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STUDIE REFERIERT
Wenn Statine, dann Generika!
Originalprodukte sind kostspielig, aber in der Regel nicht besser
Die Mehrzahl der Statine steht heute auch als Generika zur Verfügung. Dennoch verordnen viele Ärzte immer noch die teureren Originalpräparate. Dieses Verschreibungsverhalten sollte sich dringend ändern, meinen amerikanische Wissenschaftler.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION INTERNAL MEDICINE
Neun Statine wurden von der US-amerikanischen Food and Drug Administration (FDA) seit 1987 zugelassen: Lovastatin, Simvastatin, Pravastatin, Fluvastatin, Mevastatin, Rosuvastatin, Pitavastatin, Atorvastatin und Cerivastatin (Letzteres wurde 2001 vom Markt genommen.). Experten haben für die Statine verschiedene Wirkmechanismen postuliert, die alle für die gesamte Substanzklasse gelten.
Merksätze
❖ Generische Statine senken das kardiovaskuläre Risiko viel preisgünstiger als Originalpräparate.
❖ Die Verfügbarkeit von Atorvastatingenerika hat die Wahl des geeigneten Statins vereinfacht.
❖ Kein Originalstatin kann für sich beanspruchen, das kardiovaskuläre Risiko von Dyslipidämiepatienten effektiver zu senken als generisches Atorvastatin.
❖ Ärzte können zur Kosteneinsparung beitragen, indem sie generische Statine verordnen.
Die ursprünglichen Statine (Lovastatin, Pravastatin, Fluvastatin, Mevastatin) reduzieren in niedriger und mittlerer Dosierung das Risiko einer koronaren Herzkrankheit (KHK) um etwa 20 Prozent. Höhere Dosierungen sowie potentere Statine (Simvastatin, Atorvastatin, Rosuvastatin) können das KHKRisiko um weitere 15 Prozent senken. Die Evidenz, welche die Statingabe zur Senkung des kardiovaskulären Risikos bei Patienten mit Dyslipidämie stützt – insbesondere die Sekundärprävention kardiovaskulärer Ereignisse –, wird selten infrage gestellt. Jedoch gibt es erstaunlich wenig Evidenz hinsichtlich der vergleichenden Effektivität und der relativen Sicherheit der verschiedenen Statine. Es gibt nur drei Head-to-Head-Studien, die den Effekt verschiedener Statine auf klinische Endpunkte vergleichen: ❖ IDEAL (Incremental Decrease in
End Points Through Aggressive Lipid Lowering) ❖ SAGE (Study Assessing Goals in the Elderly) ❖ PROVE IT-TIMI 22 (Pravastatin or Atorvastatin Evaluation and Infection Therapy-Thrombolysis in Myocardial Infarction 22).
Diese Studien verglichen nicht einfach verschiedene Statine; in jeder Studie wurden höhere Atorvastatindosierungen mit mittleren Dosierungen weniger potenter Statine verglichen. Sie waren also nicht darauf ausgelegt, Evidenz über die relative Wirksamkeit eines Statins im Vergleich zu einem anderen zu generieren. Wenn der Atorvastatinarm eindeutig besser abgeschnitten hätte, hätte man nicht sagen können, ob das am Wirkstoff, an der höheren Dosierung oder an einer Kombination aus beidem gelegen hätte. Doch Atorvasta-
tin, das potentere Statin, das zudem in höherer Dosierung verabreicht worden war, war nicht eindeutig überlegen. Nur eine Studie verglich zwei unterschiedliche Statine in maximalen Dosierungen; es handelte sich also um einen fairen Head-to-Head-Vergleich, doch war dies keine klinische Endpunktstudie. Die kürzlich publizierte SATURN-Studie (The Study of Coronary Atheroma by Intravascular Ultrasound: Effect of Rosuvastatin Versus Atorvastatin) verglich eine 80-mgDosis Atorvastatin mit einer 40-mgDosis Rosuvastatin. Obwohl Rosuvastatin zu einer signifikant grösseren Reduktion des LDL-Cholesterins führte, konnte kein Effekt der beiden Statine auf das Volumen koronarer Atherome festgestellt werden. Bisher gibt es noch keine klinische Endpunktstudie, in der Rosuvastatin mit einem anderen Statin verglichen wurde. Es gibt auch ein paar Head-to-HeadStudien, in denen untersucht wurde, welchen Effekt eine Statintherapie im Vergleich zu einer Kombinationstherapie auf klinische Endpunkte hat. In diesen Studien wurde die Monotherapie mit einem Statin mit einer Kombinationstherapie aus einem Statin und Niacin, einem Fibrat, einem Gallensäurenkomplexbildner oder Ezetimib verglichen. In keiner dieser Studien konnten Unterschiede hinsichtlich des Mortalitätsrisikos oder kardiovaskulärer Ereignisse nachgewiesen werden, obwohl es zu ausgeprägteren Reduktionen der Cholesterinwerte kam.
Originalstatine bieten im Vergleich zu Generika keine höhere Sicherheit Wenn sich die verschiedenen Statine hinsichtlich ihrer klinischen Wirksamkeit nicht unterscheiden, gibt es dann vielleicht Unterschiede in Bezug auf die Sicherheit? Sicherheitsaspekte können bei der Wahl des geeigneten Medikaments bekanntlich eine wichtige Rolle spielen. Alle verfügbaren Statine haben sich jedoch im Allgemeinen als gut verträglich erwiesen, und in den Head-toHead-Studien konnten keine Unterschiede im Hinblick auf die Sicherheitsprofile der getesteten Statine festgestellt werden. Lediglich für die 80-mg-Dosis von Simvastatin gibt es einen Warnhinweis: Hier hat die FDA aufgrund einer höheren Myopathieinzidenz eine sogenannte Black-Box-Warnung herausge-
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geben. Kein Statinoriginalpräparat habe im Vergleich zu den Generika irgendeinen nachgewiesenen Sicherheitsvorteil, betonen die Autoren.
Wahl eines Generikums Von acht Statinen, die derzeit auf dem Markt sind, stehen fünf als Generika zur Verfügung, zwei sind nur als Originalpräparate erhältlich (Rosuvastatin und Pitavastatin), und Atorvastatin war bis vor Kurzem lediglich als «restricted generic» erhältlich – und damit teurer als die anderen Generika. Da es derzeit keine Evidenz dafür gibt, dass Originalpräparate den generischen Statinen hinsichtlich der kardiovaskulären Risikoreduktion überlegen sind, sollten bei der Verschreibung eines Statins wirtschaftliche Überlegungen eine zentrale Rolle spielen – und zwar sowohl die Kosten für den einzelnen Patienten als auch diejenigen für die Gesellschaft betreffend. Hinzu kommt, dass die Patientenadhärenz bei höheren Zuzahlungen schlechter ist. Für Originalprodukte, die den Patienten mehr kosten, fehlt nicht nur der Nachweis einer überlegenen Wirksamkeit, sie dürften sich aufgrund der schlechteren Adhärenz in der klinischen Praxis auch als weniger effektiv erweisen. In den letzten zehn Jahren sind dem Gesundheitswesen aufgrund der Verschreibung von Originalstatinen hohe Kosten entstanden, obwohl seit 2002 Generika zur Verfügung stehen, die bei Millionen von Patienten zu einer vergleichbaren Risikoreduktion bei deutlich geringeren Kosten hätten führen können. Ende 2006 handelte es sich bei den verschriebenen Statinen in zwei Drittel der Fälle nach wie vor um Originalpräparate, obwohl drei generische Statine verfügbar waren.
Kürzlich wurde berichtet, dass die Verordnung von Originalstatinen durch Ärzte der Primärversorgung in Amerika jährlich zusätzliche Kosten von 5,8 Milliarden Dollar verursacht. Bevor generisches Atorvastatin zur Verfügung stand, kosteten die Originalprodukte Lipitor® (Atorvastatinkalzium, Pfizer Inc.) und Crestor® (Rosuvastatinkalzium, AstraZeneca) bis zu zehnmal mehr als generische Statine (Kostenvergleich entsprechend www.Drugstore.com, 22. Mai 2011). Generisches Atorvastatin hat die grosse Kostendifferenz reduziert, liegt im Preis aber immer noch höher als andere generische Statine. Im Gegensatz dazu ist der Preis für Crestor® immer noch sehr hoch, und obwohl es im Vergleich zu generischen Statinen keinen Vorteil bietet, steigen die Crestor®-Verkaufszahlen rasch an. Es liege in der Hand der Ärzte, in Zukunft bei der Statinverordnung Kosten zu sparen, mahnen die Autoren. Da kein Originalstatin für sich beanspruchen kann, in der Behandlung des kardiovaskulären Risikos von Patienten mit Dyslipidämie effektiver zu sein als generisches Atorvastatin, sind teurere Statine fast nie klinisch indiziert.
Vorbehalte gegen Generika Obwohl der bevorzugte Einsatz generischer Statine zu einer erheblichen Kosteneinsparung ohne gesundheitliche oder qualitative Einbussen führen kann, gibt es einige Widerstände gegen die breite Einführung von Generika. Den meisten Patienten ist bewusst, dass Generika so sicher sind wie Originalpräparate, dennoch geben nur 37 Prozent der Patienten Generika den Vorzug. Von den Ärzten glaubt fast ein Viertel, dass Generika weniger wirksam sind, und fast die Hälfte zweifelt an der Qualität von Generika. Die Ver-
schreibung von Generika kann vermut-
lich verbessert werden, indem Ärzte
besser über die Sicherheit und die Äqui-
valenz von Generika informiert wer-
den. In den USA durchlaufen Generika
einen ähnlich strengen FDA-Zulas-
sungsprozess wie Originalpräparate,
und die Bioäquivalenz von Generika
muss nachgewiesen werden. In klini-
schen Studien wurden Originalstatine
mit ihren generischen Äquivalenten
verglichen, und es konnte gezeigt wer-
den, dass sie klinisch gleichwertig sind.
Vorbehalte bestehen nicht nur gegen-
über generischen Statinen, sondern
auch bei vielen anderen Substanzklas-
sen, die inzwischen in Form von Gene-
rika erhältlich sind. So stehen heute
beispielsweise Protonenpumpeninhibi-
toren, Antidepressiva und Angiotensin-
II-Rezeptor-Blocker in Form von Gene-
rika zur Verfügung, aber dennoch wird
weiterhin viel Geld für Originalpro-
dukte ausgegeben.
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Andrea Wülker
Green JB et al.: When choosing statin therapy. JAMA Intern Med 2013. DOI: 10.1001/jamainternmed.2013.1529.
Interessenkonflikt: Die Autoren geben keinen Interessenkonflikt an.
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