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STUDIE REFERIERT
Herpes zoster bei rheumatoider Arthritis häufiger
Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis ist die Inzidenz des Herpes zoster im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht. Die Schwere der rheumatoiden Arthritis und die Anwendung mancher antirheumatischer Medikamente sind mit dem Auftreten des Herpes zoster assoziiert. Dessen Inzidenz hat in den letzten Jahren sowohl bei Rheumapatienten als auch allgemein zugenommen.
ARTHRITIS CARE & RESEARCH
Herpes zoster (HZ) wird durch eine Reaktivierung eines latent in den Kranialnerven oder Spinalganglien vorhandenen Varicella-Zoster-Virus verursacht. Die Erkrankung manifestiert sich meist als Hautausschlag mit Bläschenbildung im Bereich eines Dermatoms und kann mit beträchtlicher Morbidität verbunden sein. Es ist bekannt, dass HZ häufiger bei Patienten mit reduzierter zellvermittelter Immunität, etwa bei Krebs- und HIV-Patienten, im Rahmen von Transplantationen oder bei einer Behandlung mit Immunsuppressiva auftritt. Die HZ-Rate ist bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung erhöht, wobei
Merksätze
❖ Bei Patienten mit rheumatoider Arthritis (RA) tritt Herpes zoster häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung.
❖ Die Inzidenz des Herpes zoster hat in den letzten Jahren sowohl bei RA-Patienten als auch in der Allgemeinbevölkerung zugenommen.
❖ Die Schwere der RA und die Anwendung von Kortikosteroiden scheinen mit dem Risiko für Herpes zoster assoziiert zu sein.
ein ausgeprägteres Risiko bei Patienten vorliegt, die mit konventionellen erkrankungsmodifizierenden Substanzen («disease modifying antirheumatic drugs», DMARD) oder Biologicals behandelt werden. Die Anwendung von Prednison (Lodotra® und Generika) ist bei RA ein bedeutender prädisponierender Faktor für die Entwicklung eines HZ, und die Anwendung von Prednison in Kombination mit DMARD erhöht das Risiko zusätzlich. Zu den Zusammenhängen zwischen RA und der Reaktivierung des HZ sind noch viele Fragen offen. Zudem ist noch nicht ausreichend erforscht, wie RA-assoziierte Faktoren und die antirheumatische Behandlung so modifiziert werden können, dass rezidivierender komplizierter HZ bei diesen Patienten vermieden wird. In einer populationsbasierten Studie wurden HZ-Inzidenz und zeitliche Trends sowie die Risikofaktoren für das Auftreten und die Schwere von HZ bei Patienten mit RA evaluiert. In die retrospektive Kohortenstudie wurden alle Bewohner von Olmsted County (Minnesota, USA) eingeschlossen, welche im Zeitraum vom 1.1.1980 bis 31.12.2007 die Kriterien des American College of Rheumatology (ACR) für eine RA erfüllten. Aus der gleichen Population wurde eine Kohorte mit vergleichbaren Eigenschaften ohne diese Erkrankung als Kontrollgruppe zusammengestellt. Beide Gruppen wurden bis zum Tod, bis zum Wegzug oder bis zum 31.12.2008 beobachtet. Das mittlere Alter der rekrutierten RAPatienten und Kontrollpersonen (je 813) betrug zum Zeitpunkt der RA-Inzidenz 55,9 (SD 15,7) Jahre, und das Durchschnittsalter beider Kohorten lag bei 55,3 (18–94) Jahren. In beiden Gruppen waren 68 Prozent der Teilnehmer Frauen. Vor Auftreten der RA bestand zwischen beiden Gruppen bezüglich der HZ-Inzidenz kein Unterschied (p = 0,85). Während des Follow-up-Zeitraums entwickelte sich bei 84 Patienten mit RA und bei 44 Personen der Kontrollgruppe ein HZ. Die HZ-Rate be-
trug in der RA-Gruppe 12,1 pro 1000 Personenjahre und lag in der Kontrollgruppe bei 5,4 pro 1000 Personenjahre. Die kumulative Inzidenz des HZ betrug in einem Zeitraum von 10 Jahren bei den RA-Patienten 8,9 ± 1,2 Prozent und in der Kontrollgruppe 4,3 ± 0,8 Prozent (p < 0,001). Somit erkrankten eher RA-Patienten an HZ als Personen ohne RA (Hazard Ratio [HR]: 2,4; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 1,7–3,5; adjustiert für Alter, Geschlecht und Kalenderjahr). Bei Patienten, deren RA in den Jahren 1995 bis 2007 diagnostiziert wurde, bestand eine höhere Wahrscheinlichkeit für HZ als bei Patienten, deren RA im Zeitraum von 1980 bis 1994 diagnostiziert worden war. Dieser zeitliche Trend wurde auch in der Vergleichsgruppe beobachtet, was auf eine Zunahme der HZ-Inzidenz in der Allgemeinbevölkerung schliessen lässt. Ein Zusammenhang zwischen HZ und Alter, Geschlecht oder der Jahreszeit des Auftretens wurde weder in der RAGruppe noch in der Kontrollgruppe festgestellt. Komplikationen des HZ wie eine multidermatomale Hautinvolvierung, Sekundärinfektionen der Haut, Zellulitis oder postherpetische Neuralgie traten in beiden Gruppen vergleichbar häufig auf. Risikofaktoren Eine Evaluierung der RA-Charakteristika ergab, dass eine erosive Erkrankungsform, vorherige Gelenkoperationen sowie die Anwendung von Hydroxychloroquin (Plaquenil®) und Kortikosteroiden bei RA-Patienten signifikant mit der Entwicklung eines HZ assoziiert waren (Tabelle). Für eine Exposition gegenüber anderen antirheumatischen Medikamenten – inklusive Biologicals – wurde keine signifikante Assoziation mit HZ festgestellt. Die Analyse der aktuell angewendeten antirheumatischen Medikation ergab, dass nur Kortikosteroide signifikant mit dem Auftreten von HZ assoziiert waren. Impfung Seit 2006 steht zur Prävention des HZ eine attenuierte Lebendimpfung (Zostavax®) für immunkompetente Personen ab 60 Jahren zur Verfügung. Der Nutzen der Impfung wurde bei einer Untergruppe von 477 RA-Patienten und 518 Kontrollpersonen untersucht. 536 ARS MEDICI 10 ■ 2013 STUDIE REFERIERT Von den RA-Patienten erhielten 170 eine Impfung, und in der Kontrollgruppe wurden 230 Personen geimpft. Nach der Impfung erkrankten 4 RAPatienten und 2 Personen der Kontrollgruppe an HZ (p = 1,0). Diskussion Es gibt eine Reihe von Erklärungen für die zunehmende Inzidenz von HZ bei Patienten mit RA in den letzten Jahren. Dazu gehören eine zunehmende und frühzeitige Anwendung von immunsuppressiven Medikamenten im Rahmen des RA-Managements, die Alterung der Bevölkerung sowie eine Zunahme von Komorbiditäten und immunsupprimierenden Erkrankungen. Unter den krankheitsbedingten Faktoren waren eine erosive Erkrankung und frühere Gelenkoperationen signifikant mit der Entwicklung von HZ assoziiert, vermutlich weil sie Indikatoren einer zunehmenden Schwere der Erkrankung darstellen. Die Evidenz aus der Literatur im Hinblick auf eine Verbindung zwischen Rauchen und HZ ist inkonsistent. In der hier präsentierten Studie stand der Raucherstatus nicht im Zusammenhang mit HZ. Der Einfluss medikamentenbedingter Faktoren auf das Infektionsrisiko von RA-Patienten wird kontrovers diskutiert. In einer Fall-Kontroll-Studie wurde bei Patienten, die biologische oder traditionelle DMARD erhielten, ein erhöhtes HZ-Risiko im Vergleich zu Patienten beobachtet, die nicht mit DMARD behandelt wurden. In einer anderen Untersuchung wurde bei mit niedrigen Methotrexatdosen behandelten RA-Patienten ein erhöhtes HZ-Risiko im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung beobachtet. In einer prospektiven Kohortenstudie, in der die Daten eines deutschen Biological-Registers ausgewertet wurden, ermittelten Wissenschaftler bei Patienten, die Tumornekrosefaktor-alpha-(TNF-)Inhibitoren wie Adalimumab (Humira®) oder Inflixi- Tabelle: Assoziation zwischen Charakteristika von rheumatoider Arthritis (RA) und Herpes zoster bei RA-Patienten RA-Charakteristika Dauer der RA Erythrozytensedimentationsrate (Index)* Rheumafaktor-positiv Raucher (aktuell) Raucher (aktuell oder früher) Wert – 24,8 ± 20,5 537 (66%) 178 (22%) 449 (55%) Hazard-Ratio (95%-KI) 1,45 (0,92–2,27) 1,06 (0,96–1,18) 1,31 (0,84–2,06) 1,39 (0,83–2,31) 1,25 (0,78–1,98) Zeitabhängige Charakteristika Body-Mass-Index ≥ 30 kg/m² Erosionen/destruktive Veränderungen Rheumaknoten schwere extraartikuläre Manifestationen umfangreiche Gelenkschwellung Gelenkoperationen 388 (48%) 433 (53%) 267 (33%) 90 (11%) 639 (79%) 190 (23%) 1,19 (0,77–1,84) 1,74 (1,12–2,71) 1,35 (0,85–2,15) 1,64 (0,87–3,11) 2,01 (1,09–3,72) 2,20 (1,39–3,49) Medikamentenexposition Methotrexat Hydroxychloroquin andere nicht biologische DMARD Biologicals Kortikosteroide Cyclooxygenase-2-Inhibitoren Aspirin zur Behandlung von RA** nicht steroidale Antirheumatika (NSAID) 469 (58%) 480 (59%) 258 (32%) 137 (17%) 627 (77%) 390 (48%) 337 (41%) 737 (91%) 1,34 (0,85–2,10) 1,58 (1,00–2,48) 1,29 (0,79–2,10) 1,24 (0,56–2,74) 1,72 (1,03–2,87) 1,15 (0,71–1,86) 1,13 (0,67–1,91) 1,99 (0,80–4,97) * pro 10 mm/h Zunahme **definiert als ≥ 6 Aspirintabletten pro Tag (≥ 1950 mg/Tag) über ≥ 3 Monate mab (Remicade®) erhielten, ein erhöhtes HZ-Risiko im Vergleich zu Patienten, die mit konventionellen DMARD be- handelt wurden. Aus den Registerdaten des Consortium of Rheumatology Re- searchers of North America (COR- RONA) geht hervor, dass die Infektion mit dem Varicella-Zoster-Virus die häu- figste Infektion bei RA-Patienten war, die Methotrexat, TNF-Inhibitoren oder andere DMARD erhielten, und 44 Pro- zent aller opportunistischen Infektionen umfasste. Im Gegensatz dazu wurde in einigen Stu- dien kein offensichtlicher Zusammen- hang zwischen TNF-Antagonisten und HZ beobachtet. In einer Studie mit 10 614 Patienten wurden Cyclophosph- amid (Endoxan®), Azathioprin (Imurek® und Generika), Prednison, Le- flunomid (Arava® und Generika) und einige NSAID als Risikofaktoren für HZ identifiziert, TNF-Antagonisten und Methotrexat jedoch nicht. Eine Limita- tion dieser Studie bestand jedoch in der Anwendung von Fragebögen, die von den Patienten selbst ausgefüllt wurden. In einer grossen populationsbasierten Studie fanden Wissenschaftler ebenfalls keine Assoziation des HZ-Risikos zwi- schen Patienten, die TNF-Inhibitoren er- hielten, und denen, die mit traditionellen DMARD behandelt wurden. In der hier präsentierten Studie wurde im Zusammenhang mit DMARD oder Biologicals keine signifikante Erhö- hung des HZ-Risikos beobachtet. Der einzige eindeutig prädisponierende Faktor war die Anwendung von Korti- kosteroiden. Zu den Auswirkungen der Impfung bezüglich der Inzidenz oder der Schwere des HZ bei RA-Patienten im Vergleich zur Kontrollgruppe konn- ten noch keine aussagekräftigen Schlussfolgerungen gezogen werden, da nach der Impfung zu wenige RA-Pa- tienten an HZ erkrankten. ❖ Petra Stölting Quelle: Veetil BMA et al.: Incidence and time trends of Herpes Zoster in rheumatoid arthritis: a population-based cohort study. Arthritis Care & Research, DOI: 10.1002/ acr.21928. Interessenkonflikte: Die Studie wurde von Pfizer finanziert und vom National Institute of Arthritis and Musculoskeletal and Skin Diseases of the National Institutes of Health, vom National Institute on Aging of the National Institutes of Health und dem National Center for Advancing Translational Sciences (NCATS) unterstützt. Der Inhalt liegt allein in der Verantwortung der Autoren. ARS MEDICI 10 ■ 2013 537