Transkript
BERICHT
Mehr als ein Laborwert
Was heisst hier «Eisenmangel»?
So einfach, wie es Messwerte schwarz auf weiss suggerieren, ist die Diagnose eines Eisenmangels anscheinend nicht. Wie man Laborwerte richtig einordnet und welche Rolle allfällige Komorbiditäten dabei spielen, erläuterte Prof. Wolfgang Korte, Direktor des Zentrums für Labormedizin am Kantonsspital St. Gallen, an der Iron Academy.
In Bezug auf die Bedeutung des Begriffs Eisenmangel herrsche eine «babylonische Verwirrung», konstatierte der Labormediziner und Hämatologe: «Jeder hat eine Idee, was es bedeutet, aber diese Ideen sind unterschiedlich.» Insofern sei Eisenmangel kein klar definierter Begriff, sondern es bedürfe der Einordnung der laboranalytischen Ergebnisse ins klinische Setting. Doch wie verlässlich sind die bekannten Laborparameter des Eisenstatus eigentlich?
Ferritin, Transferrin & Co.
Ferritin ist die intrazelluläre Speicherform des Eisens. Das zelluläre Ferritin steht mit dem Serumferritin in einem Gleichgewicht, sodass die Messung des Serumferritins Rückschlüsse auf den Eisenstatus zulässt. Gemäss WHO liegt der Serumferritingrenzwert für Eisenmangel bei Erwachsenen bei < 15 µg/l (1). Der Serumferritinwert ist unter anderem von Alter, Geschlecht, Entzündungen und dem Vorliegen einer Schwangerschaft abhängig. Trotzdem darf man davon ausgehen, dass bei gesunden Erwachsenen, unabhängig von Geschlecht und Alter, die Eisenspeicher bei einem Serumferritinwert > 50 µg/l ausreichend und < 30 µg/l ungenügend gefüllt sind (2). Korte wies darauf hin, dass die absoluten Serumferritinmesswerte je nach Labor und verwendetem Assay variierten. Das sei jedoch kein Anlass zur übermässigen Sorge:
KURZ & BÜNDIG
� Eisenmangel ist keine rein laboranalytische Diagnose.
� Mit dem Begriff Eisenmangel können einerseits Durchschnittswerte in der Bevölkerung und andererseits unterschiedliche therapierelevante Grenzwerte bei verschiedenen Erkrankungen gemeint sein, was zu Missverständnissen und zu einer gewissen Begriffsverwirrung führen kann.
� Bei chronischen Krankheiten können die Serumferritinwerte stark von den Normwerten gesunder Personen abweichen und trotz leerer Eisenspeicher hoch sein.
� Ein Eisenmangel ohne Anämie ist nur bei entsprechenden Symptomen behandlungsbedürftig.
«Die unterschiedlichen Ferritinassays erlauben vergleichbare therapeutische Entscheidungen. Sie können die verschiedenen Assays verwenden und sich darauf verlassen, damit trotzdem korrekte therapeutische Entscheidungen zu treffen.» Transferrin ist das Transportprotein des Eisens. Bei leeren Eisenspeichern beträgt die Transferrinsättigung < 20 Prozent. Anders als das Serumferritin sinkt die Transferrinsättigung bei akuten Entzündungen. Der lösliche Transferrinrezeptor (sTfR) steht in einem Gleichgewicht mit zellgebundenen Transferrinrezeptoren, die sich vor allem auf den Erythropoesezellen befinden. Bei Eisenmangel steigt die Anzahl der Rezeptoren und somit auch der sTfR-Wert, der, anders als Serumferritin und Transferrinsättigung, nicht durch Entzündungsprozesse beeinflusst wird. Welche sTfR-Werte noch als normal gelten, ist von den jeweiligen Testkits der verschiedenen Hersteller abhängig. Auch der Parameter Zink-Protoporphyrin (ZnPP) erlaubt quantitative Aussagen zum Eisenstatus. Er hat sich in der Routinediagnostik bis anhin nicht durchgesetzt. Der Thomas-Plot ist eine grafische Darstellung des Eisenstatus, die auf Serumparametern beruht. Diese Form der Darstellung ist zurzeit nur für bestimmte Assays validiert, sodass sie nicht überall eingesetzt wird. Als Ergänzung der Eisendiagnostik ist die Bestimmung des Hepcidins möglich, das die Aufnahme und die Freisetzung von Eisen im Organismus reguliert. Noch ist offen, wie nützlich die Messung dieses Markers in der Routine tatsächlich ist.
Ferritinwerte und Eisen im Knochenmark
Die Eisenfärbung von Knochenmarkproben sei der Goldstandard für die Beurteilung der Eisenspeicher, sagte Korte. Weil das Knochenmark den grossen Eisenspeichern (Erythrozyten, Leber) sozusagen vorgeschaltet ist, bedeutet der Nachweis von Eisen im Knochenmark, dass dem Organismus genügend Eisen zur Verfügung steht. Als Routineuntersuchung ist diese Methode zwar nicht geeignet, aber mit ihrer Hilfe wurde in einem Review gezeigt, dass die gängigen Serumferritingrenzwerte bezüglich Eisenmangel bei Patienten mit bestimmten chronischen Krankheiten nicht zutreffen (3). Die Reviewautoren werteten Beobachtungsstudien zu Eisenman-
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gel und Eisenüberladung aus, in denen sowohl der Serumferritinwert als auch der Eisenbefund gemäss Knochenmarkfärbung von gesunden Personen und von Personen mit verschiedenen chronischen Erkrankungen dokumentiert worden waren. Bei gesunden Personen wurden die oben genannten Grenzwerte im Wesentlichen bestätigt, nicht aber bei Patienten mit verschiedenen chronischen Krankheiten: ▲ Wenn bei Gesunden kein Eisen im Knochenmark nach-
weisbar war (= leere Eisenspeicher), betrug der mittlere Serumferritinwert 15,1 µg/l. War hingegen Eisen im Knochenmark vorhanden, waren es im Mittel 70,4 µg/l. ▲ Bei den Patienten mit verschiedenen chronischen Erkrankungen betrug der Serumferritinwert bei leeren Eisenspeichern hingegen im Mittel 82,4 µg/l. Bei den eisensuffizienten Patienten waren es im Mittel 381,6 µg/l. Alle Erkrankungen waren mit entzündlichen Prozessen verbunden.
Eisenmangel ≠ Eisenmangel
Die Definition, was mit einem Eisenmangel gemeint ist und was nicht, hängt aber nicht nur von den oft unterschiedlichen Werten bei bestimmten Patientengruppen ab, wie sie in dem oben genannten Review von Garcia-Casal et al. (3) beschrieben wurden. Die babylonische Verwirrung bezüglich des Begriffs Eisenmangel dürfte nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen sein, dass er nicht nur populationsbezogen (so wie oben), sondern auch als therapeutischer Zielbereich definiert wird, sprich: Ab welchem Grenzwert könnten Patienten mit bestimmten Erkrankungen von einer Eisensupplementation profitieren? So wurde in einer Studie zum Effekt von Eisen i.v. bei Herzinsuffizienzpatienten der Eisenmangel als Serumferritin < 100 µg/l oder Serumferritin 100 bis 300 µg/l plus Transferinsättigung < 20 Prozent definiert (4). In einer ähnlichen Studie mit niereninsuffizienten Patienten lautete die Definition des Eisenmangels: Serumferritin < 100 µg/l oder Serumferritin < 200 µg/l plus Transferrinsättigung < 20 Prozent (5). Depression und ähnliche psychische Symptome werden ebenfalls mit Eisenmangel in Verbindung gebracht. Hier werden die Grenzwerte für Eisenmangel allerdings wesentlich tiefer definiert. So ergab eine Untersuchung mit über 65-Jährigen in England, dass ein Serumferritinwert < 45 µg/l sowie ein Hämoglobin-(Hb-)Wert < 12,0 g/dl (Frauen) und < 13,0 g/dl (Männer) mit depressiven Symptomen assoziiert sind (6). In einer plazebokontrollieren Doppelblindstudie mit Frauen ohne Anämie und einem Serumferritinwert < 50 µg/l, die unter chronischer Müdigkeit litten, profitierten hingegen nur diejenigen von einer intravenösen Eisengabe, deren Serumferritinwert zu Beginn < 15 µg/l lag (7).
Fazit für die Praxis
Als Richtschnur für die Praxis empfahl Korte den 2019 pu-
blizierten Schweizer Konsensus zur Diagnose und Behand-
lung bei Eisenmangel (8, 9). Darin wird ein Serumferritin-
grenzwert von 30 µg/l für das Vorliegen eines Eisenmangels
genannt. Bei Serumferritinwerten zwischen 30 und 50 µg/l
kann eine Transferrinsättigung < 20 Prozent auf einen Eisen-
mangel hinweisen. Grundsätzlich muss vor jeder Behandlung
die Ursache des Eisenmangels abgeklärt werden. Bei Eisen-
mangel ohne Anämie wird eine Eisengabe empfohlen, sofern
entsprechende Symptome vorliegen, das heisst: Ein niedriger
Serumferritinwert allein ist keine Indikation für eine Eisen-
supplementation!
Die Supplementation mit Eisen soll in der Regel oral erfolgen:
«Die orale Eisenrepletion funktioniert bei vielen Patienten,
was nicht heisst, dass eine primäre i.v. Gabe nicht doch sinn-
voll sein kann», sagte Korte. Persönlich habe er jedenfalls
noch keinen Patienten gesehen, der bei einem Eisenresorp-
tionstest nicht reagiert hätte. Um den Behandlungserfolg zu
überprüfen, sollte man nach kontinuierlicher oraler Gabe
etwa 2 Monate warten. Auf Nachfrage empfahl Korte die
orale Eisengabe auch für Kinder. Auch für das Mangement
des Eisenmangels bei Kindern gibt es mittlerweile Schweizer
Empfehlungen (10).
s
Renate Bonifer
Quelle: «‹Eisenmangel› – Labordiagnostik 2021», Keynote Lecture von Prof. Wolfgang Korte an der Iron Academy, 17. Juni 2021.
Literatur: 1. WHO: Serum ferritin concentrations for the assessment of iron status
and iron deficiency in populations, 2011. http://www.who.int/vmnis/ indicators/serum_ferritin.pdf, Zugriff am 22. Juni 2021. 2. Brunner-Agten S, Huber A: Übung in Bayes‘ Theorem: Welche Normwerte gelten für Eisen? Pipette. 2019;1:15-17. 3. Garcia-Casal MN et al.: Are Current Serum and Plasma Ferritin Cut-offs for Iron Deficiency and Overload Accurate and Reflecting Iron Status? A Systematic Review. Arch Med Res. 2018;49(6):405-417. 4. van Veldhuisen DJ et al.: Effect of Ferric Carboxymaltose on Exercise Capacity in Patients With Chronic Heart Failure and Iron Deficiency. Circulation. 2017;136(15):1374-1383. 5. Macdougall IC et al.: FIND-CKD: a randomized trial of intravenous ferric carboxymaltose versus oral iron in patients with chronic kidney disease and iron deficiency anaemia. Nephrol Dial Transplant. 2014;29(11):20752084. 6. Stewart R, Hirani V: Relationship between depressive symptoms, anemia, and iron status in older residents from a national survey population. Psychosom Med. 2012;74(2):208-213. 7. Krayenbühl PA et al.: Intravenous iron for the treatment of fatigue in non-anemic, premenopausal women with low serum ferritin concentration. Blood. 2011;118(12):3222-3227. 8. Nowak A et al.: Swiss Delphi study on iron deficiency. Swiss Med Wkly. 2019;149: w20097. 9. Eisenmangel: Schweizer Experten finden Konsens. ARS MEDICI. 2019;109(14-16):516-519. 10. Eisenmangel: Schweizer Empfehlungen zur Eisensubstitution bei Kindern und Jugendlichen. ARS MEDICI. 2021;111(8):232-235.
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