Transkript
FORTBILDUNG
Symptome den Parasiten zuordnen
Milben, Läuse, Flöhe
Juckende Hautreaktionen sind nicht selten auf einen Parasitenbefall zurückzuführen. Milben, Flöhe und Läuse stehen dabei im Vordergrund der folgenden Betrachtungen. Dabei sollen die verschiedenen Parasitosen anhand der Anamnese sowie der typischen Erscheinungsbilder und Symptome behandelt werden.
REGINA FÖLSTER-HOLST
Während Krätzemilben und Kopfläuse die menschliche Haut dauerhaft besiedeln, halten sich Flöhe sowie Ernte- und tropische Rattenmilben nur zeitweise auf der Haut der Menschen auf.
Unklare juckende «Ekzemreaktionen» Bei stark juckenden Hauterscheinungen in Form von Rötungen, Papeln und Vesikeln, die auch bei Kontaktpersonen aufgetreten sind, lohnt es sich, die Region zwischen den Fingern genau zu betrachten. Finden sich hier intakte oder zerkratzte gangartige Strukturen, liegt die Diagnose einer Skabies nahe (Abbildung 1 und 2). Weitere Prädilektionsstellen sind Fingerseitenkanten, Handkanten, Axillar- und Inguinalregion, Mamillen, bei Frauen die Region unterhalb der Mammae, der Bereich um den Nabel sowie die Genitalregion (v.a. bei Männern). Die klassische Skabies ist durch starken Juckreiz (v.a. nachts) gekennzeichnet. Pathogenetisch handelt es sich
Merksätze
❖ Bei «Mückenstichen» nach Aufenthalt in Wiesen und Wäldern im Spätsommer sollte man an Trombidiose (Erntekrätze, Herbstbeiss) denken.
❖ Ursache von allmorgendlichen «Mückenstichen» bei Patienten, die Mäuse, Ratten oder Hamster halten oder hielten, könnte die tropische Rattenmilbe sein.
❖ Bei juckenden Papeln, die in einer Reihe oder in Haufen gruppiert sind, drängt sich der Verdacht auf Flohstiche (Pulicosis) auf.
um eine zelluläre Spättypreaktion gegen Milbenbestandteile, Eier oder Kotballen. Differenzialdiagnostisch kommen Neurodermitis sowie andere Ekzemerkrankungen wie nummuläres- und Kontaktekzem in Betracht. Die häufig im Verlauf eintretende bakterielle Infektion mit Staphylococcus aureus oder Streptokokken lässt an Impetigo contagiosa und Follikulitis denken. Als weitere Differenzialdiagnose ist die Pseudoskabies zu erwägen, die durch «Tiermilben», vor allem von Hund und Katze, übertragen wird. Gänge fehlen, und die Papeln und Papulovesikel sind einer Insektenstichreaktion sehr ähnlich. Der Mensch ist ein Fehlwirt, sodass lediglich eine symptomatische Therapie mit zum Beispiel topischen Kortikosteroiden ausreichend ist. Die Skabies kommt weltweit und in jedem Alter vor. Zu den Problemfällen zählen alte und pflegebedürftige Menschen ebenso wie Obdachlose und immunsupprimierte Patienten. Bei der klassischen Skabies hat sich die dermatoskopische Untersuchung bewährt. Sowohl bei dieser als auch bei der mikroskopischen Analyse sind Milben, häufiger deren Eier oder Kotballen, zu erkennen (1).
Therapie der Skabies Permethrincreme (5%) ist Mittel der Wahl in allen Altersklassen (2). Eine zweite Behandlung nach acht bis zehn Tagen ist empfehlenswert. In Problemfällen, zum Beispiel bei immunsupprimierten sowie alten und pflegebedürftigen Patienten, sollte die Lokal- mit der Systemtherapie von Ivermectin (0,2 mg/kg KG, 2-mal im Abstand von 8 bis 10 Tagen) kombiniert werden. In der Schweiz ist Ivermectin für diese Indikation nicht zugelassen, sodass das Medikament aus dem Ausland (Frankreich oder Niederlande) unter dem Handelsnamen Stromectol® oder Mectizan® bezogen werden muss.
«Mückenstiche» nach Wiesenspaziergang Ihr Patient präsentiert mückenstichähnliche Effloreszenzen, die wenige Stunden nach dem Aufenthalt auf einer Wiese aufgetreten sind und stark jucken. Später seien noch Quaddeln, Papeln und Blasen hinzugekommen. So äussert sich typischerweise eine Trombidiose, auch Erntekrätze oder Herbstbeiss genannt. Auslöser sind Trombiculidae, die Larven der Neotrombicula autumnalis (Ernte- oder Herbstmilbe), die sich im Buschwerk und in Sträuchern aufhalten (3). In den Spätsommer- und Frühherbstmonaten suchen sie auch die menschliche Haut auf. Hier bevorzugen sie Intertrigines, die sich sowohl durch Feuchtigkeit als auch durch ein dünnes Stratum corneum auszeichnen – ideal zur Nahrungsauf-
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wenn die Parasiten beseitigt werden, zum Beispiel mit permethrin- oder pyriproxyfenhaltigen Akariziden. Hier hat sich die Zusammenarbeit mit einem Tierarzt bewährt.
Abbildung 1: Skabies bei einem Säugling
Abbildung 2: Skabies bei einem Erwachsenen
Abbildung 3: Läuseekzem
nahme. Die typische Anamnese ist diagnoseweisend. Therapeutisch steht die Linderung des Juckreizes im Vordergrund, die durch Lokalmassnahmen (Kortikosteroide) und orale Antihistaminika zu erreichen ist.
Morgendliche «Mückenstiche» Wenn Ihr Patient über allmorgendlich auftretende urtikarielle Papeln, seltener auch Blasen berichtet, fragen Sie auch danach, ob er Mäuse, Hamster oder Ratten als Haustiere hält. In diesem Fall könnten noktogene tropische Rattenmilben (Ornithonyssus bacoti) dahinterstecken, die Schadnager (Mäuse, Ratten) in der häuslichen Umgebung oder Hobbytiere (Gerbil, Hamster, Kleinsäuger) befallen (4). Bis auf wenige Ausnahmen werden Menschen aber erst befallen, wenn die eigentlichen Wirte fehlen (5). Therapeutisch wird ein topisches Kortikosteroid eingesetzt, das zur Abheilung der Effloreszenzen und zur Juckreizlinderung führt. Die Abheilung ist jedoch nur garantiert,
Juckende Kopfhaut Kopflausbefall ist ein häufiges Problem in Schulen. Die Kopfläuse (Pediculus humanus capitis) sind auf die menschliche Haut angewiesen und nehmen dort mehrmals täglich Blutmahlzeiten ein. Ausserhalb der menschlichen Haut sterben sie nach zwei bis drei Tagen. Übertragen werden sie durch direkten Kontakt der Menschen (von Kopf zu Kopf). Am häufigsten sind Schulkinder, vor allem Mädchen, betroffen (6). Die meisten Kinder sind symptomlos. Sonst stehen urtikarielle Papeln im Vordergrund, die im Verlauf sekundäre Infektionen durch Staphylococcus aureus oder Streptokokken aufweisen. In sehr schweren Fällen kommt es zu ekzematösen Hautveränderungen im Nacken (Läuseekzem) (Abbildung 3), nicht selten begleitet von okzipitaler und zervikaler Lymphadenopathie. Wie Schuluntersuchungen bestätigen, weisen die meisten Kinder mit Kopflausbefall lediglich vereinzelt Läuse und wesentlich mehr Nissen an den Haarschäften auf. Die Diagnose einer Pediculosis capitis darf erst gestellt werden, wenn mindestens eine lebende Laus gefunden worden ist. Damit das gelingt, wird das Haar Strähne für Strähne mittels feinzinkiger Läusekämme ausgekämmt (Abbildung 4). Diese Methode hat gleichzeitig therapeutischen Nutzen (7). Allerdings sollte die Therapie zusätzlich die Applikation eines Arzneimittels oder Medizinprodukts gegen die Kopfläuse umfassen. Hier stehen Pyrethrum, Permethrin und Allethrin beziehungsweise Dimeticon (Silikonöl) zur Verfügung. Nach acht bis zehn Tagen sollte die Behandlung wiederholt werden. Zudem sollten Kontaktpersonen ebenfalls therapiert werden. Einige Publikationen aus anderen Ländern weisen auf eine Resistenzentwicklung der Kopfläuse gegenüber den genannten Insektiziden hin (8). Dies scheint sich aber klinisch (noch nicht) auszuwirken. In unserer Untersuchung an Läusen, die zu nahezu 100 Prozent das sogenannte «Knockdown-resistance-Gen» aufwiesen, liess sich durch das Insektizid Pyrethrum eine hohe Abheilungsrate erzielen, die umgefähr jener der Dimeticonpräparate, die wir als Vergleichspräparate eingesetzt hatten, entsprach (6). Letztere wirken physikalisch, indem sie die Läuse nach Eindringen in deren Tracheen ersticken. Im Anschluss an eine nach Vorschrift durchgeführte Behandlung können die Kinder die Gemeinschaftseinrichtungen wieder besuchen.
Juckreiz im Schambereich Stark juckende, wenige Millimeter grosse, hämorrhagische Flecken im Schambereich beziehungsweise bei Kindern auf Augenbrauen und Wimpern sprechen für einen Filzlausbefall (Pediculosis pubis). Zum sicheren Nachweis der Filzläuse sollte man sich einer Lupe oder eines Dermatoskops bedienen. Die Behandlung entspricht jener der Pediculosis capitis. Im Bereich der Wimpern und Augenbrauen kann die Entfernung mit einer Pinzette oder Schere vorgenommen werden.
Auch an Kleiderläuse denken Bei allen unklaren juckenden, mückenstichähnlichen Hautveränderungen, die im Verlauf durch Kratzen Ekzeme (Abbildung 5) und Impetiginisierung zur Folge haben können, ist
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Abbildung 4: Diagnostik der Pediculosis capitis
Gruppiert stehende juckende Papeln
Papeln in einer Reihe oder in Haufen sind in Verbindung
mit Tierkontakt Hinweise auf Flohstiche (Pulicosis) (Abbil-
dung 6). Blasenbildung und auch bakterielle Superinfek-
tionen kommen vor. Besteht der Verdacht einer Flohstich-
reaktion, sollte eine Untersuchung sowohl der Haus- bzw.
Nutztiere (Katzen, Hunde, seltener Hühner, Tauben und Igel)
durch den Tierarzt als auch der Wohnung erfolgen. Gegen
den Juckreiz werden Antihistaminika und topische Kortikos-
teroide eingesetzt. Entwickelt der Patient bakterielle Super-
infektionen, erhält er Antiseptika, gegebenenfalls auch syste-
mische Antibiotika (Cephalosporine der 1. Generation). Eine
Beseitigung der Parasiten ist nur möglich, wenn eine Sa-
nierung der Wohnung und die Behandlung der Haustiere er-
folgen.
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Prof. Dr. med. Regina Fölster-Holst Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel D-24105 Kiel
Interessenkonflikte: keine deklariert
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 4/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autorin. Anpassungen an Schweizer Verhältnisse wurden von der ARS-MEDICI-Redaktion vorgenommen.
Abbildung 5: Ekzem bei Kleider- Abbildung 6: Katzenflohstiche lausbefall
an die mit einer Grösse von 4,5 mm sehr gut erkennbaren Kleiderläuse zu denken (Pediculosis vestimentorum/corporis). Bei Verdacht auf Kleiderlausbefall ist eine genaue Inspizierung der Kleidernähte und -falten unerlässlich. Die Dermatose wird symptomatisch behandelt. Um die Läuse abzutöten, werden die Kleidungsstücke bei mindestens 60 Grad gewaschen oder mit Insektiziden (Pyrethrum, Permethrin) behandelt.
Literatur: 1. Sunderkötter C et al.: Scabies. J Dtsch Dermatol Ges 2007; 5: 424–30. 2. Fölster-Holst R et al.: Treatment of scabies with special consideration of the approach
in infancy, pregnancy and while nursing. Hautarzt 2000; 51: 7–13. 3. Kampen H: Trombiculiden und Trombidiose. Z Allg Med 2000; 76: 392–396. 4. Beck W: Milben als Zoonoseerreger. Der Praktische Tierarzt 2011; 92: 16–27. 5. Beck W, Fölster-Holst R: Tropical rat mites (Ornithonyssus bacoti) – serious ectopa-
rasites. J Dtsch Dermatol Ges 2009; 7: 667–670. 6. Bialek R et al.: Permethrin treatment of head lice with knockdown resistance-like
gene. N Engl J Med 2011; 364 (4): 386–387. 7. De Maeseneer J et al.: Wet combing versus traditional scalp inspection to detect head
lice in schoolchildren: observational study. Br Med J 2000; 321: 1187–1188. 8. Kristensen M et al.: Survey of permethrin and malathion resistance in human head lice
populations from Denmark. J Med Entomol 2006; 43: 533–538.
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