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STUDIE REFERIERT
Prasugrel und Clopidogrel beim akuten Koronarsyndrom
Intensivere Plättchenhemmung nicht bei allen Patienten von Nutzen
Bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom, die keine Revaskularisierung erhielten, war Prasugrel in einer Substudie zwar mit einer geringeren Plättchenreaktivität verbunden als Clopidogrel, die ischämischen Ereignisraten waren jedoch vergleichbar. Somit ist bei diesen Patienten ein Test der Plättchenfunktion wohl nicht von prognostischem Wert.
JOURNAL OF THE AMERICAN MEDICAL ASSOCIATION
Die Bildung plättchenreicher Thromben stellt bei Patienten mit akutem Koronarsyndrom («acute coronary syndrome», ACS) ein hohes Risiko für ischämische Ereignisse dar. Eine plättchenhemmende Behandlung gehört daher zur Standardversorgung dieser Patienten. Aus Studienergebnissen geht hervor, dass bei Patienten mit ACS, die nach einer perkutanen Koronarinter-
Merksätze
❖ Bei ACS-Patienten ohne perkutane Koronarintervention ist Prasugrel im Vergleich zu Clopidogrel unabhängig von Alter, Gewicht und Dosierung mit einer geringeren Plättchenreaktivität verbunden.
❖ Bei ACS-Patienten ohne Revaskularisierung zeigen Prasugrel und Clopidogrel vergleichbare klinische Ergebnisse.
❖ Zwischen der Plättchenreaktivität und dem Eintritt ischämischer Ereignisse besteht bei diesen Patienten kein signifikanter Zusammenhang.
vention Clopidrogel (Plavix® und Generika) erhalten, eine Verbindung zwischen der Plättchenreaktivität und dem Auftreten ischämischer Ereignisse besteht. Eine hohe Plättchenreaktivität war bei ihnen mit einem erhöhten Risiko für postoperative Herzinfarkte und andere ischämische Ereignisse inklusive Stentthrombosen verbunden. Ob auch bei ACS-Patienten, deren Erkrankung ausschliesslich medikamentös behandelt wird, ein Zusammenhang zwischen Tests der Plättchenfunktion und dem Auftreten ischämischer Ereignisse beobachtet werden kann, ist bisher noch nicht untersucht worden. Clopidrogel ist nicht bei allen Patienten gleichermassen wirksam, sodass bei einigen trotz der Behandlung weiterhin eine hohe Plättchenreaktivität vorhanden ist. Daher wird derzeit auch häufig der neuere Thrombozytenaggregationshemmer Prasugrel angewendet. Beide Substanzen sind Thienopyridin-P2Y12Antagonisten. In Studien hat sich Prasugrel im Vergleich zu Clopidogrel jedoch als effektiver erwiesen und war zudem mit einer individuell weniger unterschiedlichen Plättchenhemmung verbunden. In der Studie TRILOGY ACS (Targeted Platelet Inhibition to Clarify the Optimal Strategy to Medically Manage Acute Coronary Syndromes) verglichen Paul Gurbel vom Sinai Hospital of Baltimore (USA) und seine Arbeitsgruppe die Wirksamkeit von Prasugrel (Efient®) und Clopidogrel bei Patienten mit instabiler Angina pectoris oder einem Herzinfarkt ohne Hebung der ST-Strecke, die sich keiner Revaskularisierung unterzogen. Hier wurden in beiden Untersuchungsarmen vergleichbare klinische Ergebnisse beobachtet. Ein Auseinanderdriften der ischämischen Ereigniskurven wurde erst nach 12 Monaten festgestellt. Um dieses
unerwartete Ergebnis besser verstehen zu können, evaluierten die Forscher bei einem Teil der TRILOGY-ACS-Patienten die Bedeutung einer hohen Plättchenreaktivität im Hinblick auf den Eintritt ischämischer Ereignisse.
Substudie zu Plättchenreaktivität und klinischem Ergebnis In dieser Substudie zu TRILOGY ACS ermittelten die Wissenschaftler zunächst die Unterschiede der Plättchenreaktivität unter Prasugrel und Clopidogrel über einen Zeitraum von 30 Monaten. Zudem evaluierten sie den Zusammenhang zwischen der Plättchenreaktivität und der Eintrittsrate des primären Wirksamkeitsendpunkts in den Untersuchungsgruppen. Ein weiteres Ziel bestand in der Definition eines Grenzwerts («cut point») für eine hohe Plättchenreaktivität, um möglicherweise Patienten identifizieren zu können, die von einer Behandlung nicht profitieren. Von den 9326 Teilnehmern der Studie TRILOGY ACS wurden 27,5 Prozent in die Substudie eingeschlossen. Die Hälfte von ihnen (n = 1286) wurde mit Prasugrel (10 oder 5 mg/Tag) und die andere Hälfte (n = 1278) mit Clopidogrel (75 mg/Tag), jeweils in Kombination mit Acetylsalicylsäure (ASS), behandelt. Personen über 75 Jahre oder jüngere Patienten, die weniger als 60 kg wogen, erhielten 5 mg Prasugrel, um das Blutungsrisiko zu senken. Die Behandlungsdauer variierte zwischen 6 und 30 Monaten. Die Plättchenreaktivität wurde in beiden Gruppen unmittelbar zu Beginn (Baseline) und nach 2 Stunden sowie nach 1, 3, 6, 12, 18, 24 und 30 Monaten in P2Y12-Reaktionseinheiten (PRU) bestimmt. Als primären Wirksamkeitsendpunkt definierten die Wissenschaftler die Kombination aus kardiovaskulärem Tod, Herzinfarkt oder Schlaganfall innerhalb von 30 Monaten. Eine hohe Plättchenreaktivität wurde unter Berücksichtigung von Studienergebnissen zur Plättchenhemmung im Rahmen perkutaner Koronarinterventionen bei PRU-Werten über 208 und über 230 definiert.
Plättchenreaktivität hier nicht prädiktiv Bei Patienten unter 75 Jahren, die mehr als 60 kg wogen, betrugen die durch-
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schnittlichen PRU-Werte nach 30 Tagen 64 (Interquartilbereich [IQR]: 33–128) in der Prasugrelgruppe und 200 (IQR: 141–260) in der Clopidogrelgruppe (p < 0,001). Diese signifikante Differenz blieb zu allen folgenden Erhebungszeitpunkten bis zur letzten Messung nach 30 Monaten bestehen. Bei den Teilnehmern unter 75 Jahren, die weniger als 60 kg wogen, betrug der durchschnittliche PRU-Wert nach 30 Tagen 139 (IQR: 86–203) unter Prasugrel und 209 (IQR: 148–268) unter Clopidogrel (p < 0,001). Bei Patienten über 75 Jahren lagen die durchschnittlichen PRU-Werte für Prasugrel bei 164 (IQR: 105–216) und in der Clopidogrelgruppe bei 222 (IQR: 148– 268; p < 0,001). Die RPU-Werte von Personen, die 10 mg Prasugrel erhielten, waren signifikant niedriger als die der Patienten, die mit 5 mg behandelt wurden (p < 0,001). Insgesamt wurde jedoch in allen Patientengruppen unter Prasugrel eine signifikant geringere Plättchenreaktivität im Vergleich zu Clopidogrel beobachtet. Der Anteil der Patienten mit Cut-Points von mehr als 208 PRU und mehr als 230 PRU war zu Studienbeginn in beiden Gruppen mit etwa 45 bis 55 Prozent vergleichbar hoch und sank mit der Zeit in der Clopidrogelgruppe nur geringfügig, während er sich in der Prasugrelgruppe im Verlauf von 30 Tagen auf annähernd 10 bis 15 Prozent reduzierte und bis zur letzten Messung nach 30 Monaten stabil blieb. Nach 30 Monaten betrugen die Raten des primären Wirksamkeitsendpunkts 17,2 Prozent in der Prasugrelgruppe und 18,9 Prozent in der Clopidogrelgruppe und waren somit vergleichbar. Zudem bestanden keine signifikanten Unterschiede der kontinuierlichen Ver- teilung der RPU-Werte über 30 Tage zwischen den 214 Patienten, die ein primäres Wirksamkeitsendpunktereignis erlitten hatten, und den 1794 ereignisfreien Patienten. Auch zwischen der Höhe der PRU-Werte und dem Eintritt eines primären Wirksamkeitsendpunkts wurde kein signifikanter Unterschied festgestellt. Die adjustierte Hazard Ratio (HR) für einen Anstieg von 60 PRU betrug 1,03 (95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,96–1,11; p = 0,44). Ähnliches wurde im Hinblick auf die 30-TagesCut-Points zur Definition einer hohen Plättchenreaktivität beobachtet. Beim RPU-Wert von 208 betrug die adjustierte HR 1,16 (0,89–1,11; p = 0,28) und beim RPU-Wert von 230 1,20 (0,90–1,61; p = 0,21). Diskussion In allen Dosierungsgruppen wurde ein besseres pharmakodynamisches Ansprechen auf Prasugrel im Vergleich zu Clopidogrel beobachtet. Sogar die niedrige Dosierung von 5 mg Prasugrel zeigte eine ausgeprägtere pharmakodynamische Wirksamkeit als die Dosis von 75 mg Clopidogrel. Die Effektivität von 5 mg Prasugrel war im Vergleich zur Dosis von 10 mg allerdings geringer. Bei Patienten mit einem ACS ohne Hebung der ST-Strecke, bei denen keine Revaskularisierung durchgeführt wurde, war Prasugrel somit im Vergleich zu Clopidogrel unabhängig von Alter, Gewicht und Dosierung mit einer signifikant geringeren Plättchenreaktivität verbunden als Clopidogrel. Dennoch wurden in der Thrombozytensubstudie zwischen Prasugrel und Clopidogrel keine signifikanten Unterschiede im Hinblick auf das Eintreten des primären Endpunkts innerhalb von 30 Monaten beobachtet, und es bestand auch kein signifikanter Zusammen- hang zwischen der Plättchenreaktivität und dem Eintritt ischämischer Ereig- nisse. Diese Ergebnisse der Substudie sind konsistent mit den Ergebnissen aus TRILOGY-ACS, in der innerhalb der ersten 12 Monate bezüglich der ischämischen Ereignisraten ebenfalls kein Unterschied zwischen beiden Be- handlungsoptionen beobachtet wurde. Die Autoren schliessen aus ihren Er- gebnissen, dass sich der Mechanismus, der zu neuen thrombotischen Ereig- nissen führt, bei nur medikamentös behandelten ACS-Patienten von dem der ACS-Patienten mit einer perkuta- nen Koronarintervention unterschei- det, denn bei ihnen ist ein ausgeprägter Einfluss einer intensivierten P2Y12- Hemmung auf das klinische Ergebnis vorhanden. Als Schwäche ihrer Studie erachten die Autoren, dass die Anzahl der Teilneh- mer, bei denen ein PRU-Wert bestimmt werden konnte, nach einem Zeitraum von 12 Monaten nur noch relativ ge- ring war. Die Beobachtung eines späten Auseinanderdriftens der Rate ischämi- scher Ereignisse, was auf eine späte Re- duzierung ischämischer Ereignisse auf- grund einer intensiveren Plättchenhem- mung hinweist, muss daher vorsichtig interpretiert werden. ❖ Petra Stölting Quelle: Gurbel PA et al.: Platelet function during extended prasugrel and clopidogrel therapy for patients with ACS treated without revascularization: the TRILOGY ACS platelet function study. JAMA 2012; 308 (17): 1785–1794. Interessenkonflikte: Die Autoren haben Gelder von verschiedenen Pharmaunternehmen erhalten. Drei Angestellte von Eli Lilly gehörten zur Autorengruppe. ARS MEDICI 5 ■ 2013 263