durch beschleunigte HDL-induzierte Cholesterinexkretion. Darüber hinaus hemmt der Wirkstoff die Triglyceridbiosynthese und die Akkumulation der Triglyzeride in den Makrophagen (129). Der Wirkstoff schwarzer Beeren gehört zu den stärksten antioxidativ wirksamen Stoffen. Für manche Produkte wie etwa Extrakt und Saft aus Aronia (130) und Heidelbeere (131) weisen klinische Studien auf die antiatherogene Wirkung. Auch wenn die Qualität der Studien nicht dem heutigen Standard entspricht, sprechen objektive Parameter wie der Anstieg der antioxidativen Kapazität im Plasma sowie die Senkung von Cholesterin, Triglyzeriden, Nüchternblutzucker und Blutdruck für sich. Auch zur kardioprotektiven Wirkung von Grapefruitsaft gibt es klinische Evidenz. Neben der direkten antihypertensiven Wirkung (132, 133) interagiert der Grapefruitwirkstoff am Cytochrom P450 mit synthetischen Blutdrucksenkern, sodass geringere Dosen der Synthetika zur Blutdrucksenkung ausreichen (134). Grapefruitsamenextrakt senkte den systolischen Blutdruck um 1,54 mmHg und die Herzfrequenz um 1,42 Schläge pro Minute. Der diastolische Blutdruck, der Lipidspiegel und das CRP wurden durch den pflanzlichen Blutdrucksenker nicht beeinflusst (135). Durch tägliches Trinken von 330 ml Tomatensaft pro Tag über 20 Tage konnten bei übergewichtigen Frauen die Entzündungsparameter IL-6, IL-8 und TNF-␣ im Blut gesenkt werden (136). Nach Zufuhr von 96 g Tomatenpüree pro Tag über 3 Wochen stiegen der Lycopin-, -Carotin- und der Luteinspiegel im Plasma an, die antioxidative Kapazität, die Vitamin-C-Konzentration und die Konzentrationen von Kupfer, Selen und Zink im Blut wurden aber nicht beeinflusst (137). Weitere Untersuchungen müssen die Bedeutung des Lycopins bei der Gesunderhaltung klären (138). Frisch zubereiteter Grüntee (2,5 g in 250 ml als Aufguss) enthält 240 bis 320 mg Catechine, hauptsächlich Epigallocatechin-3-gallat (EGCG), aber auch Koffein. Die in Tierver-
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suchen demonstrierten vielversprechenden Wirkungen des Grünteewirkstoffs auf die Fettresorption, den Lipidmetabolismus, die vermehrte Glukoseaufnahme und die antioxidative Wirkung haben den Umsatz von Grünteeprodukten in Amerika im Jahr 2008 auf 5,5 Millionen US-Dollar ansteigen lassen (139). Dabei sind weder das Ausmass der Wirkung des Grünteewirkstoffs auf das kardiovaskuläre Risiko und die Prävention des metabolischen Syndroms noch die täglich einzunehmende optimale Dosis bekannt (140). Das Auftreten schwerwiegender unerwünschter Wirkungen im Zusammenhang mit dem Trinken von Grüntee ist zwar selten, aber im Einzelfall kam es zur Leberschädigung nach Trinken von Grüntee beziehungsweise Einnahme von Grünteeextrakten (141, 142). Als Ursache der Leberschädigung konnte ein hoher EGCG-Gehalt identifiziert werden (143).
Andere Nahrungsmittel und Pflanzenextrakte Knoblauch besitzt ein blutdrucksenkendes und kardioprotektives Wirkprinzip (144). Darüber hinaus greift Knoblauch positiv in den Fettstoffwechsel ein und bessert nicht nur die Insulinresistenz, sondern auch diabetesbedingte Komplikationen, obwohl das Ausmass der cholesterinsenkenden and antidiabetogenen Wirkungen noch in konfirmativen Studien belegt werden muss (145, 146). Ausserdem wurde für Knoblauch eine protektive Wirkung auf die Nieren demonstriert (147). Extrakt aus den Bättern von Ginkgo biloba besitzt eine starke antioxidative und antientzündliche Wirkung (148). Der Wirkstoff, der Flavonglykoside und Terpenoide enthält, hemmt unter anderem die oxLDL-induzierte Produktion von Fibronektin in isolierten Gefässzellen (149) sowie die oxLDL- und 4-Hydroxynonenal-induzierte Produktion von MMP-1 in glatten Muskelzellen aus Koronararterien (150)
und die durch oxLDL ausgelöste endotheliale Dysfunktion (151). Nach Einnahme von 240 mg Ginkgoextrakt EGb 761 über 2 Monate hatte die mittels Ellipsometrie gemessene Nanoplaquebildung um 14 Prozent abgenommen (152, 153). Dennoch konnte in einer Langzeitstudie, in die initial 3069 Teilnehmer im Alter über 75 Jahre einbezogen wurden, nach Einnahme von 240 mg Extrakt EGb 761 pro Tag keine Reduktion der kardiovaskulären Mortalität demonstriert werden (154).
Pflanzliche Cholesterinsenker Die in Leinsamen, Flohsamen, Hafer, Hagebuttenpulver und Guarmehl enthaltene Pflanzenfasern binden Cholesterin und tragen zur Senkung der Cholesterinkonzentrationen im Blut und so zur Reduktion des kardiovaskulären Risikos bei (155). Das in der Hagebutte enthaltende Tilirosid hemmt darüber hinaus die Fettresorption (156). Ingwer senkt die Serumkonzentration von LDL-Cholesterin und erhöht das HDL-Cholesterin (157).
Gewürze
Ob Gewürze einen klinisch relevanten Effekt auf Stoffwech-
selprozesse besitzen, ist umstritten (158, 159).
O
Otto Knes1,3 und Sigrun Chrubasik-Hausmann2,4 1Human Nutrition and Metabolism Research and Training Center, A-8010 Graz 2Institut für Rechtsmedizin, Universität Freiburg, Albertstrasse 9, D-79104 Freiburg 3SwissAnalysis AG, 8274 Tägerwilen 4Medizinisches Zentrum, 7310 Bad Ragaz
Das Literaturverzeichnis ist beim Verlag erhältlich.
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