Transkript
ARGUS PHARMAKOTHERAPIE
Berichte, Studien, Innovationen
Deutsche Diabetologen gegen IQWiG
Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft hält Entscheid des IQWiG zu Dapagliflozin für ethisch untragbar und patientengefährdend
Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat einem Diabetesmedikament der neuen Substanzklasse der SGLT-2-Inhibitoren den Zusatznutzen abgesprochen. Da zu erwarten ist, dass sich der gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) diesem Votum anschliesst, wird dann diese effektive und sichere Therapieoption Patienten mit Typ-2- Diabetes in Deutschland nicht mehr angeboten werden können. Die Deutsche Diabetes-Gesellschaft (DDG) hält das IQWiG-Urteil aus wissenschaftlicher und medizinischer Sicht für falsch. Grund: Durch Unterzuckerungen gefährdete Patienten profitieren von Dapagliflozin, dem ersten zugelassenen Medikament dieser Substanzklasse. Das IQWiG nehme mit seiner Entscheidung Unterzuckerungen in Kauf, die teilweise tödlich verlaufen können, kritisiert die DDG. Das sei medizinisch und ethisch untragbar.
Der Sodium-Glukose-Transporter 2 (SGLT-2) ist ein Glukosetransporter, der in den Nieren die Wiederaufnahme von Glukose aus dem Urin bewirkt. Die neuen SGLT-2Hemmer unterbinden diesen Vorgang und bewirken, dass der Körper über den Harn vermehrt Glukose ausscheidet. Das senkt den Blutzucker, den Blutdruck und das Körpergewicht – eine günstige Wirkkombination, die von keinem der bisher verfügbaren oral einzunehmenden Diabetesmedikamente erzielt wird. Patienten nehmen die Tabletten kombiniert mit anderen Diabetesmedikamenten ein oder auch als Einzelmedikation. «Die neue Klasse der SGLT- 2-Inhibitoren schliesst eine Lücke in der Therapie», erläutert Professor Dr. med. Stephan Matthaei, Präsident der DDG. Die DDG kritisiert, dass das IQWiG erneut vorrangig formale Kriterien heranzieht, um einem Medikament den Zusatznutzen
abzusprechen. Zudem lasse das IQWiG
erneut die Gefahr von Unterzuckerungen
ausser Acht. Denn gegenüber Sulfonyl-
harnstoffen verringert Dapagliflozin das
Risiko dieser Hypoglykämien und damit
einhergehender potenziell lebensbedrohli-
cher Komplikationen. Der Patient nimmt
das Medikament als sichere Standardtab-
lette ein. «Die Sicherheit von Arzneimitteln
ist aus unserer Sicht eindeutig ein erhebli-
cher Zusatznutzen», betont Prof. Matthaei.
In den vergangenen zehn Jahren nahmen
Notaufnahmen vermehrt Menschen mit
Typ-2-Diabetes auf, die an schweren Unter-
zuckerungen litten. Dies geht unter ande-
rem auf die Therapie mit Sulfonylharnstof-
fen zurück. Mit einer Absage an Medi-
kamente wie Dapagliflozin nehme das
IQWiG potenziell tödliche Komplikatio-
nen für Menschen mit Diabetes in Kauf und
behindere darüber hinaus die Forschung
und die Entwicklung in der Diabetologie,
betont Prof. Matthaei.
Wichtige Studien habe das IQWiG in sei-
nem Urteil nicht berücksichtigt, kritisiert
die DDG. Darüber hinaus ignoriere das
Institut Vorgaben zahlreicher internationa-
ler Organisationen wie beispielsweise der
europäischen Zulassungsbehörde EMA.
Die EMA hat Dapagliflozin bereits eine
breite Zulassung erteilt. «Das IQWiG
agiert in einer Weise, die normprägend sein
könnte», warnt Prof. Matthaei. Hier sei zu
prüfen, ob dieses Vorgehen verfassungs-
konform ist.
RA ❖
Quelle: Deutsche Diabetes-Gesellschaft
Die vollständige Stellungnahme der DDG finden Sie hier: www.deutsche-diabetes-gesellschaft.de/stellungnahmen/ stellungsnahme-detailansicht/article/ddg-stellungnahmezum-iqwig-bericht-zur-nutzenbewertung-von-dapagliflozin. html?cHash=b6716c8112fb7d61103606f62e7953d5>
KOMMENTAR
Die Wirksamkeit der neuen Medikamentenklasse bezüglich HbA1c ist studienmässig gut gestützt: Sowohl als Monotherapie als auch in Kombination (als Add-on) mit Metformin wird eine ähnliche HbA1c-Reduktion erreicht wie beispielsweise mit der Kombination Metformin/Glipizide, das heisst auf 12 Monate 0.5 bis 1 Prozent HbA1c-Reduktion. Die Vorteile sind die Gewichtsreduktion von netto rund 4 kg in 1 Jahr und die signifikant geringere Hypoglykämiegefährdung als mit Sulfonylharnstoffen. Die Nachteile sind häufigere urogenitale Infekte und das noch fehlende Wissen über den Langzeiteffekt der durch die SGLT-2-Hemmer verursachten massiven Glukosurie auf die Niere. Bei der Therapie des Typ-2-Diabetes ist die Wirkkombination HbA1c-Senkung und Gewichtsreduktion attraktiv und wird in ähnlicher Form auch durch die GLP-1-Agonisten (Bydureon® und Victoza®) erreicht, allerdings in parenteraler Anwendung und je nach Dosierung 2- bis 6-mal teurer als das aktuell von der EMA zugelassene Dapagliflozin (Forxiga®). Zusammenfassend bewirken SGLT-2-Hemmer eine mässige HbA1c-Reduktion, kombiniert mit einem signifikanten Gewichtsverlust und praktisch ohne Hypoglykämierisiko. Das wird erkauft mit dem Risiko vermehrter Urogenitalinfektionen und der Unsicherheit über noch unbekannte Langzeitfolgen. Letzteres ist aus meiner Sicht das Hauptproblem, das heisst wie bei jedem neuen Medikament müssen Nutzen und Risiko bei der Indikationsstellung gegeneinander abgewogen werden. Dapagliflozin ist für mich deshalb vorderhand ein Reservemedikament, das beispielsweise beim übergewichtigen Typ-2Diabetiker zum Einsatz kommen könnte, der Metformin nicht toleriert und weder GLP-1Agonisten noch Insulin injizieren will (oder kann) und trotz Gliptinen (und Sulfonylharnstoffen) nicht im HbA1c-Zielbereich ist. ❖
PD Dr. med. Christoph Henzen Chefarzt Medizin Bereich II Endokrinologie-Diabetologie Luzerner Kantonsspital 6000 Luzern 16
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ARS MEDICI 10 ■ 2013