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BERICHT
Depression in der Schwangerschaft: Besser therapieren!
Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG)
Workshop «Psychopharmaka in der Schwangerschaft und Stillzeit» der SAPP , 27. bis 29. Juni 2013, Lugano
Der Umgang mit Psychopharmaka in der Schwangerschaft und in der Stillzeit ist ein häufiges, aber oft zu wenig beachtetes Problem. Aus Unwissen werden nicht selten unnötigerweise Medikamente abgesetzt, und damit wird eine akute Verschlechterung der psychischen Situation mit Gefahren für Mutter und Kind provoziert. Hier tut Aufklärung dringend not!
SABINA M. LUDIN
Depressionen sind die häufigsten psychischen Erkrankungen in der Schwangerschaft und Stillzeit. Depressionen sind aber auch die Erkrankungen, die am häufigsten nicht erkannt werden. Epidemiologische Daten zeigen, dass 6,5 bis 12,9 Prozent aller Frauen zu irgendeinem Zeitpunkt während der Schwangerschaft oder im ersten Jahr nach der Entbindung an einer Depression leiden (1). Betrachtet man nur die Depressionen in den ersten drei postpartalen Monaten, liegt die Prävalenz sogar bei 19,2 Prozent (1). Angststörungen sind mit einer Prävalenz von 14,6 Prozent in der Schwangerschaft und in den drei ersten postpartalen Monaten auch ziemlich häufig (2). Psychosen sind viel seltener, gehören aber bezüglich Betreuung zu einer der wichtigsten Gruppen. Suizid ist mit 42 Prozent die mit Abstand häufigste Todes-
ursache von Müttern mit psychischen Erkrankungen. 38 Prozent der Mütter, die einen Suizid begehen, leiden an einer Psychose, 31 Prozent an einer schweren Depression oder Trauerreaktion, und 31 Prozent sind drogenabhängig (3). «Auch diese Zahlen zeigen, wie wichtig eine gute Betreuung von Müttern mit Psychosen oder schweren Depressionen ist», betonte Prof. Dr. Irene Hösli, Basel.
Geburtshilfliche Probleme bei psychiatrischen Erkrankungen Zur Häufigkeit von geburtshilflichen Problemen, die sich durch die psychische Erkrankung der Mutter ergeben, gibt es nur wenig Daten, es scheint aber, dass sowohl Depressionen als auch Psychosen zu einer gewissen Frühgeburtlichkeit führen. «Was sich eindeutig zeigen liess, ist, dass das Risiko für eine Frühgeburt bei antidepressiv behandelten Frauen signifikant tiefer ist als bei unbehandelten», betonte Hösli (4, 5). Bei Psychosen ist ausserdem das Risiko für Wachstumsretardierungen (Geburtsgewicht < 2500 g oder Small for Gestational Age) erhöht. Die Erkrankungen haben, vor allem wenn sie nicht erkannt oder nicht behandelt werden, einen Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf, die Entbindung, den postpartalen Verlauf, auf die Beziehung zwischen Mutter und Kind sowie auf dessen Entwicklung.
Antidepressiva in der Schwangerschaft Frauen mit bekannter, behandelter Depression sollten, wenn sie eine Schwangerschaft planen oder bereits schwanger sind, die antidepressive Therapie nicht abbrechen, da die Rückfallrate mit 60 bis 70 Prozent sehr hoch ist (6). «Die Tatsache, dass diese psychiatrischen Erkrankungen auf
einem Mangel an Transmittern beruhen, die wir mit der pharmakologischen Behandlung zuführen, spricht dafür, dass die Weiterführung der Behandlung für die Gewährleistung einer gesunden Schwangerschaft wichtig ist», hielt Prof. Dr. Ursula von Mandach, Zürich, fest. Bleibt die Frage der Teratogenität. Eine im Juni 2013 erschienene Metaanalyse mit Daten aus 115 Studien zeigt, dass für Sertralin und Citalopram kein erhöhtes Risiko für Malformationen besteht (8). Für Fluoxetin und Paroxetin fand sich eine leicht erhöhte Odds Ratio von 1,14 respektive 1,29. «Da Epidemiologen aber erst bei einer Odds Ratio über 2 von einem erhöhten Risiko sprechen, dürfen wir davon ausgehen, dass die ganze Gruppe der SSRI bezüglich Fehlbildungen sicher ist», erläuterte von Mandach. Nicht vergessen darf man, dass alle SSRI zu Störungen der neonatalen Adaptation führen können, weshalb man darauf vorbereitet sein sollte. Von den Trizyklika gelten Nortriptylin und Amitriptylin als sicher, weshalb man bei einer Frau, die mit diesen Medikamenten gut eingestellt ist, von einem Wechsel auf ein anderes Antidepressivum absehen sollte. MAOHemmer sind in der Schwangerschaft nicht zu empfehlen, da sie viele Interaktionen machen und sehr auf die Ernährung geachtet werden muss (Tabelle 1). Eine häufige Frage ist auch, ob Antidepressiva vor der Entbindung abgesetzt werden sollten. Auch hierzu gibt es eine aktuelle, sehr grosse Kohortenstudie mit mehr als 100 000 Neugeborenen, die zeigt, dass das Absetzen der SSRI zwei Wochen vor dem Geburtstermin zu keiner Verbesserung des neonatalen Outcomes führte. «Wir empfehlen deshalb, die antidepressive Behandlung weiterzuführen», sagte von Mandach. Und weiter: «Beachten
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Tabelle 1:
Psychopharmaka in der Schwangerschaft
Antidepressiva SSRI (+) Sertralin, Citalopram
(–) Paroxetin: Fehlbildungen? Schlechte neonatale Adaptation (–) Fluoxetin: Kumulation, Dosierungsprobleme, Fehlbildungen? Cave für alle SSRI: Störungen der neonatalen Adaptation bei Anwendung im 3. Trimenon (Agitation); vermindertes Geburtsgewicht
Trizyklika MAO-Hemmer
(+) Nortriptylin, Amitriptylin –
Typika Atypika
Antipsychotika (+) Haloperidol, Chlorpromazin (+) Risperidon, Quetiapin Cave Olanzapin: metabolisches Syndrom
(+) mit entsprechendem Monitoring akzeptabel; (–) nur in speziellen Fällen und in spezialisierten Kliniken; – nicht empfohlen
Tabelle 2:
Psychopharmaka in der Stillzeit
SSRI Trizyklika
MAO-Hemmer
Antidepressiva (+) Sertralin, Citalopram, Paroxetin, Fluvoxamin (–) Escitalopram, Fluoxetin (+) Nortriptylin evtl. Amitriptylin, Imipramin Cave Doxepin: Akkumulation des aktiven Metaboliten → Agitation des gestillten Kindes
–
Typika Atypika Supiride
Antipsychotika (+) evtl. Haloperidol, Chlorpromazin (+) Olanzapin, Risperidon, Quetiapin, Clozapin hohe Konzentrationen in der Muttermilch → Überwachung des Säuglings
(+) mit entsprechendem Monitoring akzeptabel; (–) nur in speziellen Fällen und in spezialisierten Kliniken; – nicht empfohlen
muss man aber, dass sich die Pharmakokinetik verändert und die Dosis während der Schwangerschaft oft erhöht und nach der Entbindung wieder entsprechend gesenkt werden muss.»
Antidepressiva in der Stillzeit Während der Stillzeit ist die Frage der Akkumulation in der Muttermilch, aber auch im gestillten Kind massgebend. Sertralin, Citalopram, Paroxetin, Fluvoxamin und Nortriptylin sind diesbezüglich unbedenklich (Tabelle 2).
Antipsychotika in der Schwangerschaft Für Haloperidol gibt es eine grosse Studie des ENTIS (European Network of Teratology Information Services), die zeigt, dass dieses alte Medikament bezüglich Fehlbildungen als sicher einzustufen ist (9). Auch für Chlorpromazin, das häufig auch gegen Hyperemesis verwendet wird, gibt es keine Hinweise für ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko (10). Von den Atypika gelten Risperidon und Quetiapin ebenfalls als sicher (Tabelle 1).
Antipsychotika in der Stillzeit Wegen der Akkumulation in der Muttermilch und im gestillten Kind wird Müttern, die Antipsychotika einnehmen müssen, empfohlen, ihr Kind nicht zu stillen. In gewissen Fällen und unter strenger Überwachung des Säuglings kann auch eine Frau mit Haloperidol, Chlorpromazin oder auch einem Atypikum stillen (Tabelle 2).
Anxiolytika, Sedativa, Hypnotika Von den Benzodiazepinen wurde lange vermutet, dass sie das Risiko für Kieferspalten erhöhen, was aber nicht bestätigt werden konnte (11). Zum Risiko der Herzmissbildungen kann aufgrund der vorliegenden Daten keine klare Aussage gemacht werden, das Risiko ist aber wahrscheinlich nicht erhöht. Allerdings muss angenommen werden, dass eine Langzeitbehandlung mit Benzodiazepinen Auswirkungen auf das sich entwickelnde Nervensystem des Fötus hat, weshalb diese Medikamente in der Schwangerschaft höchstens kurzzeitig angewendet werden sollten, bevorzugt solche mit einer kurzen Halbwertszeit wie Alprazolam und Lorazepam. Das Gleiche gilt für die Stillzeit.
Phytotherapeutika Für die Tagessedation und die Anxiolyse bewährt sich bei Schwangeren die Baldrianwurzel sehr gut. Für den kurzfristigen Einsatz von Schlafstörungen bei Schwangeren mit einer Depression ist Johanniskraut gut geeignet. Für dessen Einsatz als Antidepressivum über längere Zeit gibt es zurzeit aber noch keine Daten für die Schwangerschaft und Stillzeit. «Es gibt keine andere Pflanze, die so viele Interaktionen macht wie Johanniskraut, weshalb es nur dann gegeben werden sollte, wenn keine anderen Medikamente eingenommen werden», riet von Mandach. Ein in der Geburtshilfe häufig eingesetztes Medikament, das keine Nebenwirkungen hat, ist Bryophyllum pinatum. Neben der klassischen Anwendung in der Tokolyse bewährt es sich auch bei Agitationen und Schlafstörungen. Bryophyllum ist kein Homöopathikum, sondern ein reines Phytotherapeutikum. Die Kautabletten bestehen zu 50 Prozent aus dem Presssaft der Blätter, der an Laktose gebunden ist. Am USZ läuft derzeit eine Onlinebefra-
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Zum Einsatz von Psychopharmaka bei Schwangeren und während der Stillzeit bedarf es immer noch der Aufklärung.
gung zu Bryophyllum mit dem Ziel, noch mehr Daten zu Sicherheit und Wirksamkeit bei Schwangeren und Nichtschwangeren zu erhalten. Interessierte können unter www.ctc-zkf.usz. ch/Studienteilnehmende/Studienteil nahme/Seiten/bryo.aspx auf unkomplizierte Weise ihre Fälle eingeben.
Fazit
Schwangere mit einer behandlungs-
bedürftigen Depression oder Psychose
sollten unbedingt medikamentös be-
handelt werden, da unbehandelte psy-
chische Erkrankungen für Mutter und
Kind ein Risiko darstellen. Es stehen
genügend Substanzen zur Verfügung,
die auch in der Schwangerschaft sicher
sind.
O
Sabina M. Ludin
Referenzen: 1. Gavin NI et al.: Perinatal depression: a systematic re-
view of prevalence and incidence. Obstet Gynecol 2005; 106: 1071–1083.
2. Avon Longitudinal Study of Parents and Children (ALSPAC), www.bristol.ac.uk/alspac/.
3. Cantwell R et al.: Saving Mothers' Lives: Reviewing maternal deaths to make motherhood safer: 2006–2008. The Eighth Report of the Confidential Enquiries into Maternal Deaths in the United Kingdom. BJOG 2011; 118 (Suppl 1): 1–203.
4. Bonari L et al.: Perinatal risks of untreated depression during pregnancy. Can J Psychiatry 2004; 49: 726–735.
5. Bonari L et al.: Risks of untreated depression during pregnancy. Can Fam Physician 2004; 50: 37–39.
6. Cohen LS et al.: Relapse of major depression during pregnancy in women who maintain or discontinue antidepressant treatment. JAMA 2006; 295: 499–507.
7. Myles N et al.: Systematic meta-analysis of individual selective serotonin reuptake inhibitor medications and congenital malformations. Aust N Z J Psychiatry [Epub ahead of print].
8. Warburton W et al.: A register study of the impact of stopping third trimester selective serotonin reuptake inhibitor exposure on neonatal health. Acta Psychiatr Scand 2010; 121: 471–479.
9. Diav-Citrin O et al.: Safety of haloperidol and penfluridol in pregnancy: a multicenter, prospective, controlled study. J Clin Psychiatry 2005; 66: 317–322.
10. Slone D et al.: Antenatal exposure to the phenothiazines in relation to congenital malformations, perinatal mortality rate, birth weight, and intelligence quotient score. Am J Obstet Gynecol 1977; 128: 486–488.
11. Wikner BN et al.: Use of benzodiazepines and benzodiazepine receptor agonists during pregnancy: neonatal outcome and congenital malformations. Pharmacoepidemiol Drug Saf 2007; 16: 1203–1210.
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