Transkript
MEDIEN, MODEN, MEDIZIN
Rosenbergstrasse
Leicht zynische Frage nach dem vergangenen Abstimmungssonntag: Sind die 40 Prozent (in Basel waren es sogar fast 60 Prozent), die für die beiden Agrarinitiativen stimmten (also dafür, dass die Bauern optisch ansprechende, qualitativ gut kontrollierte, vor allem aber billigpreisige Lebensmittel für die Städter produzieren – und zwar ohne Pestizide), die gleichen 10 Prozent, die heute schon konsequent Bioprodukte kaufen?
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Oder wie ein lieber Nachbar meinte: «Selbstverständlich ist jedem Städter und jeder Städterin bewusst, dass jedes, wirklich jedes Lebensmittel (vielleicht ausser Wasser und Coca-Cola) aus der Landwirtschaft stammt. Im Stil des 19. Jahrhunderts gesagt: Frucht ist von des Ackermanns Hand und Maschine und seinen Tieren. Und weder von der Migros noch vom hippen Delikatessenladen um die Ecke hergestellt wird, deren Angestellte (anders als der Landmann) nach Arbeitszeitgesetz und Tariflohn und unabhängig von Regen und Hitze entlöhnt werden. Nun ja, manchmal vergessen sie‘s halt.» Und anfügte: «Das ist vermutlich eines der Geheimnisse des StadtLand-Grabens: Die einen erlauben sich den Luxus des Vergessens.»
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«Ja, wir leben ein Leben, um das uns die meisten Leute beneiden, ja, wir verdienen Millionen, aber schauen Sie doch nur, wie sehr wir leiden …» Falls diese Klage so oder ähnlich tatsächlich von Prinz Harry und seiner Frau Meghan stammen sollte: Meinen die das wirklich ernst, oder plagt sie das schlechte Gewissen? Oder beides? Jedenfalls, denkbar wär’s, denn wer heute im Medien-, Sportoder Politzirkus (und – siehe oben – auch im royalen Milieu) wahrgenommen werden will, muss leiden. Am besten: wirklich
leiden. An der Welt oder an sich selbst, oder – besonders angesagt – an den Folgen gesellschaftlicher Fehlentwicklungen oder – speziell aufmerksamkeitsträchtig: am Leiden von anderen. Es tut’s aber auch ein eingebildetes oder ein vorgetäuschtes Leiden. Egal, nur politisch korrekt sollte es sein. Früher nahm man Opfer nicht ernst, spannender waren allemal die Täter. Seit die Prominenz den Opferstatus als vermarktbares Profil entdeckt hat, will einem scheinen: Willst du was werden, musst du Opfer sein. (Für Nichtpromis gilt selbstverständlich der gute Rat: Nicht nachmachen, Ihnen bringt’s nichts!)
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Man sollte sich jeden Tag eine halbe Stunde für seine Sorgen und Nöte reservieren – und in diesen dreissig Minuten ein Nickerchen machen. (Rat angeblich von Abraham Lincoln)
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«Mitgefühl ersetzt kein Recht», sagte ein Ex-Bundesverfassungsrichter. «Wer Moral anstelle von Recht setzt, fördert die Erosion des Rechts.» Viele, die sich moralisch im Recht fühlen, sehen das anders; sie glauben, sich nicht ans Recht halten zu müssen.
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Darf ein schwarzer Comedian sich über Angela Merkel oder Boris Johnson lustig machen: Selbstverständlich! Darf ein schwarzer Comedian sich über Weisse lustig machen: Was für eine Frage – klar! Darf ein weisser Comedian sich über Mobutu oder Idi Amin selig lustig machen: Heikel. Eher nicht. Darf ein weisser Comedian sich über Schwarze lustig machen: Sind Sie noch bei Trost? Das waren vier Fragen (es hätten auch zwei genügt), die ganz perfide nach Scheinheiligkeit
fahndeten – und fündig wurden. Als Ausweg dient den Scheinheiligen die ausführlich und ernsthaft vorgetragene Behauptung, Rassismus sei nicht eine Frage der Hautfarbe, sondern der Machtverhältnisse, und die seien halt überall und immer dergestalt, dass ausschliesslich und immer nur Weisse, jedoch nie Schwarze, rassistisch sein können. Was Asiaten (also «Gelbe») zu solch weissem Unsinn meinen, werden wir in absehbarer Zeit erfahren. Es ist zu vermuten (bzw. längst zu sehen), dass sie deutlich weniger anfällig sind für solch ideologische Blödmeierei als die medial dominierende Clique weisser (und schwarzer) Pseudointellektueller.
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Bullshit der Woche: Wir brauchen eine Perspektive für die Zukunft.
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Der kleine Unterschied: Wenn Manager oder Unternehmer Fehler machen, die Menschen oder Umwelt schädigen oder Kosten verursachen, verlangt man, dass sie zur Verantwortung gezogen, vor Gericht kommen und bestraft werden. Wenn Politiker Mist bauen, verlangen sie in Talkshows, man solle nicht unnötig in der Vergangenheit herumstochern, sondern «nach vorn schauen».
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Und das meint Walti: Über die eigene Autofahrkompetenz sollte man sich spätestens dann Gedanken machen, wenn die Stimme im Navi nicht mehr ganz so freundlich wie gewohnt sagt: «Bitte rechts ranfahren und anhalten. Ich möchte aussteigen!»
Richard Altorfer
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ARS MEDICI 13 | 2021