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STUDIE REFERIERT
Thromboseprophylaxe bei orthopädischen Eingriffen
NOAK auch für kleinere Operationen
Bei kleineren orthopädischen Eingriffen wird Enoxaparin zur Thromboseprophylaxe breit angewendet, während bei grossen orthopädischen Operationen Rivaroxaban verwendet wird. Dass sich Rivaroxaban auch für kleinere Eingriffe zu eignen scheint, zeigte die vorliegende Vergleichsstudie.
New England Journal of Medicine
Das Risiko für venöse Thromboembolien (VTE) nach grösseren orthopädischen Eingriffen ist wegen der Immobilität während der Genesungsphase jeweils hoch. Klinische Guidelines empfehlen deshalb eine antikoagulatorische Thromboseprophylaxe bei Hüft- oder Kniegelenkersatz- oder Hüftfrakturoperationen. Kleinere orthopädische Eingriffe an den unteren Extremitäten haben allerdings auch eine vorübergehend eingeschränkte Mobilität zur Folge. Ohne Thromboseprophylaxe beträgt bei einer distalen Verletzung der unteren Gliedmassen oder bei einer Kniearthroskopie das Risiko für eine VTE etwa 3 Prozent. Kommen patientenbezogene Risikofaktoren hinzu, wie beispielsweise Begleitmedikationen, Alter, Adipositas, vorangegangene VTE, Schwangerschaft oder ein postpartaler Status, steigt dieses Risiko zusätzlich an. Darüber, ob auch bei kleineren Eingriffen eine Thromboseprophylaxe durchgeführt werden soll, herrscht international keine Einigkeit. In europäischen Guidelines ist eine Thromboseprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin bei Patienten mit einem oder mehreren Risikofaktoren empfohlen – und wenn das Blutungsrisiko das Thromboserisiko nicht übersteigt.
Rivaroxaban versus Enoxaparin
Aus Studien bei Knie- oder Hüftersatzoperationen ist bekannt, dass eine
Thromboseprophylaxe mit dem Faktor-Xa-Inhibitor Rivaroxaban einer Prophylaxe mit Enoxaparin in Bezug auf das VTE-Risiko überlegen ist. Ob das auch für kleinere orthopädische Eingriffe gilt, die eine Thromboseprophylaxe von mehr als 2 Wochen nötig machen, untersuchte die vorliegende doppelblind randomisierte Nichtunterlegenheits- bzw. Überlegenheitsstudie. 3604 Patienten mit geplantem, kleinerem orthopädischem Eingriff und – nach Einschätzung des Studienarztes – potenziellem VTE-Risiko erhielten täglich entweder Rivaroxaban 10 mg oder Enoxaparin 40 mg zur VTE-Prophylaxe. Als primärer Endpunkt galt die Kombination aus symptomatischer distaler oder proximaler tiefer Venenthrombose (TVT), Lungenembolie, VTE-bedingtem Tod während der Behandlungsphase oder asymptomatischer proximaler TVT zu Behandlungsende.
Zu schweren VTE-Ereignissen kam es unter Rivaroxaban bei 4 von 1661 Patienten (0,2%), in der Enoxaparingruppe bei 18 von 1640 (1,1%) (Risk Ratio [with multiple imputation]: 0,25; 95%-Konfidenzintervall: 0,09 bis 0,75; p < 0,001 für Nichtunterlegenheit; p = 0,01 für Überlegenheit). Die Risikoreduktion beträgt damit 75 Prozent. Die Blutungsinzidenz unterschied sich in den beiden Gruppen nicht signifikant. Für schwere Blutungen oder kli-
nisch relevante kleinere Blutungen betrug die Inzidenz 1,1 vs. 1,0%; für schwere Blutungen allein 0,6 vs. 0,7%. Gemäss diesen Resultaten ist Rivaroxaban in der VTE-Prävention während der Immobilisationsphase nach kleineren orthopädischen Eingriffen der unteren Extremitäten wirksamer als Enoxaparin.
Bemerkung der Autoren
Enoxaparin verdankt seine breite Anwendung bei kleineren orthopädischen Eingriffen zwei Metaanalysen, die im Vergleich zu den Kontrollgruppen ein tieferes VTE-Risiko gezeigt haben. Diese Risikoreduktion war hauptsächlich der tieferen Inzidenz von TVT geschuldet. Die Überlegenheit von Rivaroxaban in der vorliegenden Studie entstand dagegen hauptsächlich aufgrund der tieferen Inzidenz von symptomatischen Ereignissen, was auf einen Einschluss von Patienten mit höherem Risiko schliessen lässt. Eine bessere Risikostratifizierung sei demnach wünschenswert, schreiben die Autoren. s
Valérie Herzog
Quelle: Samama CM et al.: Rivaroxaban or Enoxaparin in nonmajor orthopedic surgery. N Engl J Med 2020; 382: 1916–1925.
Interessenlage: Die Autoren deklarieren keine Interessenkonflikte.
ARS MEDICI 20 | 2021
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