Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Spinnenbisse
Harmloser als ein Bienenstich
Die Gefährlichkeit von Spinnen wird nicht nur in der Bevölkerung allgemein, sondern auch von Ärztinnen und Ärzten überbewertet. Berichte in den Medien über gefährliche Spinnen in unseren Breitengraden, wie 2010 die angebliche Sichtung einer SydneyTrichternetz-Spinne in der Schweiz oder 2006 eine «Invasion» von DornfingerSpinnen, waren Falschmeldungen, so Wolfgang Nentwig vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern. Zusammen mit Medizinern des Instituts für Hausarztmedizin und der Klinik für Klinische Pharmakologie
und Toxikologie des Universitätsspitals Zürich und des Schweizerischen Toxikologischen Informationszentrums hat er Daten zu Spinnenbissen in der Schweiz gesammelt, bei denen die Spinne gefangen worden war. Diese 14 Fälle stammten von fünf einheimischen Arten wie etwa der Hauswinkelspinne. Alle Bisse riefen nur leichte Symptome hervor wie schwache Schmerzen, Rötungen und Schwellungen. In der Schweiz gibt es rund 1000 Spinnenarten. Viele davon sind gross genug, um den Menschen zu beissen und dabei die Hautschicht zu durchdringen. «Dennoch beissen sie kaum, obwohl viele davon in der Nähe des Menschen und auch im Haus leben», betont der Spin-
nenforscher. Zudem rufen Spinnen-
bisse nur leichte Symptome hervor.
An Wespen- und Bienengift sterben
wegen allergischer Reaktionen in Eu-
ropa mehrere Menschen pro Jahr, wäh-
rend weltweit seit 50 Jahren kein einzi-
ger Todesfall wegen einer giftigen
Spinne registriert wurde – auch nicht in
Ländern wie Brasilien oder Australien,
wo die gefährlichsten Spinnen behei-
matet sind.
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Nentwig W et al.: A two year study of verified spider bites in Switzerland and a review of the European spider bite literature. Toxicon 2013; 73, 104–110 und Pressemitteilung der Universität Bern vom 22. August 2013.
Foto: M. Betley, Wikimedia Commons
Gastroenterologie
Morbus Crohn verkürzt das Leben nicht
Bis anhin war man davon ausgegangen, dass Morbus-Crohn-Patienten eine etwas kürzere Lebenserwartung haben als der Bevölkerungsdurchschnitt. Nun zeigt eine 20 Jahre lang durchgeführte Kohortenstudie aus Norwegen, dass diese Annahme wahrscheinlich falsch ist. Von Anfang der 1990er-Jahre an wurden 237 damals neu diagnostizierte
Morbus-Crohn-Patienten erfasst und mit je 25 zufällig ausgewählten Personen gleichen Geschlechts und Alters aus der gleichen Region «gematched». Nach 20 Jahren zeigte sich kein statistisch signifikanter Unterschied bezüglich der Lebenserwartung. Auch wenn man nur spezielle Todesursachen (gastroenterologische Krebserkrankung, andere Tumoren oder kardiovaskuläre
Erkrankungen) betrachtete, blieb es
dabei: Morbus Crohn scheint per se das
Leben nicht zu verkürzen.
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Hovde O, Kempski-Monstad I, Smastuen MC et al.: Mortality and causes of death in Crohn’s disease: results from 20 years of follow-up in the IBSEN study. Gut, 6 june 2013; doi:10.1136/gutjnl-2013-304766.
HPV
Mundhygiene gegen HPV-Infektion
Vor Kurzem ging eine Meldung durch die Regenbogenpresse, wonach der Schauspieler Michael Douglas sein Karzinom an der Zungenwurzel auf eine HPV-Infektion durch Oralsex zurückführte. Ob dies wirklich die (einzige) Ursache war, ist weder beweisnoch widerlegbar, doch gab es bei Douglas weitere Risikofaktoren für diesen Tumor, nämlich Alkohol und Rauchen. Ein weiterer, unabhängiger Risikofaktor für HPV-Infektionen in Mund
und Rachen könnte schlechte Mundhygiene sein. Dies ergab eine kürzlich publizierte texanische Studie, in der man auf Daten der Umfrage «National Health and Nutrition Examination Survey» (NHANES), 2009/2010 zurückgriff. Unter den Befragten fanden sich knapp 3500 Teilnehmer, von denen Aussagen zur Mundhygiene und der HPV-Status der Mundhöhle verfügbar waren. Bei denjenigen, die es mit der Mundhygiene nicht allzu genau nahmen,
waren HPV-Infektionen der Mundhöhle etwas häufiger. Die Autoren weisen darauf hin, dass die Mundhygiene gemäss Selbstauskunft erfasst wurde, was bekanntermassen nur mässig zuverlässig ist. Eine gute Mundhygiene kann aber so oder so nicht schaden.
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Bui TC et al: Examining the association between oral health and oral hpv infection. Cancer Prev Res 2013; doi: 10.1158/1940-6207.
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ARS MEDICI 17 I 2013
Prävention von antibiotikaassoziierten Durchfällen
Grosse Probiotikumstudie mit negativem Ergebnis
Am häufigsten treten durch eine Antibiotikatherapie begünstigte Durchfallerkrankungen bei älteren (> 65 J.) stationären Patienten auf. Ist dabei der Erreger Clostridium difficile im Spiel, kann die Therapiekomplikation lebensbedrohlich werden. Zur Prävention antibiotikaassoziierter Diarrhöen werden allgemein Probiotika empfohlen, welche die Darmflora günstig beeinflussen sollen. Die Evidenz basiert jedoch auf überwiegend kleinen, nur an einem Krankhaus durchgeführten Studien. Eine randomisierte, plazebokontrollierte Multizenterstudie in England und Wales hat die Wirksamkeit einer probiotischen Zubereitung bei hospitalisierten Patienten, die ein oder mehrere orale oder parenterale Antibiotika erhielten, sehr sorgfältig untersucht (1). Das Ergebnis der PLACIDE-Studie ist enttäuschend ausgefallen. Von 17 420 gescreenten Patienten erhielten 1493 randomisiert das Präparat mit 6 × 1010 lebenden Keimen (2 Stämme von Lactobacillus acidophilus [CUL60, NCIMB 30157 und CUL21, NCIMB 30156] und 2 Bifidobacteriumstämme [B. bifidum CUL20, NCIMB 30153 und B. lactis CUL34, NCIMB 30172]) und 1488 identisch aussehende Plazebokapseln. Eine antibiotikaassoziierte Diarrhö trat in der probiotisch behandelten Gruppe bei 159 Patienten (10,8%) und in der Plazebogruppe bei 153 Patienten (10,4%) auf (relatives Risiko [RR] 1,04, 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,84–1,28, p = 0,71). Eine C.-difficile-Diarrhö trat nur selten auf und betraf 12 Patienten (0,8%) in der Probiotikumgruppe und 17 Patienten (1,2%) in der Plazebogruppe (RR 0,71, 95%-KI 0,34–1,47, p = 0,35). Bei den rapportierten Nebenwirkungen ergab sich zwischen den beiden Gruppen kein Unterschied. Aus ihrer bisher grössten Studie mit einem Probiotikum zur Vorbeugung antibiotikaassoziierter Durchfallerkrankungen ziehen die Autoren ein vernichtendes Fazit: «Unsere Resultate ergeben keine statistische Evidenz, um die Empfehlungen zum Routineeinsatz von mikrobiellen Präparaten in der Vorbeugung von antibiotikaassoziierten und durch C. difficile verursachten Diarrhöen zu stützen.» Ein begleitender Kommentar versucht die bemerkenswerte Publikation in «The Lancet» einzuordnen (2). Der Infektiologe Nick Dane-
man aus Toronto erinnert zunächst an zwei Metaanalysen, welche statistisch signifikante grosse Reduktionen des Risikos für antibiotikaassoziierte Diarrhöen (RR 0,58, 95%-KI 0,50–0,68) und insbesondere für durch Clostrium difficile hervorgerufene Durchfallerkrankungen (RR 0,34, 95%-KI 0,24–0,49) fanden. Daneman hat den Forest Plot der früheren Metaanalyse zur Vorbeugung von C.-difficile-Infekten mit den jetzigen Ergebnissen der PLACIDE-Studie kombiniert. Die Hinzunahme dieser Studie mit sehr vielen Teilnehmern verschob die Schätzung der Risikoreduktion nur sehr geringfügig (von 0,34 [95%-KI 0,24–0,49] nach 0,39 [95%-KI 0,29–0,54]). Vielleicht verlief die PLACIDE-Studie negativ, weil ihre 95%-Konfidenzintervalle eine potenzielle 16%-Reduktion der antibiotikaassoziierten Diarrhöen und eine 66%-Reduktion der C.-difficile-Infektionen nicht auszuschliessen vermochten. Dies lag daran, dass die antibiotikaassoziierten Durchfälle nur halb so häufig vorkamen wie angenommen (10% anstatt 20%) und die C.-difficileInfekte noch viel seltener nachgewiesen wurden (1% anstatt 4%). Sind antibiotikaassoziierte Durchfallerkrankungen generell selten, stellt sich sofort die Frage der Kosteneffektivität einer (routinemässigen) Probiotikaprophylaxe. In jedem Fall muss aber offen bleiben, ob andere Typen nicht pathogener mikrobieller Erreger ein anderes Resultat erbracht hätten. HBO
1. Allen SJ et al.: Lactobacilli and bifidobacteria in the prevention of antibiotic-associated diarrhoea and Clostridium difficile diarrhoea in older inpatients (PLACIDE): a randomised, doubleblind, placebo-controlled, multicentre trial. Lancet, August 8, 2013. http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736 (13)61218–0.
2. Daneman N: A probiotic trial: tipping the balance of evidence? Lancet, August 8, 2013. http://dx.doi.org/10.1016/S0140-6736(13)61571-8.
RÜCKSPIEGEL
Vor 10 Jahren
Resveratrol
Eine Publikation in «Nature» schürt Anti-Aging-Hoffnungen: Resveratrol, ein Inhaltstoff in dunklen Beeren, insbesondere roten Weintrauben und Rotwein, verlängert im Labor das Leben von Hefen, Fliegen und Würmern. Studienleiter David Sinclair wird ein reicher Mann: Für 720 Millionen Dollar verkauft er 2008 die von ihm gegründete Firma Sirtis an GlaxoSmithKline, obgleich viele seiner Resveratrolexperimente von anderen Forschern nicht reproduziert werden konnten. Ein patentfähiges Medikament hat GSK bis anhin nicht auf den Markt gebracht, während der Handel im Internet boomt: Mehr als 5 Millionen Hits liefert Google zu Resveratrol zusammen mit einer scheinbar endlosen Shopliste.
Vor 50 Jahren
I have a dream
Am 28. August 1963 hält Martin Luther King seine weltberühmte Rede vor einer Viertelmillion Menschen vor dem Lincoln Memorial in Washington (Foto: Wikimedia Commons). Der «Marsch auf Washington» wurde per Satellit weltweit im Fernsehen übertragen. Im darauffolgenden Jahr erhielt Martin Luther King den Friedensnobelpreis. Fünf Jahre nach seiner wohl bekanntesten Rede fiel King am 4. April 1968 in Memphis einem Attentat zum Opfer.
Vor 100 Jahren
Bohrsches Atommodell
Im Sommer 1913 publiziert Niels Bohr unter dem Titel «On the Constitution of Atoms and Molecules» seine
neue Theorie zum Aufbau der Atome, wonach diese aus einem Kern bestehen, um den sich Elektronen auf Kreisbahnen bewegen. Dieses Modell stand mit einer Reihe experimenteller Befunde im Einklang, mit anderen jedoch nicht. Trotzdem zählt das Bohrsche Atommodell zu einer der wichtigsten Hypothesen der modernen Physik. Für seine Arbeiten zum Atommodell und zur Radioaktivität wurde Niels Bohr 1922 mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet (Foto: Wikipedia). In der heutigen Quantenphysik geht man davon aus, dass Elektronen überall im Atom sein können und man sich das Atom eher als «Wolke» vorzustellen habe.
RBO