Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Stadler und die Verrückten
S ollte Professor Beda Stadler von der «Basler Zeitung» richtig zitiert worden sein, dann liegt er falsch. Über Gegner des Epidemiengesetzes tönte er: «Ansonsten sind im Nein-Komitee alle Verrückten des Landes versammelt.» Nach Karl Popper kann diese Aussage falsifiziert werden: Es ist nicht zutreffend, dass ALLE Verrückte des Landes im NeinKomitee sind, denn es gibt Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Menschen, bei denen eine Geisteskrankheit mit ICD-10 Code F20 diagnostiziert wurde, oder die vom Schreibenden als total mad‘n’crazy angesehen werden, die aber nicht im Nein-Komitee sind. Andererseits wurde von Prof. Stadler nicht belegt, dass bei allen Personen des Nein-Komitees eine solche Störung diagnostiziert wurde. Oder meint Stadler mit «verrückt» nicht «wahnsinnig», sondern eines der Synonyme, zum Beispiel dumm, blöd, albern, ausgefallen, anomal, sonderbar, konfus, schrullig, fanatisch? Hat er gar Dialekt geredet, wo «verruckt» gleich «wütend» ist? Die Wahrscheinlichkeit, dass die Komiteemitglieder auf den Professor stinksauer sind, erscheint in der Tat hoch. Wenn sie es wären, wäre es nicht verrückt im Sinne von exzentrisch/merkwürdig, sondern gut einfühlbar. Denn hier gingen ihm «die Pferde durch», wie er es früher einmal selbst öffentlich eingestand. Darum wird der Hochschullehrer jetzt belehrt: Lieber Herr Professor Stadler! Es gibt Menschen, die Meinungen haben, welche nicht mit den Ihren übereinstimmen. Möglicherweise sind diese Überzeugungen tatsächlich kreuzfalsch bis echt dumm. Vielleicht ist der Glauben von religiösen Menschen kindlich bis kindisch. Wahrscheinlich ist die Angst, sind die Bedenken der Abstimmenden, die das neue Epidemiengesetz nicht annehmen wollten, irrational und unberechtigt. Aber wenn Sie rezidivierend ungezielte Rundumschläge verteilen, müssen Sie nicht erstaunt sein, dass man Sie als arrogant abtut und ignoriert. Vielleicht sind Sie als Immunologe mit dem Abwehrsystem so vertraut, dass es Sie nicht stört, wenn andere gegen Sie allergisch reagieren. Doch als Abwehrspezialist wissen Sie, dass – wie zum Beispiel bei der von Ihnen empfohlenen Impfung – Menge und Virulenz des Impfstoffes zu beachten sind, sonst ist die Wirkung nicht gesundheitserhaltend, sondern letal. Ähnlich verhält es sich mit Diskussionsbeiträgen. Die Gratwanderung zwischen nötiger Provokation, um gehört zu werden, und der Brüskierung von eigentlich lernwilligen und lernfähigen Menschen ist schwierig. Wer anderen so
oft Unwissenschaftlichkeit vorwirft wie Sie, sollte zwar nicht die Goldwaage, aber doch Goldstandards bei seinem Wording anwenden. Bitte ein bisschen mehr Recherche, bevor Sie in Zeitungen ins Unreine reden. Befremdet nahm es die überarbeitete, nicht üppig bezahlte Ober- und Assistenzärzteschaft zur Kenntnis, als Sie witzelten: «Ich bin finanziell nicht unabhängig, ich bin ja kein Klinikarzt, sondern habe nur ein bisschen mehr als ein Gymnasiallehrer.» Empört waren die Pflegefachpersonen, als Sie auf die Frage, warum das Medizinalpersonal so impfmüde sei, schrieben: «Zum einen sagen sich wohl viele Pflegende: ‹Dann werde ich halt krank, falle für ein paar Tage aus, kann mich pflegen, ausschlafen und wieder mal Soap-Operas schauen›». Und über die «Rabeneltern» müssen wir gar nicht reden … Bevor Sie grossen Bevölkerungsgruppen generell Raffgier, Faulheit, Kindesmisshandlung und Eigennutz unterstellen, überlegen Sie vielleicht, ob hinter deren Verhalten nicht andere Gründe verborgen sein könnten. Als Forscher wären Sie dazu verpflichtet. Als dicker, rauchender Biologe traten Sie für Zwangsimpfungen bei Armee und in Spitälern ein, aber Sie regen sich auf, wenn Dicke oder Raucher die Zielscheibe von «Fürsorge» sind, welche das Recht zu rauchen und zu essen abstreitet. Als nicht rauchender Dünner bin ich zum Teil Ihrer Meinung, aber genau wie die Psychoanalytiker muss ich schmunzeln. Die Versuchung, einen dümmlichen Kalauer, eine politische Unkorrektheit, die aber die Dinge beim Namen nennen, zu benutzen, ist gross. Doch die Kollateralschäden sind nicht ohne Belang. Ihnen hören viele kluge Menschen nicht mehr zu. Andere haben Sie zutiefst gekränkt. Die Witzchen des Bio-Clowns stehen so im Vordergrund, dass sie die Argumente des besorgten, klugen und engagierten Mahners übertönen. Schalten Sie die Gag-Maschine mal einen Gang runter und öfters den seriösen Part Ihres Hirns ein. Denn es wäre schade, wenn weitere Medien auf Ihre Glossen verzichten würden, die bitter notwendig sind. Wenn Sie zum George Carlin des Schweizer Gesundheitswesens werden wollen, beachten Sie bitte: Weniger ist manchmal mehr. Bei Impfungen wie bei Interviews. Zwar bezweifle ich, dass Satire die Welt verbessern kann. Aber sie ist so unterhaltsam und befreiend, dass Sarkastiker sich nur so weit das Maul zerreissen sollten, dass sie es noch weiterhin gebrauchen können.
ARSENICUM
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ARS MEDICI 18 I 2013