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Titel
Arsenicum
Untertitel
Stichtage
Lead
Insekten sind jetzt wieder IN. Alle reden drüber, gruseln sich. Auch die Medien schreiben und senden viel über Kerbtiere. Nicht immer ist alles richtig, was man liest – so werden die Spinnentiere auch oft fälschlich als Insekten bezeichnet. Egal – es sind schliesslich auch Arthropoden. Und Ekeltierchen. Zumindest für die Mehrzahl meiner Patientinnen und Patienten. Sowie für unsere Putzfrau.
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Rubriken — ARSENICUM
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MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Stichtage

I nsekten sind jetzt wieder IN. Alle reden drüber, gruseln sich. Auch die Medien schreiben und senden viel über Kerbtiere. Nicht immer ist alles richtig, was man liest – so werden die Spinnentiere auch oft fälschlich als Insekten bezeichnet. Egal – es sind schliesslich auch Arthropoden. Und Ekeltierchen. Zumindest für die Mehrzahl meiner Patientinnen und Patienten. Sowie für unsere Putzfrau. Sie schiebt stets ihre Arachnophobie vor, wenn ich sie frage, warum sie nie die Spinnweben an der Zimmerdecke entfernt. Der ärztliche Rat: «Exposition heilt!», trifft bei ihr auf taube Ohren, obwohl keine Dermaptera die Gehörgänge verstopfen. Genaugenommen sind Insekten wohl eher OUT als IN. Weil der Frühling nun doch endlich kommt und mit ihm die Krabbler, beginnt das Totschlagen. Mit meinem von Tierliebe motivierten Appell an die MPAs, das Fenster zu öffnen und die hinter dem Glas verirrte Biene sanft ins Freie zu befördern, anstatt sie zu killen, steche ich sozusagen in ein Wespennest. «Das gefährlichste Gifttier der Schweiz!», rufen sie dann empört und behaupten: «Ein Bienenstich kann sieben Pferde töten!» Ich glaube das zwar nicht, aber zweifellos kann eine MPA sieben Insekten töten. Nicht immer auf einen Schlag, aber Schlag auf Schlag. Mit Kriegsgeheul. Oder Angstgeschrei. Warum ein bildschöner grüngolden schillernder Käfer oder ein filigraner hellgrüner Heugumper solche Mordlust auslöst, weiss ich nicht. Und was ist an einer Fliege so existenziell bedrohend, dass man quasi aus einer Mücke einen Elefant machen muss? Als ob die ersten Brummer die biblischen Plagen wären, wird schon wieder aufs schlimmste aufgerüstet: Insektenschutzgitterhersteller und Insektizidspray-Händler verdienen gut, Kammerjäger kommen aus dem Winterquartier, konventionell kämpfen Hausfrauen mit Mob, Staubsauger und Schwamm.

Oft realisieren wir aber nicht, mit wievielen Gliederfüssern wir uns das Biotop teilen. Oder gar das Bett, wie mit der klammheimlich Hautschuppen knuspernden Hausstaubmilbe. Laut Wissenschaft gibt es fast keine Küche ohne Schaben, keinen Estrich ohne Schmetterlings-Entwicklungsformen und keinen Keller ohne Asseln. Demodex folliculorum kommt uns noch näher. Entomologen orakeln, dass die Insekten immer noch leben werden, wenn wir Menschen uns längst gegenseitig ausgerottet haben. Mehr als 60 Prozent aller beschriebenen Tierarten sind Insekten – die Viecher sind augenscheinlich ein Erfolgsmodell der Natur. Für uns Hausärzte sind viele Arthropoden wirtschaftlich interessant. Wanzenverdacht, Zeckenentfernungen, Milbenberatung, Hymenoptera-Allergien und Desensibilisierungen, der Kampf gegen Flöhe und Läuse – das ist unser tägliches Brot. Nur die «Bleilaus», die laut unserem Layouter ihr Unwesen in Setzkästen treibt, war ein Aprilscherz, auf den der schreibende Hausarzt prompt reinfiel. Zum Fressen gern hat die GourmetAvantgarde in Österreich und Deutschland einige Insektenarten: sie sollen proteinreich, fettarm, preiswert und schmackhaft sein. Nur in der Schweiz gibt es noch keine Insekten-Restaurants. Die helvetischen Igel, Spitzmäuse, Maulwürfe, Rotkehlchen und Schwalben müssen also noch keine menschlichen Futterneider befürchten. Aber vielleicht würde kulinarische Attraktivität das Image von Insekten verbessern? Schliesslich sind nicht alle Blutsauger. Aber lediglich Schmetterlinge und Marienkäfer werden gern gesehen, obwohl es gefrässige Tierchen sind. Ausser ihnen sind nur noch die Workoholics wie die sprichwörtlich bienenfleissigen Bienen und die emsigen Ameisen wohl gelitten. Was wieder mal beweist, dass man entweder schön oder produktiv sein muss, um etwas in der Menschenwelt zu gelten. Sonst hat man keinen Stich.

ARSENICUM

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ARS MEDICI 6 ■ 2013