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BERICHT
Neue Behandlungsempfehlungen bei posttraumatischer Belastungsstörung
4. Swiss Forum for Mood and Anxiety Disorders (SFMAD) 18. April 2013, Zürich
In den neuen Behandlungsempfehlungen für posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) der Schweizerischen Gesellschaft für Angst und Depression (SGAD) ist die evidenzbasierte Psychotherapie die erste Wahl. Eine medikamentöse Therapie ist bei PTSD indiziert, wenn die alleinige Psychotherapie nicht ausreicht beziehungsweise bei Komorbidität wie beispielsweise Depression oder Angststörungen.
ANNEGRET CZERNOTTA
Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) gehen fast immer mit tief greifender Verzweiflung einher, begleitet von anhaltenden Erinnerungen oder Wiedererleben (Intrusionen, Alpträume, Flashbacks, körperliche Reaktionen bei Hinweisreizen). Die PTSD führt zu einem Vermeidungsverhalten und einem erhöhten Erregungsniveau/Hypervigilanz oder zu einer Amnesie. Ihre Prävalenz reicht von 10 Prozent nach Verkehrsunfällen bis 50 Prozent nach Folter. In den neuen Behandlungsempfehlungen wird die evidenzbasierte Psychotherapie als Behandlung der ersten Wahl genannt. Prof. Martin Ekkehard Keck, Ärztlicher Direktor und Chefarzt Privatstationen, Clienia Privatklinik Schlössli, Oetwil am See, stellte die neuen SGAD-Behandlungsempfehlungen vor und erläuterte, welche Psychotherapien hierbei gemeint sind.
Dazu gehören die kognitive Verhaltenstherapie mit Expositions-ReaktionsManagement (traumafokussiert), die Psychoedukation, die imaginäre und In-vivo-Exposition (prolonged exposure therapy), die auf die schlimmsten Momente begrenzte Konfrontation (hot spots; cognitive processing therapy) sowie das Imaginery Rescripting und das Antialbtraumtraining. Ebenso findet das Eye-Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) Erwähnung. Dieses basiert auf der Hypothese, dass PTSD auf einer falschen Speicherung im impliziten Gedächtnis beruhen, der mit einem neuen assoziativen Verarbeitungsprozess mit Überführen des traumatischen Erlebnisses in das adaptive kontextuelle Gedächtnis entgegengewirkt werden kann. Für die mögliche Überlegenheit einer Kombination aus Psycho- und Pharmakotherapie gegenüber den jeweiligen Massnahmen alleine gibt es keine ausreichende Evidenz. Die medikamentöse Therapie ist bei PTSD allerdings indiziert, wenn die alleinige Psychotherapie nicht ausreicht beziehungsweise bei Komorbidität, zum Beispiel bei Depression, dissoziativen Störungen, somatoformen Störungen oder Suchterkrankungen. In diesem Zusammenhang werden in erster Linie die Serotoninwiederaufnahme-Hemmer (SSRI) Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin oder der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SSNRI) Venlafaxin genannt (Evidenzkategorie A, s. Tabelle). Spricht der Patient auf die Therapie an, soll diese über mindestens 12 Monate fortgeführt werden.
Komplexe Therapie bei PTSD: zwei Fallbeispiele Dass die Therapie bei PTSD komplex und jeder Patient individuell zu behandeln ist, verdeutlichte Prof. Andreas
Maercker, Ordinarius für Psychopathologie und Klinische Interventionen an der Universität Zürich und Leiter der Spezialambulatorien für Traumafolgen, Altersprobleme und Onlinetherapien. In zwei Fallbeispielen wies er auf die Vielfältigkeit und die Komplexität der unterschiedlichen Patientenschicksale hin. Eine Versicherungsangestellte berichtete beispielsweise in seiner Praxis, dass sie nach dem direkten Erlebnis eines Bombenanschlags in Ägypten «nicht mehr die Alte» sei. Sie fühle sich häufiger niedergeschlagen und sei insgesamt krankheitsanfälliger, weshalb sie eine Entlassung befürchte. Bei der Untersuchung zeigte sich das Vollbild einer PTSD mit gelegentlichen Flashbacks (Explosion, Schreien, Blut), die rund zweimal im Monat in Form von Albträumen auftraten. Im zweiten Fall wurde eine 65-jährige Frau von ihrer Tochter zur Kontaktaufnahme ermuntert. Die Frau, ein Heimkind (Verdingkind), wurde bereits vor 20 Jahren sechs Monate lang stationär wegen Depressionen und Persönlichkeitsstörungen behandelt, allerdings ohne Erfolg. Seit dem Tod des dritten Lebenspartners ging es ihr ständig schlecht. Der Befund: rezidivierende depressive Störung und die Diagnose PTSD beziehungsweise andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (F62.0). Die Patientin hatte sehr lebendige und belastende Erinnerungen an die Details der Heimzeit und deutete mehrfachen sexuellen Missbrauch durch Verdingbauern an. Weshalb die Diagnose einer PTSD auch noch nach Jahrzehnten aktuell sein kann, erklärte Andreas Maercker anhand des Belastungsverlaufs: So können in den ersten Tagen und Wochen nach der akuten Belastungsreaktion erste posttraumatische Belastungssymptome auftreten.
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ARS MEDICI 15/16 I 2013
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NACHGEFRAGT
Prof. Andreas Maercker gehört dem wissenschaftlichen Beirat von ARS MEDICI an. Er ist Ordinarius für Psychopathologie und Klinische Interventionen an der Universität Zürich und leitet die Spezialambulatorien für Traumafolgen, Altersprobleme und Onlinetherapien.
«Eine gewisse Sensibilisierung auf dieses Thema muss bereits vorliegen»
kungsprofils deshalb vollständig von ihnen ab.
Wie behandeln Sie Patienten mit Schlafproblemen? Maercker: Auch hier verzichten wir, wenn möglich, auf Medikamente, denn auch Serotoninwiederaufnahme-Hemmer verbessern die Schlafqualität bei dieser Patientengruppe nicht. Besser ist es, Schlafprobleme durch schlafhygienische Massnahmen anzugehen. Bei uns führen wir diese Massnahmen mit Erfolg durch.
Herr Prof. Maercker: Woran erkennen Hausärzte, dass ihr Patient eine posttraumatische Belastungsstörung haben könnte? Prof. Andreas Maercker: Ich denke, eine gewisse Sensibilisierung auf dieses Thema muss bereits vorliegen. Dann braucht es einen Bezug und Wissen über das Leben des Patienten, beispielsweise aufgrund von Gesprächen, in denen der Hausarzt mehr erfahren konnte über früher erlittene Situationen, die mit Lebensgefahr oder sexueller Gewalterfahrung einhergingen. Dann hat es Anzeichen beim Patienten, die sich beobachten lassen, wie Albträume, über die berichtet wird, oder traumabezogene Vermeidungssymptome oder auch Schreckhaftigkeit. Die Behandlung sollte dann allerdings durch einen auf Traumabehandlung spezialisierten Psychotherapeuten erfolgen.
Wie findet man den passenden Spezialisten? Maercker: Voraussetzung für die Behandlung ist, dass die Psychotherapeuten auf die Traumatherapie spezialisiert sind. Solche Experten finden sich bislang nur auf der Homepage der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotraumatologie. Wird die Suchfunktion genutzt, erscheinen allerdings auch Therapeuten in der Schweiz (siehe: www.degpt.de).
Trotz verschiedener Therapieansätze ist die Exposition, die sogenannte Prolonged Exposure, therapeutischer Goldstandard in der Behandlung der PTSD. Woher stammt das Vertrauen in gerade dieses Verfahren? Maercker: Die Prolonged Exposure wird bereits seit 20 Jahren eingesetzt. Damit gehört sie zu den ältesten Verfahren in der Behandlung der PTSD mit der grössten klinischen Erfahrung. Auch wenn die EBM-Kriterien keine Überlegenheit ge-
genüber einem zweiten Verfahren, dem EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), zeigen, hat es sich in der Praxis bei Zehntausenden von Patienten bewährt.
Setzen Sie in der Praxis Psychopharmaka ein? Maercker: An unserem Institut therapieren wir Betroffene mit einer PTSD rein mit psychotherapeutischen Massnahmen, das heisst traumafokussierten Therapien, die Methoden der ersten Wahl sind. Eine Psychopharmakotherapie ist nur bei Komorbiditäten, wie beispielsweise Depression, notwendig. Insgesamt hat die Kombinationstherapie von Psychotherapie und Psychopharmaka in keiner Studie eine zusätzliche Wirksamkeit gezeigt. Was zusätzlich beachtet werden muss: Die Patienten lassen sich auf die Therapie ein, weil sie denken, dass sie ein psychisches Problem haben. Einer Psychopharmakotherapie gegenüber sind sie in der Regel sehr misstrauisch.
Würden Sie denn Benzodiazepine bei starken Ängsten einsetzen? Andreas Maercker: Ich rate vom Einsatz von Benzodiazepinen ab. In der Behandlung der PTSD sind sie sogar obsolet. Das liegt daran, dass sich eine momentane Beruhigung nur durch eine hoch dosierte Benzodiazepingabe erreichen lässt. Diese versetzt den Traumapatienten allerdings in eine Benommenheit, was nachträglich zu Behandlungsfehlern führen kann. Niedrig dosiert wirken Benzodiazepine kaum. Es hat mehrere Studien mit Benzodiazepinen gegeben und keine konnte eine Wirksamkeit von Benzodiazepinen in der Behandlung bei PTSD zeigen. In der Behandlung von Traumata rate ich aufgrund des Wir-
Welche Innovationen sind im therapeutischen Bereich zu erwarten? Maercker: Für eine Untergruppe von Traumapatienten werden neue Therapieformen entwickelt. Beispielsweise für Patienten nach sexualisierter Gewalt, die eine Bewusstseinsdissoziation entwickelt haben. Auch für Patienten mit chronischem Schmerzsyndrom, bei denen sich aber kein somatoformes Substrat findet, erwarten wir Neuerungen. Insgesamt liegen bis anhin evidenzbasierte und wirksame Verfahren für die klassische PTSD vor. Für komplexe Formen mit andauernden Persönlichkeitsstörungen, beispielsweise nach einer Extrembelastung, haben wir bis anhin nur Best-Practice-Ansätze.
Wie wichtig ist der Einbezug des Partners oder der Familie in die Behandlung? Maercker: Wir wissen heute, dass die Traumakonfrontation und die kognitive Neubewertung die wirksamsten Therapieverfahren sind, die dementsprechend am häufigsten eingesetzt werden. Der Partner oder die Partnerin oder die Familie wurden bis anhin nicht miteinbezogen, weil sie nicht als zentral angesehen wurden. In diesem Bereich bedarf es einer Änderung. Den Partner braucht es, um die PTSDSymptome und damit einhergehende Änderungen benennen zu können. Zentral ist die Frage, was die Traumatisierung des Partners für die Partnerschaft bedeutet. Um einen Rückfall zu vermeiden, sollte deshalb der Partner miteinbezogen werden.
Herr Prof. Maercker, wir danken Ihnen für das Interview.
Das Interview führte Annegret Czernotta.
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Tabelle 1:
Pharmakologische Behandlung bei posttraumatischer Belastungsstörung (PTSD)
Substanzgruppe SSRI
SSNRI TZA
Medikamente
Fluoxetin (z.B. Fluctine)* Sertralin (z.B. Zoloft®) Paroxetin (z.B. Deroxat®)
Venlafaxin (z.B. Efexor®)*
Amitriptylin (z.B. Saroten®)* Imipramin (z.B. Tofranil®)*
Empfohlene Dosis für Erwachsene
20–40 mg 50–100 mg 20–40 mg
75–300 mg
75–200 mg 75–200 mg
Evidenzkategorie**
A A A
A
B1 B1
Wenn andere Behandlungsmöglichkeiten nicht wirksam waren oder nicht toleriert wurden.
NaSSA Antipsychotika
Antiepilektikum
Mirtazapin (Remeron®)*
Risperidon (z.B. Risperdal®)* Olanzapin (z.B. Zyprexa®)*, nur als Zusatz
Lamotrigin (z.B. Lamictal®)*
30–60 mg
0,5–2 mg 5–15 mg
25–500 mg
B1
B1 B1
B1
Die Tabelle basiert auf den Guidelines der World Federation of Societies of Biological Psychiatrie (WFSBP); diese sind auch die Basis der neuen SGAD-Behandlungsempfehlungen, die in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP), der Schweizerischen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie (SGBP) und der Schweizerischen Gesellschaft für Zwangserkrankungen (SGZ) entstanden sind (siehe Keck MA et al., Schweiz Med Forum 2013; 13 (17): 337-344). Es werden nur Substanzen aufgeführt, die in der Schweiz zugelassen sind (manche davon nicht für die Indikation PTSD).
* In der Schweiz für die Indikation PTSD nicht zugelassen; Dosierungen teilweise abweichend von den Empfehlungen im «Arzneimittel-Kompendium» (www.compendium.ch).
** Die Evidenzkategorien der WFSBP bedeuten: A: klar positive Evidenz; B1: gute vorläufige positive Evidenz.
Setzt keine Spontanremission ein, chronifiziert sich die Symptomatik bei 10 bis 15 Prozent der Patienten. Bei 7 Prozent der Betroffenen können die Symptome der Traumatisierung sogar erst nach Jahren auftreten. Häufig suchen die Betroffenen trotzdem keine Hilfe.
Als Grund für dieses Verhalten nannte Maercker die Angst, dass alte Wunden wieder aufgerissen werden. Wird dann doch der Schritt zum Therapeuten gewagt, sind oft Depressionen, Leistungsversagen, Partnerprobleme, Angstoder Schlafstörungen die Hauptgründe
für die Bereitschaft zur Therapie. Die
bereits erwähnte imaginäre und In-
vivo-Exposition gilt als Goldstandard
in der Behandlung der PTSD.
O.
Annegret Czernotta
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