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STUDIE REFERIERT
Hypoglykämien vermeiden heisst kardiovaskuläre Komplikationen vermeiden
nun, ob schwere Hypoglykämien als eigenständiger Faktor mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden sind, oder ob eher das Vorhandensein einer schweren Begleiterkrankung massgeblich für diese Verbindung verantwortlich ist. Da eine Randomisierung von Patienten mit und ohne Hypoglykämien nicht möglich ist, evaluierten die Autoren den Einfluss der schweren Begleiterkrankung mithilfe einer Biasanalyse.
In einem Review mit Metaanalyse kamen Wissenschaftler zu dem Ergebnis, dass schwere Hypoglykämien als eigenständiger Faktor das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen signifikant erhöhen. Eine Vermeidung schwerer Hypoglykämien könnte somit bei Patienten mit Diabetes Typ 2 zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen beitragen.
BRITISH MEDICAL JOURNAL
In Beobachtungsstudien wurde eine Verbindung zwischen schweren Hypoglykämien und dem Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen festgestellt. Dieser Zusammenhang wird jedoch kontrovers diskutiert. Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass die schwere Hypoglykämie lediglich einen
Merksätze
O Schwere Hypoglykämien sind bei Patienten mit Diabetes Typ 2 mit einem signifikant erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen verbunden.
O Die Vermeidung schwerer Hypoglykämien könnte zur Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen von Bedeutung sein.
O Hypoglykämien können durch individuelle glykämische Zielwerte, eine Auswahl nicht mit Hypoglykämie assoziierter Antidiabetika sowie mit Verhaltensänderungen und einer konsequenten Überwachung des Blutzuckers vermieden werden.
Marker der Anfälligkeit für die Entwicklung kardiovaskulärer Erkrankungen darstellt, da das Risiko für Hypoglykämien bei schweren Komorbiditäten wie Leber-, Nieren- oder Krebserkrankungen erhöht ist. Somit könnte eine schwere Begleiterkrankung die potenzielle Verbindung zwischen Hypoglykämie und kardiovaskulären Erkrankungen zumindest teilweise vortäuschen. Sollten schwere Hypoglykämien jedoch tatsächlich kardiovaskuläre Ereignisse induzieren, könnten sie den potenziellen Nutzen der glykämischen Kontrolle vermindern, da eine intensive Kontrolle des Blutzuckers das Risiko für schwere Hypoglykämien erhöht. Biologisch erscheint eine Verbindung zwischen schweren Hypoglykämien und einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen plausibel. Das Ansprechen des sympathischen Nervensystems auf eine schwere Hypoglykämie führt zur Erhöhung der Katecholaminspiegel, die sich wiederum ungünstig auf das Myokard und das vaskuläre System auswirkt. Der Anstieg der Katecholamine führt zudem zu einer Plättchenaktivierung, einer Leukozytenmobilisierung und zur Koagulation und somit zu Vorgängen, die kardiovaskuläre Ereignisse auslösen können. Auch werden durch eine akute Hypoglykämie Entzündungen und endotheliale Dysfunktionen induziert – Faktoren, die bei der Entwicklung von Atherosklerose eine Rolle spielen. Letztlich können auch kardiale Ischämien oder schwere Arrhythmien, die während einer Unterzuckerungsepisode auftreten, zu kardiovaskulären Erkrankungen führen. In einem systematischen Review mit Metaanalyse untersuchten Atushi Goto vom National Center for Global Health and Medicine und seine Arbeitsgruppe
Ergebnisse Im Rahmen ihrer Untersuchung werteten die Wissenschaftler sechs Beobachtungsstudien mit einem durchschnittlichen Follow-up zwischen 1 und 5,6 Jahren aus, an denen insgesamt 903 510 Patienten mit Diabetes Typ 2 teilnahmen. Während des jeweiligen Studienzeitraums erlitten 0,6 bis 5,8 Prozent der Teilnehmer eine schwere Hypoglykämie. In der konventionellen Metaanalyse mit Zufallseffektmodellen (in der Störfaktoren nicht berücksichtigt wurden) stand die schwere Hypoglykämie in engem Zusammenhang mit einem signifikant erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen (relatives Risiko [RR]: 2,05, 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,74–2,42; p < 0,001). Der zusätzliche Anteil der Inzidenz kardiovaskulärer Erkrankungen, der ausschliesslich auf schwere Hypoglykämien zurückzuführen war (populationsattributables Risiko), betrug 1,56 Prozent (95%-KI: 1,32–1,81; p < 0,001). Aus der Biasanalyse ging nach dem Abgleich für schwere Begleiterkrankungen hervor, dass eine schwere Komorbidität allein die Verbindung zwischen Hypoglykämie und kardiovaskulärer Erkrankung nicht erklären kann. Dazu müsste die jeweilige Begleiterkrankung sowohl eng mit der schweren Hypoglykämie als auch mit der kardiovaskulären Erkrankung assoziiert sein und bei Personen mit Hypoglykämien etwa zehnmal häufiger vorhanden sein als bei Diabetikern ohne Hypoglykämien. Fazit und Diskussion Nach Ansicht der Wissenschaftler weisen die Ergebnisse ihrer Metaanalyse darauf hin, dass schwere Hypoglykämien mit einem deutlich erhöhten 1174 ARS MEDICI 23 I 2013 Risiko für kardiovaskuläre Erkrankun- gen verbunden sind. Zudem stützen die Resultate die Annahme, dass eine Ver- meidung schwerer Hypoglykämien bei Patienten mit Diabetes Typ 2 zur Prä- vention kardiovaskulärer Erkrankun- gen von Bedeutung sein könnte. Demzufolge wäre es möglicherweise sinnvoll, für Diabetiker mit einem hohen Risiko für Hypoglykämien we- niger stringente glykämische Ziele in Betracht zu ziehen, sodass schwere Hypoglykämien möglichst vermieden werden. Die Festlegung individueller Zielwerte wird derzeit auch von der American Diabetes Association und der European Association for the Study of Diabetes empfohlen. Zur Vermeidung von Hypoglykämien könnten zudem vorzugsweise Antidia- betika wie Metformin angewendet werden, die nicht mit Hypoglykämien assoziiert sind. In diesem Zusammen- hang ist jedoch zu bedenken, dass vie- len Hypoglykämien eine Veränderung der Nahrungsaufnahme vorangeht, so- dass eine Unterzuckerung in bestimm- ten Fällen auch durch Verhaltensände- rungen vermieden werden kann. Bei Patienten, die mit Insulin behandelt werden, kann die konsequente Über- wachung der Blutglukose zur Präven- tion von Hypoglykämien von Nutzen sein. O Petra Stölting Quelle: Goto A et al: Severe hypoglycaemia and cardiovascular disease: systematic review and meta-analysis with bias analysis. BMJ 2013; 347: f4533. Interessenkonflikte: keine deklariert