Transkript
STUDIE REFERIERT
Rheumatoide Arthritis: Warum werden viele Patienten zu spät behandelt?
Beobachtungen aus Kanada
In einer retrospektiven Kohortenstudie wurde untersucht, welcher Anteil der Patienten mit rheumatoider Arthritis innert sechs Monaten eine Therapie mit DMARD erhält, und welche Faktoren den Beginn einer spezifischen Behandlung beeinflussen.
JOURNAL OF RHEUMATOLOGY
Eine frühe, aggressive Pharmakotherapie mit DMARD (disease modifying antirheumatic drugs) zur Eindämmung von Synovitis und erosiven Gelenkschäden wird heute bei rheumatoider Arthritis empfohlen. Der Beginn der DMARD-Behandlung soll unmittelbar nach Diagnosestellung erfolgen. Gerade die Diagnosestellung ist jedoch im Frühstadium eine Herausforderung, und oft verstreicht einige Zeit ungenutzt. Angesichts der heutigen pharmakotherapeutischen Möglichkeiten liegt
Merksätze
❖ In einer retrospektiven Auswertung von Krankengeschichten bei Patienten mit rheumatoider Arthritis erhielt weniger als die Hälfte eine DMARD-Therapie innert der ersten 6 Monate nach Symptombeginn.
❖ Für die Verzögerung der Einleitung einer DMARD-Behandlung war sehr oft die erschwerte Diagnosestellung bei Vorliegen weiterer muskuloskelettaler Erkrankungen verantwortlich.
❖ Weitere Faktoren mit Einfluss auf das frühe Management waren die Dauer der Verabreichung von NSAR und die Zeit bis zur Überweisung an einen Rheumatologen.
hier jedoch ein Feld zur Verbesserung des klinischen Managements bei rheumatoider Arthritis. Anhand der verfügbaren Patientendaten aus Kanada hat die vorliegende Studie den Zeitrahmen bis zum Pharmakotherapiebeginn und die dabei wichtigen Faktoren untersucht.
Methodik Die Autoren rekrutierten aus initial 2444 wegen Arthritisverdacht erstmals untersuchten Patienten eine zufällige Stichprobe von 339 Patienten aus 18 rheumatologischen Praxen. Der Anteil derjenigen, bei denen innert sechs Monaten eine DMARD-Therapie begonnen wurde, wurde mittels KaplanMeyer-Analyse ermittelt. Prädiktoren für einen frühen Therapiebeginn wurden aus zwölf vorbestimmten Variablen berechnet.
Ergebnisse Von 339 Patienten waren drei Viertel weiblich, mit einem medianen Alter von 50 Jahren. Als Baseline wurde der Zeitraum bis zur definitiven klinischen Diagnosestellung der rheumatoiden Arthritis bestimmt. In dieser Ausgangsperiode waren 70,5 Prozent rheumafaktorpositiv. Fast die Hälfte (40,4%) hatten Arthrosen, Fibromyalgie, Osteoporose oder eine andere muskuloskelettale Erkrankung, für welche DMARD nicht indiziert sind. Die Mehrheit der Patienten hatte vor der Dokumentation der definitiven Diagnose nicht steroidale Antirheumatika (NSAR) erhalten. Bei einem Sechstel liessen sich radiologisch Erosionen nachweisen. Innert 6 Monaten nach Symptombeginn wurden 41 Prozent (95%-Konfidenzintervall [KI]: 36−46%) mit DMARD behandelt. Die mediane Zeit bis zum Behandlungsbeginn betrug 8,4 Monate (Interquartilenbereich 3,8−24 Monate).
Ereignisse, welche der Überweisung zum Rheumatologen vorausgingen, machten 78,1 Prozent der Zeit bis zum Therapiebeginn aus. Wichtigster Prädiktor eines verzögerten Behandlungsbeginns war eine begleitende muskuloskelettale Symptomatik wie Arthrose oder Fibromyalgie. Die anderen untersuchten Variablen waren demgegenüber in den rechnerischen Modellen weniger konsistent. Bis zur Einsetzung einer DMARD-Therapie entfielen 27 Prozent der Zeit auf eine Behandlungsphase mit NSAR. Die Zeit bis zur Überweisung an einen Rheumatologen machte rund die Hälfte des Zeitraums bis zum DMARDBeginn aus. Die Verzögerung durch Wartelisten bei Rheumatologen fiel demgegenüber kaum ins Gewicht (12,9% der Gesamtzeit bis zum DMARDBeginn). Wenig überraschend dauerte es bei ausgeprägter klinischer Symptomatik (Anzahl druckempfindlicher und geschwollener Gelenke) weniger lang bis zum Beginn einer spezifischen Therapie.
Diskussion
Weniger als die Hälfte der hier unter-
suchten Patienten wurde innert 6 Mo-
naten mit DMARD behandelt. Hinge-
gen erhielt eine grosse Minderheit der
Patienten (39,8%) eine DMARD-Be-
handlung vor der definitiven Diagnose
rheumatoide Arthritis.
Die hier aufgearbeiteten Daten lassen
den Schluss zu, dass sich die behandeln-
den Ärzte bei den Patienten mit mög-
licher rheumatoider Arthritis für die Dia-
gnose und Einleitung einer DMARD-
Therapie nicht auf den radiologischen
Nachweis von Erosionen stützten. In
dieser Studie bestand auch kein Zusam-
menhang zwischen DMARD-Beginn
und Vorliegen eines positiven Rheuma-
faktornachweises.
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Halid Bas
Ruben Tavares et al.: Time to disease-modifying antirheumatic drug treatment in rheumatoid arthritis and its predictors: A national, multicenter, retrospective Cohort. J Rheumatol 2012; 39: 2088–2097. doi:10.3899/jrheum.120100.
Interessenkonflikte: Die Studie wurde durch «unrestricted educational grants» von Amgen Canada Inc./Wyeth Pharmaceuticals und Schering Canada Inc. unterstützt.
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ARS MEDICI 10 ■ 2013