Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Kardiologie
«Polypill» steigert Therapietreue, aber ...
Weil die Compliance bekanntermassen mit jeder zusätzlichen Pille abnimmt, hofft man, durch Kombinationspräparate die Medikamenteneinnahme einfacher und zuverlässiger zu machen. Kardiologen diskutieren schon lange über eine sogenannte «Polypill», in der die wichtigsten kardiovaskulären Substanzgruppen enthalten sind: Blutverdünner, Statine und Antihypertensiva. Wie die kürzlich publizierte Studie UMPIRE zeigt (1), scheint die All-inclusive-Pille tatsächlich zuverlässiger eingenommen zu werden als die Kombination der Einzelsubstanzen: Während 86 Prozent der Patienten nach 15 Studienmonaten behaupteten, ihre Kombinationspille vorschriftsmässig einzunehmen, war das nur bei 65 Prozent der mit mehreren Präparaten konventionell versorgten Patienten der
Fall. Ob der Unterschied in der Praxis auch so gross wäre, bleibt fraglich, da die Studienprobanden die «Polypill» gratis in einer Grosspackung für mehrere Monate erhielten, die konventionell versorgten Patienten ihre Medikamente aber wie üblich selbst besorgen und bezahlen mussten. Die Kombinationspille enthielt entweder 75 mg Acetylsalicylsäure, 40 mg Simvastatin, 10 mg Lisinopril sowie 50 mg Atenolol beziehungsweise 12,5 mg Hydrochlorthiazid anstelle des Atenolols. Blutdruckkontrolle (-2,6 mmHg) und Lipidprofil waren mit der Kombinationspille etwas besser als mit der konventionellen Behandlung. Dass der Unterschied eher gering ausfiel, führen die Autoren der Studie auf die ohnehin gute Versorgung der konventionellen Vergleichsgruppe zurück. Es gab keinen statistisch signifikanten Unterschied bei der Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse oder schwerer Nebenwirkungen zwischen den beiden Gruppen, ein Nachweis, der nach Aussage der Autoren aufgrund der Patientenzahl von je 1002 in jeder Gruppe auch gar nicht möglich gewesen wäre. Sie spekulieren, dass man angesichts der leicht verbesserten Lipid- und Blutdruckwerte mit einem messbaren Effekt in einigen Jahren rechnen könne. Sie betonen ausserdem, dass besonders
Patienten mit schlechter Compliance
zu Beginn der Studie beziehungsweise
Patienten, die nicht alle Substanzen
erhielten, obgleich das indiziert gewesen
wäre, von der «Polypill» profitierten.
In einem Kommentar (2) gibt J. Mi-
chael Gaziano, einer der Beiratsmitglie-
der der Zeitschrift JAMA, zu beden-
ken, dass eine Kombinationspille nicht
nur Vorteile habe (Nebenwirkungspro-
fil, Übertherapie) und die vorliegende
Studie kein überzeugender Beweis für
eine allgemeingültige Nützlichkeit der
«Polypill» sei. Vielmehr sollte man sie
gezielt bei Patienten mit schlechter
Compliance sowie in ärmeren Ländern
mit einer generell schlechteren Versor-
gung der Bevölkerung testen. Hier sieht
Gaziano das grösste Potenzial für die
«Polypill». Einstweilen sei man gut
beraten, die Polymedikation seiner
Patienten sorgfältig und wiederholt zu
erfassen und die Anzahl täglicher Pillen
durch das Weglassen von Präparaten zu
senken, die individuell ohnehin nur einen
marginalen Nutzen hätten.
RBOO
1. Thom S et al.: Effects of a fixed-dose combination strategy on adherence and risk factors in patients with or at high risk of CVD. The UMPIRE Randomized Clinical Trial. JAMA 2013; 310(9): 918–929.
2. Gaziano JM: Progress with the polypill? JAMA 2013; 310(9): 910–911.
Diabetes
Mindert Metformin die kognitive Leistungsfähigkeit?
Möglicherweise mindert Metformin unter bestimmten Voraussetzungen die kognitive Leistungsfähigkeit. Zu diesem Schluss kommen Eileen Moore und ihr Team an der Universität Melbourne aufgrund der Beobachtung, dass Diabetiker mit Metformin im MiniMental-Test weniger gut abschnitten als Patienten ohne Metformin. Die Forscher führten zu dieser Frage jedoch keine neue Studie durch, sondern sie
werteten die Daten von 1354 Patienten aus anderen Studien oder Krankenhausakten aus. Ob Metformin wirklich die Kognition beeinträchtigt, wird durch diese Beobachtungsstudie allerdings nicht bewiesen, es ist vorderhand nur ein Verdacht. Auch scheinen allfällige Zusammenhänge komplex zu sein, denn auch Vitamin-B12-Mangel war mit einer verminderten Kognition assoziiert; bestand kein B12-Mangel, schien
Metformin weniger Einfluss auf die Kognition zu haben. Die Autoren schliessen daraus, dass der kognitionsmindernde Metformineffekt – wenn es denn wirklich einen gibt – möglicherweise über eine Beeinträchtigung des Vitamin-B12-Mangels läuft. RBOO
Moore EM et al.: Increased risk of cognitive impairment in patients with diabetes is associated with metformin. Diabetes Care 2013, online doi:10.2337/dc13-0229.
886
ARS MEDICI 18 I 2013
Onkologie
MAGE-A3 enttäuscht in Melanomstudie
Noch vor Kurzem sah es danach aus, dass die Hoffnungen auf den Erfolg einer Immuntherapie mit MAGE-A3, einem Melanomantigen, berechtigt seien. Nun meldet das USamerikanische Online-Portal Medpage Today, dass der Hersteller GlaxoSmithKline in einer knappen Mitteilung das Scheitern der Behandlung mit MAGE-A3 in einer plazebokontrollierten Phase-III-Studie bekanntgab. Die Therapie führte nicht zu einer längeren rezidivfreien Überlebensdauer. Nun ist die Enttäuschung gross. Noch im Juli 2013 hatte man positive Resultate einer Phase-II-Studie mit MAGE-A3 bei Melanom und nicht klein-
zelligem Lungenkarzinom (NSCLC) publi-
ziert. Man hoffte bis anhin, mit MAGE-A3
ein Molekül gefunden zu haben, dass nicht
nur tumorspezifisch, sondern auch für viele
Patienten geeignet ist, während am Anfang
der Entwicklung der Immuntherapie gegen
Krebs individuelle, aus den Tumorzellen des
Patienten gewonnene Extrakte standen, die
somit nicht wie ein Medikament in Masse
produziert werden können.
RBOO
MAGE-A3 vaccine fails to slow melanoma. www.medpagetoday.com; 5. September 2013
Ernährungsmedizin
«Frühstücke wie ein Kaiser!» – oder auch nicht
Wie sinnvoll ein Frühstück ist, entscheiden Biorhythmus und Hungergefühl, nicht der angebliche gesundheitliche Nutzen, heisst es in einer Pressemitteilung der Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention (FET). Auch wenn uns die mediterranen Länder mit ihren eher überschaubaren Frühstücksgewohnheiten längst eines Besseren belehrt haben sollten, ist immer wieder zu hören, dass das Frühstück enorm wichtig sei, um den Stoffwechsel in Schwung zu bringen. Doch nicht jeder hat direkt nach dem Aufstehen Hunger oder Appetit. Wenn morgens der Kortisolspiegel im Blut und damit der Blutdruck sowie die Körpertemperatur steigen, erhält der Körper das natürliche Signal
zum Aufwachen und dazu, auf Nahrungs-
suche zu gehen – bei den bereits frühmorgens
aktiven Personen, den «Lerchen», ist das ein
paar Stunden früher als bei den «Eulen», die
erst nachmittags und abends in Schwung
kommen. Gibt der Wecker das Aufwach-
signal, sind die meisten «Eulen» meist noch
im Ruhemodus und hormonell nicht zur
Essensverwertung bereit.
Wer morgens keinen Hunger verspürt,
braucht nicht gezwungenermassen zu essen.
Auch wenn verschiedene wissenschaftliche
Untersuchungen Verbindungen zwischen
einem regelmässig ausfallenden Frühstück
und Übergewicht beziehungsweise diversen
Gesundheitsrisiken erkannt haben wollen,
erscheint das in der Praxis eher zweifelhaft.
Häufig berichteten Menschen, die nur dem
«Expertenrat» folgend frühstücken, dass sie
nach der auferlegten Mahlzeit für den Rest
des Tages ein übertriebenes Hungergefühl
quäle, so die FET. Hierdurch ässen sie insge-
samt deutlich mehr, als sie bräuchten. Lassen
sie das Frühstück hingegen ausfallen und
essen erst, wenn sich der Hunger einstellt,
verspeisen sie insgesamt über den Tag hinweg
weniger.
FET/RBOO
Pressemitteilung der Fachgesellschaft für Ernährungstherapie und Prävention (FET), 5. September 2013.
PREISGEKRÖNT
IHAMB-Forschungspreis 2013
Wie jedes Jahr wurden vom Institut für Hausarztmedizin Basel (IHAMB) drei der am Kongress «Swiss Family Docs» vorgestellten Arbeiten ausgezeichnet. Der IHAMB-Forschungspreis wird von der Firma Sandoz gestiftet, die seit 2005 das IHAMB unterstützt.
Handlungsempfehlungen
Der 1. Preis ging an Dr. med. Daniel Gelzer (l.), Basel, und Dr. med. Florian Sutter (r.), Bubendorf, die mit einer Arbeitsgruppe aus 14 Ärztinnen und Ärzten aus der Schweiz (www.sagb.ch) ärztliche Handlungsempfehlungen zur Osteoporoseprophylaxe, -diagnose und -therapie für geistig und mehrfach behinderte Patienten formuliert haben. Damit wird dankenswerterweise eine Lücke in der medizinischen Fachliteratur gefüllt, um die sich bis anhin niemand systematisch gekümmert hat.
Homöopathie
Der 2. Preis ging an eine Gruppe des KIKOM (Kollegiale Instanz für Komplementärmedizin) Bern für eine Studie zur klassischen Homöopathie bei hyperaktiven Kindern. 83 Kinder wurden zunächst homöopathisch behandelt. Nur mit den «Respondern», definiert als 50-prozentige Besserung, ging es bei Zustimmung der Eltern weiter (n = 62): Für je 6 Wochen wurde das homöopathische Mittel gegen Plazebo vertauscht, um zu überprüfen, ob sich unter Plazebo der Zustand der Kinder wieder verschlechterte. Am Ende waren noch 58 Kinder in der Studie; der Punktwert in einem ADHS-Fragebogen war unter Plazebo im Durchschnitt 1,57 Punkte höher. Für die Autoren beweist dies die Wirksamkeit der Homöopathie, Kritiker bewerten das dagegen als klinisch völlig irrelevanten Unterschied. Eine detaillierte Analyse der Studie findet sich hier: http://www.beweisaufnahme-homoeopathie.de/?p=110.
Hypertonie
Den 3. Preis nahm Dr. med. Sven Streit für ein Team entgegen, das sich mit unerwarteten Folgen neuer Medikamente jenseits der Medikamentenwirkung für die Langzeitbetreuung von Patienten befasste: Patienten mit den neuen Koagulanzien müssen nicht mehr so oft in die Praxis zur Kontrolle. Damit fällt auch eine Möglichkeit weg, andere Faktoren zu überprüfen, wie zum Beispiel den Blutdruck. In der Tat hatten in dieser Studie mit insgesamt 8323 Patienten diejenigen mit den Nichtcumarinen (n = 874) eine schlechtere Hypertoniekontrolle; im Mittel lag der Blutdruck bei ihnen um 9,6/2,3 mmHg höher.
RBOO