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BERICHT
ESC-Kongress 2021
«Landmark-Studie» und neue Guidelines
Mit der im Rahmen des europäischen Jahrestreffens der European Society of Cardiology (ESC) 2021 vorgestellten Studie EMPEROR-Preserved gelang es bei Patienten mit Herzinsuffizienz mit erhaltener linksventrikulärer Auswurffraktion (HFpEF) erstmals, durch eine medikamentöse Therapie einen relevanten klinischen Effekt zu erzielen. Weitere Highlights des Kongresses waren die Präsentationen mehrerer neuer ESC-Leitlinien.
In der Studie EMPEROR-Preserved, die von Prof. Stefan Anker, Charité Universitätsmedizin Berlin, präsentiert und simultan im «New England Journal of Medicine» publiziert wurde, wurde in einer Population von Herzinsuffizienz(HF-)Patienten mit erhaltener linksventrikulärer Auswurffraktion (HFpEF) der SGLT2-Inhibitor Empagliflozin mit Plazebo verglichen, jeweils vor dem Hintergrund einer optimierten Standardtherapie (1). Einschlusskriterium war eine linksventrikuläre Auswurffraktion (EF) von mindestens 40 Prozent. Damit waren in die Studie EMPEROR-Preserved auch Patienten eingeschlossen, die nach aktueller Definition in die (zur Zeit der Planung der Studie noch nicht definierte) Kategorie der HF mit «leicht reduzierter» (mildly reduced) linksventrikulärer EF (HFmrEF) fallen. Derzeit spricht man erst ab einer linksventrikulären EF von 50 Prozent von HFpEF. Allerdings lag die durchschnittliche EF in der Studie EMPEROR-Preserved bei 54 Prozent. Ein erheblicher Anteil der Patienten hatte also auch nach derzeitiger Definition eine HFpEF. Die Studie EMPEROR-Preserved war erfolgreich. Der primäre Endpunkt, bestehend aus Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz und kardiovaskulärem Tod, trat in einer Beobachtungszeit von 26 Monaten bei 415 der 2997 Patienten (13,8%) in der Empagliflozin- und bei 511 der 2991 Patienten (17,1%) in der Plazebogruppe ein. Das entspricht einer signifikanten Risikoreduktion um 21 Prozent (Hazard Ratio [HR]: 0,79; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,69 – 0,90; p = 0,0003) und einer NNT (number needed to treat) von 31 über eine Behandlungszeit von 26 Monaten. Ausschlaggebend für diesen Effekt war die Vermeidung von Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz, wobei die kardiovaskuläre Mortalität in beiden Armen gering war. Subgruppenanalysen zeigen, dass Empagliflozin bei Patienten ohne Diabetes mellitus genauso wirksam war wie bei Patienten mit einem Diabetes mellitus. Auch bei einer Stratifizierung nach Auswurffraktion ergab sich in allen ausgewerteten Subgruppen ein konsistenter Effekt. Empagliflozin zeigte zudem eine günstige Wirkung auf die Niere und reduzierte im Vergleich zu Plazebo die Abnahme der glomerulären Filtrationsrate (eGFR) um mehr als die Hälfte (–1,25 vs. –2,62 ml/min/1,73 m2/Jahr; p < 0,0001). Empagliflozin wurde ausgezeichnet vertragen, lediglich leichte Infektionen im Urogenitalbereich und Hypotonie waren unter Verum häufiger als unter Plazebo. Unklar seien allerdings die pathophysiologischen Hintergründe des Effekts, wie Anker anlässlich der Präsentation der Daten ausführte, denn weder der geringe diuretische Effekt noch die leichte Blutzuckersenkung könnten die Wirkung auf die Herzinsuffizienz sowie die ebenfalls signifikante Verbesserung der Lebensqualität erklären. Hier könnte ein weiterer beobachteter Effekt ausschlaggebend sein: Bei Patienten unter Therapie mit Empagliflozin kam es zu einer signifikanten Zunahme des Hämatokrits, von der Patienten mit HF (bei denen Anämie häufig vorkommt) profitieren können. Neue Leitlinie: SGLT2-Inhibitoren bei HFrEF empfohlen Die Studie EMPEROR-Preserved hat das Potenzial, die klinische Praxis im Umgang mit der HFpEF zu verändern. In die ebenfalls im Rahmen des diesjährigen ESC-Kongresses vorgestellte neue ESC-Leitlinie zu Diagnostik und Management der HF konnte sie aus Zeitgründen nicht mehr aufgenommen werden. Deshalb hat die Leitlinie auch zur HFpEF keine Neuigkeiten und – über Diuretika für die Behandlung von Stauungssymptomen hinaus – keine Empfehlungen für eine medikamentöse Therapie der HFpEF zu bieten. Ebenfalls schlecht ist die Datenlage zur HFmrEF, zu der bislang keine spezifischen randomisierten, kontrollierten Studien durchgeführt wurden. Anlässlich der Präsentation der Leitlinie unterstrich Prof. Carolyn Lam von der Duke-NUS Graduate Medical School in Singapur jedoch, dass in zahlreichen Studien zu HFrEF und HFpEF auch Patienten mit HFmrEF eingeschlossen gewesen seien und man auf Basis von Subgruppenanalysen schwache Empfehlungen für den Einsatz von Angiotensinrezeptorblockern, ACE-Inhibitoren (ACEi), Betablockern, Mineralokortikoidrezeptorantagonisten (MRA) und Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren (ARNI) geben könne. Eine ganze Reihe von Neuerungen gibt es jedoch im Management der HF mit reduzierter linksventrikulärer EF (HFrEF). Hier wurden die Empfehlungen für die First-Line-Therapie um eine Substanzklasse erweitert: die SGLT2-Inhibitoren. Konkret werden die Substanzen Empagliflozin und Dapagliflozin empfohlen, weil für sie auch ausreichend Daten aus nicht diabetischen HF-Populationen vorliegen. Beide Substanzen zeigten in randomisierten, kontrollierten Studien signifikante und klinisch relevante Reduktionen kardiovaskulä- 582 ARS MEDICI 20 | 2021 BERICHT rer Endpunkte, insbesondere der Hospitalisierungen wegen HF. Patienten mit symptomatischer HFrEF sollen nun einen ACEi oder ARNI, einen Betablocker, einen MRA und einen SGLT2-Inhibitor erhalten. Die neue Guideline legt nicht zuletzt einen stärkeren Fokus auf eine personalisierte Therapie, was ein gezieltes Management von Grundkrankheiten und Komorbiditäten bedeutet. Empfohlen werden unter anderem eine intravenöse Eisensupplementation mit Eisencarboxymaltose bei Patienten mit komorbider Anämie mit Eisenmangel sowie unter bestimmten Umständen ein Screening auf Transthyretinamyloidose/kardiale Amyloidose (TTR-CMP) und deren allfällige Therapie mit Tafamidis. Detaillierte Empfehlungen werden auch für den Einsatz der verschiedenen Typen von Devices wie der kardialen Resynchronisationstherapie oder des ICD (implantable cardioverter defibrillator) gegeben. Prävention nach Alter, Risikofaktoren und geografischer Region Neue Wege schlägt die ESC zudem mit ihren aktuellen Empfehlungen zum Risikomanagement in der klinischen Praxis ein, die einerseits auf die Primärprävention in der gesunden Allgemeinbevölkerung eingehen, andererseits aber auch auf die Sekundärprävention bei bereits bestehender kardiovaskulärer Erkrankung sowie bei verschiedenen häufigen Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus oder familiärer Hypercholesterinämie (2). Generell empfohlen wird ein schrittweiser Zugang zur Therapie, der sich am individuellen Risiko orientiert. Als absolutes Minimalniveau der Prävention sieht die Leitlinie für alle Personen und alle Altersgruppen einen Nikotinstopp, einen gesunden Lebensstil und einen systolischen Blutdruck unter 160 mmHg vor. Davon ausgehend, würden aber für die meisten Personengruppen, abhängig von Alter und Risikofaktoren, ambitioniertere Ziele gefordert, wie der Leiter der Guidelines-Task-Force, Prof. Dr. Frank Visseren vom University Medical Centre Utrecht in den Niederlanden, anlässlich der Präsentation unterstrich. Die individuelle Risikoabschätzung erfolgt anhand der Risikoscores der ESC, die nun auch eine geografische Differenzierung aufweisen, wobei ein West-Ost-Gefälle auffällt, mit dem niedrigsten Risiko im Westen. Generell gilt der Grundsatz, bei insgesamt niedrigem Risiko sowie in der Primärprävention im hohen Lebensalter mit medikamentösen Massnahmen zurückhaltend zu sein. Die Leitlinie gibt realistische Ziele für regelmässige Bewegung vor (mindestens 150–300 min aerobes Training von moderater Intensität pro Woche) und ermutigt zu mediterraner Ernährung und einem höchstens moderaten Alkoholkonsum von maximal 100 g pro Woche. Erstmals wird auf eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos durch psychiatrische Komorbiditäten eingegangen und entsprechende Unterstützung der Patienten gefordert. Die neue Präventionsleitlinie hat auch einen politischen Aspekt und empfiehlt Massnahmen auf der Populationsebene, die unter anderem auf eine Reduktion von Luftverschmutzung abzielen. Umweltverschmutzung erhöht die Gefahr für einen plötzlichen Herztod Dass Massnahmen zur Reduktion von Luftverschmutzung direkten und kurzfristigen Einfluss auf die Herzgesundheit haben können, legt eine im Rahmen des ESC-Kongresses 2021 vorgestellte Studie nahe (3). Italienische Forscher konn- ten nämlich zeigen, dass eine Dosis-Wirkungs-Beziehung zwischen verbreiteten Schadstoffen und der Inzidenz von Todesfällen durch plötzlichen Herzstillstand besteht. Die Studie wurde in den Provinzen Pavia, Lodi, Cremona und Mantua im Süden der Lombardei durchgeführt, wo rund 1,5 Millionen Menschen auf 7863 km2 städtischer und ländli- cher Gebiete leben. Daten zu plötzlichen Herztoden werden im Register Lombardia CARe gesammelt, Daten zu Umwelt- schadstoffen liefert die örtliche Umweltagentur ARPA. Er- hoben wurden Messwerte von Feinstaub (PM10, PM2.5), Stickstoffdioxid, Kohlenmonoxid, Benzol, Schwefeldioxid und Ozon. Die Studienautoren berechneten die tägliche In- zidenz plötzlicher Herztode und korrelierten sie mit den Schadstoffmesswerten. Insgesamt kam es 2019 in der Region zu 1582 Todesfällen durch plötzlichen Herztod, was einer medianen täglichen Inzidenz von 0,3 pro 100 000 Einwohner entspricht. An Tagen, in denen die Inzidenz plötzlicher Herz- tode über dem Median lag, bewegte sich auch die Konzentra- tion aller gemessenen Schadstoffe mit Ausnahme von Ozon über dem Median. Ozon zeigte einen gegenläufigen Trend und war an Tagen mit wenigen Herztoden erhöht. In einem weiteren Schritt wurde zunächst die Temperatur in die Aus- wertung einbezogen, wobei sich bei höheren Temperaturen eine reduzierte Inzidenz plötzlicher Herztode ergab. Wurden die Daten hinsichtlich der Temperatur korrigiert, wurde für alle Schadstoffe inklusive Ozon eine positive Korrelation mit der Inzidenz plötzlicher Herztode gefunden. Auf Basis dieser Daten forderte Studienautorin Dr. Francesca R. Gentile von der IRCCS Policlinico San Matteo Foundation in Pavia, dass Daten zur Luftverschmutzung in die prädiktiven Modelle einbezogen werden sollten, nach denen Gesundheitssysteme ihre Ressourcen verplanten. s Neue ESC-Guidelines Die neuen Leitlinien «2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure» und «2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease prevention in clinical practice» wurden online im «European Heart Journal» publiziert und sind über die Website der ESC verfügbar: www.escardio.org/Guidelines Reno Barth Quelle: ESC-Congress 2021 – The Digital Experience, 27. bis 30. August, virtuell. Referenzen: 1. Anker SD et al.: Empagliflozin in Heart Failure with a Preserved Ejection Fraction. N Engl J Med. 2021; doi:10.1056/NEJMoa2107038 2. Visseren FLJ et al.: 2021 ESC Guidelines on cardiovascular disease preven- tion in clinical practice. Eur Heart J. 2021;42(34):3227-3337. 3. Gentile FR et al.: Out-of-hospital cardiac arrest and ambient air pollu- tion: a dose-effect relationship and a predictive role in OHCA risk. ESC 2021, Abstract 83274. LINKTIPP 584 ARS MEDICI 20 | 2021