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BERICHT
EULAR 2021
Highlights vom virtuellen Rheumatologentreffen
Bereits zum zweiten Mal fand das Jahrestreffen der European League Against Rheumatism (EULAR) im virtuellen Format statt. Neben einer ganzen Reihe interessanter praxisbezogener Studien stand immer wieder eine Frage im Fokus: Wie sicher ist die Behandlung mit DMARD (disease-modifying anti-rheumatic drugs) bei COVID-19-Patienten mit rheumatoiden Erkrankungen?
Welchen Einfluss haben biologische DMARD auf den Verlauf einer SARS-CoV-2-Infektion? In einer Untersuchung auf Basis des deutschen COVID-19-Registers wurden Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen (RA, SpA, PsA u. a .) und SARS-CoV-2-Infektion hinsichtlich der Schwere ihres Krankheitsverlaufs und ihrer Medikation analysiert (1). 269 Patienten und Patientinnen waren mit einem TNF-Inhibitor (v. a. Adalimumab 35% und Etanercept 35%) und 874 mit anderen immunmodulatorischen Medikamenten behandelt worden. Zusätzliche Glukokortikoide wurden bei 22 Prozent der Patienten in der Anti-TNF-Gruppe und bei 42 Prozent der Vergleichsgruppe verwendet. Eine Hospitalisation aufgrund von COVID-19 wurde bei 12 Prozent der anti-TNF-behandelten, aber bei 29 Prozent der anders immunmodulatorisch behandelten Patienten erforderlich. Mit Sauerstoff behandelt werden mussten 5 Prozent der Patienten unter TNF-Inhibition, im Vergleich zu 22 Prozent. Am bemerkenswertesten, so die Autoren, sei die Tatsache, dass es unter den 269 Rheumapatienten, die mit den TNF-Hemmern behandelt worden waren, zu keinem einzigen tödlichen Verlauf gekommen war, während in der Vergleichsgruppe 49 Todesfälle auftraten (5,6%). Deshalb stelle sich die Frage, so die Wissenschaftler, ob eine TNF-Inhibition das Risiko eines schweren COVID-19-Verlaufs bei Patienten mit rheumatoiden Erkrankungen sogar senke.
Vorsicht mit Rituximab
Auch eine grosse internationale Arbeitsgruppe wollte den Einfluss unterschiedlicher RA-Behandlungen mit Biologika auf den COVID-19-Verlauf untersuchen (2). Von den 1673 RA-Patienten mit COVID-19 mussten 498 (34,3%) hospitalisiert werden, 112 (6,7%) starben (Tabelle). Während es unter Rituximab zu 42 (18,8%) Todesfällen kam, waren unter TNF-Inhibitoren 27 (3,3%) Sterbefälle zu beklagen. Auch die Behandlung mit JAK-Inhibitoren zeigte mit einer Hospitalisationsrate von 17 Prozent eine Assoziation mit schweren COVID-19-Verläufen. Patienten, die Abatacept oder IL-6-Inhibitoren erhalten hatten, wiesen im Vergleich zur TNF-Gruppe keinen schlechteren Verlauf auf. In eine kleine, an der Berliner Charité durchgeführten Studie wurden 15 Patienten in einem frühen Stadium eingeschlossen, die an schwerer bis kritischer COVID-19 und assoziier-
ter Pneumonie litten, sowie einen Anstieg der Zytokine aufwiesen. Die Erkrankten mussten mit Sauerstoff versorgt werden und zeigten Anzeichen einer raschen Verschlechterung und Abnahme der O2-Sättigung. Alle wurden mit einer Kombination aus dem IL-6-Rezeptor-Blocker Tocilizumab (i.v.) und dem IL-1-Rezeptor-Antagonisten Anakinra für 3 bis 5 Tage behandelt. Keiner der so versorgten Patienten und Patientinnen musste intubiert oder mechanisch ventiliert werden, und keiner starb. 5 von ihnen konnten die Intensivstation vermeiden, die übrigen 9 erhielten auf der Intensivstation eine nicht invasive Ventilation und eine nasale Sauerstoffunterstützung. Eine frühe Behandlung mit einer Kombination aus IL-6- und IL-1-Blockade könnte hinsichtlich der Prävention tödlicher COVID-19-Verläufe eine sehr effektive Option sein, so die Studienautoren (3).
Passivrauchen in der Kindheit erhöht RA-Risiko
Schon lange ist bekannt, dass Rauchen ein Risikofaktor für die Entwicklung einer RA ist. Kann jedoch auch Passivrauchen während der Kindheit das Risiko einer späteren RA-Entwicklung erhöhen? In einer grossen französischen Kohortenstudie mit den Daten von rund 80 000 Frauen (davon 698 RA-Patientinnen) wollte man dieser Frage nachgehen (4). Von ihnen waren 10 800 in ihrer Kindheit Passivrauchen ausgesetzt. Tatsächlich zeigte sich, dass Passivrauchen während der Kindheit das Risiko, später an RA zu erkranken, im Vergleich zu den Nicht-Passivrauchenden insgesamt um 24 Prozent erhöht. Bemerkenswerterweise war dieses Risiko am höchsten bei Frauen, die selbst nie geraucht hatten (Hazard Ratio: 1,42). Die Resultate würden unterstreichen, dass nicht nur aktives, sondern auch passives Rauchen die Entstehung von Autoimmunprozessen fördert, warnten die französischen Spezialisten.
Auch geringe Luftverschmutzung führt zu RA-Schüben
Zur Rolle der Luftverschmutzung und ihrer Verbindung zur RA legten italienische Forscher eine neue Studie vor (5). Einbezogen wurden über einen Zeitraum von 5 Jahren 888 RA-Patienten und 13 636 Analysen der täglichen Luftqualität. Dabei zeigte sich eine expositionsabhängige Assoziation zwischen der Konzentration von Luftschadstoffen und an-
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ARS MEDICI 13 | 2021
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Tabelle:
COVID-19 bei Patienten mit RA und biologischen oder synthetischen DMARD (n = 1673)
nicht hospitalisiert hospitalisiert ohne Sauerstoff hospitalisiert mit Sauerstoff o. Ventilation Tod
ABA n = 154 113 (73,3%) 10 (6,5%) 16 (10,4%) 15 (9,7%)
RTX n = 224 121 (54,0%) 14 (6,2%) 47 (21,0%) 42 (18,8%)
JAK n = 306 220 (71,9%) 11 (3,6%) 52 (17,0%) 23 (7,5%)
IL-6-I n = 180 150 (83,3%) 9 (5,0%) 16 (8,9%) 5 (2,8%)
ABA: Abatacept, RTX: Rituximab, JAK: Januskinase-Inhibitoren, IL-6-I: Interleukin-6-Inhibtoren, TNF-I: Tumornekrosefaktor-α-Inhibitoren
TNF-I n = 809 666 (82,3%) 53 (6,5%) 63 (7,8%) 27 (3,3%)
steigenden CRP-Spiegeln. Patienten, die einer PM10-Konzentration ≥ 50 µg/m3 ausgesetzt waren, besassen ein rund 70 Prozent höheres Risiko für CRP-Spiegel ≥ 5mg/l. Und: Innerhalb eines 60-tägigen Zeitraums vor vermehrten RAFlares, waren die Konzentrationen von Luftschadstoffen wie CO, NO, NO2, NOx, PM10, PM2,5 und O3 signifikant erhöht. Flares wurden über den Anstieg der CRP-Spiegel definiert. Bemerkenswerterweise, so die Wissenschaftler von der Universität Verona, sei in den Perioden, die den Schüben vorausgegangen waren, die kumulative NO2-Exposition um rund 500 µg/m3 höher gewesen als bei Visiten mit niedriger Krankheitsaktivität. Diese Erhöhung entspreche dem Wert von etwa 200 passiv gerauchten Zigaretten, also 3,5 pro Tag. Damit werde deutlich, dass schon eine relativ geringe Luftbelastung mit erhöhten CRP-Spiegeln und einem höheren Schubrisiko bei RA verbunden ist. «Die Ergebnisse zeigen sehr schön, dass die Luftqualität bei der rheumatoiden Arthritis ein ganz wichtiger Faktor ist», erklärte am Rande des Kongresses Dr. med. Adrian Forster von der Schulthess Klinik in Zürich.
Vorzeitige Niederkunft durch hohe RA-Krankheitsaktivität
Welchen Einfluss hat die RA auf Schwangerschaften? In einer neuen Kohortenstudie analysierten schwedische und dänische Forscher 1739 Schwangerschaften von Frauen mit RA und zur Kontrolle 17 390 Schwangerschaften aus der Allgemeinbevölkerung (6). Insgesamt wiesen Frauen mit RA eine höhere Wahrscheinlichkeit auf, eine vorzeitige Niederkunft zu erleben und Babys mit geringerem Geburtsgewicht (SGA) zur Welt zu bringen. Eine hohe Krankheitsaktivität war dabei der wichtigste Risikofaktor. Auch eine Kombinationstherapie aus Biologika plus oralen Steroiden und/oder csDMARD (conventional synthetic disease-modifying anti-rheumatic drugs) in den letzten 9 Monaten vor der Geburt war mit Frühgeburten und SGA verbunden. Bemerkenswerterweise könnte nicht nur die mütterliche, sondern auch die väterliche RA-Erkrankung für die Prognose der Säuglinge eine Rolle spielen. In einer in acht niederländischen Spitälern retrospektiv durchgeführten Untersuchung wurden 628 Männer mit RA, juveniler idiopathischer Arthritis oder Spondyloarthritis in zwei Gruppen eingeteilt (7): Väter, die ihre RA-Diagnose vor, und Väter, die ihre RA-Diagnose nach der Schwangerschaft der Partnerin erhalten hatten. Schwangerschaften, die nach der väterlichen RA-Diagnose eintraten, waren mit einer geringeren Rate an Lebendgeburten (86,36% vs. 89,22%) und einer signifikant höheren Rate an Fehlgeburten (12,27%
vs. 7,53%) verbunden. Allerdings hatte die Studie eine Schwäche: Bei den Schwangerschaften, die erst nach der väterlichen RA-Diagnose eintraten, war das durchschnittliche Alter von Männern und Frauen höher als in der Vergleichsgruppe, was einen Einfluss auf das Studienresultat haben könnte.
Keine Vorteile durch Stuhltransplantationen
Stuhltransplantationen bewirken bei Patienten mit Darm-
erkrankungen (z. B. chronisch entzündliche Darmerkran-
kungen) zum Teil beachtliche Erfolge. Die Idee dahinter: Der
aufbereitete Stuhl eines gesunden Spenders wird in den Darm
einer erkrankten Person übertragen, um so pathogene durch
harmlose Darmbakterien zu ersetzen. Könnte eine solche Er-
neuerung nicht auch positive Effekte auf Arthritiden haben?
In der ersten derartigen Studie randomisierten dänische Wis-
senschaftler 31 Erwachsen mit Psoriasisarthritis (PsA) ent-
weder mit einer Stuhltransplantation oder Plazebo (8). Das
Ergebnis war ernüchternd: Die Therapie scheiterte deutlich
häufiger in der Gruppe mit Stuhltransplantation als im Plaze-
boarm (60% vs. 19%), das heisst die konventionelle Thera-
pie mit Methotrexat musste nach 26 Wochen intensiviert
werden. Ernste Nebenwirkungen traten nicht auf.
s
Klaus Duffner
Quelle: EULAR Virtual Congress 2021 (European Congress of Rheumatology) vom 2. bis 5. Juni 2021.
Referenzen: 1. Hasseli R et al.: Does TNF-Inhibition decrease the risk of severe COVID-19
in RMD-Patients? 2021; OP0283. 2. Sparks J et al.: Associations of baseline use of biologic or targeted syn-
thetic DMARDs with COVID-19 severity in rheumatoid arthritis: Results from the COVID-19 Global Rheumatology Alliance. 2021; EULAR OP0006. 3. Haibel H et al.: Successful treatment of severe COVID-19 Pneumonie and cytokine release with simultaneous Tocilizumab and Anakinra with onemonth follow-up. 2021; EULAR POS1209. 4. Nguyen Y et al.: Association between passive smoking in childhood and adulthood, and rheumatoid arthritis: results from the french E3N-EPIC cohort study. 2021; OP0012. 5. Adami G et al.: Association between environmental air pollution and rheumatoid arthritis flares. 2021; EULAR OP0178 6. Hellgren K et al.: Pregnancy outcomes in relation to disease activity and anti-rheumatic treatment strategies in women with rheumatoid arthritis – a matched cohort study from Sweden and Denmark. 2021; EULAR OP0210. 7. Perez-Garcia LF et al.: Paternal inflammatory arthritis is associated with a higher risk of miscarriages: results of a large multicenter study (iFAME-Fertility). EULAR 2021; OP0211. 8. Kragsnaes MS et al.: Efficacy and safety of faecal microbiota transplantation for active peripheral psoriatic arthritis: a randomised sham-controlled trial. EULAR 2021; OP0010.
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