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FORTBILDUNG
Betaagonisten bei Lungenerkrankungen
LABA, Ultra-LABA, LAMA, ICS und Kombinationen
Betaagonisten können die glatte Atemwegsmuskulatur über unterschiedlich lange Zeiträume zur Erschlaffung bringen. Diese Bronchodilatation steht bei COPD im Zentrum der Therapie und bildet bei Asthma einen wichtigen Therapiepfeiler. Die Entwicklung hin zu immer länger wirkenden selektiven Beta-2-Agonisten wird die Therapie bei obstruktiven Lungenerkrankungen verändern.
AMERICAN JOURNAL OF RESPIRATORY AND CRITICAL CARE MEDICINE
Heute werden die bei Lungenerkrankungen eingesetzten Betaagonisten in drei Gruppen eingeteilt: ❖ kurz wirksame (SABA, short-acting beta-2-agonists) wie
Fenoterol (Berotec® N) und Terbutalin (Bricanyl®) mit einer Wirkdauer von 4 bis 6 Stunden; ❖ lang wirksame (LABA, long-acting beta-2-agonists) wie Salmeterol (Serevent®) und Formoterol (Foradil®, Oxis®) mit einer Wirkdauer von zirka 12 Stunden; ❖ ultra lang wirksame (Ultra-LABA) mit dem Prototyp Indacaterol (Onbrez®), der dank einer noch längeren Wirkdauer die tägliche Einmaldosierung erlaubt.
Die Betaagonisten sind effektive Bronchodilatatoren, in erster Linie wegen ihrer Eigenschaft, die glatte Atemwegsmuskula-
Merksätze
❖ Gegenüber den kurz wirksamen Betaagonisten (SABA) haben die lang wirksamen Betaagonisten (LABA) therapeutische Vorteile .
❖ LABA bieten eine effektive Bronchodilatation und für die Patienten bedeutsame langzeitige Verbesserungen der Lungenfunktion.
❖ Der neue Wirkstoff Indacaterol, erster Vertreter der Ultra-LABA, ermöglicht die einmal tägliche bronchuserweiternde Therapie bei COPD.
❖ Weitere Ultra-LABA sind in Entwicklung und sollen vor allem zusammen mit lang wirksamen Antimuskarinika (LAMA) bei COPD beziehungsweise zusammen mit inhalierten Kortikosteroiden (ICS) bei Asthma die Therapieoptionen erweitern.
tur zu erschlaffen. Diese Wirkung entsteht nach Koppelung an den Beta-2-Rezeptor auf den glatten Muskelzellen über intrazelluläre Mechanismen mit Entstehung von zyklischem AMP, das Effektormoleküle aktiviert, die schliesslich zu einer intrazellulären Kalziumsequestrierung führen, welche die Muskelzellen erschlafft. Nach Inhalation entfalten die Betaagonisten ihre Wirkung in Funktion lokaler Wirkstoffkonzentrationen, welche mit den gemessenen Plasmakonzentrationen nicht korrelieren. Zwar erreicht nur ein kleiner Teil der inhalierten Dosis tatsächlich die peripheren Atemwege, er ist aber in der Lage, dort eine effektive Bronchuserweiterung zu erzielen. Betaagonisten imitieren die Wirkung von Adrenalin auf verschiedenen Ebenen. Neben der erwünschten Hemmung der Atemwegsmuskulatur stimulieren sie das Herz mit Pulsanstieg und gesteigerter Kontraktilität und Reizleitung. Daneben hemmen sie die Freisetzung von Mediatoren aus Mastzellen, stimulieren die Glykogenolyse in Leber und Muskelzellen und die Freisetzung von Insulin und Glukagon. Zusätzlich besitzen sie Effekte auf parasympathische Ganglien und deren Freisetzung von Acetylcholin.
Therapeutischer Einsatz SABA werden heute bei obstruktiven Lungenerkrankungen nur als Notfallmedikation eingesetzt, da sie wegen der kurzen Wirkdauer für eine Erhaltungstherapie ungeeignet sind. Diese erfolgt heute mit LABA oder ultra-LABA. Diese Wirkstoffe führen bei chronisch obstruktiver Lungenkrankheit (COPD) zu signifikanten Verbesserungen beim forcierten exspiratorischen Volumen (FEV1), vermindern die dynamische Lungenüberblähung und verbessern die Belastungstoleranz. Ausserdem reduzieren sie die Zahl der Exazerbationen und bieten einen potenziellen Überlebensvorteil. Im Gegensatz dazu ist ein sicherer LABA-Einsatz bei Asthma nur in Kombination mit einem inhalierten Glukokortikosteroid in adäquater Dosierung gewährleistet. LABA können bei Asthma die zugrunde liegende Entzündung maskieren und schlimmer werden lassen, wenn die Steroiddosis nicht ausreichend hoch ist. Dies führt zu mehr Exazerbationen und sogar zu einer gesteigerten Mortalität an unkontrolliertem Asthma.
Dosierungsstrategien Die FEV1-Entwicklung unter Bronchodilatatoren variiert zwischen den Patienten und auch zwischen entsprechenden Studien sehr stark, was die Bestimmung der optimalen Dosis schwierig macht. Idealerweise sollten Betaagonisten in der niedrigsten Dosierung und Applikationsfrequenz verwendet
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werden. Allerdings brauchen Patienten mit schwerer COPD hohe Dosen um eine optimale Bronchuserweiterung zu erfahren. Hohe Dosen, kommen auch während akuter Exazerbationen in Betracht, da in solchen Phasen die funktionelle Halbwertszeit der Betaagonisten verkürzt ist. Entsprechend wurde vorgeschlagen, in dieser Situation nicht nur die Dosis zu steigern, sondern auch das Applikationsintervall zu verkürzen. Dies birgt aber die Gefahr, dass Patienten zu hohen systemischen Konzentrationen ausgesetzt werden. Beim akuten Asthma können inhalierte SABA wiederholt appliziert werden. Allerdings wird auch hoch dosiertes Formoterol gut vertragen und führt zu einer raschen und effektiven Bronchodilatation, die derjenigen mit hoch dosierten SABA ähnlich ist und weniger zusätzliche Bedarfsmedikation erforderlich macht.
Kosteneffektivität Kosteneffektivitätsberechnungen sind von sehr vielen Voraussetzungen und Annahmen abhängig, die von Land zu Land variieren. Ökonomische Berechnungen deuten darauf hin, dass es zwischen den verschiedenen Bronchodilatatoren Kosteneffektivitätsunterschiede gibt. In einer Studie war Formoterol dem SABA Albuterol (in der Schweiz nicht auf dem Markt) bei nicht oder kaum höheren Kosten statistisch signifikant überlegen. Eine andere Studie konnte für die beiden LABA Formoterol und Salmeterol bei Asthma keinen Kosteneffektivitätsunterschied nachweisen. Bei COPD ergab eine durchaus umstrittene Studie, dass Salmeterol im Vergleich zum lang wirksamen Antimuskarinikum (LAMA) Tiotropium (Spiriva®) in bestimmten klinischen Situationen weniger kosteneffektiv ist. Eine Studie aus Deutschland kam kürzlich zum Schluss, dass Indacaterol in der Dosis von 150 μg hinsichtlich Kosten und Outcomes Tiotropium und Salmeterol überlegen ist. Indacaterol in der Maximaldosis von 300 μg zeigte im Vergleich zu Tiotropium ein inkrementelles Kosteneffektivitätsverhältnis von ungefähr 28 300 Euro pro qualitätsadjustiertem Lebensjahr (QALY).
Kombinationsbehandlung Die Kombinationstherapie mit LABA und inhaliertem Glukokortikosteroid (ICS) gilt als wichtige Vorgehensweise bei Asthma und bei Patienten mit schwerer COPD und häufigen akuten Exazerbationen. Bei erwachsenen Asthmatikern, deren Erkrankung mit niedriger ICS-Monotherapie suboptimal kontrolliert ist, ist die LABA/ICS-Kombination im Vergleich zu höheren ICS-Dosen ein wenig effektiver hinsichtlich oral steroidbedürftiger Exazerbationen und Lungenfunktion sowie -symptomen. Bei unter ICS-Monotherapie in tiefer bis hoher Dosierung symptomatischen Asthmapatienten reduziert die zusätzliche Gabe eines LABA in lizenzierten Dosierungen die steroidbedürftigen Exazerbationen, verbessert Lungenfunktion und Symptome und reduziert in bescheidenem Umfang den Bedarf an Notfallmedikationen. Bei Kindern sind die Auswirkungen der Kombinationstherapie jedoch viel unsicherer. Bei COPD bewirkt das Hinzufügen eines LABA zu ICS signifikant grössere Verbesserungen bei Lungenfunktion, Exazerbationshäufigkeit, Gesamtzustand, Kurzatmigkeit und Gesamtmortalität im Vergleich zu den Monotherapien mit den beiden Komponenten. Die TORCH-Studie ergab, dass
der Mortalitätsnutzen ausschliesslich auf den LABA und nicht auf das ICS zurückzuführen war. Mehrere Studien haben gezeigt, dass sich mit einer LAMA/ LABA-Kombination eine weitergehende Bronchodilatation erzielen lässt. Dies schlägt sich auch in für die Patienten wichtigen Outcomes wie Dyspnoe und weiteren Symptomen nieder, und zwar als Bedarf an Notfallmedikationen und Lebensqualität. Generell ist die Erfassung der Therapieauswirkungen keineswegs einfach. Bei COPD gilt der FEV1-Wert als wichtiges Kriterium für Diagnose und Stadieneinteilung. Zur Abschätzung der Betaagonistenwirkung sollten aber weitere Parameter hinzugezogen werden, wie forcierte Vitalkapazität (FCV), Dyspnoe, funktioneller und Gesamtgesundheitszustand, Anstrengungstoleranz, Atemnot nach Anstrengung und Lebensqualität sowie die Häufigkeit von Exazerbationen. Bei Asthma ist die Messung der Behandlungseffekte und Outcomes noch schwieriger. Zwar muss die Lungenfunktion immer gemessen werden. Sie erlaubt eine Abschätzung des Asthmaschweregrads, ist aber kein guter Index für die Asthmakontrolle. Deshalb ist die Messung der Lungenfunktion immer auch durch Symptomscores, Messwerte zur krankheitsbezogenen Lebensqualität und allenfalls Marker für die zugrunde liegende Entzündung zu ergänzen. Dies immer vor dem Hintergrund, dass mehrere Studien eine Steigerung des Risikos für Exazerbationen und der Asthmamortalität gezeigt haben, wenn LABA bei instabilem Asthma ohne ausreichende ICS-Applikation eingesetzt werden.
Nebenwirkungen Alle Beta-2-Agonisten können die Herzfrequenz steigern und Herzklopfen hervorrufen, da sich in Vorhöfen und Herzkammern auch einige beta-2-adrenerge Rezeptoren befinden. Die Stimulation solcher Rezeptoren kann auch zu Vasodilatation und Reflextachykardie führen. Trotz gleichzeitiger Bronchodilatation können Beta-2-Agonisten auch einen vorübergehenden Abfall der arteriellen Sauerstoffsättigung bewirken. Das Ausmass ist jedoch gering und von zweifelhafter klinischer Bedeutung. Wegen ihrer Förderung der hepatischen Glykogenolyse sind Betaagonisten bei Diabetikern immer mit Vorsicht einzusetzen. Eine weitere unerwünschte Wirkung kann die Hypokaliämie sein. Zu den charakteristischen Nebenwirkungen der Betaagonisten gehört der Tremor. Diesen erwähnten Nebenwirkungen ist gemeinsam, dass sie nach einigen Dosen verschwinden, da sich eine Tachyphylaxie entwickelt. Bei Asthmatikern kann sich eine Toleranz gegenüber der bronchoprotektiven Wirkung der Betaagonisten einstellen. Dennoch hat eine Vielzahl von randomisierten und Beobachtungsstudien gezeigt, dass die Kombinationstherapie LABA plus ICS mit einem reduzierten Risiko schwerwiegender asthmabezogener Ereignisse einhergeht, was für den Einsatz kombinierter Inhalationspräparate spricht. Bei COPD-Patienten führt die Langzeittherapie mit Betaagonisten zu anhaltenden Verbesserungen, ohne dass sich – selbst beim Ultra-LABA Indacaterol – eine Toleranz einstellt. Die Nebenwirkungen der inhalierten Wirkstoffe sind auch vom jeweiligen Applikationsmechanismus abhängig. Bei einer Änderung des Inhalationsgeräts kann es neben unterschiedlicher Wirkung auch immer zu Differenzen hinsichtlich der Nebenwirkungen kommen.
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Guidelines Das neue Strategiepapier der Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease (GOLD) empfiehlt bei allen COPD-Patienten den Einsatz eines lang wirksamen Bronchodilatators. Dabei zieht es Betaagonisten den LAMA nicht vor, sondern stellt auf Verfügbarkeit und Patientenansprechen ab. Inhalierte Betaagonisten sind oralen Betaagonisten wegen Wirkungen und Nebenwirkungen immer vorzuziehen. Betaagonisten können auch mit LAMA kombiniert werden, wenn die Symptome unter einer jeweiligen Monotherapie nicht ausreichend ansprechen. LABA und LAMA können bei Patienten mit FEV1 unter 50 Prozent des Erwartungswerts oder häufigen Exazerbationen mit ICS kombiniert werden, wenn sie sonst nicht ausreichend behandelt sind. Bei chronischer Bronchitis, tiefem FEV1 und häufigen Exazerbationen unter LABA oder LAMA kann auch der Phosphodiesterase-4-Hemmer Roflumilast (Daxas®) zum Zuge kommen. Die Global Initiative for Asthma (GINA) warnt bei Asthmatikern wegen des Exazerbationsrisikos ausdrücklich vor der Monotherapie mit LABA. Wenn eine mittlere ICS-Dosis nicht ausreicht, gilt die Kombination LABA/ICS als effektivste Therapie. SABA sind Medikamente der Wahl zur raschen Symptomlinderung bei Asthma, das durch Anstrengung ausgelöst wird, und bei akuten Asthmaexazerbationen. Als Bedarfsmedikation sollen sie nur in der tiefsten Dosis und mit der geringst möglichen Häufigkeit verwendet werden.
Zukünftige Entwicklungen
Neben der schon eingeführten ultralang wirksamen Substanz
Indacaterol sind weitere Vertreter mit ähnlich langer Wirk-
dauer in verschiedenen Stadien der Entwicklung. Vorder-
hand bleibt unklar, wie LABA in der Lage sind, so eine lange
Bronchodilatation zu bewirken. Dazu sind verschiedene
Hypothesen im Umlauf.
Derzeit noch in Entwicklung sind bei verschiedenen Pharma-
firmen fixe Kombinationen eines einmal täglich verabreich-
baren LABA mit einem LAMA bei COPD sowie fixe Kom-
binationen von neuen Ultra-LABA mit ICS für Patienten
mit Asthma oder COPD.
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Halid Bas
Mario Cazzola et al.: b2-agonist therapy in lung disease. Am J Respir Crit Care Med 2013; 187(7): 690–696.
Interessenlage: Der Hauptautor deklariert keine Interessenkonflikte im Zusammenhang mit dieser Übersicht, aber finanzielle Beziehungen zu verschiedenen Firmen mit Interessen auf dem Gebiet der Pharmakotherapie von Lungenerkrankungen.
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