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BERICHT
Muskelabbau im Alter
Erhalt der Muskelfunktion ist wichtiger als die Muskelmasse
Im Alter kann die Muskelfunktion über eine selbstständige Lebensweise entscheiden. Umso wichtiger ist es, Muskelmasse und -funktion zu erhalten und, wo notwendig, zu vermehren beziehungsweise zu verbessern. Dass das auch im Alter möglich ist und wie das geht, erklärte Prof. Cornel Sieber, Direktor Departement Medizin, Chefarzt Klinik für Innere Medizin, Kantonsspital Winterthur, am virtuellen Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM).
Im Lauf des Lebens verändert sich auch die Muskelkraft. Das kann sehr einfach anhand der Stärke des Handgriffs gemessen werden. Erreicht diese im Alter von etwa 40 Jahren ihr Maximum, nimmt sie mit steigendem Alter wieder ab (1). Das ist einerseits dem Schwinden der Muskelmasse geschuldet, aber andererseits auch der Veränderung der Muskelqualität. Beispielsweise hat bei gleichem Oberschenkelumfang bei einer 65-jährigen Person, verglichen mit jenem bei einer 20-jährigen Person, nicht nur die Fettmasse zu- und die Muskelmasse abgenommen, sondern die verbleibende Muskelmasse kann zusätzlich mit Fettgewebe infiltriert sein, wie Sieber erklärte. Das wirkt sich nicht nur auf die Kraft aus, sondern auch auf die Funktion des Muskels. Eine Sarkopenie ist gegeben, wenn die Muskelfunktion und/oder die Muskelkraft vermindert ist, gemessen anhand der Gehgeschwindigkeit beziehungsweise der Handkraft (< 27 kg bei Männern, < 16 kg bei Frauen), und eine verminderte Muskelmasse messbar ist (mit DXA [dual x-ray absorptiometry] oder BIA [Bioimpedanzanalyse]). In der Sarkopenieabklärung werde die Muskelkraft neu vor der Muskelmasse gemessen, denn die Muskelfunktion sei wichtiger als die Muskelmasse, so Sieber. Das ist bei Ausdauersportlern wie beispielsweise Rennradfahrern, die optisch zwar über keine riesige Muskelmasse verfügen, aber eine hohe Leistungsfähigkeit aufweisen, gut sichtbar. Umgekehrt KURZ & BÜNDIG � Die Muskelfunktion ist wichtiger als die Muskelmasse. � Übergewicht führt nicht zu einer erhöhten Sterblichkeit, aber zu einer verminderten Beweglichkeit und Muskelfunktionalität (sarcopenic obesity). � Körperliche Aktivität verlangsamt den Muskelabbau. � Eine tägliche Proteinzufuhr von 1 bis 1,2 g/kg KG ist für den Erhalt der Muskelmasse und -funktion notwendig. � Mit der geeigneten Ernährung kann bei älteren Menschen ein Muskelaufbau erreicht werden. sei aber nicht jede muskelbepackte Person auch kraftvoll, so Sieber. Man gehe davon aus, dass die Muskelmasse nur 30 bis 70 Prozent der Muskelkraft und -funktion erkläre. Die aktualisierten europäischen Konsensus-Empfehlungen bieten einen Abklärungsalgorithmus, um frühzeitig Interventionen einleiten zu können (1). Gemäss diesem Algorithmus soll der aus 5 Fragen bestehende SARC-F-Fragebogen (Tabelle) (2) als Case-Finding-Instrument eingesetzt werden. Im negativen Fall wird ein Jahr später erneut kontrolliert. Ist er positiv oder besteht ein klinischer Verdacht, werden als Nächstes die Hand- sowie die Oberschenkelkraft mit dem Stuhl-Aufsteh-Test (5-mal Aufstehen ohne Benützen der Hände) erfasst. Ist die Kraft normal, kann in einem Jahr wieder kontrolliert werden. Bei ungenügender Kraft ist eine Sarkopenie wahrscheinlich, und es kann bereits eine Intervention erfolgen. Das gilt auch, wenn bei weiterer Abklärung mittels DXA, BIA, CT (Computertomografie) oder MRI (Magnetresonanztomografie) Muskelmasse und -qualität normal ausfallen. Ist sie dagegen reduziert, gilt das als die Bestätigung der Diagnose. Die Schwere der Sarkopenie kann des Weiteren mit der Gehgeschwindigkeit, der Short Physical Performance Battery (SPPB), dem Timed-up-and-go-Test oder dem 400-Meter-Gehtest ermittelt werden (1). Sarkopene Adipositas zunehmend Bei übergewichtigen oder adipösen Personen ist eine Sarkopenie oft nicht offensichtlich. Häufig sind diese Personen funktionell eingeschränkt, weil ihre Muskulatur altersunabhängig von Fettgewebe durchsetzt ist. In Fettzellen, vor allem in viszeralem Fettgewebe, werden unter anderem Entzündungsmediatoren sezerniert, was zu einer chronischen Entzündung («inflamm-aging») und zu einer Verringerung der Muskelfunktionalität beiträgt (3). In den USA weisen bereits 40 Prozent der > 60-jährigen Amerikaner einen BMI > 30 kg/m2 auf (4). Die Konsequenz ist ein neuer Phänotyp: Frailty bei übergewichtigen, funktionell eingeschränkten älteren Erwachsenen, die zusätzlich chronisch kardiometabolische Probleme aufweisen (5). Die «sarcopenic obesity» spiele auch in unseren Breitengraden zunehmend eine Rolle, denn in Europa seien viele ältere Menschen mit einem BMI von 25 bis 28 kg/m2 ebenfalls schon übergewich-
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Tabelle:
Sarkopeniescreening-Fragebogen SARC-F
Komponente Frage
Muskelkraft
Haben Sie Schwierigkeiten, 5 kg zu heben und zu transportieren?
Gehstörungen
Haben Sie Schwierigkeiten, in einem Zimmer zu gehen?
Stuhlstand
Haben Sie Schwierigkeiten, sich von einem Stuhl zu erheben?
Treppensteigen Haben Sie Schwierigkeiten, 10 Treppenstufen zu steigen?
Stürze
Wie häufig sind Sie in den letzten 12 Monaten gestürzt?
Auswertung: ≥ 4 Punkte = Hinweis auf Sarkopenie
Quelle: mod. nach (2)
Punktzahl
keine = 0, ein wenig = 1, sehr oder unfähig = 2 keine = 0, ein wenig = 1, sehr, mit Hilfe oder unfähig = 2 keine = 0, ein wenig = 1, sehr, mit Hilfe oder unfähig = 2 keine = 0, ein wenig = 1, sehr oder unfähig = 2 kein = 0, 1 bis 3 Stürze = 1, ≥ 4 Stürze = 2
tig, wie Sieber berichtete. Ein erhöhter BMI korreliert bei 71- bis 93-Jährigen aber nicht mit einer erhöhten Mortalität, wie das Honolulu-Heart-Programm gezeigt hat (6). Übergewicht führe somit nicht zu einer Übersterblichkeit, aber zu einer verminderten Beweglichkeit und Muskelfunktionalität, fasste Sieber zusammen. Für ältere Menschen seien Überleben und Funktionalität jedoch häufig gleich wichtig. Sarkopene Adipositas und «inflamm-aging» sind multifaktoriell bedingt. Einerseits durch Faktoren, die zu einer Sarkopenie führen, wie höheres Alter, Mangelernährung, wenig Bewegung, endokrine Störungen, Inflammation oder körperliche Behinderung, und andererseits durch die Adipositas, die Folge und Trigger zugleich sein kann (7). Wird eine Kategorisierung der physischen Fähigkeiten notwendig, könne die klinische Frailty-Skala der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie herangezogen werden (siehe Link), so Sieber.
Ernährungsstrategie als Therapieoption
Damit die Muskelmasse und deren Funktionen nicht verloren gehen, ist bei Personen über 65 Jahre eine tägliche Proteinzufuhr von ≥ 1 bis 1,2 g/kg KG empfohlen, das heisst etwa 25 bis 30 g pro Mahlzeit, worin 2,5 bis 2,8 g Leucin enthalten sein sollten. Bei körperlicher Aktivität oder sportlichem Training sollte die Proteinzufuhr ≥ 1,2 g/kg KG betragen, bei akuter oder chronischer Krankheit ≥ 1,2 bis 1,5 g/kg KG (8).
Mögliche Mittel für die Proteinsupplementierung bei älteren Menschen (Auswahl):
s Molke: Nebenprodukt der Quark- und Käseherstellung («Käsewasser»), enthält leucinhaltige Molkeproteine.
s Buttermilch: Nebenprodukt der Butterherstellung, enthält leucinhaltige Molkeproteine.
s Molkeproteindrink, zusätzlich leucinangereichert (z. B. Moltein®) s β-Hydroxy-β-methylbutyrat (HMB) plus Leucin (Ensure® Plus
Advance, Ensure® Compact) s Proteindrinks plus leucinreiche Nahrungsmittel: z. B. Käse
(insbesondere Parmesan), Fisch, Fleisch, Hülsenfrüchte, Nüsse (v. a. Mandeln, Cashew- und Erdnüsse)
Bei einer Niereninsuffizienz muss die Proteinzufuhr bis zu einer Kreatininclearance von 30 ml/min/1,73 m2 nicht adaptiert werden, ergänzte Sieber. Sind die Patienten schwer krank oder ausgeprägt mangelernährt, bedarf es bis zu 2 g/kg KG Protein pro Tag (8). Die Proteinverwertung ist beim älteren Menschen limitiert, nur etwa 25 bis 30 g pro Mahlzeit aufgenommenes Protein kann in endogenes Eiweiss umgewandelt werden. Um den Bedarf zu decken, muss demnach konsequent zu jeder Mahlzeit Protein aufgenommen werden. Proteinsupplemente können dafür hilfreich sein. Diese sollten vorzugsweise die essenzielle Aminosäure Leucin enthalten, da sie sehr schnell in endogenes Protein umgebaut werden kann, so Sieber. In der PROVIDEStudie wurde ein mit Vitamin D und Leucin angereicherter Molkedrink bei über 75-jährigen Menschen mit Sarkopenie bezüglich Wirkung auf Muskelaufbau und -funktion der unteren Extremitäten doppelblind randomisiert und plazebokontrolliert während 13 Wochen getestet. Die Studie zeigte, dass sich die Muskelmasse signifikant vergrösserte und sich die Muskelfunktion (Zeitmessung im Stuhl-Aufsteh-Test) ebenfalls signifikant verbesserte (9). Damit habe belegt werden können, dass ein Muskelaufbau und eine Verbesserung der Muskelfunktion bei sarkopenen Patienten auch ohne zusätzliche Bewegung möglich seien, sagte Sieber, der an dieser Studie beteiligt war. Diese Erkenntnis wurde mittlerweile auch durch eine weitere Studie bestätigt (10). Körperliche Aktivität verstärkt diesen Effekt, doch wollen oder können sich nicht alle Betroffenen mehr bewegen. Für jene, die können, verlangsame eine regelmässige körperliche Aktivität den Muskelabbau, so Sieber, und bei Übergewichtigen verbessere sie die Muskelkraft wie auch die kardiovaskuläre Gesundheit (11–13). Andere Proteinzusätze wie beispielsweise b-Hydroxy-bmethylbutyrat (HMB), ein Leucin-Metabolit, erhöhen die Muskelmasse ebenfalls, die Effektstärken in den Studien waren aber gemäss einer Metaanalyse tief (14). Gleiches gelte auch für Kreatin, so Sieber
Was empfehlen die Guidelines?
Die European Society of Clinical Nutrition and Metabolism (ESPEN) hat die Leitlinien für die klinische Ernährung und die Hydrierung bei geriatrischen Patienten in 99 Punkten neu
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Man hatte sich bei der Rekrutierung bemüht, einen galt für eine Reduktion der Inzidenz von Infektionen
hohen Anteil älterer Personen mit einem hohen Frailty- der oberen Atemwege (–10%) und der Harnwegsin-
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2,5 mmHg), und bei den 70- bis 74-Jährigen waren Infektionen mit Vitamin D seltener (–16%). Beide Phänomene waren statistisch signifikant. Das Gleiche
trial. JAMA 2020; 324(18): 1855–1868. Medienmitteilung der Universität Zürich vom 10. November 2020. http://do-health.eu/wordpress/first-findings-erste-ergebnisse/, abgerufen am 11. Juni 2021.
Kennen Sie schon DO-HEALTH-Gruuve?
Mit DO-HEALTH-Gruuve hat Bewegungswissenschaftlerin Michèle Mattle in Zusammenarbeit mit Prof. Heike Bischoff-Ferrari am Forschungszentrum Alter & Mobilität, Universitätsspital Zürich (USZ) und Stadtspital Waid Zürich, ein besonderes Bewegungsprogramm für ältere Menschen entwickelt. Das universelle Trainingsprogramm Gruuve (grown-up universal exercise) hilft älteren Menschen mit musikalischer Unterstützung bei der Stärkung der Rumpfmuskulatur, beim Durchatmen und beim Training von Kraft und Koordination im Bereich der Arme und Beine.
Das Angebot umfasst mittlerweile 85 Sequenzen zwischen 3 und
7 Minuten Länge und ist zu erreichen via USZ oder direkt via Youtube
(siehe Links). Das Projekt entstand in Zeiten der Corona-Einschränkun-
gen zur Unterstützung der körperlichen und mentalen Gesundheit, aber
auch unabhängig davon bieten die Übungen eine einfache Möglichkeit,
im Sitzen aktiv zu bleiben.
Mü
USZ: https://gruuve.ch Youtube: www.rosenfluh.ch/qr/gruuve_youtube
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