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Zöliakie
Gluten-induzierte rheumatologische Symptome
Die Zöliakie ist ein genetisch determiniertes Autoimmungeschehen mit intestinalen und extraintestinalen Manifestationen. Zu Letzteren gehören auch Skelett- und Muskelbeschwerden sowie Osteomalazie und Osteoporose. Alle Symptome werden durch eine lebenslange glutenfreie Diät, ergänzt durch Substitution bei Mangelerscheinungen, günstig beeinflusst.
Klebereiweiss, eine Komponente des in vielen Getreidesorten enthaltenen Glutens, passiere in Dünndarm das Epithel und bilde in der Schleimhaut unter Einwirkung der Gewebetransglutaminase (tissue transglutaminase, TTG) einen Komplex mit bestimmten HLA-Antigenen, der T-Helfer-Zellen zur Sekretion entzündungsauslösender Botenstoffe wie Interferon, Tumor-Nekrose-Faktor und Interleukine anrege, erklärte PD Dr. Jonas Zeitz, Gastrozentrum Hirslanden, Zürich. In der Folge kommt es zum zytokinvermittelten Zelltod und, vermittelt durch Matrix-Metalloproteinasen, zum Matrixabbau, histologisch erkennbar als Zottenatrophie und Kryptenhyperplasie. Parallel aktivieren Interleukine Plasmazellen, die Immunglobulin-A-Antikörper (IgA) produzieren. Diese sind in der serologischen Diagnostik bei Zöliakie wichtig und hilfreich. Ein HLA-Gentest gibt nur zuverlässige Antwort, wenn er negativ ist, da dann eine Zöliakie ausgeschlossen werden kann. Ein positiver HLA-Gentest ist hingegen nicht aussagekräftig, da 15 bis 30 Prozent der Allgemeinbevölkerung zwar auf HLA-DQ2 oder HLA-DQ8 positiv sind, aber nur 0,4 bis 1 Prozent an einer Zöliakie leiden.
Nicht nur Durchfall, auch Obstipation
Die Symptome einer Zöliakie sind vielfältig. Am häufigsten sind Diarrhö, Flatulenz, Gewichtsverlust und Adynamie. Recht oft treten auch Bauchschmerzen, Knochenschmerzen
KURZ & BÜNDIG
� Ein HLA-Gentest gibt nur dann eine zuverlässige Antwort, wenn er negativ ist, weil damit eine Zöliakie ausgeschlossen werden kann.
� Diagnostisch wegweisend ist die Serologie, ergänzt durch Dünndarmbiopsien.
� Die Therapie besteht aus einer lebenslangen glutenfreien Diät mit weniger als 10 mg Gluten pro Tag.
� Muskuloskeletale Manifestationen sind keineswegs selten und sprechen oft ebenfalls auf die glutenfreie Diät an.
und Übelkeit auf. Auch Depression kann ein Zöliakiesymptom sein. Es gibt zudem Patienten, die anstelle von Durchfall an Obstipation leiden, und solche mit Adipositas anstelle von Gewichtsabnahme. Die Diagnose wird gestellt aufgrund des klinischen Verdachts, durch Serologie sowie durch Gastroskopie mit Biopsieentnahme im Dünndarm. Die Serologie sei nur unter glutenhaltiger Diät aussagekräftig, betonte Zeitz. Heute kommen Patienten oft mit dem eigenen Zöliakieverdacht zum Arzt, haben dann schon gegoogelt und mit einer glutenfreien Diät begonnen. Das erschwert die Diagnostik, da sich sowohl die Befunde in der Biopsie als auch die Serologie unter erfolgreicher Diät wieder normalisieren. Man muss den Patienten also sagen, dass sie erst wieder zur Diagnostik kommen sollen, wenn sie täglich während sechs bis acht Wochen glutenhaltig gegessen haben.
Serologie nur unter glutenhaltiger Diät aussagekräftig
Bei Zöliakie werden IgA-Antikörper gegen Gliadin (AntiGliadin), Gewebetransglutaminase (Anti-TTG) sowie Endomysium-Antikörper (EMA) gebildet. Für die Diagnostik ist IgA-TTG wegen der hohen Sensitivität und Spezifität am wichtigsten und kann auch als Screeningtest verwendet werden. Wichtig ist, zusammen mit der Zöliakieserologie immer das IgA zu bestimmen, da bei Zöliakiepatienten relativ häufig ein IgA-Mangel vorliegt. Anti-Gliadin und EMA werden vor allem bei Spezialfällen bestimmt. Zum Beispiel erlauben bei Kindern stark erhöhte Anti-TTG zusammen mit erhöhtem Anti-Gliadin und EMA eine serologische Diagnose ohne Dünndarmbiopsie. Mit den heutigen hochauflösenden Endoskopen lassen sich die zöliakiespezifischen Schleimhautveränderungen (Verlust von Schleimhautfalten, Mosaikmuster, Fältelung, Knötchen) sehr gut beurteilen. Zur Diagnose müssen ausreichend Biopsien entnommen werden, da die Zöliakieveränderungen sich in Inseln über den Dünndarm verteilen und sonst verpasst werden können. Bei gewissen Patientengruppen gibt es ein erhöhtes Zöliakierisiko, unter anderem bei Verwandten ersten Grades, Eisenmangel, früh auftretender Osteoporose, Typ-1-Diabetes,
20 CongressSelection Rheumatologie | November 2021
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Down-Syndrom, reproduktiven Komplikationen (Abort, Infertilität), Autoimmunthyreoiditis sowie bei gewissen Lebererkrankungen (erhöhte Leberwerte, Autoimmunhepatitis).
Cave: einseitige Ernährung
Die Therapie besteht aus einer lebenslangen glutenfreien Diät (kein Weizen, kein Roggen, keine Gerste) mit Beschränkung der Einnahme auf weniger als 10 mg Gluten pro Tag. In vielen Fällen wird im ersten Jahr auch von Hafer abgeraten, obwohl dieser an sich kein Gluten enthält, aber bei der Verarbeitung in Getreidemühlen mit Gluten belastet werden kann. Wichtig ist auch eine Diätberatung, da sich Zöliakiepatienten oft sehr einseitig ernähren. Vor allem wenn sich Patienten unter Diät nicht hinreichend bessern, sollte man die eingenommenen Medikamente überprüfen, da sie Glutenbestandteile enthalten können. Als Beispiel nannte Zeitz Flagyl®. Die Adhärenz für die glutenfreie Diät schwankt zwischen 40 und 90 Prozent. Durchfall bessert sich unter der Diät schon nach Tagen. Nach sechs Monaten haben zwei Drittel der Betroffenen keine Beschwerden mehr. Die Serologie bessert sich nach 3 bis 6 Monaten (bis zu 24 Monaten), die Histologie nach 6 bis 12 Monaten (bis zu mehreren Jahren). Entsprechend sollten Nachkontrollen nach 3 bis 6 Monaten (für die Serologie) und dann jährlich geplant werden. Eine erneute Histologie zur Dokumentation des Behandlungserfolgs kann erst nach zwei Jahren in Erwägung gezogen werden.
Extraintestinale Manifestationen
Bei Zöliakie ist das relative Risiko für andere Autoimmunerkrankungen dreifach erhöht. Entsprechend haben 30 Prozent eine begleitende Autoimmunkrankheit (Typ-1-Diabetes, Autoimmunthyreoiditis, Sjögren-Syndrom, juvenile idiopathische Arthritis, Psoriasis usw.) (1). Diese Polyautoimmunität ist vergesellschaftet mit muskuloskeletaler Beteiligung,
weiblichem Geschlecht, positiven Zöliakieantikörpern, Vit-
amin-D-Mangel und antinukleären Antikörpern. Die extra-
intestinalen Manifestationen sind sehr vielfältig, von Alope-
zie, Augenbeteiligung, Kopfschmerzen, Müdigkeit bis zu
Leber- und Nierenstörungen, Osteoporose und Neuropathie
(2). In einer retrospektiven Studie mit Zöliakiepatienten wur-
den extraintestinale Manifestationen bei 62 Prozent der Er-
wachsenen und bei 60 Prozent der Kinder registriert. 9 Pro-
zent der Erwachsenen und 18 Prozent der Kinder wiesen
sogar nur extraintestinale Erscheinungen auf (3). Muskulo-
skeletale Manifestationen waren keineswegs selten: Arthral-
gien (16%), Arthritiden (15%), Myalgien (8%). Nach Be-
ginn einer glutenfreien Diät zeigten zwischen 50 und 69
Prozent der Betroffenen ein klinisches Ansprechen. In einer
italienischen Studie wurde eine rheumatologische Kohorte
serologisch auf Zöliakie untersucht (4). 3 Prozent wiesen
positive Anti-TTG-IgA auf.
In der Entstehung einer Osteoporose bei Zöliakie kommen
verschiedene pathogenetische Faktoren zusammen. Auf-
grund der Zottenatrophie kommt es zu einer Malabsorption
von Kalzium und Vitamin D. Bei Patienten mit Hypokalz-
ämie und systemischer Inflammation entwickelt sich auch ein
sekundärer Hyperparathyreoidismus. Schliesslich haben
Hypogonadismus und gestörter Sexualhormonmetabolis-
mus einen Einfluss auf den Knochenstoffwechsel (1). In einer
grösseren Studie zeigten sich höhere kumulative Inzidenzen
für atypische Lokalisationen, femorale und spinale Osteo-
porosen (1). In dieser Untersuchung war das relative Osteo-
poroserisiko bei Zöliakiepatienten gegenüber Kontrollen
knapp dreifach erhöht. Deshalb sollte bei der Erstdiagnose
einer Zöliakie eine Knochendichtemessung (DEXA) erfol-
gen. Wird eine zu tiefe Knochendichte gefunden, sollte unter
etablierter Kalzium- und Vitamin-D-Zufuhr und gegebenen-
falls Bisphosphonaten eine Kontrolluntersuchung nach 1 bis
2 Jahren vorgenommen werden.
s
Kasten:
Serologie bei Zöliakie (nach [5])
Antikörper Sensitivität Spezifität PPW
NPW
TTG
95–98% 93–95% 91–95% 96–98%
Gliadin 55–94% 81–94% 85–93% 65–77%
EMA
85–98% 97–100% 91–95% 96–98%
IgA-TTG vor glutenfreier Diät bestimmen. Serologie normalisiert sich nach 3 bis 6 Monaten.
IgA-Mangel: 0,2% in der Normalbevölkerung, aber 2 bis 3% bei Zöliakiepatienten.
PPW: positiver prädiktiver Wert, NPW: negativer prädiktiver Wert, EMA: EndomysiumAntikörper
Halid Bas
Quelle: Workshop «Gluten-induzierte rheumatologische Symptome», Rheuma Top 2019, 22. August 2019 in Pfäffikon SZ.
Referenzen: 1. Dos Santos S et al.: Osteoarticular manifestations of celiac di-
sease and non-celiac gluten hypersensitivity. Joint Bone Spine. 2017;84(3):263–266. 2. Therrien A et al.: Celiac Disease: Extraintestinal Manifestations and Associated Conditions. J Clin Gastroenterol. 2020;54(1): 8–21. 3. Jericho H et al.: Extraintestinal Manifestations of Celiac Disease: Effectiveness of the Gluten-Free Diet. J Pediatr Gastroenterol Nutr. 2017;65(1):75–79. 4. Caio G et al.: Prevalence of celiac disease serological markers in a cohort of Italian rheumatological patients. Gastroenterol Hepatol Bed Bench. 2018;11(3):244–249. 5. Rostom A et al.: Celiac disease. Evid Rep Technol Assess (Summ). 2004;104:1–6.
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