Transkript
Weisser Fleck im Mund
Banal oder kritisch?
FORTBILDUNG
Weissliche Veränderungen der Mundschleimhaut sind häufig zu sehen, aber schwer zu differenzieren. Weil es sich schlimmstenfalls um Neoplasien handeln kann, dürfen solche Befunde niemals banalisiert werden, selbst wenn sie symptomlos sind oder zufällig entdeckt werden.
Als Folge dieser Irritationen kommt es zu einer Entzündung der Mundschleimhaut mit Schwellung und Rötung, schliesslich zur Abstossung von Oberflächenepithelien, die dann als weissliche Auflagerungen (Abbildung 1) erkennbar sind. Weil diese Veränderungen nicht ohne Weiteres von einer Leukoplakie unterschieden werden können, sollte bei ausbleibender Heilungstendenz und fehlender kausaler Plausibilität im Zweifelsfall biopsiert werden.
FRITZ MEYER
Im Sprechstundenalltag hat es sich bewährt, derartige Schleimhautbilder in abwischbare und nicht abwischbare Läsionen zu unterteilen (1).
Mechanische Irritation als Ursache Bei den abwischbaren Veränderungen handelt es sich häufig um membranöse oder pseudomembranöse Auflagerungen polyätiologischer Genese. Die Ursachen derartiger topischer Veränderung können vielfältig sein: mechanische Reizungen der Schleimhaut durch intensives Wangenbeissen (Morsicatio buccarum) beziehungsweise übermässiges Zähne- oder Gingivaputzen oder Friktionsirritationen durch zahnärztliche Prothetikbauteile. Lokale physikalische (sehr heisse Speisen, «Glasbläserläsionen») oder chemische Einwirkungen (Säuren- oder Laugenverätzung) sind ebenso ursächlich möglich wie entzündliche Intoleranzreaktionen der Mundschleimhaut auf der Basis einer zellvermittelten Allergie vom Spättyp (2), insbesondere gegen zahnärztliche Werkstoffe oder Zahnpflegemittel.
Merksätze
❖ Bei den abwischbaren Veränderungen handelt es sich häufig um membranöse oder pseudomembranöse Auflagerungen; zum Ausschluss einer Leukoplakie sollte im Zweifelsfall biopsiert werden.
❖ Bei nicht abwischbaren, weisslichen Schleimhautveränderungen ist an orale Leukoplakie, Lichen mucosae und Plattenepithelkarzinom zu denken.
❖ Der orale Lichen planus muss regelmässig kontrolliert und gegebenenfalls biopsiert werden, die orale Leukoplakie muss immer bioptisch gesichert werden.
Candida-Infektionen Eindeutiger zu diagnostizieren sind die abwischbaren, weisslich-gelblichen Auflagerungen einer Infektion mit Candida albicans, deren Nachweis durch Abstrich- oder Abklatschuntersuchungen möglich ist. Aber Vorsicht: Da Leukoplakien der Mundschleimhaut in noch nicht endgültig geklärtem Zusammenhang mit einer Candida-albicansInfektion vergesellschaftet sein können (hyperplastische Candidiasis oder auch Candida-Leukoplakie), muss zumindest an eine gleichzeitig bestehende Leukoplakie gedacht werden, wenn der Belag unter spezifischer Behandlung nicht vollständig verschwindet.
Nicht abwischbare Beläge Nicht abwischbare, weissliche Läsionen stellen neben einer Akantholyse (z.B. Pemphigus vulgaris) oder einer Fibrose des subepithelialen Bindegewebes (z.B. Sklerodermie) meist Verhornungsanomalien dar. Die hieraus resultierende Reflexions- und Brechungsänderung des Lichtes führt zur Weissverfärbung. Nach Beobachtung einer nicht abwischbaren, weisslichen Schleimhautveränderung muss der Hausarzt die orale Leukoplakie (Abbildung 2), den Lichen mucosae und das Plattenepithelkarzinom als abwendbar gefährlichen Verlauf bedenken. Während ein Karzinom der Mundhöhle aufgrund der Vorgeschichte (Alkohol- und Nikotinmissbrauch), Aspekt und Tastbefund (Abbildung 3) schnell vermutet wird, sind der orale Lichen planus (OLP) und die orale Leukoplakie (OL) wesentlich schwieriger zu bewerten. Der Lichen planus der Mundhöhle (oraler Lichen planus oder auch Lichen mucosae) bleibt häufig die einzige Ausprägung einer Lichenerkrankung ohne eine weitere Manifestation an der Haut oder anderen Schleimhäuten. Vermehrt tritt die Erkrankung im mittleren Lebensalter von 30 bis 60 Jahren, bei Frauen mehr als bei Männern auf (3). Fast 70 Prozent der mukokutanen Läsionen findet man an der Wange, gefolgt von Gaumen, Zunge, Lippen, Alveolarschleimhaut und extrem selten am Mundboden.
ARS MEDICI 8 ■ 2013
405
FORTBILDUNG
Fallbericht
Der 79-jährige Johann B. hat Halsschmerzen – eigentlich nichts Besonderes für einen Mann, der zeit seines Lebens ein starker Raucher war und diesbezüglich Kummer gewohnt ist. Doch heute fällt bei der Racheninspektion an der linken Wangenschleimhaut eine etwa daumennagelgrosse, inhomogene, weissliche Schleimhautalteration auf, die sich mit dem Mundspatel nicht abstreifen lässt. Der Patient hat diese Veränderung bislang weder gesehen, noch hat sie ihm Beschwerden verursacht. Es handelt sich nach dem klinischen Aspekt um einen oralen Lichen planus. Der Patient wurde über die Problematik seiner Schleimhautveränderung aufgeklärt und zur Selbstbeobachtung angehalten. Bei aktueller Symptomfreiheit war eine topische Behandlung bislang nicht erforderlich. In der Sprechstunde gehört die regelmässige Mundhöhleninspektion von Johann B. jetzt zu einem Muss, eine zur Biopsie führende Veränderung der Effloreszenz ist bisher allerdings ausgeblieben.
Abbildung 1: Weissliche, abwischbare Fibrinauflagerungen am Zungenrand. Diese werden nicht selten durch eine mechanische Irritation der Zungenschleimhaut an schadhaften Zähnen verursacht. Wenn nach entsprechender Behandlung und in absehbarem Zeitraum keine Veränderung eintritt, muss zum Ausschluss eines malignen Geschehens die Biopsie veranlasst werden.
Abbildung 2: Bioptisch gesicherte Leukoplakie der Mundschleimhaut bei einem 61-jährigen Patienten.
Abbildung 3: Zungenrandkarzinom bei einem Patienten mit langjährigem Alkohol- und Nikotinmissbrauch.
Oraler Lichen planus Der OLP imponiert in unterschiedlichen morphologischen Ausprägungen. Am häufigsten ist, wie im Fallbericht geschildert, der retikuläre Typ mit streifiger, weisser Zeichnung, den Wickham-Streifen. Diese bilden ein filigranes Netzwerk auf der Schleimhaut. Beim papillären Typ bilden sich kleine, weisse Knötchen auf der Mukosa, beim Plaquetyp flache Beläge. Diese Veränderungen sind meist symptomarm, nur gelegentlich klagen Patienten über ein leichtes Schleimhautbrennen. Schmerzhaft und auch behandlungsbedürftig ist die erosive Variante des OLP, bei der Schleimhautdefekte mit blutenden Ulzerationen entstehen. Die Pathogenese des OLP ist nicht vollständig geklärt. Zellvermittelte immunologische Störungen, aber auch Systemerkrankungen (Diabetes mellitus), Medikamenteneinflüsse, psychologische Aspekte und zahnärztliche Materialien wer-
den als Triggerfaktoren angeschuldigt (4). Die Beseitigung oder der Austausch zahnärztlicher Restaurationen kann zum Abklingen der Effloreszenzen führen, wobei aber auch spontane Abheilungen ohne zahnärztliche Intervention beschrieben wurden (5). Weil der OLP ein malignes Geschehen konditionieren (6) kann («prämaligne Kondition»), muss er, über eine Lokalbehandlung mit topisch applizierten Kortikoiden oder anderen Wirkstoffgruppen (5, 7) hinaus, regelmässig kontrolliert und gegebenenfalls biopsiert werden.
Orale Leukoplakie Im Unterschied dazu wird die OL als potenziell maligne Veränderung (6) und wichtigste prämaligne Veränderung der oralen Mukosa angesehen (8). Orale Leukoplakien können isoliert oder multipel in allen Bereichen der Mundhöhle
406
ARS MEDICI 8 ■ 2013
FORTBILDUNG
auftreten, am häufigsten aber an der Wangenschleimhaut,
der Mukosa des Alveolarfortsatzes, dem Mundboden, der
Zunge, den Lippen und dem Gaumen. Weil viele Leuko-
plakien keiner malignen Transformation unterliegen und sich
zurückbilden können, wenn ätiologische Faktoren (Tabak,
Alkohol) vermieden werden (6), besteht nach der bioptischen
Diagnosesicherung die Hauptaufgabe des Hausarztes vor
allem in der konsequenten Aufklärung und regelmässigen
Nachbeobachtung des Patienten.
❖
Dr. med. Fritz Meyer Facharzt für Allgemeinmedizin, Sportmedizin-Ernährungsmedizin (KÄB) Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Zwinger 6, D-86732 Oettingen/Bayern E-Mail: f.meyer@meyer-oettingen.de
Literatur: 1. Holland I: Management of white patches. Dent Update 2010; 37(8): 526–531. 2. Trüeb RM: Veränderungen der Mundschleimhaut richtig deuten. Zahnarzt Praxis 2010;
1: 2–5. 3. Boorghani M, Gholizadeh N, Zenouz AT, Vatankhah M, Mehdipour M: Oral lichen planus:
clinical features, etiology, treatment and management; a review of literature. JODDD 2010; 4(1): 3–9. 4. Magnin P: Amalgamassoziierte lichenoide Mundschleimhautläsionen: Füllungsersatztherapie. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2003; 113(2): 143–150. 5. Mücke Th, Hölzle F, Deppe H: Plattenepithelkarzinom auf dem Boden eines Lichen ruber. www.zm-online.de. zuletzt eingesehen am 23. 7. 2012 6. Wissenschaftliche Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK): Stand: 26. 2. 2007 7. Scheer M, Kawari-Mahmoodi N, Neugebauer J, Kübler AC: Pimecrolimus (Elidel®) zur Behandlung des Lichen planus mucosae. Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie 2006; 10: 403–407. 8. Bornstein M, Klingler K, Saxer UP, Walter C, Ramseier CR: Tabakasoziierte Veränderungen der Mundhöhlenschleimhaut. Schweiz Monatsschr Zahnmed 2006; 116(12): 1–9.
Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 1/2013. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.
Interessenkonflikte: keine
ARS MEDICI 8 ■ 2013
407