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Arsenicum: Anerkennung herrscht
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Weder ist er ein Weichei, noch ist er senil – er ist ein Mensch mit Gefühl(en): Dölf Ogi. Mit Tränen in den Augen tat er mit zitternder Stimme kund, er habe sich manchmal ganz allein auf der Welt gefühlt. Nun, einfach war es sicher nicht für ihn. Otto versetzte ihm so manchen Stich. Doch 62 Prozent des Stimmvolks standen bei der NEATAbstimmung hinter dem volksnahen Bundesrat, der jetzt in die Röhre schauen durfte. Wie wir alle.
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Anerkennung herrscht

arsenicum
W eder ist er ein Weichei, noch ist er senil – er ist ein Mensch mit Gefühl(en): Dölf Ogi. Mit Tränen in den Augen tat er mit zitternder Stimme kund, er habe sich manchmal ganz allein auf der Welt gefühlt. Nun, einfach war es sicher nicht für ihn. Otto versetzte ihm so manchen Stich. Doch 62 Prozent des Stimmvolks standen bei der NEATAbstimmung hinter dem volksnahen Bundesrat, der jetzt in die Röhre schauen durfte. Wie wir alle. Und nun hat der Erfolg plötzlich viele Väter… Respekt ist angebracht, wenn ein alt Bundesrat den Mut hat, aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen und eine weltmännische, unternehmerisch weitsichtige Entscheidung durchzukämpfen. Irgendwann wird dies auch der letzte Nörgler aus der «Energiestadt Erstfeld» verstehen. Doch nicht nur im Löchern von Käse und Granit sind wir Schweizer Meister, auch in Sachen Sicherheit am Bau verdienen wir Respekt. Es ist ein beschwerliches, gefährliches Gewerbe, die Arbeit unter Tage, im Hoch- und im Tiefbau. Umso mehr sollte zu denen Sorge getragen werden, die für uns graben und chrampfen. Das tut die SUVA auf vorbildliche Art und Weise. Die jetzt laufende Kampagne gegen Stolpern und Sturzunfälle ist Spitzenklasse. Kompetente arbeitsmedizinische Beratung erhält auch der ahnungslose Hausarzt, der wissen möchte, wie man eine fraglich berufsbedingte Krankheit abklären könnte oder der von seinem jungen Lehrlingspatient gefragt wird, wo Handschuhtragen Pflicht ist. Ein Anruf oder eine Frage per Mail genügen – schon erhält man eine exzellente Auskunft. Die Website der SUVA ist schön, übersichtlich und bedienerfreundlich. Sie hat nur einen grossen Haken: Man liest sich fest! Ist fasziniert von der Fülle an Informationen, den Broschüren und Themen. Man lädt sich den Flyer «Dänk a Glänk. Fitness für ‹Vielsitzer›» runter. Ehe man sichs versieht, hat man das Thera-Band aus der Schublade gekramt und stärkt seine Armstreckmuskulatur oder schmökert in ASA- und EKAS-Richtlinien. Kurz – es ist beeindruckend, was in puncto Arbeitssicherheit geboten wird. Dies zeigt Erfolge: Immer weniger Arbeitnehmer verunglücken am Arbeitsplatz, immer mehr Unfälle passieren in der Freizeit. Darauf reagierte die SUVA ebenfalls umgehend: Mit ihrer vorbildlichen

«Beratung Freizeitsicherheit». Doch noch immer gibt es Tote – wie auch leider im Gotthard-Tunnel. Nicht die Dolomitlawine aus der Piora-Mulde forderte acht Todesopfer, sondern das Rangieren mit Baggern, Lastwagen und der Stollenbahn. An ein Wunder grenzt die Rettung der 33 Bergarbeiter, die 69 Tage in 700 Metern Tiefe in der San-José-Mine verschüttet waren. Doch bei allem Jubel darf nicht vergessen werden, dass die Sicherheitsauflagen nach dem tödlichen Unfall im Jahr 2007 nicht erfüllt wurden. Wäre der geforderte Wetterschacht gebaut worden und hätten die Beamten überprüft, ob die Minenbesitzer diese Auflage erfüllt hatten, dann wäre niemand eingeschlossen worden … Überall auf der Welt arbeiten Bergleute und Mineure unter schlimmen Verhältnissen. Oft erfährt die Weltöffentlichkeit gar nichts von den vermeidbaren Unfällen, von den Todesfällen, die oft eine Folge von Profitgier sind. So sterben in chinesischen Kohlebergwerken nach offiziellen Angaben zwischen 2000 und 6000 Menschen pro Jahr. Eine furchtbare Zahl. Und die Dunkelziffer ist möglicherweise noch höher: Einige Experten vermuten jährlich 15 000 Todesopfer. Wenn ich wieder einmal über schweizerische Beamte und deren Kontrollitis wettere, dann weiss ich doch, dass es ihnen, ihrer Unbestechlichkeit und unseren Gesetzen zu verdanken ist, dass hierzulande gefährliche Gewerbe sicherer werden. Und wenn mir ein Produkt teuer erscheint, dann sollte ich daran denken, dass es vielleicht deshalb nicht billiger sein darf, weil der Hersteller viel für Sicherheit und Arbeitsmedizin ausgeben muss. Mein 80-jähriger Patient mit Silikose kam noch nicht in den Genuss von guter Schutzkleidung. Als Gastarbeiter reiste er aus Italien an, als die Bergwerke in Südtirol geschlossen wurden, und fand Arbeit als Mineur im Schweizer Tunnelbau. Seine Dyspnoe ist beträchtlich, sein Röntgenthorax eine Katastrophe, aber er strahlt und berichtet, dass er den Durchbruch des Gotthard-Tunnels immer wieder und wieder auf allen TV-Kanälen angeschaut habe. Genau wie die Rettung der chilenischen Kumpel. «Der Stein ist stärker als der Mensch», sagt er dann ernst. In der Tat, denke ich. Sogar wenn er nur als Staub in menschliche Lungen gerät.

838 ARS MEDICI 21 ■ 2010