Transkript
STUDIE REFERIERT
Diabetes Typ 2
Linagliptin oder Glimepirid zu Metformin?
Linagliptin war in einer Parallelgruppenstudie als Kombinationspartner von Metformin im Vergleich zu Glimepirid mit einer ähnlichen Senkung der HbA1c-Werte, jedoch mit weniger Hypoglykämien und signifikant weniger kardiovaskulären Ereignissen verbunden.
LANCET
Im Jahr 2008 litten weltweit fast 10 Prozent aller Erwachsenen unter Diabetes Typ 2. Diabetes stellt sowohl in Entwicklungsländern als auch in den Industrienationen ein bedeutendes Problem dar, das durch die Alterung und das Wachstum der Bevölkerung noch verschärft wird. Metformin gilt als First-line-Medikament zur Behandlung des Typ-2-Diabetes. Viele Patienten können jedoch mit einer Metforminmonotherapie keine ausreichende glykämische Kontrolle erreichen oder aufrechterhalten, was vor allem auf den fortschreitenden Verlust der insulinsekretorischen Funktion
Merksätze
❖ Die Zugabe von Glimepirid zu Metformin ist mit einer besseren glykämischen Kontrolle, jedoch mit Hypoglykämien und Gewichtszunahme verbunden.
❖ Mit Metformin/Linagliptin wird eine vergleichbare glykämische Kontrolle bei geringerer Hypoglykämie und Gewichtsabnahme erreicht.
❖ Linagliptin ist mit weniger kardiovaskulären Ereignissen verbunden als Glimepirid.
zurückzuführen ist. Wenn Metformin allein nicht ausreicht, ist die Wahl eines zweiten Medikaments mitunter schwierig. Derzeit gibt es keinen Konsens für eine optimale Herangehensweise, allerdings bieten Algorithmen eine gewisse Orientierung. Bei unzureichender glykämischer Kontrolle wird Metformin derzeit häufig mit einem Sulfonylharnstoff ergänzt. Mit dieser Kombination erreicht man zwar meist eine bessere glykämische Kontrolle, sie ist aber mit Hypoglykämien und Gewichtszunahme verbunden, was sich ungünstig auf das kardiovaskuläre Risiko, die Lebensqualität und die Therapietreue auswirken kann. Der Dipeptidylpeptidase-(DPP-)4-Inhibitor Linagliptin (Trajenta®) wurde im Jahr 2011 als orales, 1-mal täglich einzunehmendes Antidiabetikum zugelassen. Die Substanz verbessert die glykämische Kontrolle, indem sie den schnellen Abbau von Inkretinhormonen verhindert. Das führt zu einer glukoseabhängigen Verstärkung der Insulinsekretion und zu einer Hemmung der Glukagonsekretion. Bei Typ-2-Diabetikern wurde mit Linagliptin als Einzelsubstanz oder in Kombination mit Metformin eine Reduzierung der HbA1c-Werte um 0,6 bis 0,9 Prozent erzielt, bei einem geringen Risiko für Hypoglykämien und ohne Gewichtszunahme. In einer hypothesengetriebenen Studie untersuchten Prof. Baptist Gallwitz, Universitätsklinikum Tübingen, und seine Arbeitsgruppe jetzt die langfristige Wirksamkeit und Sicherheit von Linagliptin im Vergleich zu dem häufig angewendeten Sulfonylharnstoff Glimepirid (Amaryl® und Generika) als Second-line-Option bei Typ-2-Diabetikern mit unzureichender glykämischer Kontrolle unter einer Metforminmonotherapie oder einem Metforminkombinationsregime.
Methoden Die randomisierte, doppelblinde, aktiv kontrollierte, parallelgruppengeführte Nichtunterlegenheitsstudie wurde an 209 Standorten der Primär- und Sekundärversorgung in 16 Ländern durchgeführt. Im Rahmen der Studie erhielten Patienten mit HbA1c-Werten zwischen 6,5 und 10,0 Prozent über einen Zeitraum von 2 Jahren zusätzlich zu Metformin entweder 1-mal täglich oral Linagliptin (5 mg) oder Glimepirid (1–4 mg). Als primärer Endpunkt wurde die Veränderung der HbA1cWerte ab Baseline bis Woche 104 definiert. Die beiden wichtigsten sekundären Endpunkte waren das Auftreten von Hypoglykämien und die Veränderung des Körpergewichts von Studienbeginn bis Woche 104. Zu den Sicherheitsendpunkten gehörten unerwünschte Ereignisse. Zusätzlich wurde prospektiv die kardiovaskuläre Sicherheit untersucht. In die Analyse wurden alle randomisierten Patienten eingeschlossen, die mindestens eine Behandlungsdosis erhalten hatten.
Ergebnisse Von zunächst 1552 randomisierten Teilnehmern erhielten 776 Patienten Linagliptin, und 775 wurden mit Glimepirid behandelt. Von diesen insgesamt 1551 Patienten vollendeten 1191 Teilnehmer (77%) die Studie. Die Hauptgründe für einen Abbruch der Behandlung waren unerwünschte Ereignisse oder eine unzureichende Wirkung. Die Abbruchraten beider Gruppen waren vergleichbar. Die meisten Patienten (91% von 1551) nahmen zusätzlich auch andere Medikamente ein, am häufigsten waren das Antihypertensiva, Lipidsenker oder Acetylsalicylsäure (ASS, Aspirin®). In die Analyse bezüglich des primären Endpunkts wurden 764 Patienten aus der Linagliptin- und 755 Teilnehmer aus der Glimepiridgruppe eingeschlossen. Zu Studienbeginn lag der durchschnittliche HbA1c-Wert in beiden Gruppen bei 7,69 Prozent. Die Reduzierung der HbA1c-Werte betrug unter Linagliptin 0,16 und unter Glimepirid 0,36 Prozent, woraus sich eine Behandlungsdifferenz von 0,20 Prozent ergibt. Das zuvor definierte Nichtunterlegenheitskriterium einer Maximaldifferenz von 0,35 Prozent wurde somit erfüllt. Die Veränderungen der HbA1c-Werte waren
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STUDIE REFERIERT
unter Linagliptin und Glimepirid in Subgruppenanalysen zu BMI-Werten und ethnischem Ursprung konsistent mit denen in der Gesamtstudie. Von der gesamten analysierten Studienpopulation, die Linagliptin (n = 764) beziehungsweise Glimepirid (n = 755) erhalten hatten, erreichten bis Woche 104 30 respektive 35 Prozent der Patienten einen HbA1c-Wert von weniger als 7 Prozent. Ähnliche Resultate – allerdings in höherer Grössenordnung – wurden bei den Teilnehmern beobachtet, welche die Studie vollendeten (Linagliptin: n = 233; Glimepirid: n = 271). Hier erreichten 75 Prozent der Patienten unter Linagliptin und 76 Prozent der Patienten unter Glimepirid einen HbA1c-Wert unter 7 Prozent. HbA1cWerte unter 6,5 Prozent wurden in der gesamten analysierten Studienpopulation bei 12 Prozent der Linagliptingruppe und bei 16 Prozent der Glimepiridgruppe beobachtet. Eine Veränderung des HbA1c-Werts von 0,5 Prozent oder mehr erreichten 26 Prozent der Patienten unter Linagliptin und 34 Prozent der Teilnehmer unter Glimepirid. Bei der Behandlung mit Linagliptin kam es im Vergleich zu Glimepirid signifikant weniger häufig zu Hypoglykämien (7 vs. 36%, p < 0,0001) und auch weniger häufig zu schweren Hypoglykämien (< 1 vs. 2%). Die Gesamtinzidenz an Hypoglykämien war unter Linagliptin 4,8-mal niedriger als unter Glimepirid. Der Anteil der Patienten, die einen HbA1c-Wert unter 7 Prozent erreichten und Hypoglykämien erlitten, war unter Linagliptin 4-mal geringer als bei der Behandlung mit Glimepirid (4 vs. 20%). Während des 2-jährigen Untersuchungszeitraums war die Gesamtinzidenz unerwünschter Ereignisse unter Linagliptin niedriger als bei der Behandlung mit Glimepirid. Auch der Anteil antidiabetikabezogener Ereignisse war unter Linagliptin niedriger, was vor allem auf die erhöhte Inzidenz an Hypoglykämien unter Glimepirid zurückzuführen war. In beiden Gruppen handelte es sich meist um leicht bis moderat ausgeprägte unerwünschte Ereignisse. Zu Beginn der Studie hatten die Teilnehmer beider Gruppen ein vergleichbares Ausgangsgewicht. Im Studienverlauf verringerte sich dann das Körpergewicht unter Linagliptin (-1,4 kg), während es sich unter Glimepirid erhöhte (+1,3 kg). Die Gewichtsdifferenz zwischen beiden Therapieoptionen betrug 2,7 kg und erreichte statistische Relevanz (p < 0,0001). Zudem war Linagliptin mit signifikant weniger kardiovaskulären Ereignissen verbunden als Glimepirid (2 vs 3%). Dieses Ergebnis konnte vor allem auf die signifikant geringere Anzahl nicht tödlicher Schlaganfälle unter Linagliptin im Vergleich zu Glimepirid zurückgeführt werden (RR 0,27; 95%Konfidenzintervall [KI] 0,08–0,97; p = 0,0315). Diskussion In dieser Langzeitstudie war der DPP4-Inhibitor Linagliptin bei Typ-2-Diabetikern mit unzureichender glykämischer Kontrolle unter Metformin dem Sulfonylharnstoff Glimepirid bezüglich der Senkung des HbA1c-Werts nicht unterlegen und zugleich mit einem Gewichtsverlust und mit signifikant weniger Hypoglykämien verbunden. Da Sulfonylharnstoffe die Insulinsekretion unabhängig von der Blutglukosekonzentration verbessern, besteht bei diesen Medikamenten grundsätzlich die Gefahr einer hyperinsulinämischen Hypoglykämie. Die blutzuckersenkenden Wirkungen der DPP-4-Inhibitoren stehen dagegen weitgehend in Verbindung mit einer erhöhten Blutglukose und lassen wieder nach, sobald sich der Blutzucker normalisiert, sodass bei dieser Substanzklasse ein geringes inhärentes Hypoglykämierisiko besteht. Ausserdem traten unter Linagliptin im Vergleich zu Glimepirid signifikant weniger kardiovaskuläre Ereignisse auf, was die Autoren als bemerkenswertes Ergebnis erachten. Die Wahrscheinlichkeit, dass dies auf Zufall beruht, kann zwar nicht ausgeschlossen werden, da die Studie nicht speziell zur Untersuchung kardiovaskulärer Ergebnisse konzipiert wurde. Die potenziellen kardiovaskulären Effekte der Gliptine könnten jedoch im Zusammenhang mit dem Wirkmechanismus der DPP-4-Hemmung stehen oder aus den erhöhten endogenen GLP-1-Konzentrationen resultieren. Beide Mechanismen sind möglicherweise für die konsistent beobachteten Risk-Ratios (RR) unter 1 in älteren gepoolten kardiovaskulären Analysen zu DPP-4-Inhibitoren verantwortlich. Eine andere kon- trovers diskutierte Erklärungsmöglich- keit wäre eine Erhöhung des kardio- vaskulären Risikos im Zusammenhang mit Sulfonylharnstoffen. Um zweifels- frei zu klären, ob Linagliptin das kar- diovaskuläre Risiko im Vergleich zu Glimepirid reduziert, wird derzeit eine gross angelegte Studie (CAROLINA NCT01243424) durchgeführt, die spe- ziell zur vergleichenden Evaluierung der Auswirkungen beider Substanzen im Hinblick auf kardiovaskuläre End- punkte konzipiert wurde. In einer wei- teren Studie werden andere DPP-4- Hemmer mit der Standardversorgung und mit Plazebo bezüglich kardiovas- kulärer Outcomes verglichen. ❖ Petra Stölting Quelle: Baptist Gallwitz et al.: 2-year efficacy and safety of Linagliptin compared with glimepirid in patients with type 2 diabetes inadequately controlled on metformin: a randomised, double-blind, non-inferiority trial. Lancet 2012; 380: 475–483. Interessenkonflikte: Einer der acht Autoren ist Beiratsmitglied verschiedener Pharmaunternehmen, und ein weiterer hat Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. Die anderen sechs Autoren sind Angestellte beim Linagliptinhersteller Boehringer Ingelheim. ARS MEDICI 7 ■ 2013 379