Transkript
Schlafstörungen im Alter
Wann sollte man behandeln?
FORTBILDUNG
Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Beschwerden in der hausärztlichen Praxis. Im Alter treten sie häufiger auf als bei jungen Menschen oder im mittleren Lebensalter. Schlafstörungen im Alter werden in der Hausarztpraxis zum einen oft nur ungenügend abgeklärt, zum anderen aber zu schnell mit Hypnotika therapiert. Der folgende Beitrag zeigt typische Fallstricke auf, was die diagnostische Einordnung sowie die Therapie von Schlafstörungen im Alter angeht.
ANDREA BOSSE-HENCK
Zunächst einmal müssen Einschlafstörungen (Latenz > 30 min) von Durchschlafstörungen (länger als 30 min am Stück wach liegen) und morgendlichem Früherwachen (Gesamtschlafzeit < 6 h) unterschieden werden. Eine schlechte Schlafqualität besteht, wenn zu wenig erholsamer Schlaf (Tiefschlaf und Traumschlaf) erreicht wurde beziehungsweise wenn der Schlaf durch viele kleine Mikroweckreaktionen gestört wird.
Schlafstörung = Krankheit? Erst wenn die Schlafstörung wenigstens dreimal pro Woche für die Dauer von mindestens einem Monat besteht und der Patient einen echten Leidensdruck entwickelt, sodass die Alltagsaktivitäten gestört sind und er sich Tag und Nacht nur noch mit seiner Schlafstörung beschäftigt, besteht nach ICD-10 eine Insomnie mit Krankheitswert.
Merksätze
O Chronische Schlafstörungen sollten immer sorgfältig differenzialdiagnostisch abgeklärt werden.
O Ein veränderter Tagesablauf oder das Alter selbst können Ursache von Schlafstörungen sein; mit zunehmendem Alter nehmen auch primäre Schlafstörungen zu (z.B. RLS oder Schlafapnoe).
O Falls möglich, sollte vor und während jeder therapeutischen Intervention über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen ein Schlaftagebuch geführt werden.
O Medikamente der ersten Wahl sind Benzodiazepinrezeptoragonisten, die sogenannten Z-Substanzen.
Ältere Frauen klagen häufiger über subjektive Ein- und Durchschlafstörungen, ältere Männer berichten dagegen häufiger über objektivierbare Durchschlafstörungen (1). Im Rahmen des physiologischen Alterungsprozesses kommt es zu charakteristischen Veränderungen des Schlafes wie Abnahme der Gesamtschlafdauer, des REM-Schlafes und des Tiefschlafanteils (im hohen Alter nur 5% der Gesamtschlafzeit) und zu einer Zunahme von Einschlafdauer und Leichtschlafanteil. Eine grössere Anzahl von Wachphasen ist ebenfalls typisch. Insgesamt wird der Schlaf flacher und weniger erholsam und kann durch Weckreize leichter gestört werden. Kompensiert wird das häufig durch zusätzliche Schlafperioden am Tag. So hält etwa jeder Zweite im Alter über 65 Jahre Mittagsschlaf (Dauer erfragen!), viele Senioren verschlafen auch abends einen Teil des Fernsehprogramms und wundern sich dann über einen zu kurzen Nachtschlaf. Nicht selten gehen ältere Menschen, bedingt durch Einsamkeit und nachlassende Interessen, schon sehr zeitig (vor 21 Uhr) zu Bett und wachen dann nach zirka sechs bis sieben Stunden Schlaf für sie «zu früh» auf. Sie haben dann keine Schlafstörung, sondern sie haben ihre Schlafphase nach vorn verlagert – also letztlich einen gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus als Folge einer veränderten Tagesstruktur.
Schlafstörungen bei Krankheiten Körperliche Krankheiten, die mit schlafstörenden Symptomen wie nächtlicher Luftnot, Husten, Schmerzen, Nykturie, Bewegungsstörungen, Reflux, Hitzewallungen oder Juckreiz einhergehen beziehungsweise zu Herzrhythmusstörungen führen, können ebenfalls Ursache einer Schlafstörung sein. Die mit steigendem Lebensalter auftretende Multimorbidität führt nicht selten zu einer Vielfachmedikation mit teilweise nicht mehr überschaubaren Nebenwirkungen und Interaktionen – auch mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus. Schlafmedizinisch besonders relevant ist eine Zunahme von neurologischen und psychiatrischen Krankheiten im Alter.
Medikamente als Auslöser Häufige psychische Komorbiditäten in der zweiten Lebenshälfte sind Depression, Angst, Sucht (Alkohol, Tabletten), aber auch Schmerz und Demenz. Schlafgestörte nehmen häufig über Jahrzehnte Benzodiazepine oder andere Schlafmittel in gleichbleibend niedriger Dosierung ein, ohne dass dies den behandelnden Ärzten immer bekannt ist. Hier besteht dann zum Beispiel eine Low-dose-Benzodiazepinabhängigkeit, die keinesfalls abrupt beendet werden darf, da schwere Entzugssymptome folgen.
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FORTBILDUNG
Alter
körperliche Erkrankung
Störung des Schlaf-Wach-Rhythmus
chronische Schlafstörung
schlafassoziierte Erkrankungen wie z.B.
RLS oder OSAS
psychische Erkrankungen
Medikamente/ chron. Abusus
Abbildung: Mögliche Ursachen chronischer Insomnie im Alter
Tabelle 1:
Nicht medikamentöse Therapie der Altersinsomnie
O Information über Schlafdauer (Nachtschlaf und Tagesschlaf)
O Schlafhygiene (z.B. zur gleichen Zeit aufstehen; erst zu Bett gehen, wenn schläfrig; im Bett nicht fernsehen; nachts nicht auf die Uhr schauen)
O Akzentuierung des Tag-Nacht-Rhythmus (strukturierter Tagesablauf, körperliche Aktivität, kleine emotionale Höhepunkte/ Abwechslung im Alltag schaffen, kein längerer Tagschlaf, Bettzeit nicht zu früh)
O helles Licht zwischen 19 und 21 Uhr
O verhaltensorientierte Massnahmen (Stimuluskontrolle, Schlafrestriktion, autogenes Training)
Nicht wenige ältere Menschen erhalten eine Schmerztherapie mit niedrig dosierten Opiaten. Hierbei kann aber eine zentrale Schlafapnoe als Nebenwirkung auftreten, die der Patient eventuell als Durchschlafstörung schildert und die nach Absetzen regredient ist oder die bei Unverzichtbarkeit der Opiate wenigstens diagnostiziert und behandelt werden sollte. Ebenso sollte daran gedacht werden, dass Medikamente wie Metoclopramid, Cimetidin oder L-Thyroxin, aber auch Antidepressiva und Neuroleptika ein Restless-legsSyndrom (RLS) auslösen oder verschlechtern können (2).
Mehrdimensionales Therapiekonzept Grundsätzlich sollte bei der Therapie von Patienten mit Schlafstörungen ein mehrdimensionales Therapiekonzept zur Anwendung kommen, welches an die individuellen psychosomatischen und sozialen Gegebenheiten des Patienten angepasst werden muss. Dabei werden Elemente der Verhaltenstherapie mit der medizinischen Therapie aller vorhandenen Erkrankungen und der Therapie der spezifischen Schlafstörung kombiniert. Es stellt sich für den Hausarzt zuerst die Frage, ob es durch Symptome, wie zum Beispiel Nykturie oder Schmerz, zu Schlafstörungen kommt, die sich durch eine Optimierung der
internistischen Therapie beseitigen lassen. Gleichfalls muss abgeklärt werden, ob die verordneten Medikamente Interaktionen mit dem Schlaf-Wach-Rhythmus beziehungsweise relevante zentralnervöse Nebenwirkungen haben und abgesetzt oder dosisadaptiert werden können. Mit zunehmendem Alter wächst nicht nur die Anzahl altersspezifischer Krankheiten. Auch die primären Schlafstörungen – wie Restless-legs-Syndrom (RLS) oder Schlafapnoe – nehmen an Häufigkeit zu und müssen bei einer Klage über Schlafstörungen ausgeschlossen werden (3, 4). Das Vorhandensein solcher primärer Schlafstörungen sollte immer abgefragt und bei Verdacht sorgfältig diagnostiziert werden, damit eine Behandlung der schlafstörenden Grunderkrankung nach den üblichen Standards erfolgen kann. Oft genügt eine individuelle Aufklärung über die physiologischen Veränderungen des Schlafes im Alter. Ein zentrales Anliegen ist weiterhin die Erhaltung und Wiederherstellung eines regelmässigen Tag-Nacht-Rhythmus. Um ein möglichst realistisches Bild des gestörten Schlafes und seiner Variabilität zu bekommen, sollte vor und auch während jeder therapeutischen Intervention über einen Zeitraum von mindestens zwei Wochen ein Schlaftagebuch geführt werden. Ist das nicht möglich, so kann auch das Aufschreiben oder konkrete Abfragen eines typischen Tagesablaufes des Patienten hilfreich sein. Nur nach einer ausführlichen Exploration lässt sich abschätzen, ob es sich bei der Insomnie um ein reines Tagesstrukturproblem, einen Mangel an körperlicher Aktivität, Monotonie durch fehlende psychoemotionale Höhepunkte, krankheitsbedingte hirnorganische Veränderungen oder um eine Kombination aus allen diesen Faktoren handelt. Ein ausführliches persönliches Gespräch über die Schlafstörung ist diagnostisch notwendig und kann gleichzeitig als verhaltenstherapeutische Intervention genutzt werden. Je nach Akzentuierung des Einzelfalles können dann die in Tabelle 1 dargestellten nicht medikamentösen Massnahmen eingesetzt werden. Eine Lichtapplikation mit hellem weissen Licht oder Spaziergänge am Nachmittag sollen als Zeitgeber auf die innere Uhr wirken und das frühabendliche Auftreten von Verwirrtheit oder zu zeitiges Zubettgehen verhindern.
Medikamentöse Therapie Für eine Pharmakotherapie stehen verschiedene Medikamentengruppen zur Auswahl, deren Dosierung und relevante Nebenwirkungen in Tabelle 2 dargestellt sind. Die Auswahl der Medikamente und ihre Dosierungen basieren auf der Leitlinie S3 «Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen» (5). Es gibt jedoch keine Empfehlungen für eine Therapie über vier Wochen Dauer, da hier für alle Medikamente noch weitere Langzeitstudien erforderlich sind. In der Praxis hat es sich bewährt, die Auswahl des Medikaments aufgrund der vorhandenen Komorbidität vorzunehmen (vgl. Tabelle 3). Mittel der ersten Wahl sind die Benzodiazepinrezeptoragonisten, die sogenannten Z-Substanzen. Ihre Anwendung ist auch bei internistischer Multimorbidität möglich, da sie weniger Nebenwirkungen und Interaktionen mit anderen Medikamenten haben als zum Beispiel Neuroleptika und Antidepressiva. Eine Intervalltherapie (mit Patient vereinbaren, an welchen zwei bis drei Wochentagen das Medikament
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Tabelle 2:
Ausgewählte Medikamente zur Therapie bei Altersinsomnie
Substanzgruppe
Substanz
Handelsnamen* Abenddosis Relevante Nebenwirkungen (mg)
Benzodiazepinrezeptorantagonisten (Z-Substanzen)
Imidazopyridine Cyclopyrrolone
Zolpidem Zopiclon
Stilnox®, Generika
10 Gesamte Substanzgruppe: Atemdepression, Tages-
Imovane®, Generika 7,5 überhang, Rebound sowie Abhängigkeitspotenzial im
Vergleich zu Benzodiazepinen deutlich schwächer
Benzodiazepinhypnotika
kurz wirksam mittellang wirksam
Triazolam Temazepam Lormetazepam
Halcion® Normison® Noctamid®, Generika
0,125–0,25 10–40 1–2
Gesamte Substanzgruppe: Atemdepression, Tagesüberhang, Rebound, Gefahr der Abhängigkeit, Muskelrelaxation (Sturzgefahr!), anxiolytisch, antikonvulsiv, bei älteren Menschen auch paradoxe Wirkungen
Sedierende Antidepressiva
Mirtazapin Trazodon
Mianserin
Remeron®, Generika Trittico®
Tolvon®, Generika
7,5–15 25–50
5–20
Gesteigerter Appetit, Blutbildveränderungen Mundtrockenheit, orthostatische Hypotonie, Gelenkund Muskelbeschwerden Gelenkbeschwerden, Blutbildveränderungen
Neuroleptika
Pipamperon Chlorprothixen Levomepromazin
Dipiperon® Truxal® Nozinan®
20–60 10–50 10–50
Gesamte Substanzgruppe: anticholinerge Nebenwirkungen, Blutbildveränderungen, extrapyramidale Nebenwirkungen, Leberfunktionsstörungen, Gewichtszunahme, orthostatische Dysregulation, Herzrhythmusstörungen
*Gemäss Schweizer Arzneimittelkompendium; einige davon sind nicht für Schlafstörungen zugelassen (Off-Label-Gebrauch).
Tabelle 3:
Medikamentöse Therapie der Altersinsomnie nach Komorbidität
O Insomnie + internistische Multimorbidität
O Insomnie + Angst
O Insomnie + Depression
O Insomnie + Schmerz O Insomnie + leichte Demenz
Insomnie + schwere Demenz
Z-Substanzen
sedierende Antidepressiva/ Benzodiazepine sedierende Antidepressiva/ Z-Substanzen Gabapentin/Pregabalin Z-Substanzen atypische Neuroleptika
Leberwerten, Blutdruck und EKG sind ebenso wie bei den
sedierenden Antidepressiva erforderlich.
Diese kommen bevorzugt bei sekundären Schlafstörungen im
Rahmen einer Depression sowie bei Insomnie mit ängstlich-
depressiver Begleitsymptomatik zum Einsatz. Sie sind auch
bei Notwendigkeit einer Langzeittherapie und bei Substanz-
abhängigkeit indiziert. Der Einsatz bei multimorbiden älte-
ren Patienten ist aufgrund ihrer zahlreichen Nebenwirkun-
gen und Medikamenteninteraktionen sehr eingeschränkt.
Trizyklische Antidepressiva sollten wegen ihrer starken anti-
cholinergen Nebenwirkungen bei Altersinsomnie nicht mehr
eingesetzt werden. Schlaffördernde Effekte konnten auch für
die GABA-A-agonistisch wirksamen Antikonvulsiva Gaba-
pentin und Pregabalin nachgewiesen werden. Diese Medika-
mente können aufgrund ihrer analgetischen Wirksamkeit
auch bei älteren Menschen mit Schlafstörungen bei chroni-
schem Schmerz eingesetzt werden (6, 7).
O
eingenommen wird) kann bei notwendiger Langzeitverordnung helfen, die Gefahr einer Abhängigkeit zu vermindern. Niedrigpotente Neuroleptika haben fast kein Missbrauchspotenzial, sodass sie eine Alternative bei Abhängigkeitserkrankungen darstellen. Insomnien bei floriden Psychosen sprechen oft sehr gut auf Neuroleptika an. Sie verursachen weniger anticholinerge und kardiovaskuläre Nebenwirkungen als die Antidepressiva. Die Dosis muss aber für jeden Patienten individuell und langsam mit niedrigen Dosierungen titriert werden. Regelmässige Kontrollen von Blutbild,
Dr. med. Andrea Bosse-Henck Abteilung für Innere Medizin und Dermatologie Schlaflabor Universitätsklinikum Leipzig, D-04103 Leipzig
Interessenkonflikte: keine
Literatur unter www.arsmedici.ch
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 2/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin. Die Angaben zu Medikamenten (insbesondere Tabelle 2 ) wurden von der Redaktion ARS MEDICI für die Schweiz angepasst.
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Literatur: 1. Happe S: Schlaf und seine Störungen im Alter. Somnologie 2012; 16: 80–87. 2. Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Leitlinie Restless-legs-Syndrom (RLS) und
Periodic limb Movement Disorder (PLMD) In : Diener HC, Putzki N (Hrsg.) Leitlinien für die Diagnostik und Therapie in der Neurologie. 4. Aufl., Thieme Stuttgart 2008 3. Enright PL, Newman AB ,Wahl PW et al.: Prevalence and correlates of snoring and observed apneas in 5201 older adults. Sleep 1996; 19: 531–538. 4. Ohayon MM, Roth T: Prevalence of restless legs syndrome and periodic limb movement disorder in the general population J Psychosom Res 2002; 53: 547–554. 5. Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM): S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen. Somnologie 2009; 13(Suppl1): 4–160. 6. Hindmarch I, Dawson J ,Stanley N: A double-blind study in healthy volunteers to assess the effects on sleep of pregabalin compared with alprazolam and placebo. Sleep 2005; 28: 187–193. 7. Legros B, Bazil CW: Effects of antiepileptic drugs on sleep architecture: a pilot study. Sleep Med 2003; 4: 51–55.
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