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STUDIE REFERIERT
Wie verbessert man die Compliance bei HIV-Therapie?
den ist als die konventionelle Betreuung. Sie wählten die HIV-Erkrankung für ihre Untersuchung aus, weil hier die Verbindung zwischen Therapieadhärenz und klinischem Ergebnis sowie mit den Konsequenzen einer Krankheitsprogression gut belegt sind.
Für HIV-Patienten stellt die lebenslange tägliche Medikamenteneinnahme eine grosse Herausforderung dar. Bei vielen Betroffenen kommt es zu Unterbrechungen, die den Behandlungserfolg gefährden können. Mit dem Instrument des Managed Problem Solving kann die Therapietreue zu Beginn oder bei der Umstellung einer Behandlung ein Jahr lang verbessert werden.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION INTERNAL MEDICINE
Um das Fortschreiten chronischer Erkrankungen bestmöglich verhindern zu können, ist eine konsequente Therapietreue erforderlich. Bei Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Infektion mit HIV (menschliches Immunschwächevirus) und anderen lebenslang bestehenden Krankheiten wird jedoch häufig eine unzureichende Compliance beobachtet. Zu den Hindernissen bezüglich der Therapietreue gehören Depressionen,
Merksätze
❖ Zu den Compliance-Hindernissen gehören Depressionen, Substanzmissbrauch, komplexe Therapieregime, mangelnde soziale Unterstützung und geringe Gesundheitsbildung.
❖ Mithilfe eines strukturierten Vorgehens (Managed Problem Solving: MAPS) unterstützt man den Patienten individuell durch regelmässige persönliche und telefonische Kontakte mit einem geschulten Therapeuten.
Substanzmissbrauch, komplexe Therapieregime, mangelnde soziale Unterstützung und geringe Gesundheitsbildung (1). Da bei individuellen Patienten mehrere Ursachen für mangelnde Compliance vorliegen können, sind personalisierte Strategien am erfolgversprechendsten. Amerikanische Wissenschaftler haben jetzt Managed Problem Solving (MAPS) entwickelt, ein Instrument, mit dessen Hilfe Hindernisse im Hinblick auf eine dauerhafte medikamentöse Behandlung überwunden werden sollen. Das Verfahren leitet sich von der Problem Solving Therapy (PST) ab, einer bei Depressionen effektiven Intervention. Im Rahmen der PST werden die Patienten in allgemeinen Problemlösungsstrategien wie der Identifizierung von Schwierigkeiten, der Entwicklung geeigneter Lösungen und der Evaluierung der Ergebnisse geschult. Die PST wurde bereits für andere schwierige Situationen wie zur Bewältigung von Krebs oder Schizophrenie angepasst. Das MAPS unterscheidet sich von der PST, indem der Betroffene nicht allgemein in der kompetenteren Lösung von Problemen trainiert wird. Stattdessen erarbeiten Therapeuten und Teilnehmer gemeinsam individuelle Strategien zur Verbesserung der Compliance. Übereinstimmend mit der PST wird mit kleinen erreichbaren Zielen begonnen, um den Erfolg zu sichern und Vertrauen in das Verfahren zu entwickeln. Das MAPS adressiert zusätzlich Probleme, die Betroffene für wichtig halten, die aber nur indirekt mit der Therapietreue zusammenhängen. Darüber können Stressoren abgeschwächt werden, die ansonsten die Adhärenz beeinträchtigen. In einer Studie untersuchten die Wissenschaftler, ob ihr neu entwickeltes MAPS mit besseren Ergebnissen im Hinblick auf die Therapietreue verbun-
Methoden Zum Vergleich von MAPS und der üblichen Versorgung bei HIV-Patienten führten die Wissenschaftler eine untersucherverblindete Studie an drei HIVspezialisierten Kliniken in Philadelphia (Pennsylvania, USA) durch. Bei den ausgewählten Teilnehmern lag eine Viruslast von mehr als 1000 Kopien/ml vor, und sie begannen gerade mit der antiviralen Therapie oder wechselten das Regime. Das MAPS wurde anhand eines Interventionsmanuals in einem fünfstufigen Prozess durchgeführt: 1. Identifizierung der Compliance-Hin-
dernisse des Teilnehmers 2. Brainstorming zur Erarbeitung von
Lösungsmöglichkeiten 3. Auswahl der besten Option 4. Monitoring der Implementierung 5. Überprüfung der Therapieadhärenz
Diese Schritte wurden während der ersten drei Monate wiederholt, bis eine optimale Lösung gefunden war. Im Rahmen des MAPS führten Patienten und Therapeuten vier persönliche und zwölf telefonische Gespräche zum Therapieregime, zu den Nebenwirkungen und zur Compliance. Die Problemlösungsstrategien betrafen Alltagsroutinen, Gedächtnisstützen für die Einnahme und die rechtzeitige Ergänzung der Medikamentenvorräte sowie gegebenenfalls ein Management von Substanzmissbrauch oder Toxizitäten. Während der ersten drei Monate wurde der Patient wöchentlich und in den weiteren neun Monaten alle vier Wochen angerufen. Primärer Endpunkt der Studie war die Medikamententreue, die ein Jahr lang vierteljährlich über ein elektronisches Monitoring als Anteil der eingenommenen Dosen erfasst wurde. Als sekundären Endpunkt definierten die Wissenschaftler eine nicht nachweisbare Viruslast nach einem Jahr. In die Untersuchung wurden 180 Patienten eingeschlossen, von denen 91 randomisiert dem MAPS und 89 der konventionellen
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Versorgung zugeordnet wurden. Dem Follow-up gingen 56 Teilnehmer verloren, 33 aus der MAPS- und 23 aus der konventionell betreuten Gruppe (1).
Ergebnisse In der Intention-to-Treat-Analyse war die Chance, einer höheren Adhärenzkategorie anzugehören, unter MAPS 1,78-mal (95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,07–2,96) höher als bei konventioneller Betreuung. In der As-TreatedAnalyse war die Wahrscheinlichkeit einer höheren Adhärenzkategorie unter MAPS 2,33-mal (95%-KI: 1,35–24,05) höher als bei konventioneller Betreuung. In der Intention-to-Treat-Analyse des sekundären Endpunkts war die Wahrscheinlichkeit einer nicht nachweisbaren Virenlast unter MAPS 1,48-mal (95%-KI: 0,94–22,31) höher als bei konventioneller Betreuung, und in der As-Treated-Analyse war diese Wahrscheinlichkeit unter MAPS 1,98-mal (95%-KI: 1,15–3,41) höher als bei konventioneller Betreuung. Bezüglich des vorherigen Behandlungsstatus beobachteten die Wissenschaftler keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen. Das MAPS war sowohl bei bereits behandelten als auch bei therapienaiven Patienten effektiv, und die Wirksamkeit veränderte sich im Studienzeitraum nicht. Erwartungsgemäss bestand eine enge Beziehung zwischen Compliance und Behandlungserfolg. Für jede Mehreinnahme an Medikamentendosen um 25 Prozent verdoppelte sich nahezu die Chance für eine nicht nachweisbare Viruslast (1,99; 95%-KI: 1,64–2,41) (1).
Fazit und Diskussion Die Studie zeigt, dass das MAPS im ersten Jahr einer neuen antiretroviralen Behandlung effektiv zur Verbesserung der Compliance beiträgt. Da eine konsequentere Adhärenz mit einem höheren Anteil an Personen mit nicht nachweisbarer Viruslast verbunden war, sollte nach Ansicht der Autoren bei ausreichenden Ressourcen eine Implementierung des MAPS in Betracht gezogen werden. In der Vergangenheit wurden bereits einige Strategien zur Verbesserung der Compliance erprobt. Am besten ist die direkt überwachte Therapie (DOT) untersucht, die in unselektierten Populationen jedoch nicht von dauerhaftem Nutzen war. Verhal-
tensbezogene Strategien führten zu unterschiedlichen Ergebnissen. Finanzielle Anreize wirken, solange der Patient die Zuwendung erhält, die Adhärenz verschlechtert sich jedoch wieder, sobald die Zahlungen eingestellt werden. Das MAPS setzt sowohl auf das Verhalten als auch auf technologische Massnahmen wie die elektronische Erfassung der Adhärenz (1). Als Limitation ihrer Studie betrachten die Autoren die einseitige Verblindung, die jedoch nicht zu vermeiden war. Da die Teilnehmer aus Spezialkliniken rekrutiert wurden, könnte bei ihnen die Adhärenz besser sein als in der allgemeinen Versorgung. Auch könnten die erforderlichen elektronischen Überwachungsgeräte für die meisten Patienten und Kliniken unerschwinglich sein. Als Stärke ihrer Untersuchung werten die Wissenschaftler, dass das Verzerrungsrisiko durch ähnliche Patientencharakteristika gering gehalten wird. Zudem war die Massnahme bei einer Population mit schwierigen Lebensverhältnissen wie Armut und Arbeitslosigkeit wirksam, und das Follow-up erstreckte sich über ein ganzes Jahr (1).
Kommentar David Bangsberg und Jessica Haberer vom Massachusetts General Hospital (Boston, USA) diskutieren in einem Kommentar den potenziellen Nutzen des MAPS im klinischen Alltag. Für HIV-Patienten stellt die tägliche lebenslange Einnahme antiretroviraler Medikamente eine grosse Herausforderung dar, und bei vielen kommt es irgendwann zu Unterbrechungen, die mit einem Risiko für ein virologisches Versagen verbunden sein können. Daher ist bei den meisten eine Unterstützung für eine optimale antiretrovirale Behandlung erforderlich (2). Bei einer Unterstützung der Compliance bei lebenslänglicher Erkrankung ergeben sich jedoch Probleme. Zum einen sind die meisten Interventionen zeitlich begrenzt, und der Nutzen lässt meist kurz nach der Beendigung nach. Zum anderen ist nicht immer bekannt, zu welchen Zeitpunkten die Patienten Hilfe benötigen. Die Kommentatoren sind der Ansicht, dass es sich bei MAPS um eine wirksame Massnahme handelt, lebenslange monatliche Anrufe bei allen Patienten halten sie jedoch weder für erforderlich
noch für durchführbar. Um den Nutzen des neu entwickelten MAPS zu maximieren, sollte die Intervention gezielt bei Therapieunterbrechungen angeboten werden. Das könnte in Kombination mit einem lebenslangen EchtzeitAdhärenzmonitoring erfolgen. Zum Echtzeit-Adhärenzmonitoring gehören elektronische Medikamentenboxen, die bei jeder Öffnung Datum und Uhrzeit an einen zentralen Server übermitteln, sodass ausgelassene Dosen in Echtzeit erfasst werden können. Zu diesem Zeitpunkt könnte das MAPS anknüpfen. So kann eine Unterstützung nach Bedarf gewährleistet werden und nicht auf monatlicher Basis wie bei Gross und seiner Arbeitsgruppe. Eine Just-in-Time-Beratung kann dann als Textbotschaft über das Telefon oder in einem persönlichen Gespräch vermittelt werden, je nach Dauer und Ursache der Therapieunterbrechung. Dieses kombinierte Verfahren könnte zu ähnlichen Kosten bereitgestellt werden wie das derzeitige HIV-Monitoring im Labor. Erste Studien weisen darauf hin, dass ein Echtzeit-Adhärenzmonitoring auch in Regionen mit schlechter Infrastruktur durchführbar ist. Allerdings sind weitere Untersuchungen erforderlich, um die Effektivität zu etablieren und eine Anwendbarkeit ausserhalb der Forschung zu gewährleisten. ❖
Petra Stölting
Quellen: 1. Gross R et al.: Managed problem solving for antiretro-
viral therapy adherence. JAMA Intern Med 2013; 173(4): 300–306. 2. Bangsberg DE, Haberer JE: Lifetime HIV antiretroviral therapy adherence intervention. JAMA Intern Med 2013; 173(4): 306–307.
Interessenkonflikte: 1. und 2. keine deklariert.
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