Transkript
FORTBILDUNG
Asthma: Auf den Entzündungsgrad kommt es an!
Die Quantifizierung der bronchialen Entzündung hilft bei der Therapie
Pathophysiologisch liegt dem Asthma eine Entzündung der Schleimhaut zugrunde, bei der man dort vorwiegend eosinophile Granulozyten findet. Je ausgeprägter diese Entzündungszeichen sind, desto mehr Beschwerden hat der Patient und desto intensiver muss die Therapie sein. Für die Beurteilung der Entzündungsintensität eignen sich Methoden wie Lungenfunktionsuntersuchung, Peak-FlowMessung, bronchiale Provokation und FeNOMessung. Daraus ergibt sich die Wahl der medikamentösen Therapie.
THOMAS HAUSEN
Bis vor wenigen Jahren umfassten die Therapieempfehlungen lediglich eine Einteilung nach Schweregraden, die streng genommen aber nur beim unbehandelten Asthmatiker hilfreich waren. Die neuen Empfehlungen enthalten jetzt auch das Kriterium der Asthmakontrolle (Tabelle 1), das die Therapieentscheidung bei bereits behandelten Patienten erleichtern soll.
Wie gelangt man zum Befund? Die dafür in den Empfehlungen aufgeführten technischen Untersuchungen sind der Peak-Flow-Wert und die FEV1 der
Merksätze
❖ Viele Lungenfunktionsuntersuchungen scheitern daran, dass der Patient nicht in der Lage ist, die Anweisungen korrekt zu befolgen.
❖ Der Bronchospasmolysetest sollte Bestandteil jeder Lungenfunktionsuntersuchung sein.
❖ Die bronchiale Provokation ist sehr empfindlich und zeigt zuverlässig den Entzündungsgrad an.
❖ Die FeNO-Messung könnte dank der Verfügbarkeit kleinerer und preiswerter Geräte künftig eine grössere Rolle spielen.
❖ Je länger das Asthma nicht korrekt behandelt worden ist, desto grösser ist der Anteil der funktionellen Obstruktion.
Lungenfunktion. Beide sagen aber lediglich etwas über den Grad der Obstruktion aus, nichts dagegen über die Intensität des asthmatischen Prozesses, also der Entzündung selbst. Die nachgewiesene Obstruktion ist die Summe aus der Reaktion auf die Intensität des akut vorliegenden asthmatischen Entzündungsprozesses und der permanent vorhandenen (funktionellen) Obstruktion, die das Resultat des Remodeling (Umbau der Bronchialwand in Richtung Irreversibilität) darstellt. Lediglich die Variabilität der Peak-Flow-Werte kann als Hinweis auf die Intensität der Entzündung angesehen werden. Bei einem neu aufgetretenen schweren Asthma werden wir möglicherweise eine identische Obstruktion nachweisen können wie bei einem Asthma, das bereits viele Jahre bestanden hat, aber wegen nur geringer Beschwerden unentdeckt geblieben oder nicht korrekt (antientzündlich) behandelt worden ist. Im ersten Fall besteht eine starke Entzündung der Schleimhaut, im zweiten dagegen nur ein kleiner Schwelbrand. Folgerichtig werden wir im ersten Fall einen grossen therapeutischen Effekt bis zur völligen Beseitigung der Beschwerden und eine Normalisierung der Lungenfunktion erzielen können. Im zweiten Fall können wir nur noch die akute Entzündung beseitigen und den damit verbundenen Anteil der Beschwerden. Zurückbleiben wird hier eine Restobstruktion mit den damit verbundenen Beschwerden. Je länger das Asthma nicht korrekt behandelt worden ist, desto grösser wird der Anteil der funktionellen Obstruktion sein. Immer wieder müssen wir allerdings feststellen, dass wir bei manchen Patienten nur schwer zu den erwünschten Befunden gelangen können. Einmal enttäuscht uns das Ergebnis einer Untersuchung und erfüllt unsere Erwartungen nicht. Ein anderes Mal scheitert die Untersuchung daran, dass der Patient einfach nicht in der Lage ist, unsere Anweisungen korrekt zu befolgen, und das Ergebnis demzufolge nicht verwertbar ist. Die Folge ist, dass wir bei vielen Patienten mehrere Untersuchungsergebnisse parallel bewerten müssen und uns bei anderen wiederum allein auf einzelne Untersuchungen stützen können. Nicht zu vergessen sind die ganz wenigen Ausnahmefälle, in denen uns bei anhaltendem Verdacht nur der erfolgreiche Therapieversuch die Diagnose bestätigt. In vielen Fällen reicht – neben der Anamnese – die Lungenfunktion mit Bronchospasmolysetest aus, um die Diagnose zu bestätigen. In anderen Fällen müssen alle Register der Diagnostik gezogen werden, um den Verdacht zu untermauern. Dafür stehen uns direkte und indirekte Methoden zur Verfügung (Tabelle 2).
ARS MEDICI 3 ■ 2013
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FORTBILDUNG
Tabelle 1:
Kriterien für Asthmakontrolle
Kriterien
kontrolliertes Asthma (alle Kriterien erfüllt)
teilweise kontrolliertes Asthma (ein bis zwei Kriterien innerhalb einer Woche erfüllt)
unkontrolliertes Asthma
Symptome tagsüber
< 2 × pro Woche Einschränkung von Aktivitäten im Alltag nächtliche Symptome/Erwachen Einsatz einer Bedarfsmedikation/ Notfallbehandlung Lungenfunktion (Peak-Flow oder FEV 1) nein nein < 2 × pro Woche normal Exazerbation* nein 2 × pro Woche ja ja 2 × pro Woche 3 oder mehr Kriterien des teilweise kontrollierten Asthmas innerhalb einer Woche erfüllt < 80% des Sollwertes FEV1 oder des persönlichen Bestwertes (Peak-Flow) eine oder mehrere pro Jahr eine pro Woche *Jegliche Exazerbation in einer Woche bedeutet definitionsgemäss ein unkontrolliertes Asthma. Definition Exazerbation: Episode mit Zunahme von Atemnot, Husten, pfeifenden Atemgeräuschen und/oder Brustenge, die mit einem Abfall von Peak-Flow oder FEV1 einhergeht. Tabelle 2: Technische Untersuchungsmöglichkeiten zum Nachweis und zur Beurteilung der Intensität der Schleimhautentzündung beim Asthma Direkt Nachweis eosinophiler Leukozyten in: ❖ induziertem Sputum ❖ bronchoalveolärer Lavage (BAL) ❖ Schleimhautbiopsie Indirekt Lungenfunktion/ Bodyplethysmografie Peak-Flow-Messung (PEF) FeNO-Messung bronchiale Provokation Direkte Nachweismethoden Durch die direkten Nachweismethoden werden im Grunde immer die eosinophilen Granulozyten bestimmt. Die Intensität der Entzündung wird dabei durch die Zahl der Zellen bemessen. Die Suche nach Eosinophilen im Differenzialblutbild enttäuscht leider fast immer, sodass diese Untersuchung nicht empfohlen werden kann. Für ein aussagekräftiges Ergebnis muss stets Material aus den Atemwegen entnommen werden. Die geeigneten Methoden unterscheiden sich lediglich in der Art und Weise, wie das Untersuchungsmaterial gewonnen wird. Bei induziertem Sputum wird beim Patienten die Abgabe von Sekret aus den unteren Atemwegen durch die Inhalation von Kochsalz induziert. Im fixierten und aufbereiteten Sputum lassen sich dann die eosinophilen Granulozyten direkt nachweisen und damit der Grad der Entzündung verifizieren. Selbstverständlich kann das Sekret auch mittels Bronchoskopie über eine bronchoalveoläre Lavage (BAL) gewonnen werden, wodurch der Aufwand allerdings noch grösser wird. Auch das für die histologische Untersuchung nötige Gewebe (Biopsie) wird bei einer Bronchoskopie aus der Schleimhaut entnommen. Die genannten Methoden sind alle mit zu grossem Aufwand und Kosten verbunden und somit für den Praxisalltag nicht geeignet. Sie bleiben einigen wenigen Fällen oder wissenschaftlichen Untersuchungen vorbehalten. Im Folgenden werden die indirekten Nachweismethoden vorgestellt, von denen einige auch für die Allgemeinarztpraxis geeignet sind. Lungenfunktionsuntersuchung Die am weitesten verbreitete Methode zur Bestätigung der Diagnose Asthma ist die Lungenfunktionsuntersuchung. Auffällig sind die Zeichen einer Atemwegsobstruktion mit verminderten statischen Lungenvolumina. Bestätigt wird die Diagnose, wenn nach Inhalation eines rasch wirkenden Bronchodilatators eine deutliche Besserung bis hin zur Normalisierung eintritt (Bronchospasmolysetest). Die FEV (wichtigster Wert) ist erniedrigt und zeigt eine teilweise oder vollständige Reversibilität im akuten Bronchospasmolysetest. Für ein Asthma spricht eine Besserung der FEV1 um mehr als 15 Prozent (oftmals mehr) gegenüber dem Ausgangswert. Die Differenz zwischen den Parametern vor und nach Inhalation ist dann ein indirektes Mass für die Intensität der Entzündung. Beim unzureichend oder unbehandelten Asthma ist ⌬FEV gross, beim erfolgreich behandelten Asthma gering oder praktisch nicht mehr vorhanden. Bedauerlicherweise ist ein gewisser Teil der Patienten nicht in der Lage, die für ein verwertbares Ergebnis erforderlichen Atemmanöver, besonders die forcierte Exspiration, korrekt auszuführen, sodass die Lungenfunktionsuntersuchung in diesen Fällen nicht oder nur eingeschränkt verwertbar ist. 164 ARS MEDICI 3 ■ 2013 FORTBILDUNG Tabelle 3: Beurteilungskriterien der asthmatischen Entzündungsreaktion mit Hilfe der Peak-Flow-Messung Entzündung stark beziehungsweise zunehmend erniedrigte Werte fallende Werte starke Tagesschwankungen fallende Kurve im Diagramm grosse Unterschiede vor und nach Inhalation eines Bronchodilatators Entzündung schwach beziehungsweise abnehmend hohe/normale Werte ansteigende Werte schwache bis fehlende Tagesschwankungen steigende Kurve im Diagramm kleine/keine Unterschiede vor und nach Inhalation eines Bronchodilatators Peak-Flow-Messung Im symptomfreien Intervall können uns die klinische Untersuchung und auch die Lungenfunktionsuntersuchung im Stich lassen, wenn zum Zeitpunkt der Untersuchung keine akuten oder noch keine chronischen Veränderungen wegweisend sind. Sind die anamnestischen Hinweise eindeutig, kann in der hausärztlichen Praxis die Peak-Flow-Messung zur Bestätigung der Verdachtsdiagnose genutzt werden. Hierzu wird dem Patienten ein Peak-Flow-Meter mitgegeben mit der Bitte, die Werte regelmässig bis zu 4-mal pro Tag und besonders auch zum Zeitpunkt von Beschwerden zu messen und zu protokollieren. Als Nachweis einer asthmatischen Entzündung gilt, wenn der Peak-Flow-Wert um mehr als 20 Prozent gegenüber dem Normalwert als Zeichen der Obstruktion vermindert ist. Darüber hinaus wird der Verdacht erhärtet, wenn starke, tageszeitliche Schwankungen vorkommen und gegebenenfalls eine deutliche Besserung des Peak-Flow-Wertes nach Gabe eines akuten Bronchospasmolytikums eintritt (Tabelle 3). Umgekehrt ist die erfolgreiche therapeutische Unterdrückung der Entzündung zu erkennen an deutlich verbesserten oder sogar normalen Werten im Vergleich zu Werten vor dem Beginn der Therapie, in der Abnahme der Tagesschwankungen und in der nahezu fehlenden Differenz zwischen den Werten vor und nach Inhalation eines Bronchodilatators. ARS MEDICI 3 ■ 2013 165 FORTBILDUNG Tabelle 4: Was die FeNO-Messung aussagt Zur Diagnostik: hoher Wert leicht erhöhter hochnormaler Wert niedriger Wert Unter Therapie: sinkende Werte (im Verlauf) Normalwerte anhaltend hohe Werte Vorliegen einer eosinophilen Entzündung = Diagnose Asthma = asthmatische Komponente bei COPD = Ansprechbarkeit auf Kortison eosinophile Entzündung vorhanden, aber mild eosinophile Entzündung unwahrscheinlich Asthma (?) mit fehlender Ansprechbarkeit auf ICS (?) (neutrophiles Asthma) Gesunde (?) guter Therapieeffekt ausreichende antientzündliche Therapie unzureichende antientzündliche Therapie schlechte Compliance fehlerhafte Inhalationstechnik = unzureichende Deposition in den Atemwegen Bronchiale Provokation Bei dieser Untersuchung wird dem Patienten ein bronchokonstriktorisch wirksames Agens per inhalationem verabreicht. Der Patient inhaliert mehrere, in der Konzentration ansteigende Inhalativa, denen jeweils eine Untersuchung der Lungenfunktion folgt. Auf solche bronchokonstriktorisch wirkenden Substanzen reagiert jeder Mensch mit der Entwicklung einer Obstruktion. Wegen der durch die asthmatische Entzündung gesteigerten Empfindlichkeit (Hyperreagibilität) der Bronchien reagiert der Asthmatiker aber bei wesentlich geringeren Konzentrationen, was als Mass für die Intensität der Schleimhautentzündung anzusehen ist. Dieser Test ist sehr empfindlich und zeigt zuverlässig den Entzündungsgrad sowie seine Verbesserung unter einer Therapie mit einem inhalierbaren Kortikosteroid (ICS) an. Unter einer ausreichend dosierten und korrekten Therapie muss die Konzentration der zur Bronchokonstriktion erforderlichen Dosis ansteigen und mit der von Gesunden vergleichbar sein. Die bekannteste und bis heute am häufigsten durchgeführte bronchiale Provokation erfolgt mittels Metacholin oder Histamin. Von Nachteil ist neben der teuren apparativen Ausrüstung zur Inhalation vor allem die kurze Halbwertszeit der (preisgünstigen) Lösung. Eine noch recht unbekannte Variante ist die Inhalation von Mannit, das als Pulver in Kapseln zur Inhalation über ein kleines Inhaliersystem als Kit mit unterschiedlichen Dosen angeboten wird. Zusätzlich zum Kit wird bei dieser Form der Untersuchung nur noch ein Spirometer benötigt. Die lange Haltbarkeit und der geringere apparative Aufwand ermöglichen diese Form der Untersuchung auch in weniger spezialisierten Einrichtungen, in denen sie auch seltener benötigt wird. Allerdings ist die bronchiale Deposition bei dem Pulver nicht so sicher wie bei der Inhalation einer Lösung, und die Kosten für das Inhalat sind höher. Beiden Untersuchungen gemeinsam ist ein relativ grosser Zeitaufwand durch die Untersuchungsreihe (min. 20 Minuten). Ausserdem muss eine Überwachung des Patienten mit möglicher Notfallbehandlung gewährleistet werden können. Immerhin ist jede der inhalierten Dosen in der Lage, einen Asthmaanfall auszulösen. Unter den genannten Voraussetzungen sind beide Untersuchungen nicht für den Routineeinsatz zu gebrauchen, bleiben nur einem kleineren Anteil der Patienten vorbehalten und werden bei Pneumologen oder besonders interessierten Kollegen zum Einsatz kommen. FeNO-Messung (fraktioniertes exhaliertes NO) In der Schleimhaut der Atemwege wird bei Vorhandensein von eosinophilen Entzündungszellen NO gebildet, das heute in der Praxis mit wenigen Atemmanövern ohne grossen Aufwand in der Ausatemluft gemessen werden kann. Man erhält einen Messwert, der etwas überspitzt formuliert mit den Blutzuckerwerten beim Diabetiker oder den Blutdruckwerten beim Hypertoniker zu vergleichen ist. Die Messung des Stickoxids (NO) ist keine neue Untersuchungsmethode. Bisher war diese Nachweismethode jedoch wegen der Grösse und Kosten der erforderlichen Apparaturen nur in einigen wissenschaftlichen Instituten zu finden. Neuerdings konnten kleine und auch erschwingliche Apparate konstruiert und produziert werden, was eine breitere Anwendung erlaubt. In absehbarer Zukunft wird es noch kleinere Geräte geben, die dem Patienten, vergleichbar zur Blutzuckermessung oder Peak-Flow-Messung, die NO-Messung zu Hause ermöglichen werden. Bei der eosinophilen Entzündung des Asthmas findet man höhere Konzentrationen von NO als bei der neutrophilen Entzündung der COPD. Mithilfe dieser Untersuchungsmethode lässt sich somit ein Asthma ausschliessen oder nachweisen und die Intensität einer eosinophilen Entzündung und 166 ARS MEDICI 3 ■ 2013 damit die Ansprechbarkeit auf eine antientzündliche Thera- pie mit einem ICS (inhalierbaren Kortikosteroid) nachweisen sowie eine Verlaufsbeobachtung vornehmen. Bei denjenigen Asthmatikern, die wider Erwarten und trotz korrekt gestell- ter Diagnose nicht auf ICS ansprechen, sind die gemessenen NO-Werte normal/niedrig. Die NO-Messung bietet eine Reihe von Möglichkeiten, die für die Diagnose, Differenzialdiagnose und den Therapie- verlauf wertvolle Informationen liefern kann (Tabelle 4). Die Werte für FeNO sinken nach Beginn einer antientzündlichen Therapie schnell. Bereits nach wenigen Tagen ist ein Effekt nachweisbar. Die Intensität der antientzündlichen Therapie lässt sich mithilfe von FeNO-Werten titrieren. Die Erfahrung hat zudem gezeigt, dass eine drohende Verschlechterung an steigenden FeNo-Werten früher zu erkennen ist als mit den anderen genannten Methoden. Erwähnt werden muss, dass es auch Gesunde mit hohem NO (Falschpositive) und Asthmatiker mit niedrigem NO gibt. Im letzteren Fall kann es sich um Asthmatiker mit einer neutro- philen Entzündung handeln, die dann wahrscheinlich nicht auf ICS ansprechen, oder um Raucher. ❖ Korrespondenzadresse: Dr. med. Thomas Hausen Facharzt für Allgemeinmedizin Grafenstrasse 25 D-45239 Essen Interessenkonflikte: Beratung von Aerocrine, Bayer Vital, Mundipharma Diese Arbeit erschien zuerst in «Der Allgemeinarzt» 18/2012. Die Übernahme erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Verlag und Autor.