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HIGHLIGHTS AUS DER LITERATUR
Akne und Ernährung
Einfluss von Nahrungsmitteln auf die Aknetherapie
Seit Jahrzehnten sind immer wieder Ernährungstipps zu lesen, die angeblich gegen die Pickel helfen sollen. Wissenschaftlich hat sich herauskristallisiert, dass der glykämische Index, Milchprodukte, Nahrungsfette und Probiotika sowohl die Akne selbst als auch die Therapie beeinflussen können.
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In bestimmten ethnologischen Gruppen war Akne früher unbekannt – beispielsweise bei den kanadischen Inuit oder den südafrikanischen Zulus. Erst als diese Populationen den Ernährungsstil der westlichen Welt (z. B. verarbeitete Lebensmittel, Milchprodukte, raffinierter Zucker) annahmen, bekamen auch sie Pickel. Wie hängen also Akne und Ernährung zusammen? Das wollten Prof. Dr. Hilary Baldwin vom Acne Treatment and Research Center in New York (USA) und Dr. Jerry Tan von der Western University of Ontario (Kanada) herausfinden. Sie werteten dazu in ihrem Review weltweit Studien und Artikel von 1977 bis 2020 aus – hauptsächlich unter den Gesichtspunkten Isotretinoin, Ernährung, glykämischer Index (GI), Milchprodukte und Aknepathophysiologie.
Pathophysiologie der Akne
Zunächst beleuchteten die Dermatologen den Einfluss von Ernährung auf die Aknepathogenese, die auf 4 Schlüsselfaktoren zurückgeführt wird: ▲ übermässige Talgproduktion ▲ Hyperproliferation von Cutibacterium acnes (C.
acnes, früher Propionibacterium acnes genannt) ▲ Verhornung der Haarfollikel und ▲ entzündliche Mechanismen. Die überschüssige Talgproduktion entsteht durch eine erhöhte Aktivität der Androgene und des insulinähnlichen Wachstumsfaktors 1 (IGF-1). IGF-1 senkt nachweislich die Spiegel des metabolischen Transkriptionsfaktors 1 (FoxO1) im Zellkern, was zur Aktivierung des Mammalian Target of Rapamycin Complex 1 (mTORC1) führt. Bei Akne vermittelt der mTORC1 die Hyperproliferation der Talgdrüsen, die Lipidsynthese und die Keratinozytenhyperplasie. Der mTORC1 wird unter anderem von Leucin, einer häufigen Aminosäure in Fleisch- und Molkereiproteinen, aktiviert. IGF-1 erhöht auch den Androgenspiegel, was wiederum den endogenen IGF-1-Spiegel erhöht. Diese
Rückkopplungsschleife steigert die Talgproduktion. Hyperinsulinämie erhöht die zirkulierenden Spiegel von IGF-1 und dem Insulin-Wachstumsfaktor-bindenden Protein 3, das ebenfalls die Hyperplasie und die Apoptose der Keratinozyten beeinflusst. Auch die Expression von Sterol-Response-Elementbindendem Protein 1 wird durch IGF-1 erhöht, wodurch eine weitere Stimulation der Talgproduktion folgt. Wachstumshormone und entzündliche Mediatoren sind ebenfalls mit der Akneentwicklung assoziiert.
Kohlenhydrate: Weniger ist mehr
Da IGF-1 offenbar ein Schlüsselfaktor ist, wurde der Glukosestoffwechsel untersucht, genauer gesagt der Einfluss des GI und der glykämischen Last (GL: glycaemic load) auf die Akne. So senkt zum Beispiel eine Diät mit niedrigem GI und niedriger GL auch den IGF-1-Spiegel. Dieser Einfluss einer kohlenhydratarmen Diät bestätigt sich auch in einer klinischen Besserung: Im Vergleich zu einer kohlenhydratdichten Kontrolldiät gehen die Anzahl der Akneläsionen und die Grösse der Talgdrüsen zurück.
Akne durch Milchprodukte?
Doch nicht nur zu viele Kohlenhydrate fördern die Akne – es gibt weitere Diätfaktoren. Vor allem Milchprodukte sind in den Fokus gerückt. Anfangs war vor allem das Milchfett Gegenstand der Untersuchungen. Doch es stellte sich heraus, dass auch bei den Milchprodukten der GI von Bedeutung ist. Denn Milch hat einen sehr hohen Insulinindex (definiert als Insulinerhöhung im Blut während 2 Stunden nach der Nahrungsaufnahme), unabhängig vom Fettgehalt. Und so erhöht auch Milchkonsum den IGF-1-Spiegel. 80 Prozent des Kuhmilchproteins ist Kasein, die restlichen 20 Prozent sind Molkenproteine. Diese Molkenproteine sind überwiegend für die insulinotrope Wirkung der Milch verantwortlich, während Kasein
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Omega-3Fettsäuren
Hoher GI/GL
Milchprodukte
Fleisch
Probiotika
Leukotrien B4
Androgene
Insulin IGF-1 FoxO1 mTORC1
Leucin
Entzündung
Überschüssige Talgproduktion
Hyperkeratinisierung
Hyperproliferation von C. acnes
Akne
Abbildung: Einfluss der Ernährung auf den mTORC1-Signalweg. Grafik adaptiert nach Baldwin et al. 2021 GI= glykämischer Index GL = glykämische Last FoxO1 = forkhead box class O transcription factor IGF-1 = Insulin growth factor 1 Gestrichelte Linien zeigen an, dass diese Zusammenhänge derzeit noch in der Diskussion sind.
das IGF-1 in grösserem Masse stimuliert als Molke. Die insulinotrope Wirkung von Molke erhöht auch den IGF-1-Spiegel. Möglicherweise erklärt das, warum Molkepräparate (beispielsweise in Nahrungsergänzungsmitteln für Kraftsportler) Akne verschlimmern können.
Besser Käse als Eiscreme
Doch Milchprodukt ist nicht gleich Milchprodukt bei Akne: Käse hat einen niedrigen Insulinindex, während Eiscreme aufgrund des Zuckers einen hohen hat. Diese auf Hyperinsulinämie basierende Theorie würde deshalb den Zusammenhang zwischen Eiscreme und Akne erklären, während bei Käse keine Assoziation zu finden ist.
Esst mehr Fisch!
Eine fettreiche Ernährung gilt bei Aknepatienten generell als kontraproduktiv. Doch es kommt auf das richtige Fett an: Omega-3-Fettsäuren verringern nachweislich IGF-1; sie hemmen auch die Synthese von entzündungsfördernden Leukotrienen, was wiederum entzündliche Akneläsionen reduziert. Einige Studien haben eine Assoziation zwischen niedrigerem Fischkonsum und erhöhtem Schweregrad der Akne gezeigt. Umgekehrt wurde ein höherer Konsum von Transfetten und gesättigten Fettsäuren mit einem erhöhten Akneschweregrad assoziiert.
Besser vegetarisch?
Sollte Aknepatienten also eine vegane beziehungsweise vegetarische Ernährungsweise ohne Fleisch und Milchprodukte empfohlen werden? Die Leucinwerte sind bei einer Ernährung auf Basis von Fleisch/ Milchprotein höher als bei vegetarischer oder veganer Ernährung. Leucin aktiviert den mTORC1, das seinerseits die proinflammatorische NuklearfaktorκB-Signalisierung anregt. Das könnte die Akneentzündungen verschlimmern.
Noch in den Kinderschuhen: Probiotika bei Akne
Das Darmmikrobiom wurde auch mit der Pathophysiologie der Akne in Verbindung gebracht. Vom Mikrobiom des Darms produzierte Metaboliten interagieren nachweislich mit mTOR-Signalwegen, die wiederum die Zusammensetzung des Mikrobioms beeinflussen und Auswirkungen auf die Aknepathogenese haben. Erste Pilotstudien haben gezeigt, dass beispielsweise die Zufuhr von Lactobacillus rhamnosus GG die Akne bessert.
Ernährung beeinflusst die Therapie
Die Palette der Therapiemassnahmen bei Akne ist breit. Sie umfasst Topika (Antibiotika, Benzoylperoxid, Dapson, Retinoide oder Azelainsäure), orale Medikamente (Antibiotika, Hormonpräparate oder Isotretinoin) und physikalische Eingriffe (Peelings,
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Laser- und Lichttherapien). Diese Aknetherapien wirken über viele Mechanismen gegen die vier Hauptfaktoren der Aknepathogenese. Und ihre Wirkung, vor allem die der systemischen Substanzen, wird von Nahrungsmitteln beeinflusst. So ist von den häufig bei Akne eingesetzten Antibiotika aus der Gruppe der Tetrazykline bekannt, dass ihre Resorption von Mahlzeiten beeinflusst wird – beispielsweise reduziert sich bei Doxycyclin die Bioverfügbarkeit, wenn es zum Essen statt nüchtern eingenommen wird. Noch schlechter wird das Antibiotikum aufgenommen, wenn diese Mahlzeit Milchprodukte enthält. Denn Kalzium kann Doxycyclin chelatisieren, wodurch seine Resorption reduziert wird. Orales Isotretinoin ist die einzige Therapie, die direkt oder indirekt auf alle bekannten pathogenen Aspekte der Akne (Seborrhoe, Bakterien, Entzündung, Hyperkeratinisierung der Haarfollikel) zielt. Isotretinoin ist seit seiner Einführung in den frühen 1980erJahren weltweit Bestandteil in vielen Leitlinien für die Behandlung von schwerer Akne. In den Beipackzetteln von Isotretinoin steht, dass die gleichzeitige Einnahme mit einer fettreichen Mahlzeit die Bioverfügbarkeit erhöht.
Neue Lidose-Isotretinoin-Galenik wirkt besser auf nüchternen Magen
Anders bei dem Derivat Lidose-Isotretinoin. Hier wurde die klinische Wirksamkeit bei nüchternen
Aknepatienten mit den Daten von Patienten verglichen, die das Medikament mit einer 50-g-Fett-Mahlzeit eingenommen hatten. Dabei zeigte sich kein Unterschied hinsichtlich Wirksamkeit und Rückfallraten. Die Food and Drug Administration in den USA hat eine neuartige Formulierung von Lidose-Isotretinoin zugelassen, bei der die Partikel des Medikaments mikronisiert sind, was die Oberfläche vergrössert und zu einer verbesserten Auflösung führt. Es ist bioäquivalent bei Einnahme nach einer fettreichen Mahlzeit und hat eine fast doppelt so hohe Bioverfügbarkeit, wenn der Patient nüchtern ist – und das trotz einer um 20 Prozent niedrigeren Dosis (32 mg) im Vergleich zur früheren Lidose-Isotretinoin-40-mg-Dosis.
Keine Molke, mehr Omega-3-Fettsäuren
Die kanadischen Wissenschaftler empfehlen in ihrem
Fazit, die Patienten über den Einfluss von Ernährung
und Akne zu informieren. Mit der Wahl ihrer Nah-
rungsmittel liege es in ihrer Hand, die Therapie-
ergebnisse zu verbessern und möglicherweise das
Risiko eines Rückfalls zu verringern.
s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Baldwin H, Tan J: Effects of Diet on Acne and Its Response to Treatment: Am J Clin Dermatol. 2021;22(1):55-65.
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