Transkript
INTERVIEW
«Die Kooperation zwischen Dermatologe und Hausarzt ist sehr wichtig»
Ein Gespräch mit dem Zürcher Dermatologen Alexander Navarini zur topischen Therapie der Schuppenflechte
Eine topische Behandlung ist für die grosse Mehrheit der Psoriasispatienten notwendig. ARS MEDICI sprach mit dem Psoriasisspezialisten Alexander
zur Verfügung haben, um den Schweregrad festzustellen – auch deshalb, weil nur bei einer mittelschweren bis schweren Psoriasis eine systemische Therapie begonnen werden kann.
Navarini über die Therapiestrategien und die wich- ARS MEDICI: Mit welchem topischen Präparat wird die Be-
tige Rolle des Hausarztes.
handlung eingeleitet?
Navarini: Die Wahl des Präparats hängt vom Befund und der
Lokalisation ab. Hat der Patient dicke Plaques, so wird man
ARS MEDICI: Welche Rolle spielt die topische Psoriasistherapie zunächst mit einer entschuppenden Therapie beginnen, etwa
noch im Zeitalter der Biologics?
mit Salicylsäure, und anschliessend ein Kombinationspräparat
PD Dr. med. Dr. sc. nat. Alexander Navarini: Die topische Therapie aus Vitamin D3 und Steroid auftragen. Durch Kombination
spielt selbstverständlich weiterhin eine sehr grosse Rolle in dieser beiden Substanzen lässt sich die Wirksamkeit erhöhen
der Psoriasistherapie. Es werden ja alle leichten Formen aus- und die Verträglichkeit verbessern. Nachdem die Läsionen
schliesslich lokal behandelt, neben der rückfettenden Haut- weitgehend abgeheilt sind, kann man dann auf ein Vitamin-
pflege vor allem mit topischen Steroiden oder Vitamin-D3- D3-Präparat wechseln, da unter Steroiden bei längerer Thera-
Präparaten. Aber auch bei schwerem Verlauf, wenn eine sys- piedauer eine Tendenz zur Hautatrophie besteht. Bei Kurzzeit-
temische Therapie eingesetzt wird, verwenden die meisten therapie sind Steroide sichere Medikamente und je nach einge-
Patienten topische Medikamente, um verbleibende Res- setztem Präparat stärker wirksam als Vitamin-D3-Präparate.
therde zu behandeln. Das hat eine Studie ergeben, die wir bei Am Gesicht und an Körperfalten werden schwächere Steroide
Patienten unter dem TNF-Alpha-Antagonisten Adalimumab oder noch besser Calcineurininhibitoren aufgetragen.
durchgeführt haben*.
ARS MEDICI: Kommt man in der topischen
Die topische Therapie spielt selbstverständlich weiterhin eine sehr
Behandlung also mit diesen beiden Substanzgruppen aus?
grosse Rolle in der Psoriasistherapie.
Navarini: Man kommt weitgehend, aber nicht ganz mit ihnen aus. An Körperstellen,
wo keine Kortikosteroide angewendet werden sollten, etwa
ARS MEDICI: Wie lässt sich eine leichte von einer mittelschweren im Gesicht, in Körperfalten oder im Genito-Anal-Bereich,
bis schweren Psoriasis unterscheiden?
können auch Calcineurininhibitoren sehr hilfreich sein. Diese
Navarini: Als Kriterien für die Schwere der Erkrankung dienen haben keine atrophogene Wirkung und können deshalb ohne
der Prozentsatz der erkrankten Körperoberfläche (Body Sur- Bedenken bei dünner Haut eingesetzt werden, also auch bei
face Area, BSA) sowie der Psoriasis Area and Severity Index an Psoriasis erkrankten Kindern.
(PASI), der die Ausprägung der Symptome und deren Lokali- Eine andere wirksame Substanz ist Dithranol, die aber wegen
sation berücksichtigt. Zusätzlich wird die krankheitsspezifi- seiner reizenden Wirkung und der Verfärbung der Beklei-
sche Lebensqualität anhand des Dermatology Life Quality dung ausschliesslich im stationären Bereich in Kombination
Index in die Bewertung des Schweregrades einbezogen. mit Lichttherapie angewendet wird.
Liegen die Werte für die drei Scores ≤ 10, besteht eine leichte
Psoriasis. Ist ein Wert über 10, liegt bereits eine mittelschwere ARS MEDICI: Die Erfahrungen zeigen, dass viele Patienten die to-
bis schwere Psoriasis vor. In diesen Fällen kann eine Fotothe- pische Therapie nicht konsequent durchführen und entspre-
rapie oder eine systemische Therapie zum Einsatz kommen. chend auch das Behandlungsergebnis nicht optimal ausfällt.
Wie lässt sich die Compliance verbessern?
ARS MEDICI: Das klingt recht aufwendig. Wird eine derart sorg- Navarini: Die topische Behandlung ist eigentlich sehr wirksam,
fältige Befunderhebung in der Praxis wirklich durchgeführt aber im Alltag nicht sehr bequem durchführbar. Wenn also
und werden die Scores genau berechnet?
die Läsionen nur schwer abheilen, sollte man den Patienten
Navarini: Wir haben am Universitätsspital Zürich ein Tool mit fragen, wie gut er mit der Behandlung zurechtkommt. Hilf-
Beispielbildern entwickelt, das viele Kollegen in der Praxis reich sein können Therapietagebücher, mit denen sich auch
benutzen. Es ist unerlässlich, dass wir objektive Parameter Adhärenzprobleme aufzeigen lassen.
ARS MEDICI 9 ■ 2013
457
INTERVIEW
Zur Person
PD Dr. med. Dr. sc. nat. Alexander Navarini, Dermatologische Klinik Universitätsspital Zürich. Navarini forscht zurzeit am King's College London in grossen Patientenkohorten nach ursächlichen Genen bei Patienten mit pustulöser Psoriasis, Akne und generalisierten Arzneimittelreaktionen.
rung und Therapie von Komorbiditäten, die bei schwer betroffenen Psoriasispatienten relativ häufig auftreten. Dazu gehören beispielsweise Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus, Morbus Crohn und auch psychische Probleme. Komorbiditäten spielen auch eine Rolle bei der Wahl von Systemtherapeutika. In diesen Fällen ist also die Zusammenarbeit zwischen Dermatologe und Hausarzt oder Internist sehr wichtig.
ARS MEDICI: Gibt es Anwendungsformen, die unkomplizierter und weniger zeitaufwendig sind? Navarini: Es gibt in den USA schon Steroidsprays und bei uns auch schon Schaumanwendungen. Diese werden von den Patientinnen und Patienten als angenehmer empfunden als Cremes und Salben.
ARS MEDICI: Psoriasisexperten bemängeln häufig, dass immer noch zu wenige Patienten systemisch behandelt werden. Wie lässt sich diese Unterversorgung abstellen? Navarini: Das ist richtig. Wir vermuten, dass immer noch viele schwer erkrankte Psoriasispatienten vom Hausarzt mit topischen Medikamenten behandelt werden und nie über die Möglichkeit einer systemischen Therapie aufgeklärt wurden. Wir wissen heute aber, dass zum Beispiel Biologics eine grosse Sicherheit aufweisen und die Patienten, die für diese Behandlung qualifizieren, fast immer von der Behandlung profitieren. Wir Dermatologen sind deshalb daran interessiert, dass uns die Hausärzte bei Patienten mit schwereren Psoriasisverläufen alle paar Jahre konsiliarisch beiziehen. So können wir gewährleisten, dass die Patienten eine Therapie angeboten bekommen, die den aktuellen Richtlinien entspricht. Man darf nicht vergessen, dass Psoriasis eine Systemerkrankung
Man kommt weitgehend mit Vitamin-D3-Präparaten und Kortikosteroiden aus. An Körperstellen, wo keine Kortikosteroide angewendet werden sollten, können auch Calcineurininhibitoren sehr hilfreich sein.
ARS MEDICI: Wenn die topische Therapie nicht zum Erfolg führt, was ist dann zu tun? Navarini: In einem nächsten Schritt können wir unseren Patienten die Phototherapie anbieten, wobei zumeist Schmalspektrum-UVB oder PUVA infrage kommen. Die Behandlung kann gut in einer Tagesklinik durchgeführt werden. Kommt eine Fototherapie nicht in Frage oder erzielt nicht den gewünschten Erfolg, ist eine systemische Behandlung angezeigt.
ist und die Lebenszeit schwer Erkrankter um fünf Jahre verkürzt ist, wenn keine adäquate Behandlung erfolgt.
ARS MEDICI: Können denn Biologics die Komorbiditäten und damit die Lebenserwartung beeinflussen? Navarini: Wir hoffen, dass dies so ist, die Langzeitdaten fehlen dazu aber leider noch.
Herr Dr. Navarini, wir danken Ihnen für das Gespräch. ❖
ARS MEDICI: Welche Rolle spielt der Hausarzt bei der Behandlung von Psoriasiskranken? Navarini: Viele Hausärzte haben ein dermatologisches Wissen, das sie befähigt, die meisten Patienten topisch zu behandeln. Eine Überweisung zum Dermatologen ist aber bei speziellen Psoriasisformen erforderlich, etwa bei der Psoriasis inversa. Hausärzte spielen zudem eine zentrale Rolle in der Abklä-
Das Interview führte Uwe Beise. *A.G.A. Kolios, F. Rusca, K. Reisenbauer, A. Cozzio, L.E. French, A.A. Navarini: Topical treatment habits in psoriasis patients receiving adalimumab. Dermatology 2012; 224: 228–230.
Ein Übersicht zur topischen Therapie bei Psoriasis finden Sie auf Seite 460 ff.
458
ARS MEDICI 9 ■ 2013