Transkript
ECCO
Interview mit Prof. Dr. Dr. Gerhard Rogler, Zürich
«Wir sollten uns vor Schnellschüssen in Acht nehmen»
Für die Behandlung der Colitis ulcerosa zeichnen sich derzeit viele ermutigende Entwicklungen ab, wie am virtuellen Kongress der European Crohn and Colitis Organisation (ECCO) für entzündliche Darmerkrankungen (IBD) deutlich wurde. Im Folgenden ein Gespräch mit dem Gastroenterologen Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich über neue Therapieoptionen, die Chancen und Schwächen der Telemedizin und über voreilige Verlautbarungen in der Coronaviruspandemie.
Ars Medici: Herr Prof. Rogler, bei der Colitis ulcerosa (CU) tut sich derzeit einiges ... Prof. Dr. Dr. Gerhard Rogler: Ja, für mich waren die Fortschritte, die momentan bei der Colitis ulcerosa gemacht werden, sehr bemerkenswert. Die neueren JAK-Inhibitoren weisen wirklich hervorragende Ergebnisse auf. Nicht nur Upadacitinib zeigte in Studien ein Ansprechen von über 80 Prozent, auch für Filgotinib und andere gibt es sehr ermutigende Resultate. Dazu kommen mindestens drei neue P-19-Antikörper und nochmal drei neue JAK-Inhibitoren. Auch Ozanimod, das bereits für die Therapie der Multiplen Sklerose zugelassen ist, steht in den Startlöchern. Für das Management der Colitis ulcerosa ist das alles sehr ermutigend.
Foto: z.V.g.
Zur Person
Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler Universitätsspital Zürich
Und die Risiken hinsichtlich Thrombosen und Infektionen? Rogler: Die Sicherheitssignale der neuen JAK-Inhibitoren hinsichtlich Thrombosen, Infektionen und Herpes zoster sind sehr positiv. Es scheint, als ob die selektiven JAK-Inhibitoren, wie JAK 1 oder TYK2, gegenüber den Pan-JAK-Inhibitoren Vorteile bieten. Thrombosen scheinen wesentlich weniger aufzutreten. Allerdings müssen wir nach der Zulassung zuerst die grossen Fallzahlen sehen. Nach den bisherigen Daten scheint es hier jedoch ein geringeres Risiko zu geben. Für Tofacitinib sind wir durch die Risikowarnungen der EMA eingeschränkt. Man darf es nicht jungen Frauen mit hormoneller Kontrazeption geben und auch nicht Menschen mit erhöhtem thromboembolischen Risiko. Aber haben letztlich nicht alle Patienten mit aktiver entzündlicher Erkrankung ein erhöhtes thromboembolisches Risiko? Hier sind uns schon etwas die Hände gebunden.
Zu Vedolizumab gab es eine Kombinationsstudie, was gibt es für Erkenntnisse? Rogler: Walter Reinisch als Letztautor hat gezeigt, dass es keinen Sinn ergibt, 5-ASA mit Vedolizumab zu kombinieren. Das schien mir einleuchtend, und deshalb setzen wir 5-ASA auch ab, wenn wir mit diesem Biologikum behandeln. Bei Vedolizumab wurde immer gesagt, zur Not müsse man erst ein halbes Jahr warten, bis sicher sei, ob es wirke oder nicht. In diesem Zusammenhang ist die neue Erkenntnis wichtig, dass Calprotectin bereits in Woche 12 ein guter Prädiktor für ein Therapieansprechen ist. Wenn also beim Calprotectin bis dahin keine Verbesserung zu beobachten ist, ist ein klinisches Ansprechen nicht mehr wahrscheinlich. Mit einem solchen Prädiktor können wir jetzt früher entscheiden, ob es sinnvoll ist weiterzubehandeln oder nicht. Ein zu langes Hinauszögern einer Entscheidung schadet dann doch mehr, als es nützt.
Es gab einen Head-to-Head-Vergleich zwischen Ustekinumab und Adalimumab. Rogler: Die Hersteller hatten sich vermutlich erhofft, dass Ustekinumab besser abschneiden würde. Es war jedoch kein signifikanter Unterschied hinsichtlich der wichtigsten Endpunkte und der Nebenwirkungen erkennbar. Aber beide sind wirksame Medikamente in der Therapie der Colitis ulcerosa.
Apropos Kombination: Ist es eigentlich sinnvoll, verschiedene Biologika miteinander zu kombinieren? Rogler: Das haben wir teilweise schon gemacht, zum Beispiel mit Infliximab plus Vedolizumab. Die Idee ist natürlich, dass man Kombinationen mit wenig Nebenwirkungspotenzial und wenigen Risiken wählt. Die Diskussion geht derzeit dahin, Ustekinumab und Vedolizumab zu kombinieren. Ich persönlich fände es prinzipiell noch spannender, ein risikoarmes
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CongressSelection Gastroenterologie | September 2021
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Biologikum wie zum Beispiel Vedolizumab mit einem JAK-Inhibitor zu kombinieren. Da wird es in der nächsten Zeit sicherlich entsprechende Studien und vielleicht auch Überraschungen geben.
Auch bei einer Diätstudie aus Israel zeigte sich ein überraschendes Ergebnis, wenn auch ein negatives. Rogler: Das Team um Ari Levine aus Tel Aviv hat grosse Erfahrung mit speziellen Diäten. Für diese spannende Studie wurden drei Gruppen mit Colitis-ulcerosa-Patienten gebildet: Eine wurde nur mit normalen Stuhltransplantationen behandelt, bei der zweiten Gruppe erhielt der Donor vor den Stuhltransplantationen eine spezielle Diät, und bei der dritten Gruppe erhielten die Empfänger lediglich eine Diät ohne Stuhltransplantation. Letztlich waren alle Ergebnisse nicht signifikant. Man konnte nur einen Trend zugunsten der Solo-Diät feststellen. Dort erreichten 40 Prozent eine höhere Rate an klinischer Remission gegenüber 21 Prozent der Gruppe mit normaler Stuhltransplantation. Möglicherweise hatte man einfach Pech und erwischte einen «schlechten» Stuhlspender. Die Studie zeigt aber, dass eine Diät beim Stuhldonor wahrscheinlich nichts bringt. Bei einer früheren erfolgreichen Untersuchung zur Stuhltransplantation hatte man dagegen einen Spender, dessen Mikrobiota sich im Laufe der Studie verbesserte und der so zum «Superspender» wurde. Das zeigt für mich, dass selbst der gleiche Spender nicht immer «konstante Qualität» liefert.
Interessant waren auch die Studien zur Fatigue. Rogler: Fatigue bei IBD ist ein chronisches und ein schweres Problem. Schon in einer eigenen Studie haben wir vor einiger Zeit festgestellt, dass ganz viele Menschen unter dieser ständigen Müdigkeit und Erschöpfung leiden. In einer dänischen Untersuchung hat man versucht, mit hoch dosiertem Thiamin, also Vitamin B1, die Fatigue zu reduzieren. Dagegen konnte man in einer finnischen Studie durch Stressreduktion die Fatigue der Betroffenen verbessern. Daran sieht man, dass bei Fatigue viele Faktoren eine Rolle spielen. In Zürich überweisen wir unsere Fatiguepatienten an die Komplementärmedizin zur Stressreduktion. Das funktioniert ganz gut.
Auch künstliche Intelligenz und die derzeit stark geförderte Telemedizin waren Themen am ECCO-Jahrestreffen. Was halten Sie davon? Rogler: Einige Dinge im IT-Bereich sind noch sehr holprig. Bei der Digitalisierung besteht noch erheblicher Nachholbedarf, wie man bei der COVID-19-Pandemie gesehen hat. Aber eine Kombination aus Telemedizin und Sprechstunden mit Ultraschall fände ich in Zukunft sinnvoll. Nehmen wir an, wir starten bei einem Patienten mit akutem Schub die Therapie, und er kommt in 2-wöchentlichen Abständen zur Ultraschallkontrolle. Ich könnte mir vorstellen, dass zwischendurch kurze telemedizinische Follow-ups eine gute Massnahme wären. Da würden fünf Minuten reichen, um zu sehen, ob die Therapie in die richtige Richtung geht. Damit könnten wir verhindern, dass jemand in einen schweren Schub hineinläuft. Tatsächlich sind die Abstände, in denen wir solche Patienten sehen, manchmal zu gross. Deshalb halte ich eine telemedizinische Betreuung zwischen den Ultraschallkonsultationen für einen interessanten Ansatz. In Holland wird das im Prinzip schon angewendet.
Wie sollte das praktisch durchgeführt werden? Rogler: Das müsste wirklich gut vorbereitet und durchgetaktet sein. Ich denke, dass man pro Woche zwei- bis dreimal je eine Stunde für solche kurzen Gespräche reservieren sollte. Wir haben das bei uns in Zürich bereits besprochen und wollen sehen, ob es umsetzbar ist. Allerdings sind die Kommunikationskanäle ein Problem, da die meisten bislang noch nicht sicher genug sind.
Die IT bei der Kapselendoskopie wird dafür immer ausgefeilter. Rogler: Mithilfe der künstlichen Intelligenz werden die Bilder aus dem Darm jetzt nicht nur automatisch aufgezeichnet, sondern sie wertet diesen Film direkt aus und entdeckt selbstständig relevante Läsionen. Das ist sehr hilfreich. Bislang musste nach so einer Kapselendoskopie der arme Untersucher bis zu zwölf Stunden Videoaufnahmen durchsehen. Das geht jetzt nicht nur viel schneller, sondern ist auch objektiver und zuverlässiger. Auch Polypen lassen sich mit diesem automatisch lernenden System übrigens besser detektieren.
Am ECCO-Kongress werden ja auch stets neue Guidelines vorgestellt. In diesem Jahr waren die Infektionen an der Reihe. Rogler: Die Infektionsguidelines sind deutlich verbessert. Sie sind jetzt praxisnäher und evidenzbasierter. Aus meiner Sicht hat die Arbeitsgruppe da eine sehr, sehr hilfreiche und gute Arbeit geleistet.
Zum Schluss noch ein Wort zu COVID-19.
Rogler: Wichtig ist zu sagen, dass eine Infektion bei IBD-Pa-
tienten keine neuen Schübe auslöst. Auch die Impfungen sind
im Prinzip sicher. In seltenen Einzelfällen kann es meiner Er-
fahrung nach jedoch zu einer kurzzeitigen Schubauslösung
kommen. Bei den TNF-Hemmern und IL-23-Antikörpern
sieht es nach wie vor danach aus, als ob sie vor schweren
COVID-19-Verläufen sogar eher schützen würden. Ein wich-
tiges Update der SECURE-IBD-Datenbank wurde von Ryan
Ungaro vorgestellt. Es zeigt uns, wie vorsichtig man mit vor-
schnellen Schrotschüssen sein sollte. Nach der Analyse von
1200 IBD-Patienten mit COVID-19 hiess es, dass 5-Amino-
salicylsäure (5-ASA) ein «Safety-Signal» verursachen könnte
und dass sich der COVID-19-Verlauf durch 5-ASA mögli-
cherweise verschlechtere. Es gab Diskussionen darüber, ob
man 5-ASA absetzen soll. Viele Patienten waren verunsichert,
und manche haben das Medikament tatsächlich abgesetzt.
Heute, nach der Untersuchung von über 6000 SECURE-
IBD-Patienten-Datensätzen zeigt sich jedoch, dass 5-ASA
überhaupt kein Sicherheitsrisiko darstellt. Das Einzige, was
hinsichtlich des COVID-19-Verlaufs wirklich ein Risiko ist,
sind systemische Steroide über 20 mg am Tag. Man sollte in
einer solchen Situation die Daten erst publik machen, wenn
sie sicher sind. Das Beispiel 5-ASA und SECURE-IBD-Daten-
bank ist für mich typisch dafür, was wir als Wissenschaftler
am Anfang der Pandemie falsch gemacht haben. Wenn keine
Evidenz vorhanden ist, sollte man auch keine Stellung bezie-
hen. Vorschnelle Veröffentlichungen auf wackeliger Daten-
basis sollten als das erkannt werden, was sie sind.
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Interview: Klaus Duffner
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